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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

mit dem Lenz ging von den achten ein anderer aus, weckte die Felder und
nahm das Erbe. Aber im Frühling wurde es stickig und eng in der Stadt,
und Florentin, der Großbauernsohn, wie er sich in der Stube bei seinen Büchern
aufrecken wollte, hatte den Atem nicht frei. Das Lehrerwerden war zu streng
für den Träumer, und er fand sich nach Hause heim, wo der Bruder, der
Siebente, das alte Erbe unter der Hand und zur Seite ein junges Weib
hatte. Sie wiesen ihn auf die Leibzucht, das Hinterhofhaus, wohinaus die
Mutter geräumt war und stille Tage zählte, wie es Bauernhofsitte für die
Alten war.

Die Witwe Kiep, wie sie draußen wohnte und ihren Kummer um den
Heimgekommenen hatte, sah ihn doch heimlich mit glänzenden Augen an und
freute sich an seiner Gestalt. Er war hübscher als die stärkeren Brüder, aber
auch kein Schwächling von Körpernatur. Sein Gesicht hatte im Winter über
den Büchern eine weiche weiße Haut bekommen, und eine gesunde Röte lag
ihm auf den Backen, wie einem Mädchen, das von Rosen träumt. Er ging
vor den Leuten mit scheu niedergeschlagenen Augen; während aber seine vollen
roten Lippen meist geöffnet waren, wie zu einem heimlichen Lachen, als wollten
sie das, was eigentlich in ihm war und was er mit den Augen versteckte, dem
einen oder dem anderen erzählen. Es war nur wie ein Warten auf das rechte
Begegnen mit jemandem, wenn er die Lippen immer wieder schloß und wohl
leise in sich hinein sang, als rede er sich mit sich selber aus.

Dem Florentin trieb nicht das Blut durch die Adern, um laut und lustig
zu sein, wie es die Burschen seines Alters waren. Das Trinken wollte ihm
nicht durch die wortstille Kehle/ und an den Mädchen wußte er noch nichts zu
sehen. So blieb er lange draußen bei der Alten auf dem Leibzuchtskotten, wo
der Tag im Schatten der großen Hofeichen hindämmerte, und der alternden
Bäuerin wurde mit jedem Tage das Licht vor den Augen dunkler, bis jener
ihr nahe war, welcher schwarz werden wollte und an dem sie das Schaffen und
Schauen nicht mehr verlangen würde. Nur die Sorge um den Jüngsten hielt
sie noch auf, daß sie oft das Müdewerdcn ihrer Jahre darüber vergaß, und
dazwischen gingen wie liebe freie Sonntage die Allgenblicke, wo sie an seiner
Gestalt herumsah und sich an seinem Gesicht nicht satt verwundern konnte.

Doch der Florentin, wie er so im Einsamen sich selbst behielt, wollte kein
Faulenzer und Tagsäumer sein und fing ein kleines Ackern an, wie Leute, die
ein geringes Brotessen haben. Er baute einen Garten aufs Feld mit Früchten
und Blumen, und in der Art, wie er es tat, zeigte er, daß sein Kopf auch von
innen hell war. Es kam ihm selbst der Einfall, wie alt er auch war, zu einem
Gärtner in der Kreisstadt in die Lehre zu gehen, und die Zeit, die er fort
war, machte ihn um drei Jahre älter. Die Arbeit beim Gärtnern war aber
nicht nur das Blumenpflanzen und 'pflücken, was ihm die sonderliche Freude
machte, es war auch viel schweres Graben und Mistwerfen dabei, und die jäh
aufkommende Unlust ließ ihn oft den Spaten einstechen und stillestehen. Aber


Die Blumen des Florentin Kiep

mit dem Lenz ging von den achten ein anderer aus, weckte die Felder und
nahm das Erbe. Aber im Frühling wurde es stickig und eng in der Stadt,
und Florentin, der Großbauernsohn, wie er sich in der Stube bei seinen Büchern
aufrecken wollte, hatte den Atem nicht frei. Das Lehrerwerden war zu streng
für den Träumer, und er fand sich nach Hause heim, wo der Bruder, der
Siebente, das alte Erbe unter der Hand und zur Seite ein junges Weib
hatte. Sie wiesen ihn auf die Leibzucht, das Hinterhofhaus, wohinaus die
Mutter geräumt war und stille Tage zählte, wie es Bauernhofsitte für die
Alten war.

Die Witwe Kiep, wie sie draußen wohnte und ihren Kummer um den
Heimgekommenen hatte, sah ihn doch heimlich mit glänzenden Augen an und
freute sich an seiner Gestalt. Er war hübscher als die stärkeren Brüder, aber
auch kein Schwächling von Körpernatur. Sein Gesicht hatte im Winter über
den Büchern eine weiche weiße Haut bekommen, und eine gesunde Röte lag
ihm auf den Backen, wie einem Mädchen, das von Rosen träumt. Er ging
vor den Leuten mit scheu niedergeschlagenen Augen; während aber seine vollen
roten Lippen meist geöffnet waren, wie zu einem heimlichen Lachen, als wollten
sie das, was eigentlich in ihm war und was er mit den Augen versteckte, dem
einen oder dem anderen erzählen. Es war nur wie ein Warten auf das rechte
Begegnen mit jemandem, wenn er die Lippen immer wieder schloß und wohl
leise in sich hinein sang, als rede er sich mit sich selber aus.

