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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

jedoch höhere Fahrgeschwindigkeiten zulassen.
Das ist auch in einigen Großstädten mit Rück¬
sicht darauf, daß das großstädtische Publikum
an der schnelleren Abwicklung des Fuhrwerks¬
betriebs auf den Straßen gewöhnt und mit
dessen Gefahren vertraut ist, geschehen. So
ist in Berlin durch Bekanntmachung des Po¬
lizeipräsidenten vom 31. Mai 1910 die zu¬
lässige Höchstgeschwindigkeit auf 25 Kilometer
für die Stunde erhöht worden. Für Fahrten
außerhalb geschlossener Ortsteile fehlt es an
der Festsetzung von Höchstgeschwindigkeiten.
Die Verordnung beschränkt sich darauf, zu be¬
stimmen, daß auf unübersichtlichen Wegen, nach
Eintritt der Dunkelheit, bei starkem Nebel, beim
Einbiegen aus einer Straße in die andere, bei
Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen,
scharfen Straßenkrümmungen, der Ausfahrt
aus Grundstücken, die an öffentlichen Wegen
liegen und bei der Einfahrt in solche
Grundstücke, bei der Annäherung an Eisen¬
bahnübergänge in Schienenhöhe, ferner beim
Passieren enger Brücken und Tore, schmaler
oder abschüssiger Wege, sowie da, wo die Wirk¬
samkeit der Bremsen durch die Schlüpfrigkeit
des Weges in Frage gestellt ist, endlich überall
da, wo ein lebhafter Verkehr herrscht, so vor¬
sichtig gefahren werden muß, daß das Fahr¬
zeug "sofort" zum Halten gebracht werden kann.

Ob diese gesetzliche Regelung noch dem
gegenwärtigen Stande der Automobiltechnik
und der fortgeschrittenen Gewöhnung des Pu¬
blikums an den Automobilverkehr entspricht,
kann zweifelhaft sein. Die beiden Parteien, der
Automobilfahrer und der Fußgänger, werden
hierüber sicherlich verschiedene Ansichten haben.
Solange diese Bestimmungen aber gelten, kann
man die Automobilisten nicht ernstlich genug
vor deren Übertretung warnen. Wird die ge¬
setzliche Höchstgeschwindigkeit überschritten und
ereignet sich hierdurch ein Unfall, so ist der
Lenker des Automobils dafür strafrechtlich und
zivilrechtlich verantwortlich. Wie das Reichs¬
gericht in einem Urteil vom 23. April 1908
(Rep. VI 299/07) ausgesprochen hat, bezeichnen
die gesetzlichen Höchstgeschwindigkeiten das Min¬
destmaß der Rücksichten auf den Verkehr, die
zu beachten sind. "Sind sie verletzt, dann
steht ein Verschulden fest, daraus, daß sie ein¬
gehalten sind, ergibt sich aber noch nicht, daß
ein solches ausgeschlossen ist."

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Aber nicht nur den Lenker des Kraftwagens
trifft die zivilrechtliche und strafrechtliche Haft¬
barkeit, sondern auch den Eigentümer, der
die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeiten
durch den Chauffeur duldet. So hat kürzlich
das Landgericht in Graudenz in einem durch
Urteil des Reichsgerichts vom 27. Februar 1912
(Rep. XI K83/12) bestätigten Erkenntnis einen
Automobilbesitzcr wegen fahrlässiger Tötung
zu einem Monat Gefängnis verurteilt, ledig¬
lich weil er das zu schnelle Fahren seines
Chauffeurs, das die Tötung eines Menschen
zur Folge hatte, geduldet hat.

Das Reichsgericht hat für die Verantwort¬
lichkeit des Eigentümers eines Kraftwagens
in den: Urteil vom 23. April 1908 (Rep. VI
299/07) folgende Grundsätze aufgestellt:

Der in einem Automobil mitfahrende Eigen¬
tümer hat nicht die Verpflichtung, jederzeit auf
dieLeitung des Automobils durch den Chauffeur
aufzumerken. Aber wenn er wahrnimmt und
nach Maßgabe des Platzes, den er auf dem
Kraftwagen eingenommen hat, wahrnehmen
muß, daß durch die Art, wie der Chauffeur
den Kraftwagen leitet, Gefahr für Dritte ent¬
steht, so ist es ihm zum Verschulden zu¬
zurechnen, wenn er nicht eingreift. . .

Allgemeine Anweisungen, die das eigent¬
lich Technische in der Handhabung des Mecha¬
nismus des Kraftwagens nicht berühren und
in denen der Angestellte dem Willen seines
Dienstherrn sich zu fügen hat, darf und muß
unter Umständen der mitfahrende Besitzer
seinem Chauffeur erteilen. Wie er ihm Ziel
und Richtung der Fahrt vorzuschreiben hat,
so darf er auch innerhalb des Pflichtenkreises,
den die eigene Verantwortung dem geprüften
und konzessionierten Chauffeur zieht, die ein¬
zuhaltende Geschwindigkeit anordnen und muß
dies, wenn er sieht, daß die Maßnahmen des
Chauffeurs für die auf der Fahrstraße ver¬
kehrenden Menschen oder Fuhrwerke gefährlich
zu werden drohen; der angestellte Chauffeur
aber seinerseits ist vermöge seines Dienstver¬
hältnisses dergleichen Weisungen Folge zu
leisten verbunden.

In schroffem Gegensatz zu dieser schweren
Verantwortlichkeit der Automobilbesitzer steht
meist ihre kriminalistische Harmlosigkeit. Die
meisten Automobilbesitzer kümmern sich um
die gesetzlichen Höchstgeschwindigkeiten über-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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jedoch höhere Fahrgeschwindigkeiten zulassen.
Das ist auch in einigen Großstädten mit Rück¬
sicht darauf, daß das großstädtische Publikum
an der schnelleren Abwicklung des Fuhrwerks¬
betriebs auf den Straßen gewöhnt und mit
dessen Gefahren vertraut ist, geschehen. So
ist in Berlin durch Bekanntmachung des Po¬
lizeipräsidenten vom 31. Mai 1910 die zu¬
lässige Höchstgeschwindigkeit auf 25 Kilometer
für die Stunde erhöht worden. Für Fahrten
außerhalb geschlossener Ortsteile fehlt es an
der Festsetzung von Höchstgeschwindigkeiten.
Die Verordnung beschränkt sich darauf, zu be¬
stimmen, daß auf unübersichtlichen Wegen, nach
Eintritt der Dunkelheit, bei starkem Nebel, beim
Einbiegen aus einer Straße in die andere, bei
Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen,
scharfen Straßenkrümmungen, der Ausfahrt
aus Grundstücken, die an öffentlichen Wegen
liegen und bei der Einfahrt in solche
Grundstücke, bei der Annäherung an Eisen¬
bahnübergänge in Schienenhöhe, ferner beim
Passieren enger Brücken und Tore, schmaler
oder abschüssiger Wege, sowie da, wo die Wirk¬
samkeit der Bremsen durch die Schlüpfrigkeit
des Weges in Frage gestellt ist, endlich überall
da, wo ein lebhafter Verkehr herrscht, so vor¬
sichtig gefahren werden muß, daß das Fahr¬
zeug „sofort" zum Halten gebracht werden kann.

Ob diese gesetzliche Regelung noch dem
gegenwärtigen Stande der Automobiltechnik
und der fortgeschrittenen Gewöhnung des Pu¬
blikums an den Automobilverkehr entspricht,
kann zweifelhaft sein. Die beiden Parteien, der
Automobilfahrer und der Fußgänger, werden
hierüber sicherlich verschiedene Ansichten haben.
Solange diese Bestimmungen aber gelten, kann
man die Automobilisten nicht ernstlich genug
vor deren Übertretung warnen. Wird die ge¬
setzliche Höchstgeschwindigkeit überschritten und
ereignet sich hierdurch ein Unfall, so ist der
Lenker des Automobils dafür strafrechtlich und
zivilrechtlich verantwortlich. Wie das Reichs¬
gericht in einem Urteil vom 23. April 1908
(Rep. VI 299/07) ausgesprochen hat, bezeichnen
die gesetzlichen Höchstgeschwindigkeiten das Min¬
destmaß der Rücksichten auf den Verkehr, die
zu beachten sind. „Sind sie verletzt, dann
steht ein Verschulden fest, daraus, daß sie ein¬
gehalten sind, ergibt sich aber noch nicht, daß
ein solches ausgeschlossen ist."

[Spaltenumbruch]

Aber nicht nur den Lenker des Kraftwagens
trifft die zivilrechtliche und strafrechtliche Haft¬
barkeit, sondern auch den Eigentümer, der
die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeiten
durch den Chauffeur duldet. So hat kürzlich
das Landgericht in Graudenz in einem durch
Urteil des Reichsgerichts vom 27. Februar 1912
(Rep. XI K83/12) bestätigten Erkenntnis einen
Automobilbesitzcr wegen fahrlässiger Tötung
zu einem Monat Gefängnis verurteilt, ledig¬
lich weil er das zu schnelle Fahren seines
Chauffeurs, das die Tötung eines Menschen
zur Folge hatte, geduldet hat.

Das Reichsgericht hat für die Verantwort¬
lichkeit des Eigentümers eines Kraftwagens
in den: Urteil vom 23. April 1908 (Rep. VI
299/07) folgende Grundsätze aufgestellt:

Der in einem Automobil mitfahrende Eigen¬
tümer hat nicht die Verpflichtung, jederzeit auf
dieLeitung des Automobils durch den Chauffeur
aufzumerken. Aber wenn er wahrnimmt und
nach Maßgabe des Platzes, den er auf dem
Kraftwagen eingenommen hat, wahrnehmen
muß, daß durch die Art, wie der Chauffeur
den Kraftwagen leitet, Gefahr für Dritte ent¬
steht, so ist es ihm zum Verschulden zu¬
zurechnen, wenn er nicht eingreift. . .

Allgemeine Anweisungen, die das eigent¬
lich Technische in der Handhabung des Mecha¬
nismus des Kraftwagens nicht berühren und
in denen der Angestellte dem Willen seines
Dienstherrn sich zu fügen hat, darf und muß
unter Umständen der mitfahrende Besitzer
seinem Chauffeur erteilen. Wie er ihm Ziel
und Richtung der Fahrt vorzuschreiben hat,
so darf er auch innerhalb des Pflichtenkreises,
den die eigene Verantwortung dem geprüften
und konzessionierten Chauffeur zieht, die ein¬
zuhaltende Geschwindigkeit anordnen und muß
dies, wenn er sieht, daß die Maßnahmen des
Chauffeurs für die auf der Fahrstraße ver¬
kehrenden Menschen oder Fuhrwerke gefährlich
zu werden drohen; der angestellte Chauffeur
aber seinerseits ist vermöge seines Dienstver¬
hältnisses dergleichen Weisungen Folge zu
leisten verbunden.

In schroffem Gegensatz zu dieser schweren
Verantwortlichkeit der Automobilbesitzer steht
meist ihre kriminalistische Harmlosigkeit. Die
meisten Automobilbesitzer kümmern sich um
die gesetzlichen Höchstgeschwindigkeiten über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/242>, abgerufen am 01.07.2024.