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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Deutschlands Handelsschisfahrt in Ariegszeiten

Vorbereitungen treffen können, zum mindesten indem sie vorher Art und Trag¬
weite dieser Schwierigkeiten zu ermessen versuchen. Eine künftige Gefahr, über
deren Wesen man sich im voraus klar ist, hat die Hälfte ihrer Schrecknisse ein¬
gebüßt. Daß wir in Deutschland, trotz unserer militärischen Erziehung, diesen
Standpunkt noch nicht genügend würdigen, zeigt das Gerede von einer finan¬
ziellen Krisis im Sommer 1912. Daß Frankreichs Wirtschaftsmarkt zurzeit
stärker gelitten hatte als der unserige, ist jetzt nachgewiesen, aber ein daraus
hervorgehender Einfluß auf die Volksstimmung ist nur bei uns zu verspüren
gewesen.

Wir müssen uns darüber klar sein: Die Zeiten sind vorüber, da ein
kriegerischer Konflikt lediglich mit den Waffen ausgefochten wurde und sein
Ausgang lediglich von den Streitkräften und den Geldmitteln der Fürsten
abhing. Heutzutage kämpft nicht nur das bare Geld der Regierung, sondern
der Kredit des ganzen Volkes, des einzelnen Bürgers mit. Ein Kaufmann, der
es versteht, seine durch den Krieg unterbrochenen geschäftlichen Verbindungen
anderweitig wieder gewinnbringend anzuknüpfen und hierdurch den Kredit der
heimischen Volkswirtschaft aufrecht zu erhalten, gewinnt hiermit für sein Volk
eine Schlacht; eine Bank, die einem plötzlichen Ansturm auf ihre Barmittel
erliegt, ist ein geschlagenes Heer. Schwierigkeiten werden sich bei Kriegsaus¬
bruch für jede Erwerbstätigkeit einstellen. Um ihrer Herr werden zu können,
ist es nicht allein nötig, daß die zunächst mit dieser Geschäftstätigkeit betrauten
Personen sich über die zu ergreifenden Maßnahmen im klaren sind, sondern
auch alle mit ihnen in Berührung stehenden Berufsschichten müssen wissen,
welch eine Gestaltung das betreffende Interessengebiet annehmen wird, so daß
nicht unberechtigte Anforderungen und Erwartungen und, hiermit verknüpft,
geschäftliche Beunruhigungen auftreten.

Es sei nun in diesen Zeilen desjenigen Zweiges unserer Volkswirtschaft
gedacht, der in einem Seekriege von allen Berufen am meisten in Mitleidenschaft
gezogen wird, der Handelsschiffahrt.

Es würden Eulen nach Athen getragen, wenn hier erörtert würde, welch
weitgehenden Einfluß für das Deutsche Reich die Lahmlegung seiner über¬
seeischen Schiffahrt haben würde. Wohl kaum ein Beruf würde ihre Folgen
nicht auf das Schmerzlichste verspüren.

Wie hemmend der Seekrieg auf das gesamte Wirtschaftsleben wirkt, hat
Europa bereits erleben müssen zuzeiten der Kontinentalsperre, die, beant¬
wortet durch die englische Blockade, zu einer nahezu kompletten Ertötung des
überseeischen Güteraustausches führte. Daß ähnliche Maßnahmen heutzutage bei
der gänzlich veränderten Art unseres Erwerbslebens ganz unvergleichlich viel
schwerwiegendere Folgen haben würden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.

Es kann nun nicht der Zweck dieses Aufsatzes sein, die unmittelbaren
Folgen eines Seekrieges ändern zu wollen. Es kann nur versucht werden auf
eine Schwächung der mittelbaren Gefahren hinzuwirken, indem kurz dem


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Vorbereitungen treffen können, zum mindesten indem sie vorher Art und Trag¬
weite dieser Schwierigkeiten zu ermessen versuchen. Eine künftige Gefahr, über
deren Wesen man sich im voraus klar ist, hat die Hälfte ihrer Schrecknisse ein¬
gebüßt. Daß wir in Deutschland, trotz unserer militärischen Erziehung, diesen
Standpunkt noch nicht genügend würdigen, zeigt das Gerede von einer finan¬
ziellen Krisis im Sommer 1912. Daß Frankreichs Wirtschaftsmarkt zurzeit
stärker gelitten hatte als der unserige, ist jetzt nachgewiesen, aber ein daraus
hervorgehender Einfluß auf die Volksstimmung ist nur bei uns zu verspüren
gewesen.

Wir müssen uns darüber klar sein: Die Zeiten sind vorüber, da ein
kriegerischer Konflikt lediglich mit den Waffen ausgefochten wurde und sein
Ausgang lediglich von den Streitkräften und den Geldmitteln der Fürsten
abhing. Heutzutage kämpft nicht nur das bare Geld der Regierung, sondern
der Kredit des ganzen Volkes, des einzelnen Bürgers mit. Ein Kaufmann, der
es versteht, seine durch den Krieg unterbrochenen geschäftlichen Verbindungen
anderweitig wieder gewinnbringend anzuknüpfen und hierdurch den Kredit der
heimischen Volkswirtschaft aufrecht zu erhalten, gewinnt hiermit für sein Volk
eine Schlacht; eine Bank, die einem plötzlichen Ansturm auf ihre Barmittel
erliegt, ist ein geschlagenes Heer. Schwierigkeiten werden sich bei Kriegsaus¬
bruch für jede Erwerbstätigkeit einstellen. Um ihrer Herr werden zu können,
ist es nicht allein nötig, daß die zunächst mit dieser Geschäftstätigkeit betrauten
Personen sich über die zu ergreifenden Maßnahmen im klaren sind, sondern
auch alle mit ihnen in Berührung stehenden Berufsschichten müssen wissen,
welch eine Gestaltung das betreffende Interessengebiet annehmen wird, so daß
nicht unberechtigte Anforderungen und Erwartungen und, hiermit verknüpft,
geschäftliche Beunruhigungen auftreten.