Dem Florentin trieb nicht das Blut durch die Adern, um laut und lustig
zu sein, wie es die Burschen seines Alters waren. Das Trinken wollte ihm
nicht durch die wortstille Kehle/ und an den Mädchen wußte er noch nichts zu
sehen. So blieb er lange draußen bei der Alten auf dem Leibzuchtskotten, wo
der Tag im Schatten der großen Hofeichen hindämmerte, und der alternden
Bäuerin wurde mit jedem Tage das Licht vor den Augen dunkler, bis jener
ihr nahe war, welcher schwarz werden wollte und an dem sie das Schaffen und
Schauen nicht mehr verlangen würde. Nur die Sorge um den Jüngsten hielt
sie noch auf, daß sie oft das Müdewerdcn ihrer Jahre darüber vergaß, und
dazwischen gingen wie liebe freie Sonntage die Allgenblicke, wo sie an seiner
Gestalt herumsah und sich an seinem Gesicht nicht satt verwundern konnte.

Doch der Florentin, wie er so im Einsamen sich selbst behielt, wollte kein
Faulenzer und Tagsäumer sein und fing ein kleines Ackern an, wie Leute, die
ein geringes Brotessen haben. Er baute einen Garten aufs Feld mit Früchten
und Blumen, und in der Art, wie er es tat, zeigte er, daß sein Kopf auch von
innen hell war. Es kam ihm selbst der Einfall, wie alt er auch war, zu einem
Gärtner in der Kreisstadt in die Lehre zu gehen, und die Zeit, die er fort
war, machte ihn um drei Jahre älter. Die Arbeit beim Gärtnern war aber
nicht nur das Blumenpflanzen und 'pflücken, was ihm die sonderliche Freude
machte, es war auch viel schweres Graben und Mistwerfen dabei, und die jäh
aufkommende Unlust ließ ihn oft den Spaten einstechen und stillestehen. Aber


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[0038] Die Blumen des Florentin Kiep mit dem Lenz ging von den achten ein anderer aus, weckte die Felder und nahm das Erbe. Aber im Frühling wurde es stickig und eng in der Stadt, und Florentin, der Großbauernsohn, wie er sich in der Stube bei seinen Büchern aufrecken wollte, hatte den Atem nicht frei. Das Lehrerwerden war zu streng für den Träumer, und er fand sich nach Hause heim, wo der Bruder, der Siebente, das alte Erbe unter der Hand und zur Seite ein junges Weib hatte. Sie wiesen ihn auf die Leibzucht, das Hinterhofhaus, wohinaus die Mutter geräumt war und stille Tage zählte, wie es Bauernhofsitte für die Alten war. Die Witwe Kiep, wie sie draußen wohnte und ihren Kummer um den Heimgekommenen hatte, sah ihn doch heimlich mit glänzenden Augen an und freute sich an seiner Gestalt. Er war hübscher als die stärkeren Brüder, aber auch kein Schwächling von Körpernatur. Sein Gesicht hatte im Winter über den Büchern eine weiche weiße Haut bekommen, und eine gesunde Röte lag ihm auf den Backen, wie einem Mädchen, das von Rosen träumt. Er ging vor den Leuten mit scheu niedergeschlagenen Augen; während aber seine vollen roten Lippen meist geöffnet waren, wie zu einem heimlichen Lachen, als wollten sie das, was eigentlich in ihm war und was er mit den Augen versteckte, dem einen oder dem anderen erzählen. Es war nur wie ein Warten auf das rechte Begegnen mit jemandem, wenn er die Lippen immer wieder schloß und wohl leise in sich hinein sang, als rede er sich mit sich selber aus. Dem Florentin trieb nicht das Blut durch die Adern, um laut und lustig zu sein, wie es die Burschen seines Alters waren. Das Trinken wollte ihm nicht durch die wortstille Kehle/ und an den Mädchen wußte er noch nichts zu sehen. So blieb er lange draußen bei der Alten auf dem Leibzuchtskotten, wo der Tag im Schatten der großen Hofeichen hindämmerte, und der alternden Bäuerin wurde mit jedem Tage das Licht vor den Augen dunkler, bis jener ihr nahe war, welcher schwarz werden wollte und an dem sie das Schaffen und Schauen nicht mehr verlangen würde. Nur die Sorge um den Jüngsten hielt sie noch auf, daß sie oft das Müdewerdcn ihrer Jahre darüber vergaß, und dazwischen gingen wie liebe freie Sonntage die Allgenblicke, wo sie an seiner Gestalt herumsah und sich an seinem Gesicht nicht satt verwundern konnte. Doch der Florentin, wie er so im Einsamen sich selbst behielt, wollte kein Faulenzer und Tagsäumer sein und fing ein kleines Ackern an, wie Leute, die ein geringes Brotessen haben. Er baute einen Garten aufs Feld mit Früchten und Blumen, und in der Art, wie er es tat, zeigte er, daß sein Kopf auch von innen hell war. Es kam ihm selbst der Einfall, wie alt er auch war, zu einem Gärtner in der Kreisstadt in die Lehre zu gehen, und die Zeit, die er fort war, machte ihn um drei Jahre älter. Die Arbeit beim Gärtnern war aber nicht nur das Blumenpflanzen und 'pflücken, was ihm die sonderliche Freude machte, es war auch viel schweres Graben und Mistwerfen dabei, und die jäh aufkommende Unlust ließ ihn oft den Spaten einstechen und stillestehen. Aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/38>, abgerufen am 01.07.2024.