Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Blumen des Florentin Uley

soviel eigene Stärke war. Sie bog dann, die Hand noch in seiner, in der
anderen das Licht, um die Treppe, blieb auf der ersten Stufe stehen und sah
sich nach ihm um. Wie war das doch wunderlich, daß sie jetzt auseinander
gingen, wo sie sich kaum zusammen gefunden hatten! Der Florentin fühlte ein
Zittern in der Hand, die in seiner lag. Wie sie sich ansahen, dachten sie das¬
selbe, und der Florentin neckte das Mädchen, indem er ihre Hand festhielt und
nicht los ließ, als sie ihn darum bat. Sie hatten das Treppengeländer zwischen
sich, es war, als wolle der Bursche Wieschen zu sich herüber ziehen. Aus
dem Necken wurde Ernst, er sagte nichts, aber es lag in dem Festhalten wie
ausgesprochen: dableiben sollte sie! Sie bückte sich zu ihm nieder und küßte
ihn auf das weiche, bastglänzende Haar. Da ließ er sie los. Sie stand noch,
als er langsam von ihr weg in seine Kammer ging, ihr war. sie müsse ihm
nach, sich in seine Hände werfen und noch einmal wie eben mit ihm lachen.
Sie stieg dann hinauf und war fast enttäuscht, daß er sie losgelassen hatte.

Draußen war der Mond aufgegangen, sein Schein fiel in die Stube und
stand wie ein klares weißes Wasser über den Dielen. Wieschen trat an das
Fenster und sah die Blumen auf der Bank stehen. Das Geranium leuchtete im
Mondlicht, so hell war der Glanz über ihm. als sei eine weiße Blume heraus
geblüht. Wieschen bückte sich, sie erfaßte den Topf und hob die Blume zu sich
empor. Die Geranie blühte; Gott! und die Blume war weiß!

"Florin," sagte Wieschen halblaut und wie taumelnd. Er hatte sich in
der Blume verkannt, es war kein Wunder aufgegangen, nur die Natur hatte
das heraus gebracht, was sie in sich getragen hatte.

Wieschen stand mit der Blume an die Brust gelegt, ihr Blick fiel in den
kleinen Wandspiegel über dem Waschtisch, und wie sie sich darin erblickte,
erinnerte sie sich der Worte Jettes: so weiß wie ein Geranium wäre ihr Gesicht.
Sie wußte nun, wie Jelde auf den Vergleich gedacht hatte; denn die Blume
mochte durch ein paar Tage geblüht haben. Wieschen hielt sie so im Arm,
als wachse die Blüte aus ihrem eigenen Herzen; da zuckten ihre Hände, sie
stellte das Geranium weg und dachte: in der Blume hat er sich verkannt, aber
nicht in dir. Du bist nicht so wie die Blume, aus der das Feine herauskommt,
das sie in sich trägt, ob man auch ganz anderes erwartet hat. Du bist gerade
verkehrt mit der Blume, das andere kommt aus dir, mit dem du dich geprahlt
hast, daß es nicht in dir läge. Es kann einmal zugehen, daß der gute Gärtner
sich in der Rinde eines Baumes um den Baum versieht; aber in dir hat der
Florentin sich nicht verkannt. . . .

Sie lag danach in ihrem Bett und ihre Glieder durchlief zuweilen ein
Schauern, aus Glück um die Vereinigung mit dem Geliebten. So liebte sie
ihn, daß sie sich selbst um ihn vergaß. Aber das ganz helle fröhliche Lachen
war von ihrer Freude herunter.




Die Blumen des Florentin Uley

soviel eigene Stärke war. Sie bog dann, die Hand noch in seiner, in der
anderen das Licht, um die Treppe, blieb auf der ersten Stufe stehen und sah
sich nach ihm um. Wie war das doch wunderlich, daß sie jetzt auseinander
gingen, wo sie sich kaum zusammen gefunden hatten! Der Florentin fühlte ein
Zittern in der Hand, die in seiner lag. Wie sie sich ansahen, dachten sie das¬
selbe, und der Florentin neckte das Mädchen, indem er ihre Hand festhielt und
nicht los ließ, als sie ihn darum bat. Sie hatten das Treppengeländer zwischen
sich, es war, als wolle der Bursche Wieschen zu sich herüber ziehen. Aus
dem Necken wurde Ernst, er sagte nichts, aber es lag in dem Festhalten wie
ausgesprochen: dableiben sollte sie! Sie bückte sich zu ihm nieder und küßte
ihn auf das weiche, bastglänzende Haar. Da ließ er sie los. Sie stand noch,
als er langsam von ihr weg in seine Kammer ging, ihr war. sie müsse ihm
nach, sich in seine Hände werfen und noch einmal wie eben mit ihm lachen.
Sie stieg dann hinauf und war fast enttäuscht, daß er sie losgelassen hatte.

