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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Rley

er hielt sich doch bis er ausgelernt hatte, und das erste Verdienen trieb ihn
bald, irgendwo ein Eigen zu haben.

Da liegt ein Dorf nicht weit im Navensbergischen gegen die Grenze von
Hannover hin. Seine einzige Straße durchschneidet den Osning von Süden
nach Norden, daß die Berge zu beiden Seiten bewaldet niederfallen, wo bis
an ihren Fuß die fruchtbaren Felder steigen, daß es oben ein freundliches
Begegnen von Hügel und schwerem Acker ist und die Menschen, die unten um
die Straße wohnen, ein heimatschönes Zuhause haben. Die Abgeschiedenheit
des Dorfes liegt einzig in der Bergenge. Die Landwege links und rechts
hinaus gegen Westfalen und das fernere Weserland sind nicht weit bis zu
namhafterer Städten, wohin die Bewohner von Dorf Rolle ihren Handel von
Vieh und Getreide bringen -- und wohin der Ruf von dem Florentin Kiep
und seinen Blumen bald hinauszog wie ein weithin strömender Duft.

Der Florentin saß sich ein in diesem Dorf und nahm sich sein Lebensrecht.
Er trat auf der Straße dahin von feinen Schuhen nicht viel ab, weil er einen
wegleisen Schritt hatte, ja, nicht einmal ein großes oder lautes Steinstauben
und Stuhlrücken gab es, als er sich am Nordende des Dorfes ein paar Schollen
lehmschweres Bergland einhandelte, ein schlichtes rotes Backsteinbaus darauf
errichtete und sich hineinwohnte. Durch die graue Leinenjoppe mit dem Gurt
um den Leib unterschied sich der Großbauernsohn und Dorfgärtner vom gewöhn¬
lichen Arbeiter, auch in der Weise, wie er sein Werk anfaßte und verstand,
welches ihm oft in den Kleinstädter der Umgebung oder im Dorfe selbst nicht
besser als einem Tagelöhner aufgegeben wurde.

Wie er zum ersten Male heim kam und sich zeigte, ging seiner Mutter
ein Herzschlag durch den Leib, daß an der schwarzen Sonntagshaube die Seiden¬
schleife mit erzitterte. Die Freude legte einen weichen Finger in die Falten
ihres gefurchten Gesichtes und glättete es für die Weile. Sie hob sich aus
dem Lehnstuhl, den: ledernen, ausgesessenen, in den hinein sie versunken war,
reichte dem Burschen, dem Jüngsten, ihre knochigen alten Hände und richtete
sich noch einmal auf wie von neuer Lebensstärke gehoben. Sie hätte in diesem
Augenblick die Köpfe ihrer acht Buben um sich haben mögen, um recht zu sehen
und zu sagen, wie dieser den schönsten hatte.

Die Jahre hatten dem Florentin ein männlicheres Aussehen gegeben, seine
Hände waren arbeitshart, sein Gesicht war gebräunt vom Schaffen draußen in
der Sonne, wie diese seinen Früchten und Blumen lieb war. Die Hofnachbarn
der Bauerschaft, die um ihn und sein Tagstehlen oft das Maulreißen hatten,
staunten jetzt zu ihm auf wie zu einem neuen Menschen, obgleich er für sie mit
seinem unweisen Namen und mit seinem sachter Wesen immer noch das Bauern-
fremde hatte und behielt. Die Achtung der anderen hob ihm selber den Kopf
und gab ihm zum Schaffen größere Freude, Ausdauer und Sicherheit. Die
Früchte seines Gartens kamen in den Handel auf den Markt und brachten ihm
Geld ein. Doch sein Leben waren seine Blumen. Seine Blumen hatten weitaus


Die Blumen des Florentin Rley

er hielt sich doch bis er ausgelernt hatte, und das erste Verdienen trieb ihn
bald, irgendwo ein Eigen zu haben.

Da liegt ein Dorf nicht weit im Navensbergischen gegen die Grenze von
Hannover hin. Seine einzige Straße durchschneidet den Osning von Süden
nach Norden, daß die Berge zu beiden Seiten bewaldet niederfallen, wo bis
an ihren Fuß die fruchtbaren Felder steigen, daß es oben ein freundliches
Begegnen von Hügel und schwerem Acker ist und die Menschen, die unten um
die Straße wohnen, ein heimatschönes Zuhause haben. Die Abgeschiedenheit
des Dorfes liegt einzig in der Bergenge. Die Landwege links und rechts
hinaus gegen Westfalen und das fernere Weserland sind nicht weit bis zu
namhafterer Städten, wohin die Bewohner von Dorf Rolle ihren Handel von
Vieh und Getreide bringen — und wohin der Ruf von dem Florentin Kiep
und seinen Blumen bald hinauszog wie ein weithin strömender Duft.

Der Florentin saß sich ein in diesem Dorf und nahm sich sein Lebensrecht.
Er trat auf der Straße dahin von feinen Schuhen nicht viel ab, weil er einen
wegleisen Schritt hatte, ja, nicht einmal ein großes oder lautes Steinstauben
und Stuhlrücken gab es, als er sich am Nordende des Dorfes ein paar Schollen
lehmschweres Bergland einhandelte, ein schlichtes rotes Backsteinbaus darauf
errichtete und sich hineinwohnte. Durch die graue Leinenjoppe mit dem Gurt
um den Leib unterschied sich der Großbauernsohn und Dorfgärtner vom gewöhn¬
lichen Arbeiter, auch in der Weise, wie er sein Werk anfaßte und verstand,
welches ihm oft in den Kleinstädter der Umgebung oder im Dorfe selbst nicht
besser als einem Tagelöhner aufgegeben wurde.

