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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Dem Florentin wurde heiß im Kopf um sein kaltes Mädchen. "Sie ist
im Stillen anders," antwortete er.

"Du," sagte da die Regime, "dann holte ich mir mein Mädchen auch ins
Stille, wenn es so wär'."

So ging der Abend um. Dem Florentin war der Kopf klar geblieben
von allem Trunk, er vertrug nicht viel und hatte das wenige nur aus Anstand
genommen. Er tanzte selber nicht, freute sich aber, wenn er sein Mädchen mit
roten Backen unter den Tanzenden sah, um der Regime willen. Der Florentin,
von den Burschen angetrieben, tat auch um sein Mädchen eine Runde aus, so
war alles recht und zu Ehre gewesen, als es spät wurde. Wieschen hielt sich
einmal an seiner Hand, ihr war, sie tanze noch, so drehte sie der Schwindel
immerfort um und um.

"Komm," sagte da der Florentin; er sah, daß er das Mädchen quälte
mit dem, was er um der Regime willen von ihr forderte, und es wurde ihm
leid im Augenblick. Er nahm sie zart, doch sie hielt ihn so fest, als fürchte
sie, er würde ihr genommen werden in dieser Stunde aller letzten Entscheidung.
Sie war warm vom Tanzen, und ihr Blut klopfte so ungestüm, als stehe sie
vor verschlossenen Türen und begehre ungeduldig Einlaß. Sie drückte die
Hand, an der sie sich hielt, sie sah das Gesicht des Burschen von gutem, mit¬
leidigen Ausdruck um sie, da schüttelte sie ein Nein mit dem Kopf und sagte
zu ihm: "Es ist nicht schlimm, Florin, ich habe gern getanzt, weil dir's gefiel.
Ich bin dir zu Lieb', Florin."

Sie sah ihn halb strahlend an aus Glück um den Besitz seiner Hand und
doch halb ängstlich aus Furcht, er lasse sie los und sie müsse sich allein zum
Ausgang des Saales zurechtfinden.

Langsam sich durch die Menge bringend, strebten sie diesem Ausgange zu.
Da trat ihnen die Regime entgegen. Sie ging schlendernd mit anderen Mädchen,
kam aber aus der Reihe und stellte sich dem Kiep in den Weg. daß er anhalten
mußte, auch Wieschen, weil sie seine Hand nicht loslassen mochte.

"Warum hält sie dich so fest?" fragte Regime den Kiep wie zum Scherz.
"Hat sie dich nicht sicherer, daß sie dich halten muß?"

Die leichte, lachende Weise, mit der sie sprach, griff ihn fester an als
Wieschens Hand. Er ließ das Mädchen augenblicklich von sich, wie sie ihn
auch halten mochte und antwortete der Regime: "Du magst denn sehen, wie
wir sicher miteinander sind. Geh heim, Wieschen."

Er sprach so streng er konnte mit seiner weichen und meist schüchternen
Stimme, und Wieschen sah zu ihm auf wie in das Glaubenslicht einer bren¬
nenden Kerze. Sie wußte, er wollte der Regime zeigen, wie fest sie sich gehörten.
Es war gut. Sie wollte den großen blinden Glauben zeigen, den er von ihr
verlangte; sie dachte dann, das Spiel sei weniger um die Regime gewagt, als
daß sie beide sich selbst die letzte und schwerste Prüfung setzten.

"Ich gehe, Florin," sagte sie lächelnd.


Dem Florentin wurde heiß im Kopf um sein kaltes Mädchen. „Sie ist
im Stillen anders," antwortete er.

„Du," sagte da die Regime, „dann holte ich mir mein Mädchen auch ins
Stille, wenn es so wär'."

So ging der Abend um. Dem Florentin war der Kopf klar geblieben
von allem Trunk, er vertrug nicht viel und hatte das wenige nur aus Anstand
genommen. Er tanzte selber nicht, freute sich aber, wenn er sein Mädchen mit
roten Backen unter den Tanzenden sah, um der Regime willen. Der Florentin,
von den Burschen angetrieben, tat auch um sein Mädchen eine Runde aus, so
war alles recht und zu Ehre gewesen, als es spät wurde. Wieschen hielt sich
einmal an seiner Hand, ihr war, sie tanze noch, so drehte sie der Schwindel
immerfort um und um.

„Komm," sagte da der Florentin; er sah, daß er das Mädchen quälte
mit dem, was er um der Regime willen von ihr forderte, und es wurde ihm
leid im Augenblick. Er nahm sie zart, doch sie hielt ihn so fest, als fürchte
sie, er würde ihr genommen werden in dieser Stunde aller letzten Entscheidung.
Sie war warm vom Tanzen, und ihr Blut klopfte so ungestüm, als stehe sie
vor verschlossenen Türen und begehre ungeduldig Einlaß. Sie drückte die
Hand, an der sie sich hielt, sie sah das Gesicht des Burschen von gutem, mit¬
leidigen Ausdruck um sie, da schüttelte sie ein Nein mit dem Kopf und sagte
zu ihm: „Es ist nicht schlimm, Florin, ich habe gern getanzt, weil dir's gefiel.
Ich bin dir zu Lieb', Florin."

