Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Ferdinand, Zar der Bulgaren Aus dieser Ehe des Prinzen August von Koburg mit Clementine von Verwickele und verfahren genug war damals die Lage. Das Land in Der Berliner Kongreß von 1878 hatte Bulgarien nur halb befreit; der Ferdinand, Zar der Bulgaren Aus dieser Ehe des Prinzen August von Koburg mit Clementine von Verwickele und verfahren genug war damals die Lage. Das Land in Der Berliner Kongreß von 1878 hatte Bulgarien nur halb befreit; der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322152"/> <fw type="header" place="top"> Ferdinand, Zar der Bulgaren</fw><lb/> <p xml:id="ID_1688"> Aus dieser Ehe des Prinzen August von Koburg mit Clementine von<lb/> Orleans ist Prinz Ferdinand, der jetzige Zar der Bulgaren, hervorgegangen.<lb/> Daß er von mütterlicher Seite das Blut des Hauses Orleans in sich trägt, ist<lb/> von nicht geringerer Bedeutung als seine Zugehörigkeit zum Hause Koburg.<lb/> Die ersten Orleans vertraten freilich keinen sympathischen Typus. In der<lb/> unerfreulichen Gestalt des Philippe Egalitö erreicht die Entwicklung dieses Typus<lb/> ihren Gipfel. Aber zugleich zeigt sich in ihm eine neue Seite, die den tieferen<lb/> Zusammenhang seiner trotz alledem bedeutenden Eigenschaften enthüllt. Philippe<lb/> Egalitö steht in allerengster Fühlung mit dem Geist seiner Zeit. In seinem<lb/> Verhältnis zu diesem Zeitgeist gibt es für ihn keine Schranken noch Skrupel,<lb/> aber er läßt sich trotzdem von ihm nicht unterjochen, sondern steht ihm mit<lb/> scharf beobachtender und kalt rechnender Überlegenheit gegenüber. In dem<lb/> Sohn, dem späteren König der Franzosen, Louis Philippe, erscheint derselbe<lb/> Grundzug des Wesens, nur wird in ihm die kalte, zynische Weltverachtung des<lb/> Vaters von ihrer aristokratischen Höhe herabgezogen und zu skeptischer Lebens¬<lb/> klugheit und feinem Verständnis für alles Menschliche gemildert durch die harte<lb/> Schule, in die ihn in seinen jungen Jahren das Leben nahm. Die Rückkehr<lb/> zu der einfachen bürgerlichen Sitte, gleichfalls eine Frucht seiner harten Jugend,<lb/> die ihn sogar zum anderen Extrem, zur Spießbürgerlichkeit, hinüberführte und<lb/> mitunter allzusehr der äußeren Würde entbehrte, erfuhr in feinem häuslichen<lb/> Leben eine besondere Hebung und Verklärung durch den Einfluß einer edeln<lb/> und trefflichen Frau. Und so — mit seinem scharf rechnenden Verstände,<lb/> seiner gelassenen Weltbeobachtung, seinem kühlen Realismus, und nicht zuletzt<lb/> mit dem charakteristischen Mangel jeglicher Illusion, mit der Abwesenheit jedes<lb/> heroischen Zuges, aber dabei mit einem ausgeprägten Familiensinn — mochte<lb/> wohl das Bild des alten Königs namentlich im Gedächtnis seiner jüngsten<lb/> Kinder, unter ihnen der Prinzessin Clementine, fortleben. Man muß sich er¬<lb/> innern, daß Ferdinand von Bulgarien ein gemeinsamer Enkel Ferdinands von<lb/> Koburg-KohÄry und des Königs Louis Philippe ist, wenn man den Schlüssel<lb/> zu den staatsmännischen und persönlichen Eigenschaften dieses Fürsten gewinnen<lb/> will. Es waren die Eigenschaften, die Bulgarien brauchte, als es galt im<lb/> Jahre 1887 der jungen Nation einen neuen Führer zu geben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1689"> Verwickele und verfahren genug war damals die Lage. Das Land in<lb/> Verwirrung, das Vertrauen in die Zukunft erschüttert, Rußland tief gekränkt<lb/> und grollend als der in seinen Erwartungen getäuschte, mit Undank belohnte<lb/> Wohltäter, die anderen auswärtigen Mächte verschnupft durch die Nichtbeachtung<lb/> der internationalen Verträge, die Nachbarn eifersüchtig und übelwollend,<lb/> die Haltung der Türkei gleichfalls drohend und mißtrauisch, und trotz aller<lb/> Schwäche nicht ungefährlich. Schlimmer konnte es eigentlich kaum aussehen.<lb/> Wie war es dahin gekommen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1690" next="#ID_1691"> Der Berliner Kongreß von 1878 hatte Bulgarien nur halb befreit; der<lb/> südliche Teil blieb türkische Provinz, wenn auch mit autonomer Negierung, und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
Ferdinand, Zar der Bulgaren
Aus dieser Ehe des Prinzen August von Koburg mit Clementine von
Orleans ist Prinz Ferdinand, der jetzige Zar der Bulgaren, hervorgegangen.
