Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Die Blumen des Florentin Kiep Gartenanlagen, welche sie gezeichnet hatten. Aber jetzt saß sie mit Angst in der Sie hatte beide Hände geballt im Schoß, die eine um den Schlüssel, Wieschen ging auf Zehenspitzen durch die Stube und stand still vor dem "Sie hat auch nicht stark sein können, ist auch um den Florin schwach ' "Mutter," sagte Wieschen. Sie sagte es zum ersten Male im Leben, es Sie lauschte noch mal und sagte: "Du bist nicht ihr Kindt" . Sie hörte Schritte draußen und streckte die Hände, wie um gegen etwas - Sie hörte die Schritte näher kommen, leise und unsicher, einmal strauchelnd Die Blumen des Florentin Kiep Gartenanlagen, welche sie gezeichnet hatten. Aber jetzt saß sie mit Angst in der Sie hatte beide Hände geballt im Schoß, die eine um den Schlüssel, Wieschen ging auf Zehenspitzen durch die Stube und stand still vor dem „Sie hat auch nicht stark sein können, ist auch um den Florin schwach ' „Mutter," sagte Wieschen. Sie sagte es zum ersten Male im Leben, es Sie lauschte noch mal und sagte: „Du bist nicht ihr Kindt" . Sie hörte Schritte draußen und streckte die Hände, wie um gegen etwas - Sie hörte die Schritte näher kommen, leise und unsicher, einmal strauchelnd <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0288" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322035"/> <fw type="header" place="top"> Die Blumen des Florentin Kiep</fw><lb/> <p xml:id="ID_1192" prev="#ID_1191"> Gartenanlagen, welche sie gezeichnet hatten. Aber jetzt saß sie mit Angst in der<lb/> Seele und wartete auf ihn; sie ängstete sich nicht um sein Kommen, sie wußte,<lb/> er würde kommen und gleich da sein. Aber es fiel ihr ein, wie sie noch nie<lb/> hier hineingegangen war, einschleichender Weise wie heute — und noch nie um<lb/> diese Nachtzeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1193"> Sie hatte beide Hände geballt im Schoß, die eine um den Schlüssel,<lb/> die andere um den Ring geschlossen. Sie hatte die Hand mit dem Ringe<lb/> nicht losgelassen, jetzt kam ihr ein Krampf in die Finger, sie stand auf und<lb/> legte Ring und Schlüssel auf den Tisch. Die beiden Gegenstände glänzten in<lb/> der Mondhelle der Stube. Wieschen stand und starrte darauf hin, als wolle<lb/> sie einen dieser Gegenstände wählen und für sich haben, sie wußte, sie verlor<lb/> den einen, wählte sie den anderen. Aber hatte sie nicht gewählt? Sie hatte<lb/> heute den Ring genommen und den Schlüssel von sich gegeben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1194"> Wieschen ging auf Zehenspitzen durch die Stube und stand still vor dem<lb/> Bilde auf der Kommode. Sie reckte und rieb noch ihre Hände, dann nahm<lb/> sie es auf und sah es an. Es stellte des Florentin Mutter dar, die Mutter<lb/> von jenen Achten, die starke, arbeitsame Frau. Zwischen Bild und Glas war<lb/> ein Efeublatt eingeklemmt, eines von ihrem Grab. Das Bild zeigte die<lb/> Frau in jener letzten Zeit, wo sie sich ausruhte von ihren Achten, sie saß im<lb/> Lehnstuhl, war wie weggerückt von ihrem Platze, wo sie im Leben gestanden.<lb/> Sie saß, wenn auch von Alter gebückt, steif und groß, die Hände über dem<lb/> starken Leib gefaltet, ohne die Arme in die Seiten zu legen, ohne sich anzulehnen.<lb/> Es war, als richte sie die geradeaus sehenden Augen noch auf die Hände ihrer<lb/> Kinder und bewache noch ihr Tun von diesem Platze aus. Aber Wieschen<lb/> sah neben allem her ein Leuchten in diesen Augen, und ein Lächeln ging durch<lb/> die groben Züge, wie es alte ernste Leute haben können, wenn sie ihr jüngstes<lb/> großes Kind ansehen. Es verlor sich fast die Stärke der ganzen Gestalt in<lb/> diesem Lächeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1195"> „Sie hat auch nicht stark sein können, ist auch um den Florin schwach<lb/> gewesen, diese Frau/' dachte Wieschen und stellte das Bild weg. War sie nicht<lb/> wie ein Kind dieser Mutter? War sie nicht aufgewachsen in ihrem Geiste,<lb/> gleichsam nach außen mit Kraft prahlend, aber innen eine Liebe tragend,<lb/> wunderbar reich und schön und sich selbst vergessend in dieser Liebe?