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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Ventschlands Handelsschiffcchrt in Ariegszeiten

Leser die voraussichtliche Gestaltung unserer Handelsschiffahrt während eines
Seekrieges dargestellt wird.

Für die Schädigung der gegnerischen Volkswirtschaft stehen nun einer
Seemacht im Kriege folgende zwei Mittel zur Verfügung: Das Kaperrecht und
die Blockade. Es können also im Gegensatz zum Landkriege, in dem das
Privateigentum geschont wird, solange das Kaperrecht besteht, Handelsschiffe
feindlicher Flagge, sowie das auf ihnen zu verfrachtende Gut, soweit es der
feindlichen Nation angehört, von Kreuzern genommen werden. Und weiter kann,
wenn über einen Hafen eine rechtsgültige Blockade verhängt wird, diesem ein
jeglicher Seeverkehr abgeschnitten werden.

Der Seekrieg birgt demnach hieraus folgend drei Gefahren: 1. Durch
den Krieg kann der überseeische Import und Export in größerem oder geringerem
Umfange verhindert werden. 2. Die bedeutenden Werte, welche in den Handels¬
schiffen und in zurzeit verfrachteten Gütern verkörpert sind, können vom Feinde
genommen werden. 3. Jede Behinderung der Schiffahrt bringt für die Aktionäre
hohe Kurs- und Zinsverluste.

Um die Wahrscheinlichkeit dieser Schädigungen zu beurteilen und die Mittel
zu ihrer Verhütung bzw. Abschwächung zu erkennen, sind die Kriegsmöglich¬
keiten für zwei Fälle zu betrachten: I. der Krieg gegen einen übermächtigen,
II. gegen einen schwächeren Gegner.*)




Der einzige, uns zur See in jeder Beziehung überlegene Gegner ist Gro߬
britannien. Nicht genug damit, daß es uns an jedem Platz des Erdballs
stärkere Streitkräfte gegenüberstellen kann als wir aufzubringen vermögen, vermag
es, dank seiner Lage, den Eingang zu unseren Gewässern hermetisch zu ver¬
schließen. Rein geographisch ist ein ähnlicher Kriegsfall, wie der zu betrachtende
bereits mehrmals durchkämpft worden, in den englisch-holländischen Kriegen des
siebzehnten Jahrhunderts. Aber damals war die Lage für die Kontinentalmacht
wesentlich günstiger, als sie heutzutage für uns fein würde. Damals war zum
Schutze der Handelsflotte das Zusammenfassen in Konvoys allgemein üblich
und wohl durchführbar. Jetzt würde ein Konvon aus verschiedenen Gründen
sich wohl nur schwer bilden lassen. Damals liefen zum Schutz des Konvoys
bei seiner Annäherung an die heimischen Gewässer starke Flotten aus, die
imstande waren, den Gegner im Schach zu halten und die ihm gerade bei
solchen Gelegenheiten einige der blutigsten Schlachten jener Kriege lieferten.
Heutzutage könnte die gesamte deutsche Kriegsmarine nicht in offener Schlacht
die engliche Übermacht hindern, die etwa in der Nähe befindlichen deutschen
Handelsschiffe zu nehmen. Und trotz jener noch verhältnismäßig günstigen
Umstände wurde in jenen Kriegen der holländische Handel völlig lahmgelegt.



") Wir verweisen auf den Artikel in Heft 3 der Grenzboten, der den Schutz der
Nordseeküste behandelt.
Ventschlands Handelsschiffcchrt in Ariegszeiten

Leser die voraussichtliche Gestaltung unserer Handelsschiffahrt während eines
Seekrieges dargestellt wird.

Für die Schädigung der gegnerischen Volkswirtschaft stehen nun einer
Seemacht im Kriege folgende zwei Mittel zur Verfügung: Das Kaperrecht und
die Blockade. Es können also im Gegensatz zum Landkriege, in dem das
Privateigentum geschont wird, solange das Kaperrecht besteht, Handelsschiffe
feindlicher Flagge, sowie das auf ihnen zu verfrachtende Gut, soweit es der
feindlichen Nation angehört, von Kreuzern genommen werden. Und weiter kann,
wenn über einen Hafen eine rechtsgültige Blockade verhängt wird, diesem ein
jeglicher Seeverkehr abgeschnitten werden.

Der Seekrieg birgt demnach hieraus folgend drei Gefahren: 1. Durch
den Krieg kann der überseeische Import und Export in größerem oder geringerem
Umfange verhindert werden. 2. Die bedeutenden Werte, welche in den Handels¬
schiffen und in zurzeit verfrachteten Gütern verkörpert sind, können vom Feinde
genommen werden. 3. Jede Behinderung der Schiffahrt bringt für die Aktionäre
hohe Kurs- und Zinsverluste.