Draußen war der Mond aufgegangen, sein Schein fiel in die Stube und
stand wie ein klares weißes Wasser über den Dielen. Wieschen trat an das
Fenster und sah die Blumen auf der Bank stehen. Das Geranium leuchtete im
Mondlicht, so hell war der Glanz über ihm. als sei eine weiße Blume heraus
geblüht. Wieschen bückte sich, sie erfaßte den Topf und hob die Blume zu sich
empor. Die Geranie blühte; Gott! und die Blume war weiß!

„Florin," sagte Wieschen halblaut und wie taumelnd. Er hatte sich in
der Blume verkannt, es war kein Wunder aufgegangen, nur die Natur hatte
das heraus gebracht, was sie in sich getragen hatte.

Wieschen stand mit der Blume an die Brust gelegt, ihr Blick fiel in den
kleinen Wandspiegel über dem Waschtisch, und wie sie sich darin erblickte,
erinnerte sie sich der Worte Jettes: so weiß wie ein Geranium wäre ihr Gesicht.
Sie wußte nun, wie Jelde auf den Vergleich gedacht hatte; denn die Blume
mochte durch ein paar Tage geblüht haben. Wieschen hielt sie so im Arm,
als wachse die Blüte aus ihrem eigenen Herzen; da zuckten ihre Hände, sie
stellte das Geranium weg und dachte: in der Blume hat er sich verkannt, aber
nicht in dir. Du bist nicht so wie die Blume, aus der das Feine herauskommt,
das sie in sich trägt, ob man auch ganz anderes erwartet hat. Du bist gerade
verkehrt mit der Blume, das andere kommt aus dir, mit dem du dich geprahlt
hast, daß es nicht in dir läge. Es kann einmal zugehen, daß der gute Gärtner
sich in der Rinde eines Baumes um den Baum versieht; aber in dir hat der
Florentin sich nicht verkannt. . . .

