Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Welt als Asien und Europa

nur dann und nur soviel zur Kultur beigetragen, wenn und in dem Maße
als germanisches Blut eingedrungen ist. Überall auf der Erde glaubt man
ihre Spur gefunden zu haben, und überall will man Leistungen und Fortschritt
auf die Germanen als auf die einzig Schaffenden zurückführen.

Diese Theorie von der Überlegenheit der germanischen Rasse hat von vorn¬
herein den Widerstand aller nichtgermanischen Menschen gegen sich. Denn
welches Volk möchte und könnte einer Lehre zustimmen, nach welcher es sich
selbst als minderwertig einschätzen müßte? Freilich wird man einwerfen: gegen
naturwissenschaftliche Tatsachen lasse sich nicht streiten, und die übrige Menschheit
müsse es mit sich abmachen, wie sie die bewiesene Überlegenheit der Germanen
tragen wolle, es mag ihr nun angenehm oder unangenehm sein. -- Damit
hätte man nun freilich recht, wenn es nicht mit den Beweisen haperte. Bekanntlich
gelten Theorien nicht deshalb, weil sie bewiesen sind; sondern sie kommen auf,
blühen und vergehen, und die Beweise für und wider laufen nebenher. An
der Germanentheorie ist nun eins sehr verdächtig: sie schmeichelt den Germanen,
und also beweist es nichts für ihre Richtigkeit, wenn sie unter diesen begeisterte
Anhänger findet. '

Sollte sie, wie alle Theorien, sich eines Tages überlebt haben, so wird
sie als eines der merkwürdigsten Beispiele menschlicher Irrtümer gelten müssen.
Man bedenke: Bei Indianern, Chinesen, Südseeinsulanern werden blonde
Menschen entdeckt. Offenbar sind nun rein logisch zwei Schlüsse möglich: Ent¬
weder Germanen sind -- in grauer Vorzeit -- nach Amerika, Ostasien, Australien
gelangt und haben sich mit jenen Völkern vermischt; oder die Blondheit (und
welche Kennzeichen man sonst etwa nennt) beweist nichts für germanische
Abstammung. Alle Wahrscheinlichkeit liegt auf feiten der letzten Deutung;
gegen die erste sträubt sich der gesunde Menschenverstand. Aber das Unglaub¬
liche geschieht: die Forschung entscheidet sich für die unmögliche Annahme, die
ihren Anhängern schmeichelt.

Überlassen wir inzwischen die Wissenschaft sich selbst und senden als Laien
unseren Blick über die Menschheit hin. so fallen uns als die gegenwärtig herrschende
und eigentliche Herrenrasse weder Arier noch Germanen auf, sondern eine ganz
andere Völkergruppe, die von der Wissenschaft nicht anerkannt zu sein scheint:
die Europäer.

In der Tat: den Begriff Europäer, der uns geographisch und politisch
so geläufig ist. hat die Kulturforschung offenbar noch nicht entdeckt. Und doch
sollte man meinen, daß er auch in diesem Zusammenhange von Wichtigkeit ist.
Sehen wir uns also diesen Europäer einmal aus der Nähe an.

Heutzutage gilt fast nichts mehr für wissenschaftlich, was nicht natur¬
wissenschaftlich ist und nach naturwissenschaftlichen Methoden bearbeitet werden
kann. So hat sich auch die Wissenschaft von der Menschheit erst dadurch
legitimieren müssen, daß sie ihr Objekt naturwissenschaftlich zu begreifen suchte,


Die Welt als Asien und Europa

nur dann und nur soviel zur Kultur beigetragen, wenn und in dem Maße
als germanisches Blut eingedrungen ist. Überall auf der Erde glaubt man
ihre Spur gefunden zu haben, und überall will man Leistungen und Fortschritt
auf die Germanen als auf die einzig Schaffenden zurückführen.

Diese Theorie von der Überlegenheit der germanischen Rasse hat von vorn¬
herein den Widerstand aller nichtgermanischen Menschen gegen sich. Denn
welches Volk möchte und könnte einer Lehre zustimmen, nach welcher es sich
selbst als minderwertig einschätzen müßte? Freilich wird man einwerfen: gegen
naturwissenschaftliche Tatsachen lasse sich nicht streiten, und die übrige Menschheit
müsse es mit sich abmachen, wie sie die bewiesene Überlegenheit der Germanen
tragen wolle, es mag ihr nun angenehm oder unangenehm sein. — Damit
hätte man nun freilich recht, wenn es nicht mit den Beweisen haperte. Bekanntlich
gelten Theorien nicht deshalb, weil sie bewiesen sind; sondern sie kommen auf,
blühen und vergehen, und die Beweise für und wider laufen nebenher. An
der Germanentheorie ist nun eins sehr verdächtig: sie schmeichelt den Germanen,
und also beweist es nichts für ihre Richtigkeit, wenn sie unter diesen begeisterte
Anhänger findet. '

