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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Emil Roseuow

des Vaganten" stark in die Romantik hineingegangen. Er stellte, soweit man
urteilen kann, einen Hochstapler von ungewöhnlicher Klugheit und Verschlagenheit
und ein unbekanntes Mädchen mitten in das Stück und gab diesem Mädchen
jenen aus der Romantik bekannten, unentrinnbaren Reiz, der einen jungen,
gräflichen Künstler an sie fesselt. Wie sich Rosenow die Entwicklung gedacht
hat, ist nicht klar. Vortrefflich ist das Wesen der fahrenden Jahrmarktsleute
dargestellt, während allerdings der Hauptzigeuner selbst in der noch ganz un-
durchgearbeiteten Fassung ganz auf der Oberfläche bleibt.

Noch ein Bruchstück, "Prinz Friedrich", ist uns von Rosenow geblieben.
Vielleicht wäre das sein einziges Tendenzdrama geworden. Wir aber haben
uns vor diesem früh vollendeten Leben mit dem zu befassen, was Rosenow
ganz und vollendet hinterlassen hat. Und da bleibt denn das Bild einer
urdramatischen Begabung. Er scheint leicht geschaffen zu haben. Nichts Fertiges
ist aber dabei oberflächlich. Er war nach Herkunft und Beruf aufs stärkste
gefesselt von sozialen und sozialistischen Gedanken -- als echter Dramatiker
predigt er nicht und agitiert er nicht, und wenn er anklagt, so klagt er nicht
unmittelbar durch Worte, sondern mittelbar durch Lebensdarstellung. Innerhalb
des Naturalismus bleibt ihm eine ehrenvolle Stellung, auch neben den Ersten.
Darüber hinaus wächst er mit seiner Komödie zu den nicht eben zahlreichen
Darstellern des Lebens, die es ganz kennen, es ganz volksmäßig mitempfinden
und mit Feinheit und Schlagkraft zugleich darstellen. Auch er beweist, daß
man in Deutschland nicht mehr von mangelnder dramatischer Anlage im ganzen
reden darf, und zeigt zugleich jene triebhafte Bühnensicherheit, die alle unsere
großen Dramatiker seit Lessing besitzen, jene Sicherheit, die nicht erst das un¬
sichtbare Theater braucht, sondern sich auf dem einfachen und sichtbaren immer
wieder bis zu vollkommener Wirkung zu erheben weiß. Und endlich zeigt Rosenow
noch eins: nämlich das langsame Emporsteigen neuer dichterischer Kraft aus den
unteren Ständen. Wie Rosegger und Anzengruber in Österreich, zeigen Staven-
hagen und Rosenow in Reichsdeutschland eine naturnotwendige Erneuerung
geistiger Kräfte von unten herauf. Und würden wir nicht schon in ganz ab¬
sichtsloser künstlerischer Würdigung Rosenows Werk sehr hoch zu stellen haben,
so müßten wir seinen Emporstieg zur Kunst rein aus Gründen nationaler Hoff¬
nung in sozial zerklüfteten Zeiten aufs dankbarste empfinden und seinen frühen
Tod auch in diesem Sinne schmerzlich beklagen.




Emil Roseuow

des Vaganten" stark in die Romantik hineingegangen. Er stellte, soweit man
urteilen kann, einen Hochstapler von ungewöhnlicher Klugheit und Verschlagenheit
und ein unbekanntes Mädchen mitten in das Stück und gab diesem Mädchen
jenen aus der Romantik bekannten, unentrinnbaren Reiz, der einen jungen,
gräflichen Künstler an sie fesselt. Wie sich Rosenow die Entwicklung gedacht
hat, ist nicht klar. Vortrefflich ist das Wesen der fahrenden Jahrmarktsleute
dargestellt, während allerdings der Hauptzigeuner selbst in der noch ganz un-
durchgearbeiteten Fassung ganz auf der Oberfläche bleibt.

