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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Linn Rosenow

In jedem Sinne stärker war Rosenows drittes Stück "Die im Schatten
leben", eine äußere Frucht seiner Dortmunder Tätigkeit; freilich mochte er
schon in seinen früheren Jahren am Rhein Stoff genug gesammelt haben.
Das Drama spielt nach Rosenows eigener Bezeichnung "auf der roten Erde",
inmitten der Arbeiterkolonie eines Berg- und Hüttenwerks der Dortmunder
Gegend. Ein Teil der dramatischen Vorzeichnung ist aus "Daheim" herüber¬
genommen; zwei Töchter der Witwe Lückel, in deren Haus sich alles abspielt,
entsprechen den beiden Töchtern in jenem ersten Werk: die Leichtsinnige und
die nach Höherem strebende, hier aber nicht durch Krankheit gehemmte. Neben
ihnen aber stehen noch andere Gestalten. Die Witwe selbst, deren Mann im
Schacht verunglückt ist, eine dritte Tochter, jung verheiratet, ein junger Sohn.
Und um sie lebt das ganze Werk vom Direktor und Pfarrer und Arzt bis zu
den Steigern und Arbeitern und Werksinvaliden hinab. Ein Unglück raubt
der Witwe den Schwiegersohn und macht den Sohn zum Krüppel. Aber nicht
wie eine rohe Naturgewalt bricht es herein, sondern wir sehen es, echt dramatisch,
sich vorbereiten; nur hören von der schlechten Verzimmerung, die um gewinn¬
reichen, raschen Abbaus willen geschieht, die der Steiger zuläßt, der Direktor
hinterher verdammt und die die später Verunglückten nicht melden wollen, um
nicht scheel angesehen, gar ihres Brotes beraubt zu werden. Also echteste,
schuldhaft-dramatische Verknüpfung. Und mit dieser Handlung gehen andere
zusammen: die Verführung der einen Tochter durch einen jungen, zwischen
lüsterner Blasiertheit und unbeherrschten Sinnendrang hin und her gerissenen
Lebemann, gegen den als den Sohn eines der Werkgewaltigen niemand auf¬
zutreten wagt; die Enttäuschung der anderen Tochter durch den Pfarrer, der
bisher ein Armenpastor war, nun aber durch den Direktor eingefangen und
vom Glänze des Goldes und des Erfolges verblendet wird. Vor allem fesselt
doch die Wirkung des großen Unglücks auf das ganze Haus, die durch äußere
Not hervorgerufene innere Unfreiheit dieser Schattenmenschen, ihr demütiges
Gebücktsein vor jeder "Gnade", die doch noch nicht einmal das notdürftigste
Menschenrecht erreicht. So tritt neben die voll entfaltete dramatische Handlung
jene echte deutsch-realistische Gegenständlichkeit, der wir vor allem seit Kleist in
unserem Drama immer wieder begegnen, die Gerhart Hauptmanns für dies
Nosenowsche Werk sehr bedeutsamen "Weber" auszeichnet, die auch Stavenhagens
"Mutter Mews" besitzt.

Wie diese im Gegenständlichen sicheren deutschen Begabungen alle, besaß
Rosenow aber noch eins: freien und sachlichen Humor. Wirklich humoristische
Lebensgestaltung setzt vor allem eins voraus: Reife. Erst der durch viele bittere
Erfahrungen gegangene Kleist schrieb "Den zerbrochenen Krug", erst der Haupt¬
mann, der die "Einsamen Menschen" und die "Weber" hinter sich hatte, schrieb
den "Biberpelz". Und so entstand wie die Frucht aus der Blüte nach der
Tragödie derer, die "im Schatten leben", Rosenows Komödie aus dem Klein¬
bezirk gedrückter Menschen mit ihrer echten Volkssprache "Kater Lampe".


Linn Rosenow

In jedem Sinne stärker war Rosenows drittes Stück „Die im Schatten
leben", eine äußere Frucht seiner Dortmunder Tätigkeit; freilich mochte er
schon in seinen früheren Jahren am Rhein Stoff genug gesammelt haben.
Das Drama spielt nach Rosenows eigener Bezeichnung „auf der roten Erde",
inmitten der Arbeiterkolonie eines Berg- und Hüttenwerks der Dortmunder
Gegend. Ein Teil der dramatischen Vorzeichnung ist aus „Daheim" herüber¬
genommen; zwei Töchter der Witwe Lückel, in deren Haus sich alles abspielt,
entsprechen den beiden Töchtern in jenem ersten Werk: die Leichtsinnige und
die nach Höherem strebende, hier aber nicht durch Krankheit gehemmte. Neben
ihnen aber stehen noch andere Gestalten. Die Witwe selbst, deren Mann im
Schacht verunglückt ist, eine dritte Tochter, jung verheiratet, ein junger Sohn.
Und um sie lebt das ganze Werk vom Direktor und Pfarrer und Arzt bis zu
den Steigern und Arbeitern und Werksinvaliden hinab. Ein Unglück raubt
der Witwe den Schwiegersohn und macht den Sohn zum Krüppel. Aber nicht
wie eine rohe Naturgewalt bricht es herein, sondern wir sehen es, echt dramatisch,
sich vorbereiten; nur hören von der schlechten Verzimmerung, die um gewinn¬
reichen, raschen Abbaus willen geschieht, die der Steiger zuläßt, der Direktor
hinterher verdammt und die die später Verunglückten nicht melden wollen, um
nicht scheel angesehen, gar ihres Brotes beraubt zu werden. Also echteste,
schuldhaft-dramatische Verknüpfung. Und mit dieser Handlung gehen andere
zusammen: die Verführung der einen Tochter durch einen jungen, zwischen
lüsterner Blasiertheit und unbeherrschten Sinnendrang hin und her gerissenen
Lebemann, gegen den als den Sohn eines der Werkgewaltigen niemand auf¬
zutreten wagt; die Enttäuschung der anderen Tochter durch den Pfarrer, der
bisher ein Armenpastor war, nun aber durch den Direktor eingefangen und
vom Glänze des Goldes und des Erfolges verblendet wird. Vor allem fesselt
doch die Wirkung des großen Unglücks auf das ganze Haus, die durch äußere
Not hervorgerufene innere Unfreiheit dieser Schattenmenschen, ihr demütiges
Gebücktsein vor jeder „Gnade", die doch noch nicht einmal das notdürftigste
Menschenrecht erreicht. So tritt neben die voll entfaltete dramatische Handlung
jene echte deutsch-realistische Gegenständlichkeit, der wir vor allem seit Kleist in
unserem Drama immer wieder begegnen, die Gerhart Hauptmanns für dies
Nosenowsche Werk sehr bedeutsamen „Weber" auszeichnet, die auch Stavenhagens
„Mutter Mews" besitzt.

