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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

in Wieschens Stube, bis die Kampf bald ausräumen mußten in eine andere
Behausung. Wieschen spülte mit dem Aufnehmer die Dielen naß und säuberte
und wischte die Kammer, bis kein Stäubchen mehr lag. Als sie fertig war
und eben den Schrubbeimer hinaus trug, kam Jelde über den Flur, gesellte
sich zu dem Mädchen und warf einen Blick in die Stube.

"Jettchen," sagte Wieschen, sich aufrichtend von ihrer Arbeit, den Rücken
und die Gestalt ausstreckend. "Kann einer seine Kammer reiner halten, als
ich es getan habe?"

Sie saßen dann noch einmal um den Tisch in der Küche und auf den
Plätzen, die sie gewohnt waren, wo sie so hin gehörten, daß man sich nicht
denken konnte, wie eines würde aufstehen und weggehen können. Sie saßen
denn auch beisammen mit solchen Gesichtern, wie jeder einzelne seine Alltags¬
miene zu tragen pflegte. Nur der Florentin war zerstreut und fuhr sich ein
paarmal mit den gespreizten Fingern durch das Haar, so langsam und sinnend,
als lose er mit den goldenen Fäden. Ihn hätte wunderlich geträumt in der
Nacht, sagte er.

Wieschen zog ein Bastband, welches auf dem Tische lag, um den Finger,
daß es sich ringelte, legte den Faden aber jäh und wie erschrocken aus der
Hand, wie ihr einfiel, es habe nun ein Ende mit aller feinen und halb
spielenden Blumenbinderei, wenn sie aus dem Garten des Florentin Kien in
ein Bauernland zur ernsten und gesunden Arbeit trete.

Jelde fragte und erinnerte damit an den Aufbruch: "Kommst einmal wieder
her auf Besuch?"

"Ich glaube -- nein," antwortete Wieschen. Sie stand auf, nahm ihr
Tuch um und war fertig. Sie räumte noch in der Stube, schob die Stühle
zurecht und riß das Kalenderblatt ab. Die Mutter Johanne gab ihr ein paar
Brotscheiben mit Speck belegt und ein paar gute Worte mit ans den Weg, die
so leise gesprochen, wie sie unbedeutend waren. Ehe noch das Wieschen fort
war, ging sie auf die Tenne, wo die Ferkel grunzten und der Fütterung
warteten. Sie hatte schon manch' einen ans dem Leben weggehen sehen und
der Abschied, wie sie das Wieschen auch gern gemocht, hatte nicht so Ungeheuer¬
liches für sie. Alte Leute stumpfen gegen das Scheiden ab wie alte Messer
gegen das Schneiden.

Wieschen streckte einem wie dem andern die Hand hin und sagte das:
"Adieu zusammen." Jelde stichelte noch mal: ob der Kiep das Mädchen nicht
eine Strecke Weges hinunter bringen möge, bis zum Fuhrmann, wo sie aufsäße?

Er könne nicht, antwortete der Kiep. Er bekomme den Spann aufs
Feld. Und er schob sich vor dem Wieschen her durch die Tür, unbeholfen,
wie durch ein Drehkreuz.

Wieschen zögerte noch im Flur und wartete auf Jelde, ihr war, es müsse
noch ein letztes liebes Wort gesagt werden, ehe sie ging. Während sie wartete,
stellte sie die Schelle über der Haustür wieder zurecht, die bis da vergessen war.


Die Blumen des Florentin Uley

in Wieschens Stube, bis die Kampf bald ausräumen mußten in eine andere
Behausung. Wieschen spülte mit dem Aufnehmer die Dielen naß und säuberte
und wischte die Kammer, bis kein Stäubchen mehr lag. Als sie fertig war
und eben den Schrubbeimer hinaus trug, kam Jelde über den Flur, gesellte
sich zu dem Mädchen und warf einen Blick in die Stube.

„Jettchen," sagte Wieschen, sich aufrichtend von ihrer Arbeit, den Rücken
und die Gestalt ausstreckend. „Kann einer seine Kammer reiner halten, als
ich es getan habe?"

Sie saßen dann noch einmal um den Tisch in der Küche und auf den
Plätzen, die sie gewohnt waren, wo sie so hin gehörten, daß man sich nicht
denken konnte, wie eines würde aufstehen und weggehen können. Sie saßen
denn auch beisammen mit solchen Gesichtern, wie jeder einzelne seine Alltags¬
miene zu tragen pflegte. Nur der Florentin war zerstreut und fuhr sich ein
paarmal mit den gespreizten Fingern durch das Haar, so langsam und sinnend,
als lose er mit den goldenen Fäden. Ihn hätte wunderlich geträumt in der
Nacht, sagte er.

Wieschen zog ein Bastband, welches auf dem Tische lag, um den Finger,
daß es sich ringelte, legte den Faden aber jäh und wie erschrocken aus der
Hand, wie ihr einfiel, es habe nun ein Ende mit aller feinen und halb
spielenden Blumenbinderei, wenn sie aus dem Garten des Florentin Kien in
ein Bauernland zur ernsten und gesunden Arbeit trete.

Jelde fragte und erinnerte damit an den Aufbruch: „Kommst einmal wieder
her auf Besuch?"

„Ich glaube — nein," antwortete Wieschen. Sie stand auf, nahm ihr
Tuch um und war fertig. Sie räumte noch in der Stube, schob die Stühle
zurecht und riß das Kalenderblatt ab. Die Mutter Johanne gab ihr ein paar
Brotscheiben mit Speck belegt und ein paar gute Worte mit ans den Weg, die
so leise gesprochen, wie sie unbedeutend waren. Ehe noch das Wieschen fort
war, ging sie auf die Tenne, wo die Ferkel grunzten und der Fütterung
warteten. Sie hatte schon manch' einen ans dem Leben weggehen sehen und
der Abschied, wie sie das Wieschen auch gern gemocht, hatte nicht so Ungeheuer¬
liches für sie. Alte Leute stumpfen gegen das Scheiden ab wie alte Messer
gegen das Schneiden.

Wieschen streckte einem wie dem andern die Hand hin und sagte das:
„Adieu zusammen." Jelde stichelte noch mal: ob der Kiep das Mädchen nicht
eine Strecke Weges hinunter bringen möge, bis zum Fuhrmann, wo sie aufsäße?

Er könne nicht, antwortete der Kiep. Er bekomme den Spann aufs
Feld. Und er schob sich vor dem Wieschen her durch die Tür, unbeholfen,
wie durch ein Drehkreuz.

Wieschen zögerte noch im Flur und wartete auf Jelde, ihr war, es müsse
noch ein letztes liebes Wort gesagt werden, ehe sie ging. Während sie wartete,
stellte sie die Schelle über der Haustür wieder zurecht, die bis da vergessen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/380>, abgerufen am 03.07.2024.