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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

Sie lachte hell auf in lauter Verwirrung. Wie sie ihn aber sah in der
halben Dämmerung der Abendstunde, undeutlich, ungewiß, wie sie ihn da
erkannte, daß seine Erbärmlichkeit mehr Schwäche als gemeine Sünde war,
wie sie in eben der Haltung, die nicht wohin mit sich selber wußte, den
Florentin erkannte, denselben, den sie geliebt hatte und immer liebte, da fiel
sie auf die Bank, barg den Kopf in den Armen auf dem Tisch und hielt ihr
Weinen nicht mehr auf.

"Ich habe es so nicht gemeint," sagte der Florentin jetzt. "Ich wollte
dir nichts damit antun. Ich wußte nur nicht aus und ein mit mir selbst,
darum sagte ich es." Er zupfte sie scheu am Ärmel. "Komm," drängte
er, als fürchte er, die Tränen schwemmen sie weg. Er ging in die Knie und
suchte die Scherben des Blumentopfes und die verknickte Blume auf.

"Laß doch," sagte sie, "damit ist es nun auch vorbei wie mit allem
anderen."

Sie mußte zu ihm niedersehen, weil er in den Knien lag. "Wie kann er
was Festes im Kopf haben, wenn sein Kopf außen so weich ist," dachte sie.
Warum hatte sie sich von ihrer Erregung hinreißen lassen? Mußte sie ihn
nicht verstehen und kennen, wie er war? Er band Blumen an kleinen Blumen¬
stäben auf, um ihnen Halt zu geben, das konnte er, das war sein Arbeiten,
dabei hatte er selber keinen Halt. Während andere Burschen an Knotenstöcken
gingen, trieb er es mit Blumenstäben. Das war's I Er hatte sie nicht beleidigen
wollen, jetzt nicht und niet Sieh, wie gut er wart Er bückte sich über das
verknickte Geranium. als wäre das für den Augenblick die größte Sorge. Wie
in aller Welt sollte sie den Blick ertragen, mit dem er sie jetzt ansah! Sie
streckte die Hand aus und strich ihm über das Haar; die feinen goldenen
Fäden, in denen eine laue weiche Wärme war, glitten ihr durch die kühlen
Finger; so mögen Sonnenstrahlen, wenn die Sonne scheidet, durch die Zweige
von Bäumen spielen. Es ist eine sachte Vermählung von Wärme und Kühle
um die Stunde solchen Scheidens.

Er stand dann auf, wie sie es ihm vormachte und es auch von ihm
forderte. Sie schluckte noch mal und überwand damit alles Weinen und sich
selbst. In dem Ausstrecken ihrer Gestalt fand sie ihre Sicherheit wieder. Dann
gab sie ihm die Hand hin und sagte: "Wir müssen uns trennen -- Florin --
diesesmal um -- der Regime willen. Ich will aber an dich denken Zeit meines
Lebens. Nicht mit Greiner. Wenn ich arbeite, Florin, wenn ich gesund und
stark werde, will ich am meisten an dich denken, so, als könne ich dir dann
was von mir mitgeben."

Er nahm und ließ ihre Hand. Er fühlte noch einmal die Kraft ihres
Händedruckes, aber ihm war unheimlich vor ihrer Überstärke.

Wieschen hatte andern Tages früh die Kammer schon zurecht, als bei den
Kampf die Weckuhr ablief. Ihr Bett war rein überzogen für das neue
Mädchen der Jelde, welches heute zuging und noch so lange hier wohnen sollte


Die Blumen des Florentin Uley

Sie lachte hell auf in lauter Verwirrung. Wie sie ihn aber sah in der
halben Dämmerung der Abendstunde, undeutlich, ungewiß, wie sie ihn da
erkannte, daß seine Erbärmlichkeit mehr Schwäche als gemeine Sünde war,
wie sie in eben der Haltung, die nicht wohin mit sich selber wußte, den
Florentin erkannte, denselben, den sie geliebt hatte und immer liebte, da fiel
sie auf die Bank, barg den Kopf in den Armen auf dem Tisch und hielt ihr
Weinen nicht mehr auf.

„Ich habe es so nicht gemeint," sagte der Florentin jetzt. „Ich wollte
dir nichts damit antun. Ich wußte nur nicht aus und ein mit mir selbst,
darum sagte ich es." Er zupfte sie scheu am Ärmel. „Komm," drängte
er, als fürchte er, die Tränen schwemmen sie weg. Er ging in die Knie und
suchte die Scherben des Blumentopfes und die verknickte Blume auf.

„Laß doch," sagte sie, „damit ist es nun auch vorbei wie mit allem
anderen."