Wie er zum ersten Male heim kam und sich zeigte, ging seiner Mutter
ein Herzschlag durch den Leib, daß an der schwarzen Sonntagshaube die Seiden¬
schleife mit erzitterte. Die Freude legte einen weichen Finger in die Falten
ihres gefurchten Gesichtes und glättete es für die Weile. Sie hob sich aus
dem Lehnstuhl, den: ledernen, ausgesessenen, in den hinein sie versunken war,
reichte dem Burschen, dem Jüngsten, ihre knochigen alten Hände und richtete
sich noch einmal auf wie von neuer Lebensstärke gehoben. Sie hätte in diesem
Augenblick die Köpfe ihrer acht Buben um sich haben mögen, um recht zu sehen
und zu sagen, wie dieser den schönsten hatte.

Die Jahre hatten dem Florentin ein männlicheres Aussehen gegeben, seine
Hände waren arbeitshart, sein Gesicht war gebräunt vom Schaffen draußen in
der Sonne, wie diese seinen Früchten und Blumen lieb war. Die Hofnachbarn
der Bauerschaft, die um ihn und sein Tagstehlen oft das Maulreißen hatten,
staunten jetzt zu ihm auf wie zu einem neuen Menschen, obgleich er für sie mit
seinem unweisen Namen und mit seinem sachter Wesen immer noch das Bauern-
fremde hatte und behielt. Die Achtung der anderen hob ihm selber den Kopf
und gab ihm zum Schaffen größere Freude, Ausdauer und Sicherheit. Die
Früchte seines Gartens kamen in den Handel auf den Markt und brachten ihm
Geld ein. Doch sein Leben waren seine Blumen. Seine Blumen hatten weitaus


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[0039] Die Blumen des Florentin Rley er hielt sich doch bis er ausgelernt hatte, und das erste Verdienen trieb ihn bald, irgendwo ein Eigen zu haben. Da liegt ein Dorf nicht weit im Navensbergischen gegen die Grenze von Hannover hin. Seine einzige Straße durchschneidet den Osning von Süden nach Norden, daß die Berge zu beiden Seiten bewaldet niederfallen, wo bis an ihren Fuß die fruchtbaren Felder steigen, daß es oben ein freundliches Begegnen von Hügel und schwerem Acker ist und die Menschen, die unten um die Straße wohnen, ein heimatschönes Zuhause haben. Die Abgeschiedenheit des Dorfes liegt einzig in der Bergenge. Die Landwege links und rechts hinaus gegen Westfalen und das fernere Weserland sind nicht weit bis zu namhafterer Städten, wohin die Bewohner von Dorf Rolle ihren Handel von Vieh und Getreide bringen — und wohin der Ruf von dem Florentin Kiep und seinen Blumen bald hinauszog wie ein weithin strömender Duft. Der Florentin saß sich ein in diesem Dorf und nahm sich sein Lebensrecht. Er trat auf der Straße dahin von feinen Schuhen nicht viel ab, weil er einen wegleisen Schritt hatte, ja, nicht einmal ein großes oder lautes Steinstauben und Stuhlrücken gab es, als er sich am Nordende des Dorfes ein paar Schollen lehmschweres Bergland einhandelte, ein schlichtes rotes Backsteinbaus darauf errichtete und sich hineinwohnte. Durch die graue Leinenjoppe mit dem Gurt um den Leib unterschied sich der Großbauernsohn und Dorfgärtner vom gewöhn¬ lichen Arbeiter, auch in der Weise, wie er sein Werk anfaßte und verstand, welches ihm oft in den Kleinstädter der Umgebung oder im Dorfe selbst nicht besser als einem Tagelöhner aufgegeben wurde. Wie er zum ersten Male heim kam und sich zeigte, ging seiner Mutter ein Herzschlag durch den Leib, daß an der schwarzen Sonntagshaube die Seiden¬ schleife mit erzitterte. Die Freude legte einen weichen Finger in die Falten ihres gefurchten Gesichtes und glättete es für die Weile. Sie hob sich aus dem Lehnstuhl, den: ledernen, ausgesessenen, in den hinein sie versunken war, reichte dem Burschen, dem Jüngsten, ihre knochigen alten Hände und richtete sich noch einmal auf wie von neuer Lebensstärke gehoben. Sie hätte in diesem Augenblick die Köpfe ihrer acht Buben um sich haben mögen, um recht zu sehen und zu sagen, wie dieser den schönsten hatte. Die Jahre hatten dem Florentin ein männlicheres Aussehen gegeben, seine Hände waren arbeitshart, sein Gesicht war gebräunt vom Schaffen draußen in der Sonne, wie diese seinen Früchten und Blumen lieb war. Die Hofnachbarn der Bauerschaft, die um ihn und sein Tagstehlen oft das Maulreißen hatten, staunten jetzt zu ihm auf wie zu einem neuen Menschen, obgleich er für sie mit seinem unweisen Namen und mit seinem sachter Wesen immer noch das Bauern- fremde hatte und behielt. Die Achtung der anderen hob ihm selber den Kopf und gab ihm zum Schaffen größere Freude, Ausdauer und Sicherheit. Die Früchte seines Gartens kamen in den Handel auf den Markt und brachten ihm Geld ein. Doch sein Leben waren seine Blumen. Seine Blumen hatten weitaus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/39>, abgerufen am 01.07.2024.