Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ferdinand, Zar der Bulgaren

tätigen russischen Agenten um so schärfer ein, und es gelang ihnen, eine innere
Demoralisation herbeizuführen, die in der Katastrophe vom 21. August 1886
offen zutage trat und das Land in grenzenlose Verwirrung stürzte. Es nutzte
dem Fürsten nichts, daß er nicht nur mit Serbien einen ehrenvollen Frieden
geschlossen, sondern auch das Verhältnis zur Türkei auf diesen Erfolg
hin geregelt hatte. Denn der Sultan hatte vorläufig gute Miene
zum bösen Spiel gemacht und den Fürsten Alexander zum General¬
gouvemeur von Ostrumelien aus fünf Jahre ernannt, es dann weiter auch
geschehen lassen, daß die bulgarische Volksvertretung im Juli 1886 ohne
Befragung der Signatarmächte des Berliner Vertrages die Vereinigung von
Ostrumelien mit Bulgarien beschloß. Wenige Wochen später trat die erwähnte
Katastrophe ein, der Pulses der Russenfreunde im Lande, wodurch der Fürst
Alexander in der unwürdigsten Weise zum Verlassen des Landes gezwungen
wurde. Die Zurückführung des Fürsten nach wenigen Tagen konnte den Schimpf
nicht auslöschen, den Bulgarien durch diesen Zwischenfall auf sich geladen hatte.
Wenigstens hatte es sich viele Sympathien in Europa verscherzt, wo außerhalb
Rußlands diese Behandlung des ritterlichen und sympathischen Fürsten als
häßlicher Treubruch und schnöder Undank erschien. Die öffentliche Meinung in
Europa ging dabei freilich mehr von Gefühlsregungen als von politischen Er¬
wägungen aus, und deshalb sah man auch in der bald darauf erfolgenden
Abdankung des Fürsten mehr den Ausdruck einer begreiflichen Empfindung als
eine politische Notwendigkeit. In Wirklichkeit war dieser Schritt des Fürsten
mehr das letztere. Er erkannte wohl selbst, daß die Lösungen, die er nach seiner
persönlichen Veranlagung gewählt hatte und immer wieder wählen würde, nicht
den richtigen Ausweg aus den Schwierigkeiten bedeuteten und immer neue
Verwicklungen schaffen würden. Er hatte sich zuletzt noch persönlich gedemütigt,
um Rußland zu versöhnen, und dieser schwere Schritt war ein Fehlschlag
gewesen. Er hatte das Spiel endgültig verloren. Man muß sich auch das
klar machen, um die spätere Politik des Fürsten Ferdinand richtig zu würdigen.

Eine schlimme Erbschaft war es also, die die neu eingesetzte Regentschaft
zu ordnen hatte. Vor allem glaubte Nußland freie Bahn zu haben, um in
Bulgarien wieder den alten Einfluß zu gewinnen. Aber es hatte keine glückliche
Hand und täuschte sich über die Tatsache, daß die letzten Ereignisse, ja schon
die vorangegangenen Wühlereien eine tiefe Erbitterung gegen Rußland in
Bulgarien erzeugt hatten. So konnte die Sendung des Generals Kaulbars,
dessen Auftreten überdies von vollständiger Un orientiert!) eit über Stimmung und
Verhältnisse des Landes zeugte, nur mit einem vollständigen Mißerfolg enden
und den Bruch mit Rußland zu einem vorläufig unheilbaren machen. Es ist
leicht zu ermessen, wie unter solchen Umständen die Bemühungen der Regent¬
schaft, an deren Spitze der energische Stambulow stand, ausfallen mußten, den
verwaisten Thron durch eine Neuwahl wieder zu besetzen. Der Winter 1886/87
verging darüber. Dann aber wurde die Aufmerksamkeit auf den jungen Prinzen


Ferdinand, Zar der Bulgaren

tätigen russischen Agenten um so schärfer ein, und es gelang ihnen, eine innere
