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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation I

konservativer und von agrarischer Seite anerkannt. Punkt 4 der Vorschläge der
Ostpreußischen Zeitung lautet ausdrücklich: "Man fördere die Heimarbeit
nach Kräften"; in Punkt 5 heißt es: "Man fördere die Stellenvermitte¬
lung vor den Reservistenentlassungen". Punkt 6 fordert: "Jeder Guts¬
besitzer begnüge sich nicht mit der jetzt meist üblichen Tarifierung seiner
Löhne auf Jnstleute, Knechte. Scharwerker usw., sondern er gewähre staffel¬
mäßig Lohnerhöhungen, vielleicht alle drei Jahre. Dies Verfahren bewährt
sich überall, wird auf dem Lande aber noch fast gar nicht angewandt. Die
geringe Mehrausgabe an Deputat oder auch Bargeld trägt hundertfältige Zinsen."
Wer könnte gegen solche Vorschläge etwas einzuwenden haben! Es ist mir
ferner bekannt, daß einige, leider nur sehr wenige Großgrundbesitzer sich gegen¬
wärtig mit der Durcharbeitung der Frage befassen, wie sie auf ihren Gütern
eine sogenannte Winterindnstrie schaffen könnten, die geeignet wäre, einer
bestimmten Anzahl von Sommerarbeitern genügenden Erwerb auch im Winter
zu sichern. Die hiermit verbundenen Schwierigkeiten sind zweifellos groß,
aber, besonders bei weitester Anwendung des Genossenschaftsprinzips, doch nicht
unüberwindbar. Aber damit nicht genug. Soll etwas ersprießliches geleistet
werden, so müssen die Landwirte mit der städtischen Industrie in Verbindung
treten und dieser gewisse Zweige der Güterproduktion abnehmen. Weiter sollten
die die Landwirtschaft vertretenden politischen Parteien sich nicht damit auf¬
halten, in den Städten den Mittelstand zu gewinnen, sondern sollten lieber auf den
ländlichen Grundbesitz wirken, daß er sich eigene Absatzorganisationen in den Städten
schafft, was wieder zahlreiche Familien des Kleinbürgertums zwingen würde,
aus den Gemüse- und Kohlenkellern der Großstadt auss Land hinaus zu gehen.

Schwieriger liegen die Dinge aber noch beim Landerwerb durch die Städter
selbst; da herrscht gar keine Ewigkeit bezüglich des Möglichen. Dieser Teil der
Frage ist wohl auch noch nie im Zusammenhang dargestellt worden. Das
Thema ist auch heilet genug. Wer dem Problem energisch zu Leibe geht, kann
leicht in den Verdacht geraten, Umstürzler und Aufrührer zu sein, da er von
den Großgrundbesitzern als prinzipieller Feind des Großgrundbesitzes und von
den städtischen Hausbesitzern als prinzipieller Feind dieses Standes bezeichnet
werden dürfte. -- Selbstverständlich ohne es sein zu müssen. Daß ich über
diesen Vorwurf erhaben bin, wird der nicht voreingenommene Grenzbotenleser
vielleicht schon herausgefunden haben; wenn nicht, möchte ich auf den Artikel
des Herrn Regierungsrath von Goldberg aufmerksam machen, der in einem der
nächsten Hefte erscheinen soll und der das Märchen zerstört, das sich an den Satz
klammert: "I^atifunciia Komam peräiäere".

Die befreienden Maßnahmen -- wie ich die Gesamtheit der im zweiten
Punkt genannten nennen möchte -- berühren in der Tat sowohl die Stadt wie
die Landwirtschaft. Sie fordern Sicherheitsmaßregeln gegen das Überhandnehmen
der Konzentration des Landbesitzes in einer Hand, möge diese Konzentration
nun durch Fideikommisstatute oder durch die Aktien- und die G. in. b. H.-


Innere Kolonisation I

konservativer und von agrarischer Seite anerkannt. Punkt 4 der Vorschläge der
Ostpreußischen Zeitung lautet ausdrücklich: „Man fördere die Heimarbeit
nach Kräften"; in Punkt 5 heißt es: „Man fördere die Stellenvermitte¬
lung vor den Reservistenentlassungen". Punkt 6 fordert: „Jeder Guts¬
besitzer begnüge sich nicht mit der jetzt meist üblichen Tarifierung seiner
Löhne auf Jnstleute, Knechte. Scharwerker usw., sondern er gewähre staffel¬
mäßig Lohnerhöhungen, vielleicht alle drei Jahre. Dies Verfahren bewährt
sich überall, wird auf dem Lande aber noch fast gar nicht angewandt. Die
geringe Mehrausgabe an Deputat oder auch Bargeld trägt hundertfältige Zinsen."
Wer könnte gegen solche Vorschläge etwas einzuwenden haben! Es ist mir
ferner bekannt, daß einige, leider nur sehr wenige Großgrundbesitzer sich gegen¬
wärtig mit der Durcharbeitung der Frage befassen, wie sie auf ihren Gütern
eine sogenannte Winterindnstrie schaffen könnten, die geeignet wäre, einer
bestimmten Anzahl von Sommerarbeitern genügenden Erwerb auch im Winter
zu sichern. Die hiermit verbundenen Schwierigkeiten sind zweifellos groß,
aber, besonders bei weitester Anwendung des Genossenschaftsprinzips, doch nicht
unüberwindbar. Aber damit nicht genug. Soll etwas ersprießliches geleistet
werden, so müssen die Landwirte mit der städtischen Industrie in Verbindung
treten und dieser gewisse Zweige der Güterproduktion abnehmen. Weiter sollten
die die Landwirtschaft vertretenden politischen Parteien sich nicht damit auf¬
halten, in den Städten den Mittelstand zu gewinnen, sondern sollten lieber auf den
ländlichen Grundbesitz wirken, daß er sich eigene Absatzorganisationen in den Städten
schafft, was wieder zahlreiche Familien des Kleinbürgertums zwingen würde,
aus den Gemüse- und Kohlenkellern der Großstadt auss Land hinaus zu gehen.

