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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ferdinand, Zar der Bulgaren

Ferdinand von Koburg gelenkt, und diese Verhandlungen führten wirklich zum
Ziel. Am 7. Juli 1887 wurde der Prinz zum Fürsten gewählt, und am
22. August hielt er einen trübseligen Einzug in Sofia, nachdem er einige Tage
zuvor in Trnowa den Eid auf die Verfassung geleistet und sein Herrscheramt
angetreten hatte.

Ganz auf sich allein war der junge Fürst angewiesen, der einen uneigen¬
nützigen Beirat nur in seiner klugen Mutter fand. Fürst war er zunächst nur
für sein ihm noch gänzlich fremdes Volk; sür das ganze Ausland war er offiziell
nach wie vor der Prinz von Koburg, der gegen die bestehenden Verträge und
gegen den Willen Europas eigenmächtig ein Amt übernommen hatte, das
niemand anerkennen wollte. Als verwegener Leichtsinn und blanke Torheit
erschien der politischen Weisheit von ganz Europa, was der junge Herr dort
im politischen Wetterwinkel unseres Erdteils unternommen hatte, dieser junge
Herr, den man trotz seiner Zugehörigkeit zu einem berühmten Fürstenhause
zunächst nur als Magnaten und Offizier ohne besondere Bedeutung einzuschätzen
geneigt war. Die Witzblätter nahmen ihn als dankbares Objekt in Beschlag,
und die Öffentlichkeit wartete schadenfroh auf die nach ihrer Meinung über kurz
oder lang bevorstehende Nachricht, daß er wieder verjagt worden sei.

Unterdessen erwartete Prinz Ferdinand in Sofia, unbekümmert um den
Spott und Tadel der Welt, in stiller, emsiger Tätigkeit ruhig seine Zeit. Er
übersah mit dem ihm von Natur eigenen klaren und nüchternen Blick die inter¬
nationale Lage vollkommen und wußte ganz genau, daß ungeachtet alles Scheidens,
Schmähens, Spötters und Grollens niemand seinem jungen Staate etwas tun
könne und wolle, solange es ihm glückte, sein Volk von Unbesonnenheiten zurück¬
zuhalten und Dinge, an die die Welt sich zu gewöhnen anfing, nicht wieder
aufzurühren. So ließ er alle auswärtigen Schwierigkeiten ruhig auf sich beruhen,
ließ die Welt reden und sich aufregen über seine "illegale" Regierung und
nahm im Innern alle die Aufgaben in Angriff, die für sein Volk das tägliche
Brot bedeuteten. Er bemühte sich in erster Linie um die Finanzen, so gut es
vorläufig ging, und setzte die Organisation des Heerwesens im Sinne seines
Vorgängers fort. Durch sein Privatvermögen ein reicher Mann und dadurch
dem Staat gegenüber unabhängig, sand er vielfache Gelegenheit, sich im Lande
durch persönliche Fürsorge beliebt zu machen. Wirtschaftliche Maßnahmen und
zweckmäßige Handelsverträge erschlossen die Hilfsquellen des so lange vernach¬
lässigten Landes. Der Fürst hatte Stambulow, der sich am meisten das Ver¬
trauen des Landes erworben hatte, zum Ministerpräsidenten ernannt, obwohl
dieser staatsmännisch sehr befähigte Mann in seinem Wesen einige nicht unbedenk¬
liche Züge aufzuweisen hatte. Aber die skrupellose und etwas gewalttätige Art
Stambulows war für die Übergangszeit in dem noch halborientalischen Lande
wohl zu ertragen. Schlimmer war es, daß Stambulow den besonderen Haß
Rußlands auf sich geladen hatte und daß daher, solange er am Ruder war,
auf ein Aufhören der panslawistischen Hetzereien nicht zu rechnen war. Aber


Ferdinand, Zar der Bulgaren

Ferdinand von Koburg gelenkt, und diese Verhandlungen führten wirklich zum
Ziel. Am 7. Juli 1887 wurde der Prinz zum Fürsten gewählt, und am
22. August hielt er einen trübseligen Einzug in Sofia, nachdem er einige Tage
zuvor in Trnowa den Eid auf die Verfassung geleistet und sein Herrscheramt
angetreten hatte.

Ganz auf sich allein war der junge Fürst angewiesen, der einen uneigen¬
nützigen Beirat nur in seiner klugen Mutter fand. Fürst war er zunächst nur
für sein ihm noch gänzlich fremdes Volk; sür das ganze Ausland war er offiziell
nach wie vor der Prinz von Koburg, der gegen die bestehenden Verträge und
gegen den Willen Europas eigenmächtig ein Amt übernommen hatte, das
niemand anerkennen wollte. Als verwegener Leichtsinn und blanke Torheit
erschien der politischen Weisheit von ganz Europa, was der junge Herr dort
im politischen Wetterwinkel unseres Erdteils unternommen hatte, dieser junge
Herr, den man trotz seiner Zugehörigkeit zu einem berühmten Fürstenhause
zunächst nur als Magnaten und Offizier ohne besondere Bedeutung einzuschätzen
geneigt war. Die Witzblätter nahmen ihn als dankbares Objekt in Beschlag,
und die Öffentlichkeit wartete schadenfroh auf die nach ihrer Meinung über kurz
oder lang bevorstehende Nachricht, daß er wieder verjagt worden sei.

