Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Innere Kolonisation!

Das sind kurz zusammengefaßt die Beobachtungen der Gegenwart und die
Lehren der Geschichte. Sie sollten die Grundlage und den Ausgang für alle
praktischen Vorschläge zur Bewältigung des Problems der inneren Kolonisation
bilden, wenn sie gleich den für die Landwirtschaft brennendsten Teil der Frage,
die Landarbeiterfrage, nicht zu berühren scheinen.




In der Landarbeiterfrage vermag ich den Wegen Schleich und anderer
hochgeschätzter Mitarbeiter nicht bis zu Ende zu folgen. Wir stehn ihr
gewissermaßen mit gebundenen Händen gegenüber. So betrübend die Erscheinung
tatsächlich ist, daß wir einer Million Fremder zur Bewältigung unserer
wirtschaftlichen Aufgaben bedürfen, hieße es das Land einer gefährlichen
Krisis zuführen, wollte man den Zuzug von ausländischen Arbeitern erschweren
oder gar unterbinden. Wir brauchen die Fremden, weil wir nicht genug eigne
haben, und wenn auch in der Folge dieses Bedürfnisses Verhältnisse entstehen,
die zur Unterbietung der Einheimischen durch Fremde führen, so wäre es doch
unmöglich, den Hebel an diesem Punkte anzusetzen, weil damit unsere gesamte
Wirtschaft gefährdet, unsere Weltstellung in Frage gestellt würde. Vielleicht ließe
sich der Zuzug Fremder in Zeiten einer wirtschaftlichen Depression verbieten, unter
keinen Umständen jetzt, wo alle Industriezweige durch gute Ernten, allgemeine
Steigerung des Weltverkehrs und durch Verstärkung der Rüstungen in allen Staaten
einen mächtigen Impuls bekommen haben. Mit den fremden Arbeitern müssen wir
zunächst rechnen wie mit einem notwendigen Übel. An diesem Teil der ganzen
Frage kann einstweilen nur mit kleinen, den örtlichen Verhältnissen angepaßten
Mitteln gearbeitet werden. Das geschieht ja auch. Die große Aufgabe ist,
die fremden Arbeiter in Zukunft überflüssig zu machen, indem ihnen eine genügende
Zahl eigener Volksgenossen entgegengestellt wird. Darauf muß das Ziel der innern
Kolonisation gerichtet sein und in dieser Richtung kann auch etwas geleistet
werden, wenn man dem Sehnen der Städter, wieder aufs Land heraus¬
zukommen, möglichst Rechnung trägt und alle die Schranken beseitigt, die heute
uoch das Sehnen dämpfen. Oder anders ausgedrückt: wenn man sich nicht
begnügt, die Frage nur an einem Punkte anzufassen, vielmehr alle Verhältnisse
in Land und Stadt und Staat, die sich mit dein Problem berühren, auch zur
freien Lösung heranzieht." "




Hiermit komme ich zu praktischen Vorschlägen. Sie liegen in zwei Rich¬
tungen: 1. Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem platten Lande und
2. möglichste Beseitigung aller in der Gesetzgebung und Verwaltung vorhandenen
Hemmungen, die die Ansiedlung von Städtern auf dem Lande ohne Rücksicht
auf ihre soziale Stellung und Profession beeinträchtigen.

Die Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande liegt zum
großen Teil in dem Machtbereich der Großgrundbesitzer. Sie wird auch von


Innere Kolonisation!

Das sind kurz zusammengefaßt die Beobachtungen der Gegenwart und die
Lehren der Geschichte. Sie sollten die Grundlage und den Ausgang für alle
praktischen Vorschläge zur Bewältigung des Problems der inneren Kolonisation
bilden, wenn sie gleich den für die Landwirtschaft brennendsten Teil der Frage,
die Landarbeiterfrage, nicht zu berühren scheinen.




