Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Linn Rosenow

Das Stück erwies nicht nur, wie rasch Rosenow sich auf seine neuen sächsischen
Mitbewohner einzustellen gewußt, wie gut er sie zu belauschen verstanden
hatte; sondern es zeigte ihn ganz auf jener Höhe, wo der Dramatiker dem
Leben wirklich frei gegenübersteht, d. h. Zufälliges und Bleibendes zu scheiden
weiß, überall die wesentlichen Züge erkennt und dabei freilich des einen nicht
entrat, was gerade der Humorist so dringend braucht: Liebe. Denn mit einer
warmen Liebe ist diese Komödie von dem Kater des Schnitzergesellen geschrieben,
mit jener selben Liebe zu des Lebens Fülle, die auch in Kleists und Haupt¬
manns hier immer noch einmal zu nennenden Lustspielen schafft. In dem ganzen
Drama ist nichts unsicher, und es kam Rosenow zugute, daß er sich hier in
einem Kreise zu bewegen hatte, wo auch die sogenannten Gebildeten im Grunde
äußerlich nicht weit über den anderen stehen, sondern alles in einem gewissen
gleichmäßigen Ton verkehrt. Innerhalb dieser Verwandtschaft schattiert dann
aber Rosenow alles aufs feinste ab, von der protzigen Frau des Spielwaren¬
verlegers bis zu dem paschenden Eheweib des Gemeindedieners. Dabei wird
uns die Not der armen Schnitzersleute keineswegs verschwiegen -- aber sie sind
doch noch im eigenen Häuschen, sie dürfen sich noch wehren und wehren sich
auch, während die Menschen des vorigen Dramas mitten im Massengetriebe
neuzeitlicher Industrie wie willenlos hin und her geschoben werden und eines
ermieteten oder überlassenen Plätzchens in der Kaserne froh sein müssen. Diese
kleinbürgerliche Selbständigkeit des Einzelnen gibt dem Ganzen den von aller
Erbitterung freien Ton; die Unfähigkeit des Gemeindevorstandes, dem es im
Winter zum Waschen zu kalt ist, entbehrt in ihrer Darstellung jedes agitatorischen
Zuges, und das Ganze verläuft trotz der scharfen Satire so, daß man an allem
seine reine Freude haben kann, daß nirgends Verbitterung übrig bleibt. Es
darf eben in solchem Falle nicht schwarz in schwarz gemalt werden, wie denn
auch der Dorfrichter Adam keineswegs nur der liederliche Strick ist, als den
ihn Kleists Ausleger häufig darstellen, sondern in vielem auch, wo es sich nicht
um den einen verhängnisvollen Punkt handelt, ein Mann von derbem Bauernver¬
stand. So gewinnen hier auch die üblen Gestalten, die Unrechttuer, uns noch durch
diesen und jenen Zug jene menschliche, ja behagliche Teilnahme ab, ohne die wir das
Leben nicht so als Komödie empfinden würden, wie das in diesem Falle künst¬
lerisch notwendig ist. Es weht ein unvergänglicher Reiz zuständlicher Lebens¬
darstellung, Heller Lebensfreude, die doch des.Lebens Leiden kennt, aus diesen
vier Aufzügen, und man wird den "Kater Lampe" auf lange Zeit hinaus nicht
vergessen dürfen, ihn immer in die Nähe des "Biberpelzes" stellen müssen.
Stavenhagen hat in diesem Betracht Rosenow nicht erreicht.

