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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

Den Linden vor der Nolterschlucht wurden die ersten Blätter gelb; sie waren
wie Flugblätter, mit denen der Herbst seine nahe Herrschaft ansagte.

Der Florentin nahm noch einmal den Weg zur Nolterschlucht und zu
Regime, ein Gang um Ehrlichkeit und Pflicht. Er habe sich jetzt mit dem
Wieschen Maßmann versprochen, sagte er ihr.

"Versprochen?" antwortete Regime. "Das ist noch immer nicht ver¬
heiratet sein."

Was sie meine, fragte der Kiep, als er sah und sich ärgerte, wie das
Mädchen die großen grellen Augen einkniff, den Kopf zurücklegte und ihn
flimmernd anblickte.

Sie meine nichts Böses, sie denke nur an etwas Trauriges, sie
hätte den Kiep als Nachbarn so in ihr Herz genommen, daß sie an seinem
Schicksal Anteil nähme und sie ihm gern ein Leides erspart sähe, in das er
sich nun blindlings und mutwillig wie in eine Gefahr begeben hätte. Ob er
nicht mit demi Wieschen Maßmann in einem Hause wohne, zu manchen Malen
mit ihr zu Tisch säße und nicht höre, wie sie huste? Ob es nicht wäre, als
erzähle sie selber damit von ihrer Eltern frühem Grabe? Es ginge so viel
Reden im Dorf. Sie glaube nicht, sein Mädchen sei stark genug von Gesundheit,
daß sie eine Nacht lustigen Tanzes aushalte, zum Beispiel einen Kirmestanz
in der Nolterschlucht. wie nächster Zeit in Aussicht wäre. Sie spreche aus Güte
für den Kiep.

Der Florentin dachte an den starken Druck von Wieschens Händen; hielt
nicht einer, der seine Innenstärke so zeigte, auch sein Leben an einem festen
Strick? Er antwortete nur: "Am End' reizt es mich nun, auf die Kirmes
zu kommen und dir zu zeigen."

"Komm nur," nickte Regime, und sie hatte erreicht, was sie wollte.

Der Florentin sagte aber doch zu Hause, als er Wieschen husten hörte:
"Du müßtest einmal zum Doktor herein sehen."

Sie blickte ihn erstaunt an. "Wegen dem Husten? Der ist nur noch von
der Verkühlung her. Und wenn erst das stille Sitzen beim Nähen aufhört,
dann wird es recht mit allem. Es nimmt eins das andere bei der Hand."
Aber sie versprach ihm doch ihren Willen zu seinem Wunsch.

Sie hatten ihr Verlöbnis nach ein paar Tagen köstlichen Geheimnisses
laut werden lassen, und man hatte ohne viel Wesens, nur mit ehrlich heiteren
Gesichtern ein stilles, gutes Fest gefeiert. Jelde, die das Mädchen durch die
Liebe des Mannes erhoben sah, umgab sie jetzt mit Achtung und Verehrung.
Es stach Wieschen einmal insgeheim der Gedanke: als du größer gewesen bist
innen, haben sie dich außen für geringer genommen. -- Die Mutter Johanne,
die auch jetzt nicht viel zu sagen wußte, hatte in mütterlicher Gratulation eine
Träne überlaufen lassen, wie sie das Wieschen um ihr Brautsein besah. So
war die Feier still und gut gewesen und paßte sich ganz dem Wesen derer an,
um die sie sich begab.


Die Blumen des Florentin Uley

Den Linden vor der Nolterschlucht wurden die ersten Blätter gelb; sie waren
wie Flugblätter, mit denen der Herbst seine nahe Herrschaft ansagte.

Der Florentin nahm noch einmal den Weg zur Nolterschlucht und zu
Regime, ein Gang um Ehrlichkeit und Pflicht. Er habe sich jetzt mit dem
Wieschen Maßmann versprochen, sagte er ihr.

„Versprochen?" antwortete Regime. „Das ist noch immer nicht ver¬
heiratet sein."

Was sie meine, fragte der Kiep, als er sah und sich ärgerte, wie das
Mädchen die großen grellen Augen einkniff, den Kopf zurücklegte und ihn
flimmernd anblickte.

Sie meine nichts Böses, sie denke nur an etwas Trauriges, sie
hätte den Kiep als Nachbarn so in ihr Herz genommen, daß sie an seinem
Schicksal Anteil nähme und sie ihm gern ein Leides erspart sähe, in das er
sich nun blindlings und mutwillig wie in eine Gefahr begeben hätte. Ob er
nicht mit demi Wieschen Maßmann in einem Hause wohne, zu manchen Malen
mit ihr zu Tisch säße und nicht höre, wie sie huste? Ob es nicht wäre, als
erzähle sie selber damit von ihrer Eltern frühem Grabe? Es ginge so viel
Reden im Dorf. Sie glaube nicht, sein Mädchen sei stark genug von Gesundheit,
daß sie eine Nacht lustigen Tanzes aushalte, zum Beispiel einen Kirmestanz
in der Nolterschlucht. wie nächster Zeit in Aussicht wäre. Sie spreche aus Güte
für den Kiep.

