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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Rley

"Es ist aber nicht wahr, ich verkenne mich nicht," sagte der Florentin eigen¬
sinnig.

"Man kann sich doch täuschen, Florin. Zuletzt ist es mit uns zweien auch
nicht anders gewesen wie mit dem Geranium, haben uns verkannt ineinander."
Sie lächelte immer wie glücklich und gab die Blume in seine Hand. Er nahm
sie nur zögernd, aber als er sie hielt und ansah, war ihm, er sähe dem Wieschen
in das Gesicht, fände Altgekanntes wieder, und er wandelte sich innen und blickte
anders als eben zu dem Mädchen auf.

Wieschen stand nahe dem Laubenausgang und blickte in die Gärtnerei.
Das Landschaftsstück, das der türähnliche Eingang mit seinem Laub umrandet
hatte, stand in der herbstlichen Verödung wie ein ausgerahmtes Bild. Draußen
flog ein Vogel über den Garten, es war abendlich still, und die einsamen Lock¬
rufe des Vogels oben in den Hecken, wo zur Sommerzeit sein Nest gewesen
war, tönten wie ein Ruf nach Verlorenem. Der Florentin in aller Unsicherheit
fing von alten Geschichten an zu sprechen, von dem, was zwischen ihm und dem
Wieschen je gewesen war.

Wieschen, als sie den Burschen reden hörte, zuckte zusammen, ihr war, sie
müsse sich ihm entgegenstürzen, seine Worte aufhalten und aufschreien: warum
trittst du auf Scherben?

Der Florentin redete dennoch, als wolle er Zerbrochenes wieder heil
machen. Ihm war selbst dabei, als erkennte er erst jetzt das Wieschen und
sähe den Irrtum, den er an ihr begangen, zu Unrecht ein. Wenn es nun
wäre, daß sie sich noch fänden -- er wolle sie heiliger halten als Altarblumen,
sagte er. Er bedachte sich, faßte sie jäh an und schüttelte sie am Arm. "Wenn
es anginge mit uns, jetzt noch -- ich könnte die Regime abfinden -- wenn es
-- nötig wäre --"

Das Mädchen stand so starr unter seinen Händen, daß dem Kiep unheim¬
lich wurde bei ihrer Stille und er ihren Arm von selbst frei gab. Sie legte
diesen selben Arm über die Stirn und sagte langsam, als würde ihr bei den
einzelnen Worten erst die Erkenntnis klar: "Das ist das Gemeinste, was du je
von mir gewollt hast."

Sie wandte sich ab, als brächen ihr Tränen aus, stützte die Hände wie
kraftlos auf den Tisch und starrte vor sich hin. Das Gemeine kam ihr so,
daß sie nicht wußte, wie sie sich davor schützen sollte. Kein Zweifel, keine
Versuchung klopfte bei ihr an, nur das Erbärmliche stand vor ihr, größer als
sie es fassen konnte. Dann fuhr sie auf, als hätte sie sich vor Ekel geschüttelt.

"Du bist nicht wert," sagte sie, "du bist nicht wert --" sie fand vor der
Größe des Gemeinen keinen Vergleich niedrig genug, ihr Blick fiel auf das
Geranium, die Erregung raubte ihr die klare Überlegung ihrer Handlung. Sie
ergriff die Blume, verknickte sie, schleuderte den Topf an die Erde, wo er zer¬
sprang und sagte: "Du bist nicht wert, daß noch eine reine weiße Blume in
deinem Garten steht."


Die Blumen des Florentin Rley

„Es ist aber nicht wahr, ich verkenne mich nicht," sagte der Florentin eigen¬
sinnig.

„Man kann sich doch täuschen, Florin. Zuletzt ist es mit uns zweien auch
nicht anders gewesen wie mit dem Geranium, haben uns verkannt ineinander."
Sie lächelte immer wie glücklich und gab die Blume in seine Hand. Er nahm
sie nur zögernd, aber als er sie hielt und ansah, war ihm, er sähe dem Wieschen
in das Gesicht, fände Altgekanntes wieder, und er wandelte sich innen und blickte
anders als eben zu dem Mädchen auf.

Wieschen stand nahe dem Laubenausgang und blickte in die Gärtnerei.
Das Landschaftsstück, das der türähnliche Eingang mit seinem Laub umrandet
hatte, stand in der herbstlichen Verödung wie ein ausgerahmtes Bild. Draußen
flog ein Vogel über den Garten, es war abendlich still, und die einsamen Lock¬
rufe des Vogels oben in den Hecken, wo zur Sommerzeit sein Nest gewesen
war, tönten wie ein Ruf nach Verlorenem. Der Florentin in aller Unsicherheit
fing von alten Geschichten an zu sprechen, von dem, was zwischen ihm und dem
Wieschen je gewesen war.

Wieschen, als sie den Burschen reden hörte, zuckte zusammen, ihr war, sie
müsse sich ihm entgegenstürzen, seine Worte aufhalten und aufschreien: warum
trittst du auf Scherben?

