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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Llorentin Rley

Er brachte sie noch bis an die Saaltür und tat ihr das Tuch fest um
die Schultern, das sie bei sich hatte. "Halt dich warm," empfahl er ihr und
sagte ihr heimlich: "Aber wart' bis ich auch da bin. Auf meiner Stube wart'."

Sie antwortete nicht.

"Du," mahnte der Florentin.

Sie hatte die Saaltür schon geöffnet, eine kühle Luft schlug ihr von draußen
entgegen, und das Ja, das sie dann zögernd antwortete, wurde noch von dem
Winde halb gefaßt und verweht, daß es nur ein schlechtes, zagendes Ver¬
sprechen gab.

"So wahr wie --" der Florentin stockte, er fand nicht eben den rechten
Vergleich.

Da blickte sich das Mädchen voll nach ihm um und sagte: "So wahr wie
ich glaube, daß du gleich kommst, Florin."

Nun traten sie auseinander, und eines wußte vom andern, daß sie sich
Wort hielten.

Der Florentin saß im Saal auf der Kante eines Stuhles und wippte
unruhig mit der Lehne. "Er soll fester sitzen," dachte die Regime und trug
ihm Gläser zu; er war erregt, versah sich und trank mehr als ihm gut war.
Die Regime umschlich ihn und hatte Acht auf ihn. Er sollte nicht trunken und
sinnlos werden. Seine Augen sollten nur Glanz haben, daß die Gegenstände
um ihn her, die er mit diesen glänzenden Augen ansah, davon Wiederschein
bekamen und ihm zuleuchteten; das ohnehin leuchtende Haar der Regime aber
sollte ihn blenden, daß er den Weg nach Hause nicht zurückfand um die Stunde
und in der Weise, wie er sichs dachte.

Als er sich dann auf seinem Stuhl festrückte, saß das Wieschen zu Hause
in seiner Stube und wartete auf ihn. Sie war leise eingetreten, um die
Schlafenden oben im Hause nicht zu wecken, hatte die Pforte draußen nur an¬
gelehnt und schlich über die Tenne hinein, weil die Schelle über der Haustür
war. Sie hatte dann die Schelle abgestellt und die Haustür eine Spalte breit
geöffnet für den Eintritt des Florentin. Gleich im Flur war ihr ein Bedenken
gekommen. Sie hatte nach dem Schlüssel zu ihrer Kammer gesucht, wo sie ihm
den Versteck gegeben hatte, dann mit dem Schlüssel in der Hand die Treppe
hinauf gesehen, wo oben ihre Kammer lag -- und war doch schleichend, wie
eine Diebin und Verbrecherin, in die Stube des Kiep gegangen. Nun saß sie
da und wartete, hatte noch den Schlüssel in der Hand, sie wollte ihn wegstecken
in die Tasche ihres Kleides, aber das Kleid war locker genäht und die Tasche
sehlte ihm ganz. So behielt sie den Schlüssel in der Hand.

Wieschen saß mit Herzklopfen, sie war schon oft in dieser Stube gewesen,
hatte wohl mit dem Florentin an seinem Tisch gesessen und zugesehen, wenn
er die Striche zu seinen Zeichnungen machte, hatte mit radiert und geraten.
Sie waren so fein und still miteinander gewesen, daß es war, wenn sie auf¬
standen und aus der Stube gingen, als kämen sie Hand in Hand aus jenen


Die Blumen des Llorentin Rley

Er brachte sie noch bis an die Saaltür und tat ihr das Tuch fest um
die Schultern, das sie bei sich hatte. „Halt dich warm," empfahl er ihr und
sagte ihr heimlich: „Aber wart' bis ich auch da bin. Auf meiner Stube wart'."

Sie antwortete nicht.

„Du," mahnte der Florentin.

Sie hatte die Saaltür schon geöffnet, eine kühle Luft schlug ihr von draußen
entgegen, und das Ja, das sie dann zögernd antwortete, wurde noch von dem
Winde halb gefaßt und verweht, daß es nur ein schlechtes, zagendes Ver¬
sprechen gab.

„So wahr wie —" der Florentin stockte, er fand nicht eben den rechten
Vergleich.

Da blickte sich das Mädchen voll nach ihm um und sagte: „So wahr wie
ich glaube, daß du gleich kommst, Florin."

Nun traten sie auseinander, und eines wußte vom andern, daß sie sich
Wort hielten.

Der Florentin saß im Saal auf der Kante eines Stuhles und wippte
unruhig mit der Lehne. „Er soll fester sitzen," dachte die Regime und trug
ihm Gläser zu; er war erregt, versah sich und trank mehr als ihm gut war.
Die Regime umschlich ihn und hatte Acht auf ihn. Er sollte nicht trunken und
sinnlos werden. Seine Augen sollten nur Glanz haben, daß die Gegenstände
um ihn her, die er mit diesen glänzenden Augen ansah, davon Wiederschein
bekamen und ihm zuleuchteten; das ohnehin leuchtende Haar der Regime aber
sollte ihn blenden, daß er den Weg nach Hause nicht zurückfand um die Stunde
und in der Weise, wie er sichs dachte.