Merkwürdig ist es dagegen, wie stark parallel die Entwicklung dieser beiden
jungen Dramatiker nach einer anderen Richtung hin gegangen ist. Wie nämlich
Stavenhagen im "Dütschen Michel" einen ganz neuen Weg zur Romantik ein¬
schlug und dabei altes deutsches Erbgut in ganz neuer Weise lebendig zu machen
versuchte, so ist auch Rosenow in seinem abgebrochenen Schauspiel "Die Hoffnung


Linn Rosenow

Das Stück erwies nicht nur, wie rasch Rosenow sich auf seine neuen sächsischen
Mitbewohner einzustellen gewußt, wie gut er sie zu belauschen verstanden
hatte; sondern es zeigte ihn ganz auf jener Höhe, wo der Dramatiker dem
Leben wirklich frei gegenübersteht, d. h. Zufälliges und Bleibendes zu scheiden
weiß, überall die wesentlichen Züge erkennt und dabei freilich des einen nicht
entrat, was gerade der Humorist so dringend braucht: Liebe. Denn mit einer
warmen Liebe ist diese Komödie von dem Kater des Schnitzergesellen geschrieben,
mit jener selben Liebe zu des Lebens Fülle, die auch in Kleists und Haupt¬
manns hier immer noch einmal zu nennenden Lustspielen schafft. In dem ganzen
Drama ist nichts unsicher, und es kam Rosenow zugute, daß er sich hier in
einem Kreise zu bewegen hatte, wo auch die sogenannten Gebildeten im Grunde
äußerlich nicht weit über den anderen stehen, sondern alles in einem gewissen
gleichmäßigen Ton verkehrt. Innerhalb dieser Verwandtschaft schattiert dann
aber Rosenow alles aufs feinste ab, von der protzigen Frau des Spielwaren¬
verlegers bis zu dem paschenden Eheweib des Gemeindedieners. Dabei wird
uns die Not der armen Schnitzersleute keineswegs verschwiegen — aber sie sind
doch noch im eigenen Häuschen, sie dürfen sich noch wehren und wehren sich
auch, während die Menschen des vorigen Dramas mitten im Massengetriebe
neuzeitlicher Industrie wie willenlos hin und her geschoben werden und eines
ermieteten oder überlassenen Plätzchens in der Kaserne froh sein müssen. Diese
kleinbürgerliche Selbständigkeit des Einzelnen gibt dem Ganzen den von aller
Erbitterung freien Ton; die Unfähigkeit des Gemeindevorstandes, dem es im
Winter zum Waschen zu kalt ist, entbehrt in ihrer Darstellung jedes agitatorischen
Zuges, und das Ganze verläuft trotz der scharfen Satire so, daß man an allem
seine reine Freude haben kann, daß nirgends Verbitterung übrig bleibt. Es
darf eben in solchem Falle nicht schwarz in schwarz gemalt werden, wie denn
auch der Dorfrichter Adam keineswegs nur der liederliche Strick ist, als den
ihn Kleists Ausleger häufig darstellen, sondern in vielem auch, wo es sich nicht
um den einen verhängnisvollen Punkt handelt, ein Mann von derbem Bauernver¬
stand. So gewinnen hier auch die üblen Gestalten, die Unrechttuer, uns noch durch
diesen und jenen Zug jene menschliche, ja behagliche Teilnahme ab, ohne die wir das
Leben nicht so als Komödie empfinden würden, wie das in diesem Falle künst¬
lerisch notwendig ist. Es weht ein unvergänglicher Reiz zuständlicher Lebens¬
darstellung, Heller Lebensfreude, die doch des.Lebens Leiden kennt, aus diesen
vier Aufzügen, und man wird den „Kater Lampe" auf lange Zeit hinaus nicht
vergessen dürfen, ihn immer in die Nähe des „Biberpelzes" stellen müssen.
Stavenhagen hat in diesem Betracht Rosenow nicht erreicht.

