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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

köstlichem Übermut in ihr. Sie zog den Burschen mit sich die Treppe hinunter,
heimlich um die Hausecke in die Gärtnerei.

Die Lilien waren verblüht, ein paar ihrer Blätter lagen noch verstreut
und waren wie ausgetrunkene Schalen. Aber die Geranienbeete blühten so
rot, als wollten sie um Liebe bluten. Ein schmaler, weißer Wolkenstrich stand
über diesen^ Lande, gegen den Westen hin die Spitze im Sonnenuntergang
gerötet, wie Eisen im Feuer. Die beiden unten gingen wie zusammengeschmiedet.
Sie hielten sich umschlungen, aber wenn eines den Arm locker machte, um ihn
neu zu legen, brauchte keines zu fürchten, den anderen zu verlieren, so gehörten
sie einander. Sie fingen dann an zu reden, keiner zuerst und keiner zuletzt
und so leise, als ständen hundert umher und täten die Ohren so recht zum
Hören auf. Es war halb ein Lachen und halb ein Reden durcheinander, und
dann waren sie still: der Florentin küßte das Mädchen, welches nun seines
war, erst auf die Stirn, weil sie den Kopf auf eine seiner Schultern gelegt
hatte, dann, weil sie ihn höher nahm, auf die Backe, dann, weil sie ihn ganz
hoch hielt, auf den Mund.

"Bist nun meines," sagte er, zog sie enger an sich, und das Ja, das sie
ihm zurückgab, war mehr ein Jubel als irgendein Wort. Sie hatte noch immer
das Lachen in sich, das helle, junge, wie es alle Jugend hatte, und wie es
Wieschen so lange sehlte. Viel Versäumtes lag in der Zeit hinter ihr, weil
sie zu schwer gedacht und zu wenig gelacht hatte.

"Hättest lange meines sein können, wenn nicht alle der Unsinn gewesen
wäre," sagte der Florentin, und Wieschen lachte. Sie gingen die Wege auf
und nieder, bis es so dunkel wurde, daß sie nichts mehr erkannten als eines
das andere in seinem liebgewohnten Gesicht.

"Alle der Unsinn," sagte der Florentin, und Wieschen lachte: "Gott, jat"

Sie gingen dann heim über die Tenne in das Haus, die Mutter Johanne
war noch da und stellte Wieschen die Leuchte zurecht. Sie habe gewartet,
sagte sie gutmütig, Jelde sei schon vorauf, sie habe die Ungeduld bekommen.
Mit einem freundlichen Guteilacht stieg sie ihr nach.

Der Florentin hatte draußen die Tür verriegelt und kam. als das Mädchen
aus der Küchenstube trat und mit der Lampe die Blicke leuchtend durch das
Haus trug. Dieses Haus war ihr noch nie so heimisch erschienen wie heute,
wie dankte sie dem Florentin, daß er ihr die Heimat schenkte, ihr, der Waisen¬
armen. Ihre Hände würden die Arbeit dieses Hauses tragen wie etwas Leichtes
und Glückliches. Sie würde den Kampf das Heim darin erhalten und Jettes
Hand zu fester Freundschaft nehmen. Sie wollte zu aller Glück und so zur
Freude des Burschen leben, daß sie sich selbst um ihn vergaß, daß sie sich
ihren Willen wie einen Wunsch versagte, aus Liebe um ihn. Sie würde das
alles nun können, weil sie warm geworden war in seiner Liebe.

Wieschen bot ihm noch mal den Mund zum Kusse und drückte ihm die
Hand zur Gutenacht, daß er sich immer wunderte, wie in den feinen Fingern


Die Blumen des Florentin Kiep

köstlichem Übermut in ihr. Sie zog den Burschen mit sich die Treppe hinunter,
heimlich um die Hausecke in die Gärtnerei.

Die Lilien waren verblüht, ein paar ihrer Blätter lagen noch verstreut
und waren wie ausgetrunkene Schalen. Aber die Geranienbeete blühten so
rot, als wollten sie um Liebe bluten. Ein schmaler, weißer Wolkenstrich stand
über diesen^ Lande, gegen den Westen hin die Spitze im Sonnenuntergang
gerötet, wie Eisen im Feuer. Die beiden unten gingen wie zusammengeschmiedet.
Sie hielten sich umschlungen, aber wenn eines den Arm locker machte, um ihn
neu zu legen, brauchte keines zu fürchten, den anderen zu verlieren, so gehörten
sie einander. Sie fingen dann an zu reden, keiner zuerst und keiner zuletzt
und so leise, als ständen hundert umher und täten die Ohren so recht zum
Hören auf. Es war halb ein Lachen und halb ein Reden durcheinander, und
dann waren sie still: der Florentin küßte das Mädchen, welches nun seines
war, erst auf die Stirn, weil sie den Kopf auf eine seiner Schultern gelegt
hatte, dann, weil sie ihn höher nahm, auf die Backe, dann, weil sie ihn ganz
hoch hielt, auf den Mund.

„Bist nun meines," sagte er, zog sie enger an sich, und das Ja, das sie
ihm zurückgab, war mehr ein Jubel als irgendein Wort. Sie hatte noch immer
das Lachen in sich, das helle, junge, wie es alle Jugend hatte, und wie es
Wieschen so lange sehlte. Viel Versäumtes lag in der Zeit hinter ihr, weil
sie zu schwer gedacht und zu wenig gelacht hatte.