Sie mußte zu ihm niedersehen, weil er in den Knien lag. „Wie kann er
was Festes im Kopf haben, wenn sein Kopf außen so weich ist," dachte sie.
Warum hatte sie sich von ihrer Erregung hinreißen lassen? Mußte sie ihn
nicht verstehen und kennen, wie er war? Er band Blumen an kleinen Blumen¬
stäben auf, um ihnen Halt zu geben, das konnte er, das war sein Arbeiten,
dabei hatte er selber keinen Halt. Während andere Burschen an Knotenstöcken
gingen, trieb er es mit Blumenstäben. Das war's I Er hatte sie nicht beleidigen
wollen, jetzt nicht und niet Sieh, wie gut er wart Er bückte sich über das
verknickte Geranium. als wäre das für den Augenblick die größte Sorge. Wie
in aller Welt sollte sie den Blick ertragen, mit dem er sie jetzt ansah! Sie
streckte die Hand aus und strich ihm über das Haar; die feinen goldenen
Fäden, in denen eine laue weiche Wärme war, glitten ihr durch die kühlen
Finger; so mögen Sonnenstrahlen, wenn die Sonne scheidet, durch die Zweige
von Bäumen spielen. Es ist eine sachte Vermählung von Wärme und Kühle
um die Stunde solchen Scheidens.

Er stand dann auf, wie sie es ihm vormachte und es auch von ihm
forderte. Sie schluckte noch mal und überwand damit alles Weinen und sich
selbst. In dem Ausstrecken ihrer Gestalt fand sie ihre Sicherheit wieder. Dann
gab sie ihm die Hand hin und sagte: „Wir müssen uns trennen — Florin —
diesesmal um — der Regime willen. Ich will aber an dich denken Zeit meines
Lebens. Nicht mit Greiner. Wenn ich arbeite, Florin, wenn ich gesund und
stark werde, will ich am meisten an dich denken, so, als könne ich dir dann
was von mir mitgeben."

Er nahm und ließ ihre Hand. Er fühlte noch einmal die Kraft ihres
Händedruckes, aber ihm war unheimlich vor ihrer Überstärke.

Wieschen hatte andern Tages früh die Kammer schon zurecht, als bei den
Kampf die Weckuhr ablief. Ihr Bett war rein überzogen für das neue
Mädchen der Jelde, welches heute zuging und noch so lange hier wohnen sollte


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[0379] Die Blumen des Florentin Uley Sie lachte hell auf in lauter Verwirrung. Wie sie ihn aber sah in der halben Dämmerung der Abendstunde, undeutlich, ungewiß, wie sie ihn da erkannte, daß seine Erbärmlichkeit mehr Schwäche als gemeine Sünde war, wie sie in eben der Haltung, die nicht wohin mit sich selber wußte, den Florentin erkannte, denselben, den sie geliebt hatte und immer liebte, da fiel sie auf die Bank, barg den Kopf in den Armen auf dem Tisch und hielt ihr Weinen nicht mehr auf. „Ich habe es so nicht gemeint," sagte der Florentin jetzt. „Ich wollte dir nichts damit antun. Ich wußte nur nicht aus und ein mit mir selbst, darum sagte ich es." Er zupfte sie scheu am Ärmel. „Komm," drängte er, als fürchte er, die Tränen schwemmen sie weg. Er ging in die Knie und suchte die Scherben des Blumentopfes und die verknickte Blume auf. „Laß doch," sagte sie, „damit ist es nun auch vorbei wie mit allem anderen." Sie mußte zu ihm niedersehen, weil er in den Knien lag. „Wie kann er was Festes im Kopf haben, wenn sein Kopf außen so weich ist," dachte sie. Warum hatte sie sich von ihrer Erregung hinreißen lassen? Mußte sie ihn nicht verstehen und kennen, wie er war? Er band Blumen an kleinen Blumen¬ stäben auf, um ihnen Halt zu geben, das konnte er, das war sein Arbeiten, dabei hatte er selber keinen Halt. Während andere Burschen an Knotenstöcken gingen, trieb er es mit Blumenstäben. Das war's I Er hatte sie nicht beleidigen wollen, jetzt nicht und niet Sieh, wie gut er wart Er bückte sich über das verknickte Geranium. als wäre das für den Augenblick die größte Sorge. Wie in aller Welt sollte sie den Blick ertragen, mit dem er sie jetzt ansah! Sie streckte die Hand aus und strich ihm über das Haar; die feinen goldenen Fäden, in denen eine laue weiche Wärme war, glitten ihr durch die kühlen Finger; so mögen Sonnenstrahlen, wenn die Sonne scheidet, durch die Zweige von Bäumen spielen. Es ist eine sachte Vermählung von Wärme und Kühle um die Stunde solchen Scheidens. Er stand dann auf, wie sie es ihm vormachte und es auch von ihm forderte. Sie schluckte noch mal und überwand damit alles Weinen und sich selbst. In dem Ausstrecken ihrer Gestalt fand sie ihre Sicherheit wieder. Dann gab sie ihm die Hand hin und sagte: „Wir müssen uns trennen — Florin — diesesmal um — der Regime willen. Ich will aber an dich denken Zeit meines Lebens. Nicht mit Greiner. Wenn ich arbeite, Florin, wenn ich gesund und stark werde, will ich am meisten an dich denken, so, als könne ich dir dann was von mir mitgeben." Er nahm und ließ ihre Hand. Er fühlte noch einmal die Kraft ihres Händedruckes, aber ihm war unheimlich vor ihrer Überstärke. Wieschen hatte andern Tages früh die Kammer schon zurecht, als bei den Kampf die Weckuhr ablief. Ihr Bett war rein überzogen für das neue Mädchen der Jelde, welches heute zuging und noch so lange hier wohnen sollte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/379>, abgerufen am 03.07.2024.