Wie diese im Gegenständlichen sicheren deutschen Begabungen alle, besaß
Rosenow aber noch eins: freien und sachlichen Humor. Wirklich humoristische
Lebensgestaltung setzt vor allem eins voraus: Reife. Erst der durch viele bittere
Erfahrungen gegangene Kleist schrieb „Den zerbrochenen Krug", erst der Haupt¬
mann, der die „Einsamen Menschen" und die „Weber" hinter sich hatte, schrieb
den „Biberpelz". Und so entstand wie die Frucht aus der Blüte nach der
Tragödie derer, die „im Schatten leben", Rosenows Komödie aus dem Klein¬
bezirk gedrückter Menschen mit ihrer echten Volkssprache „Kater Lampe".


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[0386] Linn Rosenow In jedem Sinne stärker war Rosenows drittes Stück „Die im Schatten leben", eine äußere Frucht seiner Dortmunder Tätigkeit; freilich mochte er schon in seinen früheren Jahren am Rhein Stoff genug gesammelt haben. Das Drama spielt nach Rosenows eigener Bezeichnung „auf der roten Erde", inmitten der Arbeiterkolonie eines Berg- und Hüttenwerks der Dortmunder Gegend. Ein Teil der dramatischen Vorzeichnung ist aus „Daheim" herüber¬ genommen; zwei Töchter der Witwe Lückel, in deren Haus sich alles abspielt, entsprechen den beiden Töchtern in jenem ersten Werk: die Leichtsinnige und die nach Höherem strebende, hier aber nicht durch Krankheit gehemmte. Neben ihnen aber stehen noch andere Gestalten. Die Witwe selbst, deren Mann im Schacht verunglückt ist, eine dritte Tochter, jung verheiratet, ein junger Sohn. Und um sie lebt das ganze Werk vom Direktor und Pfarrer und Arzt bis zu den Steigern und Arbeitern und Werksinvaliden hinab. Ein Unglück raubt der Witwe den Schwiegersohn und macht den Sohn zum Krüppel. Aber nicht wie eine rohe Naturgewalt bricht es herein, sondern wir sehen es, echt dramatisch, sich vorbereiten; nur hören von der schlechten Verzimmerung, die um gewinn¬ reichen, raschen Abbaus willen geschieht, die der Steiger zuläßt, der Direktor hinterher verdammt und die die später Verunglückten nicht melden wollen, um nicht scheel angesehen, gar ihres Brotes beraubt zu werden. Also echteste, schuldhaft-dramatische Verknüpfung. Und mit dieser Handlung gehen andere zusammen: die Verführung der einen Tochter durch einen jungen, zwischen lüsterner Blasiertheit und unbeherrschten Sinnendrang hin und her gerissenen Lebemann, gegen den als den Sohn eines der Werkgewaltigen niemand auf¬ zutreten wagt; die Enttäuschung der anderen Tochter durch den Pfarrer, der bisher ein Armenpastor war, nun aber durch den Direktor eingefangen und vom Glänze des Goldes und des Erfolges verblendet wird. Vor allem fesselt doch die Wirkung des großen Unglücks auf das ganze Haus, die durch äußere Not hervorgerufene innere Unfreiheit dieser Schattenmenschen, ihr demütiges Gebücktsein vor jeder „Gnade", die doch noch nicht einmal das notdürftigste Menschenrecht erreicht. So tritt neben die voll entfaltete dramatische Handlung jene echte deutsch-realistische Gegenständlichkeit, der wir vor allem seit Kleist in unserem Drama immer wieder begegnen, die Gerhart Hauptmanns für dies Nosenowsche Werk sehr bedeutsamen „Weber" auszeichnet, die auch Stavenhagens „Mutter Mews" besitzt. Wie diese im Gegenständlichen sicheren deutschen Begabungen alle, besaß Rosenow aber noch eins: freien und sachlichen Humor. Wirklich humoristische Lebensgestaltung setzt vor allem eins voraus: Reife. Erst der durch viele bittere Erfahrungen gegangene Kleist schrieb „Den zerbrochenen Krug", erst der Haupt¬ mann, der die „Einsamen Menschen" und die „Weber" hinter sich hatte, schrieb den „Biberpelz". Und so entstand wie die Frucht aus der Blüte nach der Tragödie derer, die „im Schatten leben", Rosenows Komödie aus dem Klein¬ bezirk gedrückter Menschen mit ihrer echten Volkssprache „Kater Lampe".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/386>, abgerufen am 22.07.2024.