Daß er von mütterlicher Seite das Blut des Hauses Orleans in sich trägt, ist
von nicht geringerer Bedeutung als seine Zugehörigkeit zum Hause Koburg.
Die ersten Orleans vertraten freilich keinen sympathischen Typus. In der
unerfreulichen Gestalt des Philippe Egalitö erreicht die Entwicklung dieses Typus
ihren Gipfel. Aber zugleich zeigt sich in ihm eine neue Seite, die den tieferen
Zusammenhang seiner trotz alledem bedeutenden Eigenschaften enthüllt. Philippe
Egalitö steht in allerengster Fühlung mit dem Geist seiner Zeit. In seinem
Verhältnis zu diesem Zeitgeist gibt es für ihn keine Schranken noch Skrupel,
aber er läßt sich trotzdem von ihm nicht unterjochen, sondern steht ihm mit
scharf beobachtender und kalt rechnender Überlegenheit gegenüber. In dem
Sohn, dem späteren König der Franzosen, Louis Philippe, erscheint derselbe
Grundzug des Wesens, nur wird in ihm die kalte, zynische Weltverachtung des
Vaters von ihrer aristokratischen Höhe herabgezogen und zu skeptischer Lebens¬
klugheit und feinem Verständnis für alles Menschliche gemildert durch die harte
Schule, in die ihn in seinen jungen Jahren das Leben nahm. Die Rückkehr
zu der einfachen bürgerlichen Sitte, gleichfalls eine Frucht seiner harten Jugend,
die ihn sogar zum anderen Extrem, zur Spießbürgerlichkeit, hinüberführte und
mitunter allzusehr der äußeren Würde entbehrte, erfuhr in feinem häuslichen
Leben eine besondere Hebung und Verklärung durch den Einfluß einer edeln
und trefflichen Frau. Und so — mit seinem scharf rechnenden Verstände,
seiner gelassenen Weltbeobachtung, seinem kühlen Realismus, und nicht zuletzt
mit dem charakteristischen Mangel jeglicher Illusion, mit der Abwesenheit jedes
heroischen Zuges, aber dabei mit einem ausgeprägten Familiensinn — mochte
wohl das Bild des alten Königs namentlich im Gedächtnis seiner jüngsten
Kinder, unter ihnen der Prinzessin Clementine, fortleben. Man muß sich er¬
innern, daß Ferdinand von Bulgarien ein gemeinsamer Enkel Ferdinands von
Koburg-KohÄry und des Königs Louis Philippe ist, wenn man den Schlüssel
zu den staatsmännischen und persönlichen Eigenschaften dieses Fürsten gewinnen
will. Es waren die Eigenschaften, die Bulgarien brauchte, als es galt im
Jahre 1887 der jungen Nation einen neuen Führer zu geben.
Verwickele und verfahren genug war damals die Lage. Das Land in
Verwirrung, das Vertrauen in die Zukunft erschüttert, Rußland tief gekränkt
und grollend als der in seinen Erwartungen getäuschte, mit Undank belohnte
Wohltäter, die anderen auswärtigen Mächte verschnupft durch die Nichtbeachtung
der internationalen Verträge, die Nachbarn eifersüchtig und übelwollend,
die Haltung der Türkei gleichfalls drohend und mißtrauisch, und trotz aller
Schwäche nicht ungefährlich. Schlimmer konnte es eigentlich kaum aussehen.
Wie war es dahin gekommen?
Der Berliner Kongreß von 1878 hatte Bulgarien nur halb befreit; der
südliche Teil blieb türkische Provinz, wenn auch mit autonomer Negierung, und
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