Als er sich dann auf seinem Stuhl festrückte, saß das Wieschen zu Hause
in seiner Stube und wartete auf ihn. Sie war leise eingetreten, um die
Schlafenden oben im Hause nicht zu wecken, hatte die Pforte draußen nur an¬
gelehnt und schlich über die Tenne hinein, weil die Schelle über der Haustür
war. Sie hatte dann die Schelle abgestellt und die Haustür eine Spalte breit
geöffnet für den Eintritt des Florentin. Gleich im Flur war ihr ein Bedenken
gekommen. Sie hatte nach dem Schlüssel zu ihrer Kammer gesucht, wo sie ihm
den Versteck gegeben hatte, dann mit dem Schlüssel in der Hand die Treppe
hinauf gesehen, wo oben ihre Kammer lag — und war doch schleichend, wie
eine Diebin und Verbrecherin, in die Stube des Kiep gegangen. Nun saß sie
da und wartete, hatte noch den Schlüssel in der Hand, sie wollte ihn wegstecken
in die Tasche ihres Kleides, aber das Kleid war locker genäht und die Tasche
sehlte ihm ganz. So behielt sie den Schlüssel in der Hand.

Wieschen saß mit Herzklopfen, sie war schon oft in dieser Stube gewesen,
hatte wohl mit dem Florentin an seinem Tisch gesessen und zugesehen, wenn
er die Striche zu seinen Zeichnungen machte, hatte mit radiert und geraten.
Sie waren so fein und still miteinander gewesen, daß es war, wenn sie auf¬
standen und aus der Stube gingen, als kämen sie Hand in Hand aus jenen


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[0287] Die Blumen des Llorentin Rley Er brachte sie noch bis an die Saaltür und tat ihr das Tuch fest um die Schultern, das sie bei sich hatte. „Halt dich warm," empfahl er ihr und sagte ihr heimlich: „Aber wart' bis ich auch da bin. Auf meiner Stube wart'." Sie antwortete nicht. „Du," mahnte der Florentin. Sie hatte die Saaltür schon geöffnet, eine kühle Luft schlug ihr von draußen entgegen, und das Ja, das sie dann zögernd antwortete, wurde noch von dem Winde halb gefaßt und verweht, daß es nur ein schlechtes, zagendes Ver¬ sprechen gab. „So wahr wie —" der Florentin stockte, er fand nicht eben den rechten Vergleich. Da blickte sich das Mädchen voll nach ihm um und sagte: „So wahr wie ich glaube, daß du gleich kommst, Florin." Nun traten sie auseinander, und eines wußte vom andern, daß sie sich Wort hielten. Der Florentin saß im Saal auf der Kante eines Stuhles und wippte unruhig mit der Lehne. „Er soll fester sitzen," dachte die Regime und trug ihm Gläser zu; er war erregt, versah sich und trank mehr als ihm gut war. Die Regime umschlich ihn und hatte Acht auf ihn. Er sollte nicht trunken und sinnlos werden. Seine Augen sollten nur Glanz haben, daß die Gegenstände um ihn her, die er mit diesen glänzenden Augen ansah, davon Wiederschein bekamen und ihm zuleuchteten; das ohnehin leuchtende Haar der Regime aber sollte ihn blenden, daß er den Weg nach Hause nicht zurückfand um die Stunde und in der Weise, wie er sichs dachte. Als er sich dann auf seinem Stuhl festrückte, saß das Wieschen zu Hause in seiner Stube und wartete auf ihn. Sie war leise eingetreten, um die Schlafenden oben im Hause nicht zu wecken, hatte die Pforte draußen nur an¬ gelehnt und schlich über die Tenne hinein, weil die Schelle über der Haustür war. Sie hatte dann die Schelle abgestellt und die Haustür eine Spalte breit geöffnet für den Eintritt des Florentin. Gleich im Flur war ihr ein Bedenken gekommen. Sie hatte nach dem Schlüssel zu ihrer Kammer gesucht, wo sie ihm den Versteck gegeben hatte, dann mit dem Schlüssel in der Hand die Treppe hinauf gesehen, wo oben ihre Kammer lag — und war doch schleichend, wie eine Diebin und Verbrecherin, in die Stube des Kiep gegangen. Nun saß sie da und wartete, hatte noch den Schlüssel in der Hand, sie wollte ihn wegstecken in die Tasche ihres Kleides, aber das Kleid war locker genäht und die Tasche sehlte ihm ganz. So behielt sie den Schlüssel in der Hand. Wieschen saß mit Herzklopfen, sie war schon oft in dieser Stube gewesen, hatte wohl mit dem Florentin an seinem Tisch gesessen und zugesehen, wenn er die Striche zu seinen Zeichnungen machte, hatte mit radiert und geraten. Sie waren so fein und still miteinander gewesen, daß es war, wenn sie auf¬ standen und aus der Stube gingen, als kämen sie Hand in Hand aus jenen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/287>, abgerufen am 22.07.2024.