Merkwürdig ist es dagegen, wie stark parallel die Entwicklung dieser beiden
jungen Dramatiker nach einer anderen Richtung hin gegangen ist. Wie nämlich
Stavenhagen im „Dütschen Michel" einen ganz neuen Weg zur Romantik ein¬
schlug und dabei altes deutsches Erbgut in ganz neuer Weise lebendig zu machen
versuchte, so ist auch Rosenow in seinem abgebrochenen Schauspiel „Die Hoffnung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0387" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322134"/>
          <fw type="header" place="top"> Linn Rosenow</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1636" prev="#ID_1635"> Das Stück erwies nicht nur, wie rasch Rosenow sich auf seine neuen sächsischen<lb/>
Mitbewohner einzustellen gewußt, wie gut er sie zu belauschen verstanden<lb/>
hatte; sondern es zeigte ihn ganz auf jener Höhe, wo der Dramatiker dem<lb/>
Leben wirklich frei gegenübersteht, d. h. Zufälliges und Bleibendes zu scheiden<lb/>
weiß, überall die wesentlichen Züge erkennt und dabei freilich des einen nicht<lb/>
entrat, was gerade der Humorist so dringend braucht: Liebe. Denn mit einer<lb/>
warmen Liebe ist diese Komödie von dem Kater des Schnitzergesellen geschrieben,<lb/>
mit jener selben Liebe zu des Lebens Fülle, die auch in Kleists und Haupt¬<lb/>
manns hier immer noch einmal zu nennenden Lustspielen schafft. In dem ganzen<lb/>
Drama ist nichts unsicher, und es kam Rosenow zugute, daß er sich hier in<lb/>
einem Kreise zu bewegen hatte, wo auch die sogenannten Gebildeten im Grunde<lb/>
äußerlich nicht weit über den anderen stehen, sondern alles in einem gewissen<lb/>
gleichmäßigen Ton verkehrt. Innerhalb dieser Verwandtschaft schattiert dann<lb/>
aber Rosenow alles aufs feinste ab, von der protzigen Frau des Spielwaren¬<lb/>
verlegers bis zu dem paschenden Eheweib des Gemeindedieners. Dabei wird<lb/>
uns die Not der armen Schnitzersleute keineswegs verschwiegen &#x2014; aber sie sind<lb/>
doch noch im eigenen Häuschen, sie dürfen sich noch wehren und wehren sich<lb/>
auch, während die Menschen des vorigen Dramas mitten im Massengetriebe<lb/>
neuzeitlicher Industrie wie willenlos hin und her geschoben werden und eines<lb/>
ermieteten oder überlassenen Plätzchens in der Kaserne froh sein müssen. Diese<lb/>
kleinbürgerliche Selbständigkeit des Einzelnen gibt dem Ganzen den von aller<lb/>
Erbitterung freien Ton; die Unfähigkeit des Gemeindevorstandes, dem es im<lb/>
Winter zum Waschen zu kalt ist, entbehrt in ihrer Darstellung jedes agitatorischen<lb/>
Zuges, und das Ganze verläuft trotz der scharfen Satire so, daß man an allem<lb/>
seine reine Freude haben kann, daß nirgends Verbitterung übrig bleibt. Es<lb/>
darf eben in solchem Falle nicht schwarz in schwarz gemalt werden, wie denn<lb/>
auch der Dorfrichter Adam keineswegs nur der liederliche Strick ist, als den<lb/>
ihn Kleists Ausleger häufig darstellen, sondern in vielem auch, wo es sich nicht<lb/>
um den einen verhängnisvollen Punkt handelt, ein Mann von derbem Bauernver¬<lb/>
stand. So gewinnen hier auch die üblen Gestalten, die Unrechttuer, uns noch durch<lb/>
diesen und jenen Zug jene menschliche, ja behagliche Teilnahme ab, ohne die wir das<lb/>
Leben nicht so als Komödie empfinden würden, wie das in diesem Falle künst¬<lb/>
lerisch notwendig ist. Es weht ein unvergänglicher Reiz zuständlicher Lebens¬<lb/>
darstellung, Heller Lebensfreude, die doch des.Lebens Leiden kennt, aus diesen<lb/>
vier Aufzügen, und man wird den &#x201E;Kater Lampe" auf lange Zeit hinaus nicht<lb/>
vergessen dürfen, ihn immer in die Nähe des &#x201E;Biberpelzes" stellen müssen.<lb/>
Stavenhagen hat in diesem Betracht Rosenow nicht erreicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1637" next="#ID_1638"> Merkwürdig ist es dagegen, wie stark parallel die Entwicklung dieser beiden<lb/>