Demoralisation herbeizuführen, die in der Katastrophe vom 21. August 1886
offen zutage trat und das Land in grenzenlose Verwirrung stürzte. Es nutzte
dem Fürsten nichts, daß er nicht nur mit Serbien einen ehrenvollen Frieden
geschlossen, sondern auch das Verhältnis zur Türkei auf diesen Erfolg
hin geregelt hatte. Denn der Sultan hatte vorläufig gute Miene
zum bösen Spiel gemacht und den Fürsten Alexander zum General¬
gouvemeur von Ostrumelien aus fünf Jahre ernannt, es dann weiter auch
geschehen lassen, daß die bulgarische Volksvertretung im Juli 1886 ohne
Befragung der Signatarmächte des Berliner Vertrages die Vereinigung von
Ostrumelien mit Bulgarien beschloß. Wenige Wochen später trat die erwähnte
Katastrophe ein, der Pulses der Russenfreunde im Lande, wodurch der Fürst
Alexander in der unwürdigsten Weise zum Verlassen des Landes gezwungen
wurde. Die Zurückführung des Fürsten nach wenigen Tagen konnte den Schimpf
nicht auslöschen, den Bulgarien durch diesen Zwischenfall auf sich geladen hatte.
Wenigstens hatte es sich viele Sympathien in Europa verscherzt, wo außerhalb
Rußlands diese Behandlung des ritterlichen und sympathischen Fürsten als
häßlicher Treubruch und schnöder Undank erschien. Die öffentliche Meinung in
Europa ging dabei freilich mehr von Gefühlsregungen als von politischen Er¬
wägungen aus, und deshalb sah man auch in der bald darauf erfolgenden
Abdankung des Fürsten mehr den Ausdruck einer begreiflichen Empfindung als
eine politische Notwendigkeit. In Wirklichkeit war dieser Schritt des Fürsten
mehr das letztere. Er erkannte wohl selbst, daß die Lösungen, die er nach seiner
persönlichen Veranlagung gewählt hatte und immer wieder wählen würde, nicht
den richtigen Ausweg aus den Schwierigkeiten bedeuteten und immer neue
Verwicklungen schaffen würden. Er hatte sich zuletzt noch persönlich gedemütigt,
um Rußland zu versöhnen, und dieser schwere Schritt war ein Fehlschlag
gewesen. Er hatte das Spiel endgültig verloren. Man muß sich auch das
klar machen, um die spätere Politik des Fürsten Ferdinand richtig zu würdigen.

Eine schlimme Erbschaft war es also, die die neu eingesetzte Regentschaft
zu ordnen hatte. Vor allem glaubte Nußland freie Bahn zu haben, um in
Bulgarien wieder den alten Einfluß zu gewinnen. Aber es hatte keine glückliche
Hand und täuschte sich über die Tatsache, daß die letzten Ereignisse, ja schon
die vorangegangenen Wühlereien eine tiefe Erbitterung gegen Rußland in
Bulgarien erzeugt hatten. So konnte die Sendung des Generals Kaulbars,
dessen Auftreten überdies von vollständiger Un orientiert!) eit über Stimmung und
Verhältnisse des Landes zeugte, nur mit einem vollständigen Mißerfolg enden
und den Bruch mit Rußland zu einem vorläufig unheilbaren machen. Es ist
leicht zu ermessen, wie unter solchen Umständen die Bemühungen der Regent¬
schaft, an deren Spitze der energische Stambulow stand, ausfallen mußten, den
verwaisten Thron durch eine Neuwahl wieder zu besetzen. Der Winter 1886/87
verging darüber. Dann aber wurde die Aufmerksamkeit auf den jungen Prinzen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322154"/>
          <fw type="header" place="top"> Ferdinand, Zar der Bulgaren</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1692" prev="#ID_1691"> tätigen russischen Agenten um so schärfer ein, und es gelang ihnen, eine innere<lb/>