Der Florentin dachte an den starken Druck von Wieschens Händen; hielt
nicht einer, der seine Innenstärke so zeigte, auch sein Leben an einem festen
Strick? Er antwortete nur: „Am End' reizt es mich nun, auf die Kirmes
zu kommen und dir zu zeigen."

„Komm nur," nickte Regime, und sie hatte erreicht, was sie wollte.

Der Florentin sagte aber doch zu Hause, als er Wieschen husten hörte:
„Du müßtest einmal zum Doktor herein sehen."

Sie blickte ihn erstaunt an. „Wegen dem Husten? Der ist nur noch von
der Verkühlung her. Und wenn erst das stille Sitzen beim Nähen aufhört,
dann wird es recht mit allem. Es nimmt eins das andere bei der Hand."
Aber sie versprach ihm doch ihren Willen zu seinem Wunsch.

Sie hatten ihr Verlöbnis nach ein paar Tagen köstlichen Geheimnisses
laut werden lassen, und man hatte ohne viel Wesens, nur mit ehrlich heiteren
Gesichtern ein stilles, gutes Fest gefeiert. Jelde, die das Mädchen durch die
Liebe des Mannes erhoben sah, umgab sie jetzt mit Achtung und Verehrung.
Es stach Wieschen einmal insgeheim der Gedanke: als du größer gewesen bist
innen, haben sie dich außen für geringer genommen. — Die Mutter Johanne,
die auch jetzt nicht viel zu sagen wußte, hatte in mütterlicher Gratulation eine
Träne überlaufen lassen, wie sie das Wieschen um ihr Brautsein besah. So
war die Feier still und gut gewesen und paßte sich ganz dem Wesen derer an,
um die sie sich begab.


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[0234] Die Blumen des Florentin Uley Den Linden vor der Nolterschlucht wurden die ersten Blätter gelb; sie waren wie Flugblätter, mit denen der Herbst seine nahe Herrschaft ansagte. Der Florentin nahm noch einmal den Weg zur Nolterschlucht und zu Regime, ein Gang um Ehrlichkeit und Pflicht. Er habe sich jetzt mit dem Wieschen Maßmann versprochen, sagte er ihr. „Versprochen?" antwortete Regime. „Das ist noch immer nicht ver¬ heiratet sein." Was sie meine, fragte der Kiep, als er sah und sich ärgerte, wie das Mädchen die großen grellen Augen einkniff, den Kopf zurücklegte und ihn flimmernd anblickte. Sie meine nichts Böses, sie denke nur an etwas Trauriges, sie hätte den Kiep als Nachbarn so in ihr Herz genommen, daß sie an seinem Schicksal Anteil nähme und sie ihm gern ein Leides erspart sähe, in das er sich nun blindlings und mutwillig wie in eine Gefahr begeben hätte. Ob er nicht mit demi Wieschen Maßmann in einem Hause wohne, zu manchen Malen mit ihr zu Tisch säße und nicht höre, wie sie huste? Ob es nicht wäre, als erzähle sie selber damit von ihrer Eltern frühem Grabe? Es ginge so viel Reden im Dorf. Sie glaube nicht, sein Mädchen sei stark genug von Gesundheit, daß sie eine Nacht lustigen Tanzes aushalte, zum Beispiel einen Kirmestanz in der Nolterschlucht. wie nächster Zeit in Aussicht wäre. Sie spreche aus Güte für den Kiep. Der Florentin dachte an den starken Druck von Wieschens Händen; hielt nicht einer, der seine Innenstärke so zeigte, auch sein Leben an einem festen Strick? Er antwortete nur: „Am End' reizt es mich nun, auf die Kirmes zu kommen und dir zu zeigen." „Komm nur," nickte Regime, und sie hatte erreicht, was sie wollte. Der Florentin sagte aber doch zu Hause, als er Wieschen husten hörte: „Du müßtest einmal zum Doktor herein sehen." Sie blickte ihn erstaunt an. „Wegen dem Husten? Der ist nur noch von der Verkühlung her. Und wenn erst das stille Sitzen beim Nähen aufhört, dann wird es recht mit allem. Es nimmt eins das andere bei der Hand." Aber sie versprach ihm doch ihren Willen zu seinem Wunsch. Sie hatten ihr Verlöbnis nach ein paar Tagen köstlichen Geheimnisses laut werden lassen, und man hatte ohne viel Wesens, nur mit ehrlich heiteren Gesichtern ein stilles, gutes Fest gefeiert. Jelde, die das Mädchen durch die Liebe des Mannes erhoben sah, umgab sie jetzt mit Achtung und Verehrung. Es stach Wieschen einmal insgeheim der Gedanke: als du größer gewesen bist innen, haben sie dich außen für geringer genommen. — Die Mutter Johanne, die auch jetzt nicht viel zu sagen wußte, hatte in mütterlicher Gratulation eine Träne überlaufen lassen, wie sie das Wieschen um ihr Brautsein besah. So war die Feier still und gut gewesen und paßte sich ganz dem Wesen derer an, um die sie sich begab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/234>, abgerufen am 03.07.2024.