Noch ein Bruchstück, „Prinz Friedrich", ist uns von Rosenow geblieben.
Vielleicht wäre das sein einziges Tendenzdrama geworden. Wir aber haben
uns vor diesem früh vollendeten Leben mit dem zu befassen, was Rosenow
ganz und vollendet hinterlassen hat. Und da bleibt denn das Bild einer
urdramatischen Begabung. Er scheint leicht geschaffen zu haben. Nichts Fertiges
ist aber dabei oberflächlich. Er war nach Herkunft und Beruf aufs stärkste
gefesselt von sozialen und sozialistischen Gedanken — als echter Dramatiker
predigt er nicht und agitiert er nicht, und wenn er anklagt, so klagt er nicht
unmittelbar durch Worte, sondern mittelbar durch Lebensdarstellung. Innerhalb
des Naturalismus bleibt ihm eine ehrenvolle Stellung, auch neben den Ersten.
Darüber hinaus wächst er mit seiner Komödie zu den nicht eben zahlreichen
Darstellern des Lebens, die es ganz kennen, es ganz volksmäßig mitempfinden
und mit Feinheit und Schlagkraft zugleich darstellen. Auch er beweist, daß
man in Deutschland nicht mehr von mangelnder dramatischer Anlage im ganzen
reden darf, und zeigt zugleich jene triebhafte Bühnensicherheit, die alle unsere
großen Dramatiker seit Lessing besitzen, jene Sicherheit, die nicht erst das un¬
sichtbare Theater braucht, sondern sich auf dem einfachen und sichtbaren immer
wieder bis zu vollkommener Wirkung zu erheben weiß. Und endlich zeigt Rosenow
noch eins: nämlich das langsame Emporsteigen neuer dichterischer Kraft aus den
unteren Ständen. Wie Rosegger und Anzengruber in Österreich, zeigen Staven-
hagen und Rosenow in Reichsdeutschland eine naturnotwendige Erneuerung
geistiger Kräfte von unten herauf. Und würden wir nicht schon in ganz ab¬
sichtsloser künstlerischer Würdigung Rosenows Werk sehr hoch zu stellen haben,
so müßten wir seinen Emporstieg zur Kunst rein aus Gründen nationaler Hoff¬
nung in sozial zerklüfteten Zeiten aufs dankbarste empfinden und seinen frühen
Tod auch in diesem Sinne schmerzlich beklagen.




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[0388] Emil Roseuow des Vaganten" stark in die Romantik hineingegangen. Er stellte, soweit man urteilen kann, einen Hochstapler von ungewöhnlicher Klugheit und Verschlagenheit und ein unbekanntes Mädchen mitten in das Stück und gab diesem Mädchen jenen aus der Romantik bekannten, unentrinnbaren Reiz, der einen jungen, gräflichen Künstler an sie fesselt. Wie sich Rosenow die Entwicklung gedacht hat, ist nicht klar. Vortrefflich ist das Wesen der fahrenden Jahrmarktsleute dargestellt, während allerdings der Hauptzigeuner selbst in der noch ganz un- durchgearbeiteten Fassung ganz auf der Oberfläche bleibt. Noch ein Bruchstück, „Prinz Friedrich", ist uns von Rosenow geblieben. Vielleicht wäre das sein einziges Tendenzdrama geworden. Wir aber haben uns vor diesem früh vollendeten Leben mit dem zu befassen, was Rosenow ganz und vollendet hinterlassen hat. Und da bleibt denn das Bild einer urdramatischen Begabung. Er scheint leicht geschaffen zu haben. Nichts Fertiges ist aber dabei oberflächlich. Er war nach Herkunft und Beruf aufs stärkste gefesselt von sozialen und sozialistischen Gedanken — als echter Dramatiker predigt er nicht und agitiert er nicht, und wenn er anklagt, so klagt er nicht unmittelbar durch Worte, sondern mittelbar durch Lebensdarstellung. Innerhalb des Naturalismus bleibt ihm eine ehrenvolle Stellung, auch neben den Ersten. Darüber hinaus wächst er mit seiner Komödie zu den nicht eben zahlreichen Darstellern des Lebens, die es ganz kennen, es ganz volksmäßig mitempfinden und mit Feinheit und Schlagkraft zugleich darstellen. Auch er beweist, daß man in Deutschland nicht mehr von mangelnder dramatischer Anlage im ganzen reden darf, und zeigt zugleich jene triebhafte Bühnensicherheit, die alle unsere großen Dramatiker seit Lessing besitzen, jene Sicherheit, die nicht erst das un¬ sichtbare Theater braucht, sondern sich auf dem einfachen und sichtbaren immer wieder bis zu vollkommener Wirkung zu erheben weiß. Und endlich zeigt Rosenow noch eins: nämlich das langsame Emporsteigen neuer dichterischer Kraft aus den unteren Ständen. Wie Rosegger und Anzengruber in Österreich, zeigen Staven- hagen und Rosenow in Reichsdeutschland eine naturnotwendige Erneuerung geistiger Kräfte von unten herauf. Und würden wir nicht schon in ganz ab¬ sichtsloser künstlerischer Würdigung Rosenows Werk sehr hoch zu stellen haben, so müßten wir seinen Emporstieg zur Kunst rein aus Gründen nationaler Hoff¬ nung in sozial zerklüfteten Zeiten aufs dankbarste empfinden und seinen frühen Tod auch in diesem Sinne schmerzlich beklagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/388>, abgerufen am 24.08.2024.