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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Das Lpos in der Gegenwart

Erzeugnissen und Schätzen ferner Länder Wohlhabenheit und Reichtum ins Reich
tragen, der Industrie Rohstoffe gegen fertige Erzeugnisse vermitteln, dem
Landmann Salpeter bieten, den Ertrag seiner Scholle zu mehren. Daß der
Kaufmann hierbei selbst seine Rechnung findet, wer darf es ihm verargen?

Da Wohlfahrt von Handel und Gewerbe Bedingung und Grundlage für
das Wohlergehen des gesamten deutscheu Volkes ist, dürfen auch ihre vor¬
nehmsten Vertreter im Deutschen Reiche, Hamburg und Bremen, nur von all¬
gemeinen Gesichtspunkten aus behandelt werden.




9as Epos in der Gegenwart )
Dr. Richard Meszlöny Von

le poetischen Gattungen wechseln und lösen sich ab in der Herr¬
schaft, so gut wie Könige, die sterben, und Weltreiche, die ver¬
gehen. Lange Jahrhunderte hindurch, von der Renaissance bis
tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein, galt das Epos als höchster
Gipfel der Dichtkunst. Dante, Tasso, Milton und Voltaire
bedeuteten einst für die Welt, Klopstock für Deutschland lebendige Offenbarungen
der Dichtung, nicht literarhistorische Götzen, die man viel lieber ungeprüft
anerkennt, als zur Hand nimmt. Lessing vertreibt erst das Epos von seinem
Ehrensitz und erobert ihn für das Drama, die gute Wehr: Shakespeare, in der
Hand. Dennoch bleibt das Epos für Goethe und Schiller die heiß umworbene,
einsame Höhe "objektivierter Poesie", wonach alle reife Kunst, die auf Kraft¬
wirkung verzichten darf, allezeit streben wird. Die Romantiker haben das Epos,
wie alles andere, versucht; es ist ihnen, wie vieles andere, mißglückt, worauf
die Jungdeutschen die Epopöe einfach totgesagt haben. Zur Begründung der
Unfähigkeit fan" sich inzwischen ein reichlicher theoretischer Stoff zusammen: aus
der Entstehungshypothese des Epos nach Friedrich August Wolf und aus Hegels
Geschichtskonstruktion hat Friedrich Theodor Fischer jene Auffassung und Wert¬
schätzung der Epopöe abgeleitet, die, oft wiederholt und wenig geprüft, sich
ungefähr bis vor die Tore der Gegenwart hindurchgeschleppt hat.

Das Epos, so hieß es, wäre ein Produkt der Volksseele; es könne nur
in dem einziggearteten "Weltmoment" volklicher Jugendzeit entstehen. Alle
Kunstepen seien zwecklose Neubelebungsversuche eines abgestorbenen Vorbildes



Vgl.: "Erzählung und erzählende Dichtung" von demselben Verfasser, Heft 19 der
Grenzboten.
Das Lpos in der Gegenwart

Erzeugnissen und Schätzen ferner Länder Wohlhabenheit und Reichtum ins Reich
tragen, der Industrie Rohstoffe gegen fertige Erzeugnisse vermitteln, dem
Landmann Salpeter bieten, den Ertrag seiner Scholle zu mehren. Daß der
Kaufmann hierbei selbst seine Rechnung findet, wer darf es ihm verargen?

Da Wohlfahrt von Handel und Gewerbe Bedingung und Grundlage für
das Wohlergehen des gesamten deutscheu Volkes ist, dürfen auch ihre vor¬
nehmsten Vertreter im Deutschen Reiche, Hamburg und Bremen, nur von all¬
gemeinen Gesichtspunkten aus behandelt werden.




9as Epos in der Gegenwart )
Dr. Richard Meszlöny Von

le poetischen Gattungen wechseln und lösen sich ab in der Herr¬
schaft, so gut wie Könige, die sterben, und Weltreiche, die ver¬
gehen. Lange Jahrhunderte hindurch, von der Renaissance bis
tief ins achtzehnte Jahrhundert hinein, galt das Epos als höchster
Gipfel der Dichtkunst. Dante, Tasso, Milton und Voltaire
bedeuteten einst für die Welt, Klopstock für Deutschland lebendige Offenbarungen
der Dichtung, nicht literarhistorische Götzen, die man viel lieber ungeprüft
anerkennt, als zur Hand nimmt. Lessing vertreibt erst das Epos von seinem
Ehrensitz und erobert ihn für das Drama, die gute Wehr: Shakespeare, in der
Hand. Dennoch bleibt das Epos für Goethe und Schiller die heiß umworbene,
einsame Höhe „objektivierter Poesie", wonach alle reife Kunst, die auf Kraft¬
wirkung verzichten darf, allezeit streben wird. Die Romantiker haben das Epos,
wie alles andere, versucht; es ist ihnen, wie vieles andere, mißglückt, worauf
die Jungdeutschen die Epopöe einfach totgesagt haben. Zur Begründung der
Unfähigkeit fan» sich inzwischen ein reichlicher theoretischer Stoff zusammen: aus
der Entstehungshypothese des Epos nach Friedrich August Wolf und aus Hegels
Geschichtskonstruktion hat Friedrich Theodor Fischer jene Auffassung und Wert¬
schätzung der Epopöe abgeleitet, die, oft wiederholt und wenig geprüft, sich
ungefähr bis vor die Tore der Gegenwart hindurchgeschleppt hat.

Das Epos, so hieß es, wäre ein Produkt der Volksseele; es könne nur
in dem einziggearteten „Weltmoment" volklicher Jugendzeit entstehen. Alle
Kunstepen seien zwecklose Neubelebungsversuche eines abgestorbenen Vorbildes



Vgl.: „Erzählung und erzählende Dichtung" von demselben Verfasser, Heft 19 der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/311>, abgerufen am 22.07.2024.