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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Duellfrage

meynen, durch Wegverlagerung auf freyen Straßen und Gassen, Ueberfallung
in denen Häusern und Wohnungen, und mit fchimpfflichen Prügeln die Selbst-
Rache zu ergreiffen sich nicht scheuen, auch noch wohl es für eine zugelassene
Sache achten dürften."

So bedenklich solche Exzesse auch waren, so bildeten sie -- aktenmäßig
nachweisbar -- in Wahrheit doch nur eine ziemlich seltene Ausnahme und
fanden dann rücksichtslose Ahndung. Auch das formgerechte Duell war im
entferntesten nicht an der Tagesordnung, und so verblieb es recht und
schlecht noch zwanzig Jahre, bis sich Augustus, genannt der Starke,
des heiligen Römischen Reichs Ertz - Marsch all, Churfürst von Sachsen
und König in Pohlen "aus Landes - Väterlicher Sorgfalt der sonderbaren
Notwendigkeit" dazu berufen fühlte, unter dem unzweideutigen Vor¬
bilde eigener Anstößigkeit und unter dem verständnisvollen, versteckten
Gelächter der in den moralischen Sumpf mithineingezogenen "hohen und nie¬
drigen Hoff- und Kriegs-Offiziers, Bedienten, auch Vasallen und getreuen Unter¬
thanen" von neuem "zu einem erbarm Christlichen stillen und Tugendhaftsten
Leben, wie solches einem rechtschaffenen Mann und Christen-Menschen wohl
anständig, anzumahnen", und mit den berüchtigten Mandaten vom 15. April
1706 und vom 2. Juli 1712 die bisherigen Injurien- und Duellverordnungen
"zu wiederholen und auf gewisse Maaße zu vermehren und zu scharffer." Wir
brauchen uns mit diesen beiden letzten, in den Rahmen unserer Betrachtung
noch hineinfallenden Erlasse nicht näher zu beschäftigen. Abgesehen von der
ausgiebigen Wiedereinführung von Nebenstrafen, wie Einziehung der Güter und
des Amts- oder Chargenverlustes und von neu erfundenen, zum Teil lächer¬
lichen Modalitäten, wie z. B. daß sich der Beleidiger bei der Abbitte selbst
"aufs Maul schlage", steht ihr fortschrittlicher Neuwert im umgekehrten Ver¬
hältnis zu ihrer bis ins Kleinste gehenden, jede mögliche Situation berück¬
sichtigenden Ausführlichkeit. Eines aber soll der Unmoral dieses Selbstherrschers
unvergessen bleiben: daß er den Unglücklichen, die aus lauterem Motiv im ehr¬
lichen Kampfe um ihre persönliche Ehre gefallen, oder um dieses Kampfes willen
mit dem Schwerte gerichtet waren, das ehrliche Begräbnis wieder verweigerte
und sie "außerhalb des Kirchhoffs oder an den Ort, wo die Missethäter hin¬
gelegt werden, durch den Todten-Gräber in der Stille" verscharren, oder --
war es einer "von geringerer Kondition" -- am Galgen aufknüpfen und
daselbst "bis zum Abfall" hängen ließ. Vernahm dieser Fürst schon das
Murren seiner Vasallen, als er am Schlüsse seines Maubads mit höhnenden
Worten verkündete: "Wir wollen auch diejenige, welche, als Leute von einem
eiteln und falschen point ä'tionneur eingenommen und der veritablen Courage
meistens ermangeln, sich unterstehen, über dieses Unser Mandat zu critisiren...
mit ernstlichen Straffen ansehen und belegen lassen" oder kannte dieser Fürst
überhaupt noch das alte stolze Wort seines Vorfahren gleichen Namens: "Es
haben erbare Leute allewege das Leben und die Ehre gleich geachtet und die


Die Duellfrage

meynen, durch Wegverlagerung auf freyen Straßen und Gassen, Ueberfallung
in denen Häusern und Wohnungen, und mit fchimpfflichen Prügeln die Selbst-
Rache zu ergreiffen sich nicht scheuen, auch noch wohl es für eine zugelassene
Sache achten dürften."