In der Landarbeiterfrage vermag ich den Wegen Schleich und anderer
hochgeschätzter Mitarbeiter nicht bis zu Ende zu folgen. Wir stehn ihr
gewissermaßen mit gebundenen Händen gegenüber. So betrübend die Erscheinung
tatsächlich ist, daß wir einer Million Fremder zur Bewältigung unserer
wirtschaftlichen Aufgaben bedürfen, hieße es das Land einer gefährlichen
Krisis zuführen, wollte man den Zuzug von ausländischen Arbeitern erschweren
oder gar unterbinden. Wir brauchen die Fremden, weil wir nicht genug eigne
haben, und wenn auch in der Folge dieses Bedürfnisses Verhältnisse entstehen,
die zur Unterbietung der Einheimischen durch Fremde führen, so wäre es doch
unmöglich, den Hebel an diesem Punkte anzusetzen, weil damit unsere gesamte
Wirtschaft gefährdet, unsere Weltstellung in Frage gestellt würde. Vielleicht ließe
sich der Zuzug Fremder in Zeiten einer wirtschaftlichen Depression verbieten, unter
keinen Umständen jetzt, wo alle Industriezweige durch gute Ernten, allgemeine
Steigerung des Weltverkehrs und durch Verstärkung der Rüstungen in allen Staaten
einen mächtigen Impuls bekommen haben. Mit den fremden Arbeitern müssen wir
zunächst rechnen wie mit einem notwendigen Übel. An diesem Teil der ganzen
Frage kann einstweilen nur mit kleinen, den örtlichen Verhältnissen angepaßten
Mitteln gearbeitet werden. Das geschieht ja auch. Die große Aufgabe ist,
die fremden Arbeiter in Zukunft überflüssig zu machen, indem ihnen eine genügende
Zahl eigener Volksgenossen entgegengestellt wird. Darauf muß das Ziel der innern
Kolonisation gerichtet sein und in dieser Richtung kann auch etwas geleistet
werden, wenn man dem Sehnen der Städter, wieder aufs Land heraus¬
zukommen, möglichst Rechnung trägt und alle die Schranken beseitigt, die heute
uoch das Sehnen dämpfen. Oder anders ausgedrückt: wenn man sich nicht
begnügt, die Frage nur an einem Punkte anzufassen, vielmehr alle Verhältnisse
in Land und Stadt und Staat, die sich mit dein Problem berühren, auch zur
freien Lösung heranzieht.» »




Hiermit komme ich zu praktischen Vorschlägen. Sie liegen in zwei Rich¬
tungen: 1. Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem platten Lande und
2. möglichste Beseitigung aller in der Gesetzgebung und Verwaltung vorhandenen
Hemmungen, die die Ansiedlung von Städtern auf dem Lande ohne Rücksicht
auf ihre soziale Stellung und Profession beeinträchtigen.