Es sei nun in diesen Zeilen desjenigen Zweiges unserer Volkswirtschaft
gedacht, der in einem Seekriege von allen Berufen am meisten in Mitleidenschaft
gezogen wird, der Handelsschiffahrt.

Es würden Eulen nach Athen getragen, wenn hier erörtert würde, welch
weitgehenden Einfluß für das Deutsche Reich die Lahmlegung seiner über¬
seeischen Schiffahrt haben würde. Wohl kaum ein Beruf würde ihre Folgen
nicht auf das Schmerzlichste verspüren.

Wie hemmend der Seekrieg auf das gesamte Wirtschaftsleben wirkt, hat
Europa bereits erleben müssen zuzeiten der Kontinentalsperre, die, beant¬
wortet durch die englische Blockade, zu einer nahezu kompletten Ertötung des
überseeischen Güteraustausches führte. Daß ähnliche Maßnahmen heutzutage bei
der gänzlich veränderten Art unseres Erwerbslebens ganz unvergleichlich viel
schwerwiegendere Folgen haben würden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden.

Es kann nun nicht der Zweck dieses Aufsatzes sein, die unmittelbaren
Folgen eines Seekrieges ändern zu wollen. Es kann nur versucht werden auf
eine Schwächung der mittelbaren Gefahren hinzuwirken, indem kurz dem


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[0370] Deutschlands Handelsschisfahrt in Ariegszeiten Vorbereitungen treffen können, zum mindesten indem sie vorher Art und Trag¬ weite dieser Schwierigkeiten zu ermessen versuchen. Eine künftige Gefahr, über deren Wesen man sich im voraus klar ist, hat die Hälfte ihrer Schrecknisse ein¬ gebüßt. Daß wir in Deutschland, trotz unserer militärischen Erziehung, diesen Standpunkt noch nicht genügend würdigen, zeigt das Gerede von einer finan¬ ziellen Krisis im Sommer 1912. Daß Frankreichs Wirtschaftsmarkt zurzeit stärker gelitten hatte als der unserige, ist jetzt nachgewiesen, aber ein daraus hervorgehender Einfluß auf die Volksstimmung ist nur bei uns zu verspüren gewesen. Wir müssen uns darüber klar sein: Die Zeiten sind vorüber, da ein kriegerischer Konflikt lediglich mit den Waffen ausgefochten wurde und sein Ausgang lediglich von den Streitkräften und den Geldmitteln der Fürsten abhing. Heutzutage kämpft nicht nur das bare Geld der Regierung, sondern der Kredit des ganzen Volkes, des einzelnen Bürgers mit. Ein Kaufmann, der es versteht, seine durch den Krieg unterbrochenen geschäftlichen Verbindungen anderweitig wieder gewinnbringend anzuknüpfen und hierdurch den Kredit der heimischen Volkswirtschaft aufrecht zu erhalten, gewinnt hiermit für sein Volk eine Schlacht; eine Bank, die einem plötzlichen Ansturm auf ihre Barmittel erliegt, ist ein geschlagenes Heer. Schwierigkeiten werden sich bei Kriegsaus¬ bruch für jede Erwerbstätigkeit einstellen. Um ihrer Herr werden zu können, ist es nicht allein nötig, daß die zunächst mit dieser Geschäftstätigkeit betrauten Personen sich über die zu ergreifenden Maßnahmen im klaren sind, sondern auch alle mit ihnen in Berührung stehenden Berufsschichten müssen wissen, welch eine Gestaltung das betreffende Interessengebiet annehmen wird, so daß nicht unberechtigte Anforderungen und Erwartungen und, hiermit verknüpft, geschäftliche Beunruhigungen auftreten. Es sei nun in diesen Zeilen desjenigen Zweiges unserer Volkswirtschaft gedacht, der in einem Seekriege von allen Berufen am meisten in Mitleidenschaft gezogen wird, der Handelsschiffahrt. Es würden Eulen nach Athen getragen, wenn hier erörtert würde, welch weitgehenden Einfluß für das Deutsche Reich die Lahmlegung seiner über¬ seeischen Schiffahrt haben würde. Wohl kaum ein Beruf würde ihre Folgen nicht auf das Schmerzlichste verspüren. Wie hemmend der Seekrieg auf das gesamte Wirtschaftsleben wirkt, hat Europa bereits erleben müssen zuzeiten der Kontinentalsperre, die, beant¬ wortet durch die englische Blockade, zu einer nahezu kompletten Ertötung des überseeischen Güteraustausches führte. Daß ähnliche Maßnahmen heutzutage bei der gänzlich veränderten Art unseres Erwerbslebens ganz unvergleichlich viel schwerwiegendere Folgen haben würden, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. Es kann nun nicht der Zweck dieses Aufsatzes sein, die unmittelbaren Folgen eines Seekrieges ändern zu wollen. Es kann nur versucht werden auf eine Schwächung der mittelbaren Gefahren hinzuwirken, indem kurz dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/370>, abgerufen am 22.07.2024.