Sollte sie, wie alle Theorien, sich eines Tages überlebt haben, so wird
sie als eines der merkwürdigsten Beispiele menschlicher Irrtümer gelten müssen.
Man bedenke: Bei Indianern, Chinesen, Südseeinsulanern werden blonde
Menschen entdeckt. Offenbar sind nun rein logisch zwei Schlüsse möglich: Ent¬
weder Germanen sind — in grauer Vorzeit — nach Amerika, Ostasien, Australien
gelangt und haben sich mit jenen Völkern vermischt; oder die Blondheit (und
welche Kennzeichen man sonst etwa nennt) beweist nichts für germanische
Abstammung. Alle Wahrscheinlichkeit liegt auf feiten der letzten Deutung;
gegen die erste sträubt sich der gesunde Menschenverstand. Aber das Unglaub¬
liche geschieht: die Forschung entscheidet sich für die unmögliche Annahme, die
ihren Anhängern schmeichelt.

Überlassen wir inzwischen die Wissenschaft sich selbst und senden als Laien
unseren Blick über die Menschheit hin. so fallen uns als die gegenwärtig herrschende
und eigentliche Herrenrasse weder Arier noch Germanen auf, sondern eine ganz
andere Völkergruppe, die von der Wissenschaft nicht anerkannt zu sein scheint:
die Europäer.

In der Tat: den Begriff Europäer, der uns geographisch und politisch
so geläufig ist. hat die Kulturforschung offenbar noch nicht entdeckt. Und doch
sollte man meinen, daß er auch in diesem Zusammenhange von Wichtigkeit ist.
Sehen wir uns also diesen Europäer einmal aus der Nähe an.