Die Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande liegt zum
großen Teil in dem Machtbereich der Großgrundbesitzer. Sie wird auch von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322105"/>
          <fw type="header" place="top"> Innere Kolonisation!</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1523"> Das sind kurz zusammengefaßt die Beobachtungen der Gegenwart und die<lb/>
Lehren der Geschichte. Sie sollten die Grundlage und den Ausgang für alle<lb/>
praktischen Vorschläge zur Bewältigung des Problems der inneren Kolonisation<lb/>
bilden, wenn sie gleich den für die Landwirtschaft brennendsten Teil der Frage,<lb/>
die Landarbeiterfrage, nicht zu berühren scheinen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1524"> In der Landarbeiterfrage vermag ich den Wegen Schleich und anderer<lb/>
hochgeschätzter Mitarbeiter nicht bis zu Ende zu folgen. Wir stehn ihr<lb/>
gewissermaßen mit gebundenen Händen gegenüber. So betrübend die Erscheinung<lb/>
tatsächlich ist, daß wir einer Million Fremder zur Bewältigung unserer<lb/>
wirtschaftlichen Aufgaben bedürfen, hieße es das Land einer gefährlichen<lb/>
Krisis zuführen, wollte man den Zuzug von ausländischen Arbeitern erschweren<lb/>
oder gar unterbinden. Wir brauchen die Fremden, weil wir nicht genug eigne<lb/>
haben, und wenn auch in der Folge dieses Bedürfnisses Verhältnisse entstehen,<lb/>
die zur Unterbietung der Einheimischen durch Fremde führen, so wäre es doch<lb/>
unmöglich, den Hebel an diesem Punkte anzusetzen, weil damit unsere gesamte<lb/>
Wirtschaft gefährdet, unsere Weltstellung in Frage gestellt würde. Vielleicht ließe<lb/>
sich der Zuzug Fremder in Zeiten einer wirtschaftlichen Depression verbieten, unter<lb/>
keinen Umständen jetzt, wo alle Industriezweige durch gute Ernten, allgemeine<lb/>
Steigerung des Weltverkehrs und durch Verstärkung der Rüstungen in allen Staaten<lb/>
einen mächtigen Impuls bekommen haben. Mit den fremden Arbeitern müssen wir<lb/>
zunächst rechnen wie mit einem notwendigen Übel. An diesem Teil der ganzen<lb/>
Frage kann einstweilen nur mit kleinen, den örtlichen Verhältnissen angepaßten<lb/>
Mitteln gearbeitet werden. Das geschieht ja auch. Die große Aufgabe ist,<lb/>
die fremden Arbeiter in Zukunft überflüssig zu machen, indem ihnen eine genügende<lb/>
Zahl eigener Volksgenossen entgegengestellt wird. Darauf muß das Ziel der innern<lb/>
Kolonisation gerichtet sein und in dieser Richtung kann auch etwas geleistet<lb/>
werden, wenn man dem Sehnen der Städter, wieder aufs Land heraus¬<lb/>
zukommen, möglichst Rechnung trägt und alle die Schranken beseitigt, die heute<lb/>
uoch das Sehnen dämpfen. Oder anders ausgedrückt: wenn man sich nicht<lb/>
begnügt, die Frage nur an einem Punkte anzufassen, vielmehr alle Verhältnisse<lb/>
in Land und Stadt und Staat, die sich mit dein Problem berühren, auch zur<lb/>
freien Lösung heranzieht.» »</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1525"> Hiermit komme ich zu praktischen Vorschlägen. Sie liegen in zwei Rich¬<lb/>
tungen: 1. Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem platten Lande und<lb/>
2. möglichste Beseitigung aller in der Gesetzgebung und Verwaltung vorhandenen<lb/>
Hemmungen, die die Ansiedlung von Städtern auf dem Lande ohne Rücksicht<lb/>
auf ihre soziale Stellung und Profession beeinträchtigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1526" next="#ID_1527"> Die Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande liegt zum<lb/>
großen Teil in dem Machtbereich der Großgrundbesitzer.  Sie wird auch von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0358] Innere Kolonisation! Das sind kurz zusammengefaßt die Beobachtungen der Gegenwart und die Lehren der Geschichte. Sie sollten die Grundlage und den Ausgang für alle praktischen Vorschläge zur Bewältigung des Problems der inneren Kolonisation bilden, wenn sie gleich den für die Landwirtschaft brennendsten Teil der Frage, die Landarbeiterfrage, nicht zu berühren scheinen. In der Landarbeiterfrage vermag ich den Wegen Schleich und anderer hochgeschätzter Mitarbeiter nicht bis zu Ende zu folgen. Wir stehn ihr gewissermaßen mit gebundenen Händen gegenüber. So betrübend die Erscheinung tatsächlich ist, daß wir einer Million Fremder zur Bewältigung unserer wirtschaftlichen Aufgaben bedürfen, hieße es das Land einer gefährlichen Krisis zuführen, wollte man den Zuzug von ausländischen Arbeitern erschweren oder gar unterbinden. Wir brauchen die Fremden, weil wir nicht genug eigne haben, und wenn auch in der Folge dieses Bedürfnisses Verhältnisse entstehen, die zur Unterbietung der Einheimischen durch Fremde führen, so wäre es doch unmöglich, den Hebel an diesem Punkte anzusetzen, weil damit unsere gesamte Wirtschaft gefährdet, unsere Weltstellung in Frage gestellt würde. Vielleicht ließe sich der Zuzug Fremder in Zeiten einer wirtschaftlichen Depression verbieten, unter keinen Umständen jetzt, wo alle Industriezweige durch gute Ernten, allgemeine Steigerung des Weltverkehrs und durch Verstärkung der Rüstungen in allen Staaten einen mächtigen Impuls bekommen haben. Mit den fremden Arbeitern müssen wir zunächst rechnen wie mit einem notwendigen Übel. An diesem Teil der ganzen Frage kann einstweilen nur mit kleinen, den örtlichen Verhältnissen angepaßten Mitteln gearbeitet werden. Das geschieht ja auch. Die große Aufgabe ist, die fremden Arbeiter in Zukunft überflüssig zu machen, indem ihnen eine genügende Zahl eigener Volksgenossen entgegengestellt wird. Darauf muß das Ziel der innern Kolonisation gerichtet sein und in dieser Richtung kann auch etwas geleistet werden, wenn man dem Sehnen der Städter, wieder aufs Land heraus¬ zukommen, möglichst Rechnung trägt und alle die Schranken beseitigt, die heute uoch das Sehnen dämpfen. Oder anders ausgedrückt: wenn man sich nicht begnügt, die Frage nur an einem Punkte anzufassen, vielmehr alle Verhältnisse in Land und Stadt und Staat, die sich mit dein Problem berühren, auch zur freien Lösung heranzieht.» » Hiermit komme ich zu praktischen Vorschlägen. Sie liegen in zwei Rich¬ tungen: 1. Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem platten Lande und 2. möglichste Beseitigung aller in der Gesetzgebung und Verwaltung vorhandenen Hemmungen, die die Ansiedlung von Städtern auf dem Lande ohne Rücksicht auf ihre soziale Stellung und Profession beeinträchtigen. Die Steigerung der Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande liegt zum großen Teil in dem Machtbereich der Großgrundbesitzer. Sie wird auch von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/358
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/358>, abgerufen am 24.08.2024.