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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

einen klingenden Namen, wie sie einen feinen und edlen Duft hatten, und wenn
einer in das Dorf eintrat und sich drinnen des Weges und der Menschen
zurecht kannte, der sagte wohl von den, Blumen gleich in den ersten kleinen,
bunten Bauerngarten: "Das sind von dem Florentin seinen".

Im Juni und zur Hochmitte des Sommers, wenn seine Rosen blühten,
war ihm am wohlsten in seinem heißen Garten, und seine hart gewordenen
Arbeitshände hatten eine wunderliche Feinheit beim Blumenschneiden. Er hatte
ein paar wilden Waldstöcken die Augen selber eingelegt; es ging kein Tag
hinter die westlichen Berge, wo er nicht besah, wie sie in seinen Stämmen
schliefen, bis sie in einem Sommer aufwachten und in einem anderen weiße
Blumen trugen. Als er in dieser Zeit zu der einsamen Alten nach Hause kam,
erzählte er ihr von den eigenen Blumen, und daß er ihr einige bringen wollte,
wenn sie voll geblüht wären. Es war sein einziger freier Ausweg, dieser
Sonntagsgang nach Hause, es war ihm dabei wie eine Kinderfreude im Herzen,
und der Alten machte er mit seinem blonden Kopf die stille Stube hell.

Aber die Witwe Kien. seit sie ihren Jüngsten zu einem Manne aufgezogen
hatte, war selber die Mannsstarke nicht mehr, und sie, die dem Großwerden
ihrer Söhne sonst ohne ein Wimperzucken zugesehen hatte, kam jetzt ein rühr¬
seliges Greiner an, als der Florentin von seinen eigenen Rosen sprach.

Und er brachte ihr die Blumen wenige Zeit danach, noch ehe sie voll
waren. Es war auch Wochentag, aber der Florentin trug seinen schwarzen
Sonntagsrock und einen hohen steifen, schwarzen Hut. Die weißen Rosen waren
in einen Kranz gebunden und leuchteten über einen fremden dunklen Grabweg,
der hinaus in die Ewigkeit führte.

Wie ihm die Mutter gestorben war, wußte der Florentin derweil keinen,
für den sich sein Blut auch uur einen Herzschlag lang schneller oder freudiger
erregt hätte. Die Dorfjugend, Burschen und Mädchen, waren leicht um ihn
her, er wußte nicht laut mitzusingen in dem Tone, den sie anschlugen, und er
hielt sich allein. So geschah es denn in dieser Zeit, daß ihm etwas Neues
begegnete in dem Gesicht eines Mädchens, welches ihm entgegen trat. Es zeigte
sich ihm im Rahmen seiner eigenen gebauten Tür, anders als das der Dorf¬
mädchen, darum neu und für den Florentin wie eine fremde Blume. Gerade
weil das Gesicht wie eine blaßfarbene seltene Blume war, sah er es und sah
sich fest hinein.

Weil er kein eigenes Hauswesen hatte, nahm er Fremde zu sich herein,
mit denen er den Tisch teilte und ihnen so die Miete billigweg ausglich. Es
waren dieses die Witwe Johanne Kamp, die Mutter Johanne, wie sie genannt
wurde, und ihre vierzigjährige Tochter Jelde. Mit ihnen kam das Mädchen.

Die Mueller Johanne war eine Alte, Halbtaube, die den zahnlosen Mund
nur noch selten auftat, einmal, weil sie ihr eigenes Wort nicht hörte, einmal,
weil sie nicht viel zu sagen wußte. Ihr kleines rundes Gesicht verkroch sich
schüchtern in Runzeln, vor ihrem Alter wich das ergraute Haar unter die Kopf-


Die Blumen des Florentin Uley

einen klingenden Namen, wie sie einen feinen und edlen Duft hatten, und wenn
einer in das Dorf eintrat und sich drinnen des Weges und der Menschen
zurecht kannte, der sagte wohl von den, Blumen gleich in den ersten kleinen,
bunten Bauerngarten: „Das sind von dem Florentin seinen".

Im Juni und zur Hochmitte des Sommers, wenn seine Rosen blühten,
war ihm am wohlsten in seinem heißen Garten, und seine hart gewordenen
Arbeitshände hatten eine wunderliche Feinheit beim Blumenschneiden. Er hatte
ein paar wilden Waldstöcken die Augen selber eingelegt; es ging kein Tag
hinter die westlichen Berge, wo er nicht besah, wie sie in seinen Stämmen
schliefen, bis sie in einem Sommer aufwachten und in einem anderen weiße
Blumen trugen. Als er in dieser Zeit zu der einsamen Alten nach Hause kam,
erzählte er ihr von den eigenen Blumen, und daß er ihr einige bringen wollte,
wenn sie voll geblüht wären. Es war sein einziger freier Ausweg, dieser
Sonntagsgang nach Hause, es war ihm dabei wie eine Kinderfreude im Herzen,
und der Alten machte er mit seinem blonden Kopf die stille Stube hell.

Aber die Witwe Kien. seit sie ihren Jüngsten zu einem Manne aufgezogen
hatte, war selber die Mannsstarke nicht mehr, und sie, die dem Großwerden
ihrer Söhne sonst ohne ein Wimperzucken zugesehen hatte, kam jetzt ein rühr¬
seliges Greiner an, als der Florentin von seinen eigenen Rosen sprach.

Und er brachte ihr die Blumen wenige Zeit danach, noch ehe sie voll
waren. Es war auch Wochentag, aber der Florentin trug seinen schwarzen
Sonntagsrock und einen hohen steifen, schwarzen Hut. Die weißen Rosen waren
in einen Kranz gebunden und leuchteten über einen fremden dunklen Grabweg,
der hinaus in die Ewigkeit führte.

Wie ihm die Mutter gestorben war, wußte der Florentin derweil keinen,
für den sich sein Blut auch uur einen Herzschlag lang schneller oder freudiger
erregt hätte. Die Dorfjugend, Burschen und Mädchen, waren leicht um ihn
her, er wußte nicht laut mitzusingen in dem Tone, den sie anschlugen, und er
hielt sich allein. So geschah es denn in dieser Zeit, daß ihm etwas Neues
begegnete in dem Gesicht eines Mädchens, welches ihm entgegen trat. Es zeigte
sich ihm im Rahmen seiner eigenen gebauten Tür, anders als das der Dorf¬
mädchen, darum neu und für den Florentin wie eine fremde Blume. Gerade
weil das Gesicht wie eine blaßfarbene seltene Blume war, sah er es und sah
sich fest hinein.

Weil er kein eigenes Hauswesen hatte, nahm er Fremde zu sich herein,
mit denen er den Tisch teilte und ihnen so die Miete billigweg ausglich. Es
waren dieses die Witwe Johanne Kamp, die Mutter Johanne, wie sie genannt
wurde, und ihre vierzigjährige Tochter Jelde. Mit ihnen kam das Mädchen.

Die Mueller Johanne war eine Alte, Halbtaube, die den zahnlosen Mund
nur noch selten auftat, einmal, weil sie ihr eigenes Wort nicht hörte, einmal,
weil sie nicht viel zu sagen wußte. Ihr kleines rundes Gesicht verkroch sich
schüchtern in Runzeln, vor ihrem Alter wich das ergraute Haar unter die Kopf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/40>, abgerufen am 01.07.2024.