Demoralisation herbeizuführen, die in der Katastrophe vom 21. August 1886<lb/>
offen zutage trat und das Land in grenzenlose Verwirrung stürzte. Es nutzte<lb/>
dem Fürsten nichts, daß er nicht nur mit Serbien einen ehrenvollen Frieden<lb/>
geschlossen, sondern auch das Verhältnis zur Türkei auf diesen Erfolg<lb/>
hin geregelt hatte. Denn der Sultan hatte vorläufig gute Miene<lb/>
zum bösen Spiel gemacht und den Fürsten Alexander zum General¬<lb/>
gouvemeur von Ostrumelien aus fünf Jahre ernannt, es dann weiter auch<lb/>
geschehen lassen, daß die bulgarische Volksvertretung im Juli 1886 ohne<lb/>
Befragung der Signatarmächte des Berliner Vertrages die Vereinigung von<lb/>
Ostrumelien mit Bulgarien beschloß. Wenige Wochen später trat die erwähnte<lb/>
Katastrophe ein, der Pulses der Russenfreunde im Lande, wodurch der Fürst<lb/>
Alexander in der unwürdigsten Weise zum Verlassen des Landes gezwungen<lb/>
wurde. Die Zurückführung des Fürsten nach wenigen Tagen konnte den Schimpf<lb/>
nicht auslöschen, den Bulgarien durch diesen Zwischenfall auf sich geladen hatte.<lb/>
Wenigstens hatte es sich viele Sympathien in Europa verscherzt, wo außerhalb<lb/>
Rußlands diese Behandlung des ritterlichen und sympathischen Fürsten als<lb/>
häßlicher Treubruch und schnöder Undank erschien. Die öffentliche Meinung in<lb/>
Europa ging dabei freilich mehr von Gefühlsregungen als von politischen Er¬<lb/>
wägungen aus, und deshalb sah man auch in der bald darauf erfolgenden<lb/>
Abdankung des Fürsten mehr den Ausdruck einer begreiflichen Empfindung als<lb/>
eine politische Notwendigkeit. In Wirklichkeit war dieser Schritt des Fürsten<lb/>
mehr das letztere. Er erkannte wohl selbst, daß die Lösungen, die er nach seiner<lb/>
persönlichen Veranlagung gewählt hatte und immer wieder wählen würde, nicht<lb/>
den richtigen Ausweg aus den Schwierigkeiten bedeuteten und immer neue<lb/>
Verwicklungen schaffen würden. Er hatte sich zuletzt noch persönlich gedemütigt,<lb/>
um Rußland zu versöhnen, und dieser schwere Schritt war ein Fehlschlag<lb/>
gewesen. Er hatte das Spiel endgültig verloren. Man muß sich auch das<lb/>
klar machen, um die spätere Politik des Fürsten Ferdinand richtig zu würdigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1693" next="#ID_1694"> Eine schlimme Erbschaft war es also, die die neu eingesetzte Regentschaft<lb/>
zu ordnen hatte. Vor allem glaubte Nußland freie Bahn zu haben, um in<lb/>
Bulgarien wieder den alten Einfluß zu gewinnen. Aber es hatte keine glückliche<lb/>
Hand und täuschte sich über die Tatsache, daß die letzten Ereignisse, ja schon<lb/>
die vorangegangenen Wühlereien eine tiefe Erbitterung gegen Rußland in<lb/>
Bulgarien erzeugt hatten. So konnte die Sendung des Generals Kaulbars,<lb/>
dessen Auftreten überdies von vollständiger Un orientiert!) eit über Stimmung und<lb/>
Verhältnisse des Landes zeugte, nur mit einem vollständigen Mißerfolg enden<lb/>
und den Bruch mit Rußland zu einem vorläufig unheilbaren machen. Es ist<lb/>
leicht zu ermessen, wie unter solchen Umständen die Bemühungen der Regent¬<lb/>
schaft, an deren Spitze der energische Stambulow stand, ausfallen mußten, den<lb/>
verwaisten Thron durch eine Neuwahl wieder zu besetzen. Der Winter 1886/87<lb/>
verging darüber. Dann aber wurde die Aufmerksamkeit auf den jungen Prinzen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Ferdinand, Zar der Bulgaren tätigen russischen Agenten um so schärfer ein, und es gelang ihnen, eine innere Demoralisation herbeizuführen, die in der Katastrophe vom 21. August 1886 offen zutage trat und das Land in grenzenlose Verwirrung stürzte. Es nutzte dem Fürsten nichts, daß er nicht nur mit Serbien einen ehrenvollen Frieden geschlossen, sondern auch das Verhältnis zur Türkei auf diesen Erfolg hin geregelt hatte. Denn der Sultan hatte vorläufig gute Miene zum bösen Spiel gemacht und den Fürsten Alexander zum General¬ gouvemeur von Ostrumelien aus fünf Jahre ernannt, es dann weiter auch geschehen lassen, daß die bulgarische Volksvertretung im Juli 1886 ohne Befragung der Signatarmächte des Berliner Vertrages die Vereinigung von Ostrumelien mit Bulgarien beschloß. Wenige Wochen später trat die erwähnte Katastrophe ein, der Pulses der Russenfreunde im Lande, wodurch der Fürst Alexander in der unwürdigsten Weise zum Verlassen des Landes gezwungen wurde. Die Zurückführung des Fürsten nach wenigen Tagen konnte den Schimpf nicht auslöschen, den Bulgarien durch diesen Zwischenfall auf sich geladen hatte. Wenigstens hatte es sich viele Sympathien in Europa verscherzt, wo außerhalb Rußlands diese Behandlung des ritterlichen und sympathischen Fürsten als häßlicher Treubruch und schnöder Undank erschien. Die öffentliche Meinung in Europa ging dabei freilich mehr von Gefühlsregungen als von politischen Er¬ wägungen aus, und deshalb sah man auch in der bald darauf erfolgenden Abdankung des Fürsten mehr den Ausdruck einer begreiflichen Empfindung als eine politische Notwendigkeit. In Wirklichkeit war dieser Schritt des Fürsten mehr das letztere. Er erkannte wohl selbst, daß die Lösungen, die er nach seiner persönlichen Veranlagung gewählt hatte und immer wieder wählen würde, nicht den richtigen Ausweg aus den Schwierigkeiten bedeuteten und immer neue Verwicklungen schaffen würden. Er hatte sich zuletzt noch persönlich gedemütigt, um Rußland zu versöhnen, und dieser schwere Schritt war ein Fehlschlag gewesen. Er hatte das Spiel endgültig verloren. Man muß sich auch das klar machen, um die spätere Politik des Fürsten Ferdinand richtig zu würdigen. Eine schlimme Erbschaft war es also, die die neu eingesetzte Regentschaft zu ordnen hatte. Vor allem glaubte Nußland freie Bahn zu haben, um in Bulgarien wieder den alten Einfluß zu gewinnen. Aber es hatte keine glückliche Hand und täuschte sich über die Tatsache, daß die letzten Ereignisse, ja schon die vorangegangenen Wühlereien eine tiefe Erbitterung gegen Rußland in Bulgarien erzeugt hatten. So konnte die Sendung des Generals Kaulbars, dessen Auftreten überdies von vollständiger Un orientiert!) eit über Stimmung und Verhältnisse des Landes zeugte, nur mit einem vollständigen Mißerfolg enden und den Bruch mit Rußland zu einem vorläufig unheilbaren machen. Es ist leicht zu ermessen, wie unter solchen Umständen die Bemühungen der Regent¬ schaft, an deren Spitze der energische Stambulow stand, ausfallen mußten, den verwaisten Thron durch eine Neuwahl wieder zu besetzen. Der Winter 1886/87 verging darüber. Dann aber wurde die Aufmerksamkeit auf den jungen Prinzen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/407>, abgerufen am 22.07.2024.