Schwieriger liegen die Dinge aber noch beim Landerwerb durch die Städter
selbst; da herrscht gar keine Ewigkeit bezüglich des Möglichen. Dieser Teil der
Frage ist wohl auch noch nie im Zusammenhang dargestellt worden. Das
Thema ist auch heilet genug. Wer dem Problem energisch zu Leibe geht, kann
leicht in den Verdacht geraten, Umstürzler und Aufrührer zu sein, da er von
den Großgrundbesitzern als prinzipieller Feind des Großgrundbesitzes und von
den städtischen Hausbesitzern als prinzipieller Feind dieses Standes bezeichnet
werden dürfte. — Selbstverständlich ohne es sein zu müssen. Daß ich über
diesen Vorwurf erhaben bin, wird der nicht voreingenommene Grenzbotenleser
vielleicht schon herausgefunden haben; wenn nicht, möchte ich auf den Artikel
des Herrn Regierungsrath von Goldberg aufmerksam machen, der in einem der
nächsten Hefte erscheinen soll und der das Märchen zerstört, das sich an den Satz
klammert: „I^atifunciia Komam peräiäere".

Die befreienden Maßnahmen — wie ich die Gesamtheit der im zweiten
Punkt genannten nennen möchte — berühren in der Tat sowohl die Stadt wie
die Landwirtschaft. Sie fordern Sicherheitsmaßregeln gegen das Überhandnehmen
der Konzentration des Landbesitzes in einer Hand, möge diese Konzentration
nun durch Fideikommisstatute oder durch die Aktien- und die G. in. b. H.-


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[0359] Innere Kolonisation I konservativer und von agrarischer Seite anerkannt. Punkt 4 der Vorschläge der Ostpreußischen Zeitung lautet ausdrücklich: „Man fördere die Heimarbeit nach Kräften"; in Punkt 5 heißt es: „Man fördere die Stellenvermitte¬ lung vor den Reservistenentlassungen". Punkt 6 fordert: „Jeder Guts¬ besitzer begnüge sich nicht mit der jetzt meist üblichen Tarifierung seiner Löhne auf Jnstleute, Knechte. Scharwerker usw., sondern er gewähre staffel¬ mäßig Lohnerhöhungen, vielleicht alle drei Jahre. Dies Verfahren bewährt sich überall, wird auf dem Lande aber noch fast gar nicht angewandt. Die geringe Mehrausgabe an Deputat oder auch Bargeld trägt hundertfältige Zinsen." Wer könnte gegen solche Vorschläge etwas einzuwenden haben! Es ist mir ferner bekannt, daß einige, leider nur sehr wenige Großgrundbesitzer sich gegen¬ wärtig mit der Durcharbeitung der Frage befassen, wie sie auf ihren Gütern eine sogenannte Winterindnstrie schaffen könnten, die geeignet wäre, einer bestimmten Anzahl von Sommerarbeitern genügenden Erwerb auch im Winter zu sichern. Die hiermit verbundenen Schwierigkeiten sind zweifellos groß, aber, besonders bei weitester Anwendung des Genossenschaftsprinzips, doch nicht unüberwindbar. Aber damit nicht genug. Soll etwas ersprießliches geleistet werden, so müssen die Landwirte mit der städtischen Industrie in Verbindung treten und dieser gewisse Zweige der Güterproduktion abnehmen. Weiter sollten die die Landwirtschaft vertretenden politischen Parteien sich nicht damit auf¬ halten, in den Städten den Mittelstand zu gewinnen, sondern sollten lieber auf den ländlichen Grundbesitz wirken, daß er sich eigene Absatzorganisationen in den Städten schafft, was wieder zahlreiche Familien des Kleinbürgertums zwingen würde, aus den Gemüse- und Kohlenkellern der Großstadt auss Land hinaus zu gehen. Schwieriger liegen die Dinge aber noch beim Landerwerb durch die Städter selbst; da herrscht gar keine Ewigkeit bezüglich des Möglichen. Dieser Teil der Frage ist wohl auch noch nie im Zusammenhang dargestellt worden. Das Thema ist auch heilet genug. Wer dem Problem energisch zu Leibe geht, kann leicht in den Verdacht geraten, Umstürzler und Aufrührer zu sein, da er von den Großgrundbesitzern als prinzipieller Feind des Großgrundbesitzes und von den städtischen Hausbesitzern als prinzipieller Feind dieses Standes bezeichnet werden dürfte. — Selbstverständlich ohne es sein zu müssen. Daß ich über diesen Vorwurf erhaben bin, wird der nicht voreingenommene Grenzbotenleser vielleicht schon herausgefunden haben; wenn nicht, möchte ich auf den Artikel des Herrn Regierungsrath von Goldberg aufmerksam machen, der in einem der nächsten Hefte erscheinen soll und der das Märchen zerstört, das sich an den Satz klammert: „I^atifunciia Komam peräiäere". Die befreienden Maßnahmen — wie ich die Gesamtheit der im zweiten Punkt genannten nennen möchte — berühren in der Tat sowohl die Stadt wie die Landwirtschaft. Sie fordern Sicherheitsmaßregeln gegen das Überhandnehmen der Konzentration des Landbesitzes in einer Hand, möge diese Konzentration nun durch Fideikommisstatute oder durch die Aktien- und die G. in. b. H.-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/359>, abgerufen am 03.07.2024.