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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

Wieschen glättete noch das Bett, wo sie gesessen und sich die Schuhe zu¬
gebunden hatte, dann ging sie mit Jelde hinaus. Sie schloß die Kammer zu
und zog den Schlüssel ab, nahm ihn mit sich hinunter und versteckte ihn
unten im Flur. Der Florentin sah ihr dabei zu und befragte sie um dieses
fremde Tun.

"Mir ist," antwortete sie klar, aber ohne ihn anzusehen, "du ließest mich
nicht heim, so wie ich gegangen bin, und ich möchte dann lieber nie wieder
zurück auf meine Mädchenkammer."

Er nahm sie sacht und mit Scheu, um ihr neues Kleid nicht zu ver¬
drucken. Es umgab sie wie eine Wolke, war mit seinen lockeren Stichen nur
wie um sie gelegt und gesteckt, man sah. ein unzarter Griff würde es verreißen
und verderben können. Er nahm sie mit auf seine Stube, legte die Hand unter
ihr Kinn, hob ihren Kopf, daß sie ihn ansehen mußte und antwortete: "Ich
will dir was versprechen, Mädchen I"

Sie öffnete die Lippen wie zu einem Freudeschrei, aber da griff er in die
Tasche und holte heraus, was er eingekauft und zu schenken sich verspart hatte.
Er steckte ihr den schlichten goldenen Trauring an den Finger und sagte: "Die
Ehe versprech' ich dir."

Er sah sie heiß und begehrend an, so, als wünsche er, sie möge aus ihrer
Wolke heraustreten und mit einem Jubel willenlos in seinen Armen sein, aber
er gewahrte, wie sie nur enttäuscht auf den Ring blickte und ihm antwortete:
"Er ist zu groß sür meinen Finger."

Sie schloß die Hand zur Faust, daß ihr der Ring nicht abfallen konnte,
und wie sie so neben dem Burschen zum Fest ausging, sah sie aus, als wolle
sie alles niederdrücken, was gespenstisch vor ihr ausstand, wenn sie den Burschen
ansah.

Sie war dann mit ihm und allen Mädchen und Burschen auf dem Fest,
man sah sie neugierig an, einmal um das an ihr fremde Kleid, einmal um ihren
Brautstand, und zuletzt und zumeist darum, daß sie überhaupt da war.

Die Regime sprang an ihnen vorbei und trug die Gläser aus. Sie ließ
es an nichts fehlen zu ihrem Amt. obgleich sie selber auch zu keinem Tanz
fehlte. Der Florentin trank nicht viel und sprach nur wenig mit der Regime;
er sah nur sein Mädchen an und hatte keinen Wunsch mehr daneben, wenn er
es bedachte. Aber er hatte einen Wunsch um sein Mädchen.

Als er sie einmal auf seinen Schoß niederziehen wollte und sie sich sträubte
mit einem: "Hier doch richti" -- kam die Regime danach wie zufällig vorbei,
als er allein saß und Wieschen tanzte. Sie trug das weiße Kleid mit den
blauen Schleifen, von welchen eine losgerissen war und nur an einem Fädchen
hing, daß es aussah, als sitze ihr ein Vogel auf der Schulter und hüpfe auf
einem Fuß, ungeduldig, zuni Wegfliegen. "Dein Mädchen ist wohl ein Kaltes."
sagte sie. "Hab's gesehen, nicht auf deinen Schoß hat es nieder wollen.
Magste so ein Kaltes denn gern haben?"


Grenzboten III 1912 35
Die Blumen des Florentin Kiep

Wieschen glättete noch das Bett, wo sie gesessen und sich die Schuhe zu¬
gebunden hatte, dann ging sie mit Jelde hinaus. Sie schloß die Kammer zu
und zog den Schlüssel ab, nahm ihn mit sich hinunter und versteckte ihn
unten im Flur. Der Florentin sah ihr dabei zu und befragte sie um dieses
fremde Tun.

„Mir ist," antwortete sie klar, aber ohne ihn anzusehen, „du ließest mich
nicht heim, so wie ich gegangen bin, und ich möchte dann lieber nie wieder
zurück auf meine Mädchenkammer."

Er nahm sie sacht und mit Scheu, um ihr neues Kleid nicht zu ver¬
drucken. Es umgab sie wie eine Wolke, war mit seinen lockeren Stichen nur
wie um sie gelegt und gesteckt, man sah. ein unzarter Griff würde es verreißen
und verderben können. Er nahm sie mit auf seine Stube, legte die Hand unter
ihr Kinn, hob ihren Kopf, daß sie ihn ansehen mußte und antwortete: „Ich
will dir was versprechen, Mädchen I"

Sie öffnete die Lippen wie zu einem Freudeschrei, aber da griff er in die
Tasche und holte heraus, was er eingekauft und zu schenken sich verspart hatte.
Er steckte ihr den schlichten goldenen Trauring an den Finger und sagte: „Die
Ehe versprech' ich dir."

Er sah sie heiß und begehrend an, so, als wünsche er, sie möge aus ihrer
Wolke heraustreten und mit einem Jubel willenlos in seinen Armen sein, aber
er gewahrte, wie sie nur enttäuscht auf den Ring blickte und ihm antwortete:
„Er ist zu groß sür meinen Finger."