Heutzutage gilt fast nichts mehr für wissenschaftlich, was nicht natur¬
wissenschaftlich ist und nach naturwissenschaftlichen Methoden bearbeitet werden
kann. So hat sich auch die Wissenschaft von der Menschheit erst dadurch
legitimieren müssen, daß sie ihr Objekt naturwissenschaftlich zu begreifen suchte,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/322012"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Welt als Asien und Europa</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1070" prev="#ID_1069"> nur dann und nur soviel zur Kultur beigetragen, wenn und in dem Maße<lb/>
als germanisches Blut eingedrungen ist. Überall auf der Erde glaubt man<lb/>
ihre Spur gefunden zu haben, und überall will man Leistungen und Fortschritt<lb/>
auf die Germanen als auf die einzig Schaffenden zurückführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1071"> Diese Theorie von der Überlegenheit der germanischen Rasse hat von vorn¬<lb/>
herein den Widerstand aller nichtgermanischen Menschen gegen sich. Denn<lb/>
welches Volk möchte und könnte einer Lehre zustimmen, nach welcher es sich<lb/>
selbst als minderwertig einschätzen müßte? Freilich wird man einwerfen: gegen<lb/>
naturwissenschaftliche Tatsachen lasse sich nicht streiten, und die übrige Menschheit<lb/>
müsse es mit sich abmachen, wie sie die bewiesene Überlegenheit der Germanen<lb/>
tragen wolle, es mag ihr nun angenehm oder unangenehm sein. &#x2014; Damit<lb/>
hätte man nun freilich recht, wenn es nicht mit den Beweisen haperte. Bekanntlich<lb/>
gelten Theorien nicht deshalb, weil sie bewiesen sind; sondern sie kommen auf,<lb/>
blühen und vergehen, und die Beweise für und wider laufen nebenher. An<lb/>
der Germanentheorie ist nun eins sehr verdächtig: sie schmeichelt den Germanen,<lb/>
und also beweist es nichts für ihre Richtigkeit, wenn sie unter diesen begeisterte<lb/>
Anhänger findet. '</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1072"> Sollte sie, wie alle Theorien, sich eines Tages überlebt haben, so wird<lb/>
sie als eines der merkwürdigsten Beispiele menschlicher Irrtümer gelten müssen.<lb/>
Man bedenke: Bei Indianern, Chinesen, Südseeinsulanern werden blonde<lb/>
Menschen entdeckt. Offenbar sind nun rein logisch zwei Schlüsse möglich: Ent¬<lb/>
weder Germanen sind &#x2014; in grauer Vorzeit &#x2014; nach Amerika, Ostasien, Australien<lb/>
gelangt und haben sich mit jenen Völkern vermischt; oder die Blondheit (und<lb/>
welche Kennzeichen man sonst etwa nennt) beweist nichts für germanische<lb/>
Abstammung. Alle Wahrscheinlichkeit liegt auf feiten der letzten Deutung;<lb/>
gegen die erste sträubt sich der gesunde Menschenverstand. Aber das Unglaub¬<lb/>
liche geschieht: die Forschung entscheidet sich für die unmögliche Annahme, die<lb/>
ihren Anhängern schmeichelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1073"> Überlassen wir inzwischen die Wissenschaft sich selbst und senden als Laien<lb/>
unseren Blick über die Menschheit hin. so fallen uns als die gegenwärtig herrschende<lb/>
und eigentliche Herrenrasse weder Arier noch Germanen auf, sondern eine ganz<lb/>
andere Völkergruppe, die von der Wissenschaft nicht anerkannt zu sein scheint:<lb/>
die Europäer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> In der Tat: den Begriff Europäer, der uns geographisch und politisch<lb/>
so geläufig ist. hat die Kulturforschung offenbar noch nicht entdeckt. Und doch<lb/>
sollte man meinen, daß er auch in diesem Zusammenhange von Wichtigkeit ist.<lb/>
Sehen wir uns also diesen Europäer einmal aus der Nähe an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075" next="#ID_1076"> Heutzutage gilt fast nichts mehr für wissenschaftlich, was nicht natur¬<lb/>
wissenschaftlich ist und nach naturwissenschaftlichen Methoden bearbeitet werden<lb/>
kann. So hat sich auch die Wissenschaft von der Menschheit erst dadurch<lb/>
legitimieren müssen, daß sie ihr Objekt naturwissenschaftlich zu begreifen suchte,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0265] Die Welt als Asien und Europa nur dann und nur soviel zur Kultur beigetragen, wenn und in dem Maße als germanisches Blut eingedrungen ist. Überall auf der Erde glaubt man ihre Spur gefunden zu haben, und überall will man Leistungen und Fortschritt auf die Germanen als auf die einzig Schaffenden zurückführen. Diese Theorie von der Überlegenheit der germanischen Rasse hat von vorn¬ herein den Widerstand aller nichtgermanischen Menschen gegen sich. Denn welches Volk möchte und könnte einer Lehre zustimmen, nach welcher es sich selbst als minderwertig einschätzen müßte? Freilich wird man einwerfen: gegen naturwissenschaftliche Tatsachen lasse sich nicht streiten, und die übrige Menschheit müsse es mit sich abmachen, wie sie die bewiesene Überlegenheit der Germanen tragen wolle, es mag ihr nun angenehm oder unangenehm sein. — Damit hätte man nun freilich recht, wenn es nicht mit den Beweisen haperte. Bekanntlich gelten Theorien nicht deshalb, weil sie bewiesen sind; sondern sie kommen auf, blühen und vergehen, und die Beweise für und wider laufen nebenher. An der Germanentheorie ist nun eins sehr verdächtig: sie schmeichelt den Germanen, und also beweist es nichts für ihre Richtigkeit, wenn sie unter diesen begeisterte Anhänger findet. ' Sollte sie, wie alle Theorien, sich eines Tages überlebt haben, so wird sie als eines der merkwürdigsten Beispiele menschlicher Irrtümer gelten müssen. Man bedenke: Bei Indianern, Chinesen, Südseeinsulanern werden blonde Menschen entdeckt. Offenbar sind nun rein logisch zwei Schlüsse möglich: Ent¬ weder Germanen sind — in grauer Vorzeit — nach Amerika, Ostasien, Australien gelangt und haben sich mit jenen Völkern vermischt; oder die Blondheit (und welche Kennzeichen man sonst etwa nennt) beweist nichts für germanische Abstammung. Alle Wahrscheinlichkeit liegt auf feiten der letzten Deutung; gegen die erste sträubt sich der gesunde Menschenverstand. Aber das Unglaub¬ liche geschieht: die Forschung entscheidet sich für die unmögliche Annahme, die ihren Anhängern schmeichelt. Überlassen wir inzwischen die Wissenschaft sich selbst und senden als Laien unseren Blick über die Menschheit hin. so fallen uns als die gegenwärtig herrschende und eigentliche Herrenrasse weder Arier noch Germanen auf, sondern eine ganz andere Völkergruppe, die von der Wissenschaft nicht anerkannt zu sein scheint: die Europäer. In der Tat: den Begriff Europäer, der uns geographisch und politisch so geläufig ist. hat die Kulturforschung offenbar noch nicht entdeckt. Und doch sollte man meinen, daß er auch in diesem Zusammenhange von Wichtigkeit ist. Sehen wir uns also diesen Europäer einmal aus der Nähe an. Heutzutage gilt fast nichts mehr für wissenschaftlich, was nicht natur¬ wissenschaftlich ist und nach naturwissenschaftlichen Methoden bearbeitet werden kann. So hat sich auch die Wissenschaft von der Menschheit erst dadurch legitimieren müssen, daß sie ihr Objekt naturwissenschaftlich zu begreifen suchte,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/265
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/265>, abgerufen am 22.07.2024.