jungen Dramatiker nach einer anderen Richtung hin gegangen ist. Wie nämlich<lb/>
Stavenhagen im &#x201E;Dütschen Michel" einen ganz neuen Weg zur Romantik ein¬<lb/>
schlug und dabei altes deutsches Erbgut in ganz neuer Weise lebendig zu machen<lb/>
versuchte, so ist auch Rosenow in seinem abgebrochenen Schauspiel &#x201E;Die Hoffnung</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0387] Linn Rosenow Das Stück erwies nicht nur, wie rasch Rosenow sich auf seine neuen sächsischen Mitbewohner einzustellen gewußt, wie gut er sie zu belauschen verstanden hatte; sondern es zeigte ihn ganz auf jener Höhe, wo der Dramatiker dem Leben wirklich frei gegenübersteht, d. h. Zufälliges und Bleibendes zu scheiden weiß, überall die wesentlichen Züge erkennt und dabei freilich des einen nicht entrat, was gerade der Humorist so dringend braucht: Liebe. Denn mit einer warmen Liebe ist diese Komödie von dem Kater des Schnitzergesellen geschrieben, mit jener selben Liebe zu des Lebens Fülle, die auch in Kleists und Haupt¬ manns hier immer noch einmal zu nennenden Lustspielen schafft. In dem ganzen Drama ist nichts unsicher, und es kam Rosenow zugute, daß er sich hier in einem Kreise zu bewegen hatte, wo auch die sogenannten Gebildeten im Grunde äußerlich nicht weit über den anderen stehen, sondern alles in einem gewissen gleichmäßigen Ton verkehrt. Innerhalb dieser Verwandtschaft schattiert dann aber Rosenow alles aufs feinste ab, von der protzigen Frau des Spielwaren¬ verlegers bis zu dem paschenden Eheweib des Gemeindedieners. Dabei wird uns die Not der armen Schnitzersleute keineswegs verschwiegen — aber sie sind doch noch im eigenen Häuschen, sie dürfen sich noch wehren und wehren sich auch, während die Menschen des vorigen Dramas mitten im Massengetriebe neuzeitlicher Industrie wie willenlos hin und her geschoben werden und eines ermieteten oder überlassenen Plätzchens in der Kaserne froh sein müssen. Diese kleinbürgerliche Selbständigkeit des Einzelnen gibt dem Ganzen den von aller Erbitterung freien Ton; die Unfähigkeit des Gemeindevorstandes, dem es im Winter zum Waschen zu kalt ist, entbehrt in ihrer Darstellung jedes agitatorischen Zuges, und das Ganze verläuft trotz der scharfen Satire so, daß man an allem seine reine Freude haben kann, daß nirgends Verbitterung übrig bleibt. Es darf eben in solchem Falle nicht schwarz in schwarz gemalt werden, wie denn auch der Dorfrichter Adam keineswegs nur der liederliche Strick ist, als den ihn Kleists Ausleger häufig darstellen, sondern in vielem auch, wo es sich nicht um den einen verhängnisvollen Punkt handelt, ein Mann von derbem Bauernver¬ stand. So gewinnen hier auch die üblen Gestalten, die Unrechttuer, uns noch durch diesen und jenen Zug jene menschliche, ja behagliche Teilnahme ab, ohne die wir das Leben nicht so als Komödie empfinden würden, wie das in diesem Falle künst¬ lerisch notwendig ist. Es weht ein unvergänglicher Reiz zuständlicher Lebens¬ darstellung, Heller Lebensfreude, die doch des.Lebens Leiden kennt, aus diesen vier Aufzügen, und man wird den „Kater Lampe" auf lange Zeit hinaus nicht vergessen dürfen, ihn immer in die Nähe des „Biberpelzes" stellen müssen. Stavenhagen hat in diesem Betracht Rosenow nicht erreicht. Merkwürdig ist es dagegen, wie stark parallel die Entwicklung dieser beiden jungen Dramatiker nach einer anderen Richtung hin gegangen ist. Wie nämlich Stavenhagen im „Dütschen Michel" einen ganz neuen Weg zur Romantik ein¬ schlug und dabei altes deutsches Erbgut in ganz neuer Weise lebendig zu machen versuchte, so ist auch Rosenow in seinem abgebrochenen Schauspiel „Die Hoffnung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/387
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/387>, abgerufen am 24.08.2024.