Um die Wahrscheinlichkeit dieser Schädigungen zu beurteilen und die Mittel
zu ihrer Verhütung bzw. Abschwächung zu erkennen, sind die Kriegsmöglich¬
keiten für zwei Fälle zu betrachten: I. der Krieg gegen einen übermächtigen,
II. gegen einen schwächeren Gegner.*)




Der einzige, uns zur See in jeder Beziehung überlegene Gegner ist Gro߬
britannien. Nicht genug damit, daß es uns an jedem Platz des Erdballs
stärkere Streitkräfte gegenüberstellen kann als wir aufzubringen vermögen, vermag
es, dank seiner Lage, den Eingang zu unseren Gewässern hermetisch zu ver¬
schließen. Rein geographisch ist ein ähnlicher Kriegsfall, wie der zu betrachtende
bereits mehrmals durchkämpft worden, in den englisch-holländischen Kriegen des
siebzehnten Jahrhunderts. Aber damals war die Lage für die Kontinentalmacht
wesentlich günstiger, als sie heutzutage für uns fein würde. Damals war zum
Schutze der Handelsflotte das Zusammenfassen in Konvoys allgemein üblich
und wohl durchführbar. Jetzt würde ein Konvon aus verschiedenen Gründen
sich wohl nur schwer bilden lassen. Damals liefen zum Schutz des Konvoys
bei seiner Annäherung an die heimischen Gewässer starke Flotten aus, die
imstande waren, den Gegner im Schach zu halten und die ihm gerade bei
solchen Gelegenheiten einige der blutigsten Schlachten jener Kriege lieferten.
Heutzutage könnte die gesamte deutsche Kriegsmarine nicht in offener Schlacht
die engliche Übermacht hindern, die etwa in der Nähe befindlichen deutschen
Handelsschiffe zu nehmen. Und trotz jener noch verhältnismäßig günstigen
Umstände wurde in jenen Kriegen der holländische Handel völlig lahmgelegt.



") Wir verweisen auf den Artikel in Heft 3 der Grenzboten, der den Schutz der
Nordseeküste behandelt.
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[0371] Ventschlands Handelsschiffcchrt in Ariegszeiten Leser die voraussichtliche Gestaltung unserer Handelsschiffahrt während eines Seekrieges dargestellt wird. Für die Schädigung der gegnerischen Volkswirtschaft stehen nun einer Seemacht im Kriege folgende zwei Mittel zur Verfügung: Das Kaperrecht und die Blockade. Es können also im Gegensatz zum Landkriege, in dem das Privateigentum geschont wird, solange das Kaperrecht besteht, Handelsschiffe feindlicher Flagge, sowie das auf ihnen zu verfrachtende Gut, soweit es der feindlichen Nation angehört, von Kreuzern genommen werden. Und weiter kann, wenn über einen Hafen eine rechtsgültige Blockade verhängt wird, diesem ein jeglicher Seeverkehr abgeschnitten werden. Der Seekrieg birgt demnach hieraus folgend drei Gefahren: 1. Durch den Krieg kann der überseeische Import und Export in größerem oder geringerem Umfange verhindert werden. 2. Die bedeutenden Werte, welche in den Handels¬ schiffen und in zurzeit verfrachteten Gütern verkörpert sind, können vom Feinde genommen werden. 3. Jede Behinderung der Schiffahrt bringt für die Aktionäre hohe Kurs- und Zinsverluste. Um die Wahrscheinlichkeit dieser Schädigungen zu beurteilen und die Mittel zu ihrer Verhütung bzw. Abschwächung zu erkennen, sind die Kriegsmöglich¬ keiten für zwei Fälle zu betrachten: I. der Krieg gegen einen übermächtigen, II. gegen einen schwächeren Gegner.*) Der einzige, uns zur See in jeder Beziehung überlegene Gegner ist Gro߬ britannien. Nicht genug damit, daß es uns an jedem Platz des Erdballs stärkere Streitkräfte gegenüberstellen kann als wir aufzubringen vermögen, vermag es, dank seiner Lage, den Eingang zu unseren Gewässern hermetisch zu ver¬ schließen. Rein geographisch ist ein ähnlicher Kriegsfall, wie der zu betrachtende bereits mehrmals durchkämpft worden, in den englisch-holländischen Kriegen des siebzehnten Jahrhunderts. Aber damals war die Lage für die Kontinentalmacht wesentlich günstiger, als sie heutzutage für uns fein würde. Damals war zum Schutze der Handelsflotte das Zusammenfassen in Konvoys allgemein üblich und wohl durchführbar. Jetzt würde ein Konvon aus verschiedenen Gründen sich wohl nur schwer bilden lassen. Damals liefen zum Schutz des Konvoys bei seiner Annäherung an die heimischen Gewässer starke Flotten aus, die imstande waren, den Gegner im Schach zu halten und die ihm gerade bei solchen Gelegenheiten einige der blutigsten Schlachten jener Kriege lieferten. Heutzutage könnte die gesamte deutsche Kriegsmarine nicht in offener Schlacht die engliche Übermacht hindern, die etwa in der Nähe befindlichen deutschen Handelsschiffe zu nehmen. Und trotz jener noch verhältnismäßig günstigen Umstände wurde in jenen Kriegen der holländische Handel völlig lahmgelegt. ") Wir verweisen auf den Artikel in Heft 3 der Grenzboten, der den Schutz der Nordseeküste behandelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/371>, abgerufen am 22.07.2024.