</p><lb/> <p xml:id="ID_1196"> ' „Mutter," sagte Wieschen. Sie sagte es zum ersten Male im Leben, es<lb/> klüttg aus ihrer einsamen Seele wie ein Schrei über ein Stück Ödland, kein<lb/> Echo kam, sie lauschte, keine Antwort kam. Da schüttelte sie verneinend den<lb/> Kopf. „Sie ist deine Mutter nicht!"</p><lb/> <p xml:id="ID_1197"> Sie lauschte noch mal und sagte: „Du bist nicht ihr Kindt"</p><lb/> <p xml:id="ID_1198"> . Sie hörte Schritte draußen und streckte die Hände, wie um gegen etwas<lb/> anzugehen: „Du willst ihr Kind nicht sein —"</p><lb/> <p xml:id="ID_1199"> - Sie hörte die Schritte näher kommen, leise und unsicher, einmal strauchelnd<lb/> im Grase der Anweide neben der Straße.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0288]
Die Blumen des Florentin Kiep
Gartenanlagen, welche sie gezeichnet hatten. Aber jetzt saß sie mit Angst in der
Seele und wartete auf ihn; sie ängstete sich nicht um sein Kommen, sie wußte,
er würde kommen und gleich da sein. Aber es fiel ihr ein, wie sie noch nie
hier hineingegangen war, einschleichender Weise wie heute — und noch nie um
diese Nachtzeit.
Sie hatte beide Hände geballt im Schoß, die eine um den Schlüssel,
die andere um den Ring geschlossen. Sie hatte die Hand mit dem Ringe
nicht losgelassen, jetzt kam ihr ein Krampf in die Finger, sie stand auf und
legte Ring und Schlüssel auf den Tisch. Die beiden Gegenstände glänzten in
der Mondhelle der Stube. Wieschen stand und starrte darauf hin, als wolle
sie einen dieser Gegenstände wählen und für sich haben, sie wußte, sie verlor
den einen, wählte sie den anderen. Aber hatte sie nicht gewählt? Sie hatte
heute den Ring genommen und den Schlüssel von sich gegeben.
Wieschen ging auf Zehenspitzen durch die Stube und stand still vor dem
Bilde auf der Kommode. Sie reckte und rieb noch ihre Hände, dann nahm
sie es auf und sah es an. Es stellte des Florentin Mutter dar, die Mutter
von jenen Achten, die starke, arbeitsame Frau. Zwischen Bild und Glas war
ein Efeublatt eingeklemmt, eines von ihrem Grab. Das Bild zeigte die
Frau in jener letzten Zeit, wo sie sich ausruhte von ihren Achten, sie saß im
Lehnstuhl, war wie weggerückt von ihrem Platze, wo sie im Leben gestanden.
Sie saß, wenn auch von Alter gebückt, steif und groß, die Hände über dem
starken Leib gefaltet, ohne die Arme in die Seiten zu legen, ohne sich anzulehnen.
Es war, als richte sie die geradeaus sehenden Augen noch auf die Hände ihrer
Kinder und bewache noch ihr Tun von diesem Platze aus. Aber Wieschen
sah neben allem her ein Leuchten in diesen Augen, und ein Lächeln ging durch
die groben Züge, wie es alte ernste Leute haben können, wenn sie ihr jüngstes
großes Kind ansehen. Es verlor sich fast die Stärke der ganzen Gestalt in
diesem Lächeln.
„Sie hat auch nicht stark sein können, ist auch um den Florin schwach
gewesen, diese Frau/' dachte Wieschen und stellte das Bild weg. War sie nicht
wie ein Kind dieser Mutter? War sie nicht aufgewachsen in ihrem Geiste,
gleichsam nach außen mit Kraft prahlend, aber innen eine Liebe tragend,
wunderbar reich und schön und sich selbst vergessend in dieser Liebe?
' „Mutter," sagte Wieschen. Sie sagte es zum ersten Male im Leben, es
klüttg aus ihrer einsamen Seele wie ein Schrei über ein Stück Ödland, kein
Echo kam, sie lauschte, keine Antwort kam. Da schüttelte sie verneinend den
Kopf. „Sie ist deine Mutter nicht!"
Sie lauschte noch mal und sagte: „Du bist nicht ihr Kindt"
. Sie hörte Schritte draußen und streckte die Hände, wie um gegen etwas
anzugehen: „Du willst ihr Kind nicht sein —"
- Sie hörte die Schritte näher kommen, leise und unsicher, einmal strauchelnd
im Grase der Anweide neben der Straße.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |