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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Welt als Asien und Europa

zu entdecken, für die noch so junge, aber schon so schicksalsreiche Rassenforschung.
Ich will nicht behaupten, daß sie nicht zu Wahrheiten gelangt ist oder gelangen
wird; aber wer sie sich zur Lehrmeisterin erwählt, der steht seine Geduld auf
eine harte Probe gestellt, wenn er aus so vielen Widersprüchen den rechten
Spruch herausfinden soll. Und gerade hier sind wir so ungeduldig, die
Wahrheit zu kennen; denn scheinbar zwar handelt es sich nur um graue Theorie,
in Wirklichkeit aber steht ganz etwas anderes und viel Höheres auf Hiezu Spiele
als die Verwandtschaft und Abstammung der Nassen und die natürliche Gliederung
der Menschheit. Diese Wissenschaft fragt nach der Begabung der Völker, nach
ihrer Fähigkeit und Bedeutung als Kulturträger, kurz nach ihrem Werte und
folglich nach unserem eigenen Werte. Es handelt sich darum: wer ist unter
allen an Größe, Stärke, Schönheit, Klugheit, an Sitten, Macht und Mitteln so
verschiedenen Menschenarten der Mensch im höchsten Sinne des Wortes -- in
der Tat eine Wissenschaft, die geeignet ist, Leidenschaften aufzuregen.

Um die Vielheit der Erscheinungen auf Einheiten zurückzuführen, braucht
man bekanntlich ein Einteilungsprinzip, und dies zu finden, ist die große
Schwierigkeit und die lockende Aufgabe der Wissenschaft: so erlebte die Botanik
ihren Triumph, als Linus -- nach vielen vergeblichen Versuchen anderer --
die Pflanzen klassifizierte nach den Geschlechtsorganen.

Es ist noch nicht gar so lange her, daß die Rassenforschung einen ähn¬
lichen Triumph zu erleben glaubte, als man in der Sprache das Mittel fand,
die Zusammengehörigkeit der Völker zu erkennen. Aus dem Nachweise der
Sprachverwandtschaft ergab sich bekanntlich die Völkerfamilie der Indogermanen
oder Arier, und damit glaubte man die große Gruppe der Kulturmenschheit
bezeichnet zu haben, derjenigen Völker, welche am eigentlichen Fortschritt
beteiligt sind. Zwar umfaßte der stolze Begriff Arier ein Gemisch recht
verschiedenartiger Völker, als: Inder, Perser, Griechen, Römer, Romanen,
Slawen, Germanen und noch einige andere; dafür aber wurde die Grenze
der "Menschheit" im höheren Sinne ziemlich weit und weitherzig gezogen; außerhalb
und unterhalb dieser Grenze blieben -- abgesehen von Indianern, Hottentotten
und ähnlichen halbwilden Stämmen -- vor allem die Mongolen und die Se¬
miten mit Einschluß der Juden: Rassen, die es zwar zur Zivilisation, nicht aber
zur eigentlichen Kultur nach Art der Indogermanen hätten bringen können.

Indessen: die Klassifizierung nach den Sprachen konnte nicht lange vorhalten.
Abstammung und Verwandtschaft der Völker ist offenbar eine Angelegenheit der
Naturwissenschaft. Wie bei der übrigen Tierheit mußte man auch bei den
Menschen die Einteilung nach physiologischen Merkmalen vornehmen, wollte
man der Rassenforschung den Rang einer Wissenschaft sichern. Und so trat
man mit ganz neuen Methoden an das Material heran: Schädelindex, Körper¬
größe, Haar- und Augenfarbe hießen jetzt die Kriterien.

Das Ergebnis dieser neuen Orientierung aber ist nun höchst sonderbar:
kulturschaffend find unter allen Menschen nur die Germanen; jedes Volk hat


Die Welt als Asien und Europa

zu entdecken, für die noch so junge, aber schon so schicksalsreiche Rassenforschung.
Ich will nicht behaupten, daß sie nicht zu Wahrheiten gelangt ist oder gelangen
wird; aber wer sie sich zur Lehrmeisterin erwählt, der steht seine Geduld auf
eine harte Probe gestellt, wenn er aus so vielen Widersprüchen den rechten
Spruch herausfinden soll. Und gerade hier sind wir so ungeduldig, die
Wahrheit zu kennen; denn scheinbar zwar handelt es sich nur um graue Theorie,
in Wirklichkeit aber steht ganz etwas anderes und viel Höheres auf Hiezu Spiele
als die Verwandtschaft und Abstammung der Nassen und die natürliche Gliederung
der Menschheit. Diese Wissenschaft fragt nach der Begabung der Völker, nach
ihrer Fähigkeit und Bedeutung als Kulturträger, kurz nach ihrem Werte und
folglich nach unserem eigenen Werte. Es handelt sich darum: wer ist unter
allen an Größe, Stärke, Schönheit, Klugheit, an Sitten, Macht und Mitteln so
verschiedenen Menschenarten der Mensch im höchsten Sinne des Wortes — in
der Tat eine Wissenschaft, die geeignet ist, Leidenschaften aufzuregen.

Um die Vielheit der Erscheinungen auf Einheiten zurückzuführen, braucht
man bekanntlich ein Einteilungsprinzip, und dies zu finden, ist die große
Schwierigkeit und die lockende Aufgabe der Wissenschaft: so erlebte die Botanik
ihren Triumph, als Linus — nach vielen vergeblichen Versuchen anderer —
die Pflanzen klassifizierte nach den Geschlechtsorganen.

Es ist noch nicht gar so lange her, daß die Rassenforschung einen ähn¬
lichen Triumph zu erleben glaubte, als man in der Sprache das Mittel fand,
die Zusammengehörigkeit der Völker zu erkennen. Aus dem Nachweise der
Sprachverwandtschaft ergab sich bekanntlich die Völkerfamilie der Indogermanen
oder Arier, und damit glaubte man die große Gruppe der Kulturmenschheit
bezeichnet zu haben, derjenigen Völker, welche am eigentlichen Fortschritt
beteiligt sind. Zwar umfaßte der stolze Begriff Arier ein Gemisch recht
verschiedenartiger Völker, als: Inder, Perser, Griechen, Römer, Romanen,
Slawen, Germanen und noch einige andere; dafür aber wurde die Grenze
der „Menschheit" im höheren Sinne ziemlich weit und weitherzig gezogen; außerhalb
und unterhalb dieser Grenze blieben — abgesehen von Indianern, Hottentotten
und ähnlichen halbwilden Stämmen — vor allem die Mongolen und die Se¬
miten mit Einschluß der Juden: Rassen, die es zwar zur Zivilisation, nicht aber
zur eigentlichen Kultur nach Art der Indogermanen hätten bringen können.

Indessen: die Klassifizierung nach den Sprachen konnte nicht lange vorhalten.
Abstammung und Verwandtschaft der Völker ist offenbar eine Angelegenheit der
Naturwissenschaft. Wie bei der übrigen Tierheit mußte man auch bei den
Menschen die Einteilung nach physiologischen Merkmalen vornehmen, wollte
man der Rassenforschung den Rang einer Wissenschaft sichern. Und so trat
man mit ganz neuen Methoden an das Material heran: Schädelindex, Körper¬
größe, Haar- und Augenfarbe hießen jetzt die Kriterien.

Das Ergebnis dieser neuen Orientierung aber ist nun höchst sonderbar:
kulturschaffend find unter allen Menschen nur die Germanen; jedes Volk hat


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[0264] Die Welt als Asien und Europa zu entdecken, für die noch so junge, aber schon so schicksalsreiche Rassenforschung. Ich will nicht behaupten, daß sie nicht zu Wahrheiten gelangt ist oder gelangen wird; aber wer sie sich zur Lehrmeisterin erwählt, der steht seine Geduld auf eine harte Probe gestellt, wenn er aus so vielen Widersprüchen den rechten Spruch herausfinden soll. Und gerade hier sind wir so ungeduldig, die Wahrheit zu kennen; denn scheinbar zwar handelt es sich nur um graue Theorie, in Wirklichkeit aber steht ganz etwas anderes und viel Höheres auf Hiezu Spiele als die Verwandtschaft und Abstammung der Nassen und die natürliche Gliederung der Menschheit. Diese Wissenschaft fragt nach der Begabung der Völker, nach ihrer Fähigkeit und Bedeutung als Kulturträger, kurz nach ihrem Werte und folglich nach unserem eigenen Werte. Es handelt sich darum: wer ist unter allen an Größe, Stärke, Schönheit, Klugheit, an Sitten, Macht und Mitteln so verschiedenen Menschenarten der Mensch im höchsten Sinne des Wortes — in der Tat eine Wissenschaft, die geeignet ist, Leidenschaften aufzuregen. Um die Vielheit der Erscheinungen auf Einheiten zurückzuführen, braucht man bekanntlich ein Einteilungsprinzip, und dies zu finden, ist die große Schwierigkeit und die lockende Aufgabe der Wissenschaft: so erlebte die Botanik ihren Triumph, als Linus — nach vielen vergeblichen Versuchen anderer — die Pflanzen klassifizierte nach den Geschlechtsorganen. Es ist noch nicht gar so lange her, daß die Rassenforschung einen ähn¬ lichen Triumph zu erleben glaubte, als man in der Sprache das Mittel fand, die Zusammengehörigkeit der Völker zu erkennen. Aus dem Nachweise der Sprachverwandtschaft ergab sich bekanntlich die Völkerfamilie der Indogermanen oder Arier, und damit glaubte man die große Gruppe der Kulturmenschheit bezeichnet zu haben, derjenigen Völker, welche am eigentlichen Fortschritt beteiligt sind. Zwar umfaßte der stolze Begriff Arier ein Gemisch recht verschiedenartiger Völker, als: Inder, Perser, Griechen, Römer, Romanen, Slawen, Germanen und noch einige andere; dafür aber wurde die Grenze der „Menschheit" im höheren Sinne ziemlich weit und weitherzig gezogen; außerhalb und unterhalb dieser Grenze blieben — abgesehen von Indianern, Hottentotten und ähnlichen halbwilden Stämmen — vor allem die Mongolen und die Se¬ miten mit Einschluß der Juden: Rassen, die es zwar zur Zivilisation, nicht aber zur eigentlichen Kultur nach Art der Indogermanen hätten bringen können. Indessen: die Klassifizierung nach den Sprachen konnte nicht lange vorhalten. Abstammung und Verwandtschaft der Völker ist offenbar eine Angelegenheit der Naturwissenschaft. Wie bei der übrigen Tierheit mußte man auch bei den Menschen die Einteilung nach physiologischen Merkmalen vornehmen, wollte man der Rassenforschung den Rang einer Wissenschaft sichern. Und so trat man mit ganz neuen Methoden an das Material heran: Schädelindex, Körper¬ größe, Haar- und Augenfarbe hießen jetzt die Kriterien. Das Ergebnis dieser neuen Orientierung aber ist nun höchst sonderbar: kulturschaffend find unter allen Menschen nur die Germanen; jedes Volk hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/264>, abgerufen am 22.07.2024.