Sie lag danach in ihrem Bett und ihre Glieder durchlief zuweilen ein
Schauern, aus Glück um die Vereinigung mit dem Geliebten. So liebte sie
ihn, daß sie sich selbst um ihn vergaß. Aber das ganz helle fröhliche Lachen
war von ihrer Freude herunter.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321980"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Blumen des Florentin Uley</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_933" prev="#ID_932"> soviel eigene Stärke war. Sie bog dann, die Hand noch in seiner, in der<lb/>
anderen das Licht, um die Treppe, blieb auf der ersten Stufe stehen und sah<lb/>
sich nach ihm um. Wie war das doch wunderlich, daß sie jetzt auseinander<lb/>
gingen, wo sie sich kaum zusammen gefunden hatten! Der Florentin fühlte ein<lb/>
Zittern in der Hand, die in seiner lag. Wie sie sich ansahen, dachten sie das¬<lb/>
selbe, und der Florentin neckte das Mädchen, indem er ihre Hand festhielt und<lb/>
nicht los ließ, als sie ihn darum bat. Sie hatten das Treppengeländer zwischen<lb/>
sich, es war, als wolle der Bursche Wieschen zu sich herüber ziehen. Aus<lb/>
dem Necken wurde Ernst, er sagte nichts, aber es lag in dem Festhalten wie<lb/>
ausgesprochen: dableiben sollte sie! Sie bückte sich zu ihm nieder und küßte<lb/>
ihn auf das weiche, bastglänzende Haar. Da ließ er sie los. Sie stand noch,<lb/>
als er langsam von ihr weg in seine Kammer ging, ihr war. sie müsse ihm<lb/>
nach, sich in seine Hände werfen und noch einmal wie eben mit ihm lachen.<lb/>
Sie stieg dann hinauf und war fast enttäuscht, daß er sie losgelassen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_934"> Draußen war der Mond aufgegangen, sein Schein fiel in die Stube und<lb/>
stand wie ein klares weißes Wasser über den Dielen. Wieschen trat an das<lb/>
Fenster und sah die Blumen auf der Bank stehen. Das Geranium leuchtete im<lb/>
Mondlicht, so hell war der Glanz über ihm. als sei eine weiße Blume heraus<lb/>
geblüht. Wieschen bückte sich, sie erfaßte den Topf und hob die Blume zu sich<lb/>
empor. Die Geranie blühte; Gott! und die Blume war weiß!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_935"> &#x201E;Florin," sagte Wieschen halblaut und wie taumelnd. Er hatte sich in<lb/>
der Blume verkannt, es war kein Wunder aufgegangen, nur die Natur hatte<lb/>
das heraus gebracht, was sie in sich getragen hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_936"> Wieschen stand mit der Blume an die Brust gelegt, ihr Blick fiel in den<lb/>
kleinen Wandspiegel über dem Waschtisch, und wie sie sich darin erblickte,<lb/>
erinnerte sie sich der Worte Jettes: so weiß wie ein Geranium wäre ihr Gesicht.<lb/>
Sie wußte nun, wie Jelde auf den Vergleich gedacht hatte; denn die Blume<lb/>
mochte durch ein paar Tage geblüht haben. Wieschen hielt sie so im Arm,<lb/>
als wachse die Blüte aus ihrem eigenen Herzen; da zuckten ihre Hände, sie<lb/>
stellte das Geranium weg und dachte: in der Blume hat er sich verkannt, aber<lb/>
nicht in dir. Du bist nicht so wie die Blume, aus der das Feine herauskommt,<lb/>
das sie in sich trägt, ob man auch ganz anderes erwartet hat. Du bist gerade<lb/>
verkehrt mit der Blume, das andere kommt aus dir, mit dem du dich geprahlt<lb/>
hast, daß es nicht in dir läge. Es kann einmal zugehen, daß der gute Gärtner<lb/>
sich in der Rinde eines Baumes um den Baum versieht; aber in dir hat der<lb/>
Florentin sich nicht verkannt. . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_937"> Sie lag danach in ihrem Bett und ihre Glieder durchlief zuweilen ein<lb/>
Schauern, aus Glück um die Vereinigung mit dem Geliebten. So liebte sie<lb/>
ihn, daß sie sich selbst um ihn vergaß. Aber das ganz helle fröhliche Lachen<lb/>
war von ihrer Freude herunter.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] Die Blumen des Florentin Uley soviel eigene Stärke war. Sie bog dann, die Hand noch in seiner, in der anderen das Licht, um die Treppe, blieb auf der ersten Stufe stehen und sah sich nach ihm um. Wie war das doch wunderlich, daß sie jetzt auseinander gingen, wo sie sich kaum zusammen gefunden hatten! Der Florentin fühlte ein Zittern in der Hand, die in seiner lag. Wie sie sich ansahen, dachten sie das¬ selbe, und der Florentin neckte das Mädchen, indem er ihre Hand festhielt und nicht los ließ, als sie ihn darum bat. Sie hatten das Treppengeländer zwischen sich, es war, als wolle der Bursche Wieschen zu sich herüber ziehen. Aus dem Necken wurde Ernst, er sagte nichts, aber es lag in dem Festhalten wie ausgesprochen: dableiben sollte sie! Sie bückte sich zu ihm nieder und küßte ihn auf das weiche, bastglänzende Haar. Da ließ er sie los. Sie stand noch, als er langsam von ihr weg in seine Kammer ging, ihr war. sie müsse ihm nach, sich in seine Hände werfen und noch einmal wie eben mit ihm lachen. Sie stieg dann hinauf und war fast enttäuscht, daß er sie losgelassen hatte. Draußen war der Mond aufgegangen, sein Schein fiel in die Stube und stand wie ein klares weißes Wasser über den Dielen. Wieschen trat an das Fenster und sah die Blumen auf der Bank stehen. Das Geranium leuchtete im Mondlicht, so hell war der Glanz über ihm. als sei eine weiße Blume heraus geblüht. Wieschen bückte sich, sie erfaßte den Topf und hob die Blume zu sich empor. Die Geranie blühte; Gott! und die Blume war weiß! „Florin," sagte Wieschen halblaut und wie taumelnd. Er hatte sich in der Blume verkannt, es war kein Wunder aufgegangen, nur die Natur hatte das heraus gebracht, was sie in sich getragen hatte. Wieschen stand mit der Blume an die Brust gelegt, ihr Blick fiel in den kleinen Wandspiegel über dem Waschtisch, und wie sie sich darin erblickte, erinnerte sie sich der Worte Jettes: so weiß wie ein Geranium wäre ihr Gesicht. Sie wußte nun, wie Jelde auf den Vergleich gedacht hatte; denn die Blume mochte durch ein paar Tage geblüht haben. Wieschen hielt sie so im Arm, als wachse die Blüte aus ihrem eigenen Herzen; da zuckten ihre Hände, sie stellte das Geranium weg und dachte: in der Blume hat er sich verkannt, aber nicht in dir. Du bist nicht so wie die Blume, aus der das Feine herauskommt, das sie in sich trägt, ob man auch ganz anderes erwartet hat. Du bist gerade verkehrt mit der Blume, das andere kommt aus dir, mit dem du dich geprahlt hast, daß es nicht in dir läge. Es kann einmal zugehen, daß der gute Gärtner sich in der Rinde eines Baumes um den Baum versieht; aber in dir hat der Florentin sich nicht verkannt. . . . Sie lag danach in ihrem Bett und ihre Glieder durchlief zuweilen ein Schauern, aus Glück um die Vereinigung mit dem Geliebten. So liebte sie ihn, daß sie sich selbst um ihn vergaß. Aber das ganz helle fröhliche Lachen war von ihrer Freude herunter.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/233>, abgerufen am 03.07.2024.