„Hättest lange meines sein können, wenn nicht alle der Unsinn gewesen
wäre," sagte der Florentin, und Wieschen lachte. Sie gingen die Wege auf
und nieder, bis es so dunkel wurde, daß sie nichts mehr erkannten als eines
das andere in seinem liebgewohnten Gesicht.

„Alle der Unsinn," sagte der Florentin, und Wieschen lachte: „Gott, jat"

Sie gingen dann heim über die Tenne in das Haus, die Mutter Johanne
war noch da und stellte Wieschen die Leuchte zurecht. Sie habe gewartet,
sagte sie gutmütig, Jelde sei schon vorauf, sie habe die Ungeduld bekommen.
Mit einem freundlichen Guteilacht stieg sie ihr nach.

Der Florentin hatte draußen die Tür verriegelt und kam. als das Mädchen
aus der Küchenstube trat und mit der Lampe die Blicke leuchtend durch das
Haus trug. Dieses Haus war ihr noch nie so heimisch erschienen wie heute,
wie dankte sie dem Florentin, daß er ihr die Heimat schenkte, ihr, der Waisen¬
armen. Ihre Hände würden die Arbeit dieses Hauses tragen wie etwas Leichtes
und Glückliches. Sie würde den Kampf das Heim darin erhalten und Jettes
Hand zu fester Freundschaft nehmen. Sie wollte zu aller Glück und so zur
Freude des Burschen leben, daß sie sich selbst um ihn vergaß, daß sie sich
ihren Willen wie einen Wunsch versagte, aus Liebe um ihn. Sie würde das
alles nun können, weil sie warm geworden war in seiner Liebe.

Wieschen bot ihm noch mal den Mund zum Kusse und drückte ihm die
Hand zur Gutenacht, daß er sich immer wunderte, wie in den feinen Fingern


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[0232] Die Blumen des Florentin Kiep köstlichem Übermut in ihr. Sie zog den Burschen mit sich die Treppe hinunter, heimlich um die Hausecke in die Gärtnerei. Die Lilien waren verblüht, ein paar ihrer Blätter lagen noch verstreut und waren wie ausgetrunkene Schalen. Aber die Geranienbeete blühten so rot, als wollten sie um Liebe bluten. Ein schmaler, weißer Wolkenstrich stand über diesen^ Lande, gegen den Westen hin die Spitze im Sonnenuntergang gerötet, wie Eisen im Feuer. Die beiden unten gingen wie zusammengeschmiedet. Sie hielten sich umschlungen, aber wenn eines den Arm locker machte, um ihn neu zu legen, brauchte keines zu fürchten, den anderen zu verlieren, so gehörten sie einander. Sie fingen dann an zu reden, keiner zuerst und keiner zuletzt und so leise, als ständen hundert umher und täten die Ohren so recht zum Hören auf. Es war halb ein Lachen und halb ein Reden durcheinander, und dann waren sie still: der Florentin küßte das Mädchen, welches nun seines war, erst auf die Stirn, weil sie den Kopf auf eine seiner Schultern gelegt hatte, dann, weil sie ihn höher nahm, auf die Backe, dann, weil sie ihn ganz hoch hielt, auf den Mund. „Bist nun meines," sagte er, zog sie enger an sich, und das Ja, das sie ihm zurückgab, war mehr ein Jubel als irgendein Wort. Sie hatte noch immer das Lachen in sich, das helle, junge, wie es alle Jugend hatte, und wie es Wieschen so lange sehlte. Viel Versäumtes lag in der Zeit hinter ihr, weil sie zu schwer gedacht und zu wenig gelacht hatte. „Hättest lange meines sein können, wenn nicht alle der Unsinn gewesen wäre," sagte der Florentin, und Wieschen lachte. Sie gingen die Wege auf und nieder, bis es so dunkel wurde, daß sie nichts mehr erkannten als eines das andere in seinem liebgewohnten Gesicht. „Alle der Unsinn," sagte der Florentin, und Wieschen lachte: „Gott, jat" Sie gingen dann heim über die Tenne in das Haus, die Mutter Johanne war noch da und stellte Wieschen die Leuchte zurecht. Sie habe gewartet, sagte sie gutmütig, Jelde sei schon vorauf, sie habe die Ungeduld bekommen. Mit einem freundlichen Guteilacht stieg sie ihr nach. Der Florentin hatte draußen die Tür verriegelt und kam. als das Mädchen aus der Küchenstube trat und mit der Lampe die Blicke leuchtend durch das Haus trug. Dieses Haus war ihr noch nie so heimisch erschienen wie heute, wie dankte sie dem Florentin, daß er ihr die Heimat schenkte, ihr, der Waisen¬ armen. Ihre Hände würden die Arbeit dieses Hauses tragen wie etwas Leichtes und Glückliches. Sie würde den Kampf das Heim darin erhalten und Jettes Hand zu fester Freundschaft nehmen. Sie wollte zu aller Glück und so zur Freude des Burschen leben, daß sie sich selbst um ihn vergaß, daß sie sich ihren Willen wie einen Wunsch versagte, aus Liebe um ihn. Sie würde das alles nun können, weil sie warm geworden war in seiner Liebe. Wieschen bot ihm noch mal den Mund zum Kusse und drückte ihm die Hand zur Gutenacht, daß er sich immer wunderte, wie in den feinen Fingern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/232>, abgerufen am 03.07.2024.