Sie sah ihn halb strahlend an aus Glück um den Besitz seiner Hand und
doch halb ängstlich aus Furcht, er lasse sie los und sie müsse sich allein zum
Ausgang des Saales zurechtfinden.

Langsam sich durch die Menge bringend, strebten sie diesem Ausgange zu.
Da trat ihnen die Regime entgegen. Sie ging schlendernd mit anderen Mädchen,
kam aber aus der Reihe und stellte sich dem Kiep in den Weg. daß er anhalten
mußte, auch Wieschen, weil sie seine Hand nicht loslassen mochte.

„Warum hält sie dich so fest?" fragte Regime den Kiep wie zum Scherz.
„Hat sie dich nicht sicherer, daß sie dich halten muß?"

Die leichte, lachende Weise, mit der sie sprach, griff ihn fester an als
Wieschens Hand. Er ließ das Mädchen augenblicklich von sich, wie sie ihn
auch halten mochte und antwortete der Regime: „Du magst denn sehen, wie
wir sicher miteinander sind. Geh heim, Wieschen."

Er sprach so streng er konnte mit seiner weichen und meist schüchternen
Stimme, und Wieschen sah zu ihm auf wie in das Glaubenslicht einer bren¬
nenden Kerze. Sie wußte, er wollte der Regime zeigen, wie fest sie sich gehörten.
Es war gut. Sie wollte den großen blinden Glauben zeigen, den er von ihr
verlangte; sie dachte dann, das Spiel sei weniger um die Regime gewagt, als
daß sie beide sich selbst die letzte und schwerste Prüfung setzten.

„Ich gehe, Florin," sagte sie lächelnd.


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[0286] Dem Florentin wurde heiß im Kopf um sein kaltes Mädchen. „Sie ist im Stillen anders," antwortete er. „Du," sagte da die Regime, „dann holte ich mir mein Mädchen auch ins Stille, wenn es so wär'." So ging der Abend um. Dem Florentin war der Kopf klar geblieben von allem Trunk, er vertrug nicht viel und hatte das wenige nur aus Anstand genommen. Er tanzte selber nicht, freute sich aber, wenn er sein Mädchen mit roten Backen unter den Tanzenden sah, um der Regime willen. Der Florentin, von den Burschen angetrieben, tat auch um sein Mädchen eine Runde aus, so war alles recht und zu Ehre gewesen, als es spät wurde. Wieschen hielt sich einmal an seiner Hand, ihr war, sie tanze noch, so drehte sie der Schwindel immerfort um und um. „Komm," sagte da der Florentin; er sah, daß er das Mädchen quälte mit dem, was er um der Regime willen von ihr forderte, und es wurde ihm leid im Augenblick. Er nahm sie zart, doch sie hielt ihn so fest, als fürchte sie, er würde ihr genommen werden in dieser Stunde aller letzten Entscheidung. Sie war warm vom Tanzen, und ihr Blut klopfte so ungestüm, als stehe sie vor verschlossenen Türen und begehre ungeduldig Einlaß. Sie drückte die Hand, an der sie sich hielt, sie sah das Gesicht des Burschen von gutem, mit¬ leidigen Ausdruck um sie, da schüttelte sie ein Nein mit dem Kopf und sagte zu ihm: „Es ist nicht schlimm, Florin, ich habe gern getanzt, weil dir's gefiel. Ich bin dir zu Lieb', Florin." Sie sah ihn halb strahlend an aus Glück um den Besitz seiner Hand und doch halb ängstlich aus Furcht, er lasse sie los und sie müsse sich allein zum Ausgang des Saales zurechtfinden. Langsam sich durch die Menge bringend, strebten sie diesem Ausgange zu. Da trat ihnen die Regime entgegen. Sie ging schlendernd mit anderen Mädchen, kam aber aus der Reihe und stellte sich dem Kiep in den Weg. daß er anhalten mußte, auch Wieschen, weil sie seine Hand nicht loslassen mochte. „Warum hält sie dich so fest?" fragte Regime den Kiep wie zum Scherz. „Hat sie dich nicht sicherer, daß sie dich halten muß?" Die leichte, lachende Weise, mit der sie sprach, griff ihn fester an als Wieschens Hand. Er ließ das Mädchen augenblicklich von sich, wie sie ihn auch halten mochte und antwortete der Regime: „Du magst denn sehen, wie wir sicher miteinander sind. Geh heim, Wieschen." Er sprach so streng er konnte mit seiner weichen und meist schüchternen Stimme, und Wieschen sah zu ihm auf wie in das Glaubenslicht einer bren¬ nenden Kerze. Sie wußte, er wollte der Regime zeigen, wie fest sie sich gehörten. Es war gut. Sie wollte den großen blinden Glauben zeigen, den er von ihr verlangte; sie dachte dann, das Spiel sei weniger um die Regime gewagt, als daß sie beide sich selbst die letzte und schwerste Prüfung setzten. „Ich gehe, Florin," sagte sie lächelnd.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/286>, abgerufen am 03.07.2024.