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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ferdinand, Zar der Bulgaren

diesem Gebiete hatte man nicht einmal einen Namen zugebilligt, der es als
von Bulgaren bewohnt kennzeichnete. Ostrumelien sollte die Provinz heißen.
Trug so die äußere Lage des Landes ein Gepräge, das keine Ruhe und Zu¬
friedenheit aufkommen ließ, weil sie den elementarsten Vorstellungen der in
staatlichen Dingen noch recht unerfahrenen, aber in ihrem nationalen Selbst¬
gefühl sehr gehobenen Bevölkerung in keiner Weise entsprach, so hatte man sich
die innere Gestaltung des neuen Staats nur allzu leicht gemacht. Eine
moderne, freisinnige Verfassung, für diese Zustände passend wie die Faust aufs
Auge -- damit glaubte man vorläufig alles Nötige getan zu haben. Der erste Fürst
von Bulgarien, Prinz Alexander von Ballenberg, der im Jahre 1879 gewählt
worden war, suchte, seiner ganzen persönlichen Veranlagung entsprechend, durch
rasche und kühne Entschlüsse die Schwierigkeiten, die sich ihm in dieser eigen¬
artigen Lage entgegenstellten, aus dem Wege zu räumen. Als die neue und
unerprobte Verfassung eine vernünftige Gesetzgebung mehr und mehr zu hindern
schien, hob der Fürst schon nach zwei Jahren durch einen Staatsstreich die Ver¬
fassung auf, um sie nach weiteren zwei Jahren notgedrungen, aber entgegen
dem Rate und Willen Rußlands wiederherzustellen. Dadurch wurde der Bruch
mit Rußland eingeleitet und die schon vorher vorhandene persönliche Abneigung
des Kaisers von Rußland gegen seinen Vetter, den Battenberger, zur Unver"
söhnlichkeit gesteigert. Wieder waren zwei Jahre der Spannung und Unruhe
verflossen, als ein Aufstand in Ostrumelien den türkischen Gouverneur verjagte
und die Vereinigung mit Bulgarien beschloß. Für den Fürsten Alexander
bedeutete das eine peinliche Überraschung, aber es blieb ihm kaum eine Wahl,
zumal da sich Rußland zwar seiner Person feindlich, aber den Wünschen der
Bulgaren nicht abgeneigt zeigte. Voll Vertrauen auf den kriegerischen Sinn
und das Hochgefühl seiner Bulgaren wagte er den verwegenen Schritt und
erfüllte durch den Einmarsch in Ostrumelien die Hoffnungen des Volkes. Er
warf damit zugleich den europäischen Großmächten als Unterzeichnern des Ber¬
liner Vertrages von 1878 den Fehdehandschuh hin. Zum Glück sür Bulgarien
wollte niemand das heiße Eisen anfassen; nur Serbien erklärte den Krieg und
wurde geschlagen. Aber je mehr der junge Kriegsruhm die äußere Stellung
des Fürsten und des neuen Staates zu heben schien, desto mehr zeigte sich,
daß dies nicht der Weg war, um die Entwicklung Bulgariens an die nächsten
notwendigen Ziele zu bringen. Der Scheinerfolg nährte den Groll Rußlands,
das sich wichtiger Handhaben beraubt sah, mittels deren es die Rechnung für
die Befreiungsarbeit zu präsentieren gehofft hatte. Der serbische Krieg hatte ja
das russische Selbstbewußtsein noch mehr, als von vornherein vorauszusehen
war, verletzt und gereizt; denn Kaiser Alexander der Dritte hatte nach dem
ostrumelischen Handstreich die russischen Offiziere und Beamten aus Bulgarien
zurückberufen, um dem eigenmächtigen Schützling die Folgen seiner Handlungs¬
weise recht empfindlich zu Gemüte zu führen, und nun hatten die Bulgaren
auch ohne die Russen gesiegt. Jetzt setzte die Wühlarbeit der im Lande noch


Ferdinand, Zar der Bulgaren

diesem Gebiete hatte man nicht einmal einen Namen zugebilligt, der es als
von Bulgaren bewohnt kennzeichnete. Ostrumelien sollte die Provinz heißen.
Trug so die äußere Lage des Landes ein Gepräge, das keine Ruhe und Zu¬
friedenheit aufkommen ließ, weil sie den elementarsten Vorstellungen der in
staatlichen Dingen noch recht unerfahrenen, aber in ihrem nationalen Selbst¬
gefühl sehr gehobenen Bevölkerung in keiner Weise entsprach, so hatte man sich
die innere Gestaltung des neuen Staats nur allzu leicht gemacht. Eine
moderne, freisinnige Verfassung, für diese Zustände passend wie die Faust aufs
Auge — damit glaubte man vorläufig alles Nötige getan zu haben. Der erste Fürst
von Bulgarien, Prinz Alexander von Ballenberg, der im Jahre 1879 gewählt
worden war, suchte, seiner ganzen persönlichen Veranlagung entsprechend, durch
rasche und kühne Entschlüsse die Schwierigkeiten, die sich ihm in dieser eigen¬
artigen Lage entgegenstellten, aus dem Wege zu räumen. Als die neue und
unerprobte Verfassung eine vernünftige Gesetzgebung mehr und mehr zu hindern
schien, hob der Fürst schon nach zwei Jahren durch einen Staatsstreich die Ver¬
fassung auf, um sie nach weiteren zwei Jahren notgedrungen, aber entgegen
dem Rate und Willen Rußlands wiederherzustellen. Dadurch wurde der Bruch
mit Rußland eingeleitet und die schon vorher vorhandene persönliche Abneigung
des Kaisers von Rußland gegen seinen Vetter, den Battenberger, zur Unver»
söhnlichkeit gesteigert. Wieder waren zwei Jahre der Spannung und Unruhe
verflossen, als ein Aufstand in Ostrumelien den türkischen Gouverneur verjagte
und die Vereinigung mit Bulgarien beschloß. Für den Fürsten Alexander
bedeutete das eine peinliche Überraschung, aber es blieb ihm kaum eine Wahl,
zumal da sich Rußland zwar seiner Person feindlich, aber den Wünschen der
Bulgaren nicht abgeneigt zeigte. Voll Vertrauen auf den kriegerischen Sinn
und das Hochgefühl seiner Bulgaren wagte er den verwegenen Schritt und
erfüllte durch den Einmarsch in Ostrumelien die Hoffnungen des Volkes. Er
warf damit zugleich den europäischen Großmächten als Unterzeichnern des Ber¬
liner Vertrages von 1878 den Fehdehandschuh hin. Zum Glück sür Bulgarien
wollte niemand das heiße Eisen anfassen; nur Serbien erklärte den Krieg und
wurde geschlagen. Aber je mehr der junge Kriegsruhm die äußere Stellung
des Fürsten und des neuen Staates zu heben schien, desto mehr zeigte sich,
daß dies nicht der Weg war, um die Entwicklung Bulgariens an die nächsten
notwendigen Ziele zu bringen. Der Scheinerfolg nährte den Groll Rußlands,
das sich wichtiger Handhaben beraubt sah, mittels deren es die Rechnung für
die Befreiungsarbeit zu präsentieren gehofft hatte. Der serbische Krieg hatte ja
das russische Selbstbewußtsein noch mehr, als von vornherein vorauszusehen
war, verletzt und gereizt; denn Kaiser Alexander der Dritte hatte nach dem
ostrumelischen Handstreich die russischen Offiziere und Beamten aus Bulgarien
zurückberufen, um dem eigenmächtigen Schützling die Folgen seiner Handlungs¬
weise recht empfindlich zu Gemüte zu führen, und nun hatten die Bulgaren
auch ohne die Russen gesiegt. Jetzt setzte die Wühlarbeit der im Lande noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/406>, abgerufen am 22.07.2024.