Unterdessen erwartete Prinz Ferdinand in Sofia, unbekümmert um den
Spott und Tadel der Welt, in stiller, emsiger Tätigkeit ruhig seine Zeit. Er
übersah mit dem ihm von Natur eigenen klaren und nüchternen Blick die inter¬
nationale Lage vollkommen und wußte ganz genau, daß ungeachtet alles Scheidens,
Schmähens, Spötters und Grollens niemand seinem jungen Staate etwas tun
könne und wolle, solange es ihm glückte, sein Volk von Unbesonnenheiten zurück¬
zuhalten und Dinge, an die die Welt sich zu gewöhnen anfing, nicht wieder
aufzurühren. So ließ er alle auswärtigen Schwierigkeiten ruhig auf sich beruhen,
ließ die Welt reden und sich aufregen über seine „illegale" Regierung und
nahm im Innern alle die Aufgaben in Angriff, die für sein Volk das tägliche
Brot bedeuteten. Er bemühte sich in erster Linie um die Finanzen, so gut es
vorläufig ging, und setzte die Organisation des Heerwesens im Sinne seines
Vorgängers fort. Durch sein Privatvermögen ein reicher Mann und dadurch
dem Staat gegenüber unabhängig, sand er vielfache Gelegenheit, sich im Lande
durch persönliche Fürsorge beliebt zu machen. Wirtschaftliche Maßnahmen und
zweckmäßige Handelsverträge erschlossen die Hilfsquellen des so lange vernach¬
lässigten Landes. Der Fürst hatte Stambulow, der sich am meisten das Ver¬
trauen des Landes erworben hatte, zum Ministerpräsidenten ernannt, obwohl
dieser staatsmännisch sehr befähigte Mann in seinem Wesen einige nicht unbedenk¬
liche Züge aufzuweisen hatte. Aber die skrupellose und etwas gewalttätige Art
Stambulows war für die Übergangszeit in dem noch halborientalischen Lande
wohl zu ertragen. Schlimmer war es, daß Stambulow den besonderen Haß
Rußlands auf sich geladen hatte und daß daher, solange er am Ruder war,
auf ein Aufhören der panslawistischen Hetzereien nicht zu rechnen war. Aber


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[0408] Ferdinand, Zar der Bulgaren Ferdinand von Koburg gelenkt, und diese Verhandlungen führten wirklich zum Ziel. Am 7. Juli 1887 wurde der Prinz zum Fürsten gewählt, und am 22. August hielt er einen trübseligen Einzug in Sofia, nachdem er einige Tage zuvor in Trnowa den Eid auf die Verfassung geleistet und sein Herrscheramt angetreten hatte. Ganz auf sich allein war der junge Fürst angewiesen, der einen uneigen¬ nützigen Beirat nur in seiner klugen Mutter fand. Fürst war er zunächst nur für sein ihm noch gänzlich fremdes Volk; sür das ganze Ausland war er offiziell nach wie vor der Prinz von Koburg, der gegen die bestehenden Verträge und gegen den Willen Europas eigenmächtig ein Amt übernommen hatte, das niemand anerkennen wollte. Als verwegener Leichtsinn und blanke Torheit erschien der politischen Weisheit von ganz Europa, was der junge Herr dort im politischen Wetterwinkel unseres Erdteils unternommen hatte, dieser junge Herr, den man trotz seiner Zugehörigkeit zu einem berühmten Fürstenhause zunächst nur als Magnaten und Offizier ohne besondere Bedeutung einzuschätzen geneigt war. Die Witzblätter nahmen ihn als dankbares Objekt in Beschlag, und die Öffentlichkeit wartete schadenfroh auf die nach ihrer Meinung über kurz oder lang bevorstehende Nachricht, daß er wieder verjagt worden sei. Unterdessen erwartete Prinz Ferdinand in Sofia, unbekümmert um den Spott und Tadel der Welt, in stiller, emsiger Tätigkeit ruhig seine Zeit. Er übersah mit dem ihm von Natur eigenen klaren und nüchternen Blick die inter¬ nationale Lage vollkommen und wußte ganz genau, daß ungeachtet alles Scheidens, Schmähens, Spötters und Grollens niemand seinem jungen Staate etwas tun könne und wolle, solange es ihm glückte, sein Volk von Unbesonnenheiten zurück¬ zuhalten und Dinge, an die die Welt sich zu gewöhnen anfing, nicht wieder aufzurühren. So ließ er alle auswärtigen Schwierigkeiten ruhig auf sich beruhen, ließ die Welt reden und sich aufregen über seine „illegale" Regierung und nahm im Innern alle die Aufgaben in Angriff, die für sein Volk das tägliche Brot bedeuteten. Er bemühte sich in erster Linie um die Finanzen, so gut es vorläufig ging, und setzte die Organisation des Heerwesens im Sinne seines Vorgängers fort. Durch sein Privatvermögen ein reicher Mann und dadurch dem Staat gegenüber unabhängig, sand er vielfache Gelegenheit, sich im Lande durch persönliche Fürsorge beliebt zu machen. Wirtschaftliche Maßnahmen und zweckmäßige Handelsverträge erschlossen die Hilfsquellen des so lange vernach¬ lässigten Landes. Der Fürst hatte Stambulow, der sich am meisten das Ver¬ trauen des Landes erworben hatte, zum Ministerpräsidenten ernannt, obwohl dieser staatsmännisch sehr befähigte Mann in seinem Wesen einige nicht unbedenk¬ liche Züge aufzuweisen hatte. Aber die skrupellose und etwas gewalttätige Art Stambulows war für die Übergangszeit in dem noch halborientalischen Lande wohl zu ertragen. Schlimmer war es, daß Stambulow den besonderen Haß Rußlands auf sich geladen hatte und daß daher, solange er am Ruder war, auf ein Aufhören der panslawistischen Hetzereien nicht zu rechnen war. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/408>, abgerufen am 22.07.2024.