Sie schloß die Hand zur Faust, daß ihr der Ring nicht abfallen konnte,
und wie sie so neben dem Burschen zum Fest ausging, sah sie aus, als wolle
sie alles niederdrücken, was gespenstisch vor ihr ausstand, wenn sie den Burschen
ansah.

Sie war dann mit ihm und allen Mädchen und Burschen auf dem Fest,
man sah sie neugierig an, einmal um das an ihr fremde Kleid, einmal um ihren
Brautstand, und zuletzt und zumeist darum, daß sie überhaupt da war.

Die Regime sprang an ihnen vorbei und trug die Gläser aus. Sie ließ
es an nichts fehlen zu ihrem Amt. obgleich sie selber auch zu keinem Tanz
fehlte. Der Florentin trank nicht viel und sprach nur wenig mit der Regime;
er sah nur sein Mädchen an und hatte keinen Wunsch mehr daneben, wenn er
es bedachte. Aber er hatte einen Wunsch um sein Mädchen.

Als er sie einmal auf seinen Schoß niederziehen wollte und sie sich sträubte
mit einem: „Hier doch richti" — kam die Regime danach wie zufällig vorbei,
als er allein saß und Wieschen tanzte. Sie trug das weiße Kleid mit den
blauen Schleifen, von welchen eine losgerissen war und nur an einem Fädchen
hing, daß es aussah, als sitze ihr ein Vogel auf der Schulter und hüpfe auf
einem Fuß, ungeduldig, zuni Wegfliegen. „Dein Mädchen ist wohl ein Kaltes."
sagte sie. „Hab's gesehen, nicht auf deinen Schoß hat es nieder wollen.
Magste so ein Kaltes denn gern haben?"


Grenzboten III 1912 35
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[0285] Die Blumen des Florentin Kiep Wieschen glättete noch das Bett, wo sie gesessen und sich die Schuhe zu¬ gebunden hatte, dann ging sie mit Jelde hinaus. Sie schloß die Kammer zu und zog den Schlüssel ab, nahm ihn mit sich hinunter und versteckte ihn unten im Flur. Der Florentin sah ihr dabei zu und befragte sie um dieses fremde Tun. „Mir ist," antwortete sie klar, aber ohne ihn anzusehen, „du ließest mich nicht heim, so wie ich gegangen bin, und ich möchte dann lieber nie wieder zurück auf meine Mädchenkammer." Er nahm sie sacht und mit Scheu, um ihr neues Kleid nicht zu ver¬ drucken. Es umgab sie wie eine Wolke, war mit seinen lockeren Stichen nur wie um sie gelegt und gesteckt, man sah. ein unzarter Griff würde es verreißen und verderben können. Er nahm sie mit auf seine Stube, legte die Hand unter ihr Kinn, hob ihren Kopf, daß sie ihn ansehen mußte und antwortete: „Ich will dir was versprechen, Mädchen I" Sie öffnete die Lippen wie zu einem Freudeschrei, aber da griff er in die Tasche und holte heraus, was er eingekauft und zu schenken sich verspart hatte. Er steckte ihr den schlichten goldenen Trauring an den Finger und sagte: „Die Ehe versprech' ich dir." Er sah sie heiß und begehrend an, so, als wünsche er, sie möge aus ihrer Wolke heraustreten und mit einem Jubel willenlos in seinen Armen sein, aber er gewahrte, wie sie nur enttäuscht auf den Ring blickte und ihm antwortete: „Er ist zu groß sür meinen Finger." Sie schloß die Hand zur Faust, daß ihr der Ring nicht abfallen konnte, und wie sie so neben dem Burschen zum Fest ausging, sah sie aus, als wolle sie alles niederdrücken, was gespenstisch vor ihr ausstand, wenn sie den Burschen ansah. Sie war dann mit ihm und allen Mädchen und Burschen auf dem Fest, man sah sie neugierig an, einmal um das an ihr fremde Kleid, einmal um ihren Brautstand, und zuletzt und zumeist darum, daß sie überhaupt da war. Die Regime sprang an ihnen vorbei und trug die Gläser aus. Sie ließ es an nichts fehlen zu ihrem Amt. obgleich sie selber auch zu keinem Tanz fehlte. Der Florentin trank nicht viel und sprach nur wenig mit der Regime; er sah nur sein Mädchen an und hatte keinen Wunsch mehr daneben, wenn er es bedachte. Aber er hatte einen Wunsch um sein Mädchen. Als er sie einmal auf seinen Schoß niederziehen wollte und sie sich sträubte mit einem: „Hier doch richti" — kam die Regime danach wie zufällig vorbei, als er allein saß und Wieschen tanzte. Sie trug das weiße Kleid mit den blauen Schleifen, von welchen eine losgerissen war und nur an einem Fädchen hing, daß es aussah, als sitze ihr ein Vogel auf der Schulter und hüpfe auf einem Fuß, ungeduldig, zuni Wegfliegen. „Dein Mädchen ist wohl ein Kaltes." sagte sie. „Hab's gesehen, nicht auf deinen Schoß hat es nieder wollen. Magste so ein Kaltes denn gern haben?" Grenzboten III 1912 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/285>, abgerufen am 03.07.2024.