Der Florentin redete dennoch, als wolle er Zerbrochenes wieder heil
machen. Ihm war selbst dabei, als erkennte er erst jetzt das Wieschen und
sähe den Irrtum, den er an ihr begangen, zu Unrecht ein. Wenn es nun
wäre, daß sie sich noch fänden — er wolle sie heiliger halten als Altarblumen,
sagte er. Er bedachte sich, faßte sie jäh an und schüttelte sie am Arm. „Wenn
es anginge mit uns, jetzt noch — ich könnte die Regime abfinden — wenn es
— nötig wäre —"

Das Mädchen stand so starr unter seinen Händen, daß dem Kiep unheim¬
lich wurde bei ihrer Stille und er ihren Arm von selbst frei gab. Sie legte
diesen selben Arm über die Stirn und sagte langsam, als würde ihr bei den
einzelnen Worten erst die Erkenntnis klar: „Das ist das Gemeinste, was du je
von mir gewollt hast."

Sie wandte sich ab, als brächen ihr Tränen aus, stützte die Hände wie
kraftlos auf den Tisch und starrte vor sich hin. Das Gemeine kam ihr so,
daß sie nicht wußte, wie sie sich davor schützen sollte. Kein Zweifel, keine
Versuchung klopfte bei ihr an, nur das Erbärmliche stand vor ihr, größer als
sie es fassen konnte. Dann fuhr sie auf, als hätte sie sich vor Ekel geschüttelt.

„Du bist nicht wert," sagte sie, „du bist nicht wert —" sie fand vor der
Größe des Gemeinen keinen Vergleich niedrig genug, ihr Blick fiel auf das
Geranium, die Erregung raubte ihr die klare Überlegung ihrer Handlung. Sie
ergriff die Blume, verknickte sie, schleuderte den Topf an die Erde, wo er zer¬
sprang und sagte: „Du bist nicht wert, daß noch eine reine weiße Blume in
deinem Garten steht."


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[0378] Die Blumen des Florentin Rley „Es ist aber nicht wahr, ich verkenne mich nicht," sagte der Florentin eigen¬ sinnig. „Man kann sich doch täuschen, Florin. Zuletzt ist es mit uns zweien auch nicht anders gewesen wie mit dem Geranium, haben uns verkannt ineinander." Sie lächelte immer wie glücklich und gab die Blume in seine Hand. Er nahm sie nur zögernd, aber als er sie hielt und ansah, war ihm, er sähe dem Wieschen in das Gesicht, fände Altgekanntes wieder, und er wandelte sich innen und blickte anders als eben zu dem Mädchen auf. Wieschen stand nahe dem Laubenausgang und blickte in die Gärtnerei. Das Landschaftsstück, das der türähnliche Eingang mit seinem Laub umrandet hatte, stand in der herbstlichen Verödung wie ein ausgerahmtes Bild. Draußen flog ein Vogel über den Garten, es war abendlich still, und die einsamen Lock¬ rufe des Vogels oben in den Hecken, wo zur Sommerzeit sein Nest gewesen war, tönten wie ein Ruf nach Verlorenem. Der Florentin in aller Unsicherheit fing von alten Geschichten an zu sprechen, von dem, was zwischen ihm und dem Wieschen je gewesen war. Wieschen, als sie den Burschen reden hörte, zuckte zusammen, ihr war, sie müsse sich ihm entgegenstürzen, seine Worte aufhalten und aufschreien: warum trittst du auf Scherben? Der Florentin redete dennoch, als wolle er Zerbrochenes wieder heil machen. Ihm war selbst dabei, als erkennte er erst jetzt das Wieschen und sähe den Irrtum, den er an ihr begangen, zu Unrecht ein. Wenn es nun wäre, daß sie sich noch fänden — er wolle sie heiliger halten als Altarblumen, sagte er. Er bedachte sich, faßte sie jäh an und schüttelte sie am Arm. „Wenn es anginge mit uns, jetzt noch — ich könnte die Regime abfinden — wenn es — nötig wäre —" Das Mädchen stand so starr unter seinen Händen, daß dem Kiep unheim¬ lich wurde bei ihrer Stille und er ihren Arm von selbst frei gab. Sie legte diesen selben Arm über die Stirn und sagte langsam, als würde ihr bei den einzelnen Worten erst die Erkenntnis klar: „Das ist das Gemeinste, was du je von mir gewollt hast." Sie wandte sich ab, als brächen ihr Tränen aus, stützte die Hände wie kraftlos auf den Tisch und starrte vor sich hin. Das Gemeine kam ihr so, daß sie nicht wußte, wie sie sich davor schützen sollte. Kein Zweifel, keine Versuchung klopfte bei ihr an, nur das Erbärmliche stand vor ihr, größer als sie es fassen konnte. Dann fuhr sie auf, als hätte sie sich vor Ekel geschüttelt. „Du bist nicht wert," sagte sie, „du bist nicht wert —" sie fand vor der Größe des Gemeinen keinen Vergleich niedrig genug, ihr Blick fiel auf das Geranium, die Erregung raubte ihr die klare Überlegung ihrer Handlung. Sie ergriff die Blume, verknickte sie, schleuderte den Topf an die Erde, wo er zer¬ sprang und sagte: „Du bist nicht wert, daß noch eine reine weiße Blume in deinem Garten steht."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/378>, abgerufen am 01.07.2024.