So bedenklich solche Exzesse auch waren, so bildeten sie — aktenmäßig
nachweisbar — in Wahrheit doch nur eine ziemlich seltene Ausnahme und
fanden dann rücksichtslose Ahndung. Auch das formgerechte Duell war im
entferntesten nicht an der Tagesordnung, und so verblieb es recht und
schlecht noch zwanzig Jahre, bis sich Augustus, genannt der Starke,
des heiligen Römischen Reichs Ertz - Marsch all, Churfürst von Sachsen
und König in Pohlen „aus Landes - Väterlicher Sorgfalt der sonderbaren
Notwendigkeit" dazu berufen fühlte, unter dem unzweideutigen Vor¬
bilde eigener Anstößigkeit und unter dem verständnisvollen, versteckten
Gelächter der in den moralischen Sumpf mithineingezogenen „hohen und nie¬
drigen Hoff- und Kriegs-Offiziers, Bedienten, auch Vasallen und getreuen Unter¬
thanen" von neuem „zu einem erbarm Christlichen stillen und Tugendhaftsten
Leben, wie solches einem rechtschaffenen Mann und Christen-Menschen wohl
anständig, anzumahnen", und mit den berüchtigten Mandaten vom 15. April
1706 und vom 2. Juli 1712 die bisherigen Injurien- und Duellverordnungen
„zu wiederholen und auf gewisse Maaße zu vermehren und zu scharffer." Wir
brauchen uns mit diesen beiden letzten, in den Rahmen unserer Betrachtung
noch hineinfallenden Erlasse nicht näher zu beschäftigen. Abgesehen von der
ausgiebigen Wiedereinführung von Nebenstrafen, wie Einziehung der Güter und
des Amts- oder Chargenverlustes und von neu erfundenen, zum Teil lächer¬
lichen Modalitäten, wie z. B. daß sich der Beleidiger bei der Abbitte selbst
„aufs Maul schlage", steht ihr fortschrittlicher Neuwert im umgekehrten Ver¬
hältnis zu ihrer bis ins Kleinste gehenden, jede mögliche Situation berück¬
sichtigenden Ausführlichkeit. Eines aber soll der Unmoral dieses Selbstherrschers
unvergessen bleiben: daß er den Unglücklichen, die aus lauterem Motiv im ehr¬
lichen Kampfe um ihre persönliche Ehre gefallen, oder um dieses Kampfes willen
mit dem Schwerte gerichtet waren, das ehrliche Begräbnis wieder verweigerte
und sie „außerhalb des Kirchhoffs oder an den Ort, wo die Missethäter hin¬
gelegt werden, durch den Todten-Gräber in der Stille" verscharren, oder —
war es einer „von geringerer Kondition" — am Galgen aufknüpfen und
daselbst „bis zum Abfall" hängen ließ. Vernahm dieser Fürst schon das
Murren seiner Vasallen, als er am Schlüsse seines Maubads mit höhnenden
Worten verkündete: „Wir wollen auch diejenige, welche, als Leute von einem
eiteln und falschen point ä'tionneur eingenommen und der veritablen Courage
meistens ermangeln, sich unterstehen, über dieses Unser Mandat zu critisiren...
mit ernstlichen Straffen ansehen und belegen lassen" oder kannte dieser Fürst
überhaupt noch das alte stolze Wort seines Vorfahren gleichen Namens: „Es
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[0262] Die Duellfrage meynen, durch Wegverlagerung auf freyen Straßen und Gassen, Ueberfallung in denen Häusern und Wohnungen, und mit fchimpfflichen Prügeln die Selbst- Rache zu ergreiffen sich nicht scheuen, auch noch wohl es für eine zugelassene Sache achten dürften." So bedenklich solche Exzesse auch waren, so bildeten sie — aktenmäßig nachweisbar — in Wahrheit doch nur eine ziemlich seltene Ausnahme und fanden dann rücksichtslose Ahndung. Auch das formgerechte Duell war im entferntesten nicht an der Tagesordnung, und so verblieb es recht und schlecht noch zwanzig Jahre, bis sich Augustus, genannt der Starke, des heiligen Römischen Reichs Ertz - Marsch all, Churfürst von Sachsen und König in Pohlen „aus Landes - Väterlicher Sorgfalt der sonderbaren Notwendigkeit" dazu berufen fühlte, unter dem unzweideutigen Vor¬ bilde eigener Anstößigkeit und unter dem verständnisvollen, versteckten Gelächter der in den moralischen Sumpf mithineingezogenen „hohen und nie¬ drigen Hoff- und Kriegs-Offiziers, Bedienten, auch Vasallen und getreuen Unter¬ thanen" von neuem „zu einem erbarm Christlichen stillen und Tugendhaftsten Leben, wie solches einem rechtschaffenen Mann und Christen-Menschen wohl anständig, anzumahnen", und mit den berüchtigten Mandaten vom 15. April 1706 und vom 2. Juli 1712 die bisherigen Injurien- und Duellverordnungen „zu wiederholen und auf gewisse Maaße zu vermehren und zu scharffer." Wir brauchen uns mit diesen beiden letzten, in den Rahmen unserer Betrachtung noch hineinfallenden Erlasse nicht näher zu beschäftigen. Abgesehen von der ausgiebigen Wiedereinführung von Nebenstrafen, wie Einziehung der Güter und des Amts- oder Chargenverlustes und von neu erfundenen, zum Teil lächer¬ lichen Modalitäten, wie z. B. daß sich der Beleidiger bei der Abbitte selbst „aufs Maul schlage", steht ihr fortschrittlicher Neuwert im umgekehrten Ver¬ hältnis zu ihrer bis ins Kleinste gehenden, jede mögliche Situation berück¬ sichtigenden Ausführlichkeit. Eines aber soll der Unmoral dieses Selbstherrschers unvergessen bleiben: daß er den Unglücklichen, die aus lauterem Motiv im ehr¬ lichen Kampfe um ihre persönliche Ehre gefallen, oder um dieses Kampfes willen mit dem Schwerte gerichtet waren, das ehrliche Begräbnis wieder verweigerte und sie „außerhalb des Kirchhoffs oder an den Ort, wo die Missethäter hin¬ gelegt werden, durch den Todten-Gräber in der Stille" verscharren, oder — war es einer „von geringerer Kondition" — am Galgen aufknüpfen und daselbst „bis zum Abfall" hängen ließ. Vernahm dieser Fürst schon das Murren seiner Vasallen, als er am Schlüsse seines Maubads mit höhnenden Worten verkündete: „Wir wollen auch diejenige, welche, als Leute von einem eiteln und falschen point ä'tionneur eingenommen und der veritablen Courage meistens ermangeln, sich unterstehen, über dieses Unser Mandat zu critisiren... mit ernstlichen Straffen ansehen und belegen lassen" oder kannte dieser Fürst überhaupt noch das alte stolze Wort seines Vorfahren gleichen Namens: „Es haben erbare Leute allewege das Leben und die Ehre gleich geachtet und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/262>, abgerufen am 22.07.2024.