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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Llorentin Uley

es über die geschorene Hecke. Wieschen zog noch eine der blauen Schleifen
zurecht, und wie sie mahnte, es könne das Kleid an der Hecke zerreißen und
mit lauter Stimme sprechen wollte, kam sie in ein heftiges Husten. "Es ist
immer noch die Verkühlung," entschuldigte sie sich.

Regime stand mit blühenden Backen daneben und sagte ihr ein paar Worte
über die Krankheit und ums Wiedergesundwerden, sie war leichthin mit ihren
Worten, wie sonst auch mit allem. Wieschens Blicke hingen an ihr, suchten
dann den Florentin und sahen auf das Kleid mit den blauen Schleifen. Könnte
sie sich doch ganz weglügen von der Welt, dachte sie, und wie die Regime sein,
heiter und gesund, dem Florin zulieb. Sie ging mit gesenktem Kopf heim und
hörte Regimes Lachen hinter sich.

"Mir ist immer, ich könnte sie wegblasen, die Maßmann, mit einem
einzigen pustenden Atem aus meinem Mund," sagte Regime zum Kiep.

Er wollte ihr das Wort verweisen, griff aber nur in ihren vollen roten
Arm, von dem der Ärmel aufgestreift war. Doch wie ihr Arm zuckte und er
das junge Leben darin spürte, welches so stark war, als könne es die Welt an
sich reißen und so den Kiep im Spiele mit gewinnen, hielt er sie nur eine
Weile fest und sah sie solange an, bis ihm das Wieschen einfiel und er sie losließ.

Er dachte an Wieschen, und es kam ihm zu glauben in den Sinn, daß
sie ihn mit ihrem Zögern zum Narren hielt. Warum machte er nicht kurzweg
ein Ende? Wie ein Mädchennarre stand er vor der Regime. Er würde sich
das Wieschen langen, heute noch, wenn er heim war.

Sein Gesicht war rot und erregt, als er abends aus der Nolterschlucht
kam. Wieschen saß auf der Treppe seines Hauses, wo die blaßroten Hortensien
standen. Sie kam dem Burschen entgegen und zeigte mit der Hand nach dem
Himmel, der voll von schneeweißen Lämmerwölkchen war und nur so viel Blau
frei hatte, wie es an Breite und Länge für ein Band zu binden gebrauchte.
"Sieht es nicht aus wie der Regime ihr Kleid?" fragte sie. Ihre blassen Lippen
mit den Hautfetzen zuckten. Sie hatte die Sehnsucht, ein solches Kleid zu haben,
um sich damit antun zu können, und wäre es zum Tanz, nur um dem Geliebten
zu gefallen.

Als er ihre Unruhe sah, wurde er ruhiger. Sie standen noch zögernd
auf der Haustreppe und blickten über den Garten hinaus. Es war ein schöner
Abend, das Dorf war friedenssatt, es konnte sich nicht darum kümmern, wo
eine einzelne von seinen Seelen in Unrast war und seine Bäume nicht nach
ihren Stürmen biegen. Die Berge standen rund und ruhig, wie Glocken
nach dem Abendländer. Es war, als schwinge von diesem stumm gewordenen
Läuten noch ein Ton durch alle Luft wie ein Flügel, welcher die Seelen ein¬
ander zuträge.

"Florin." sagte Wieschen und griff nach seiner Hand. Sie war jetzt zum
Lachen glücklich, daß er wiedergekommen war, von daher, wo das schönere und
gefälligere Mädchen um ihn warb. Das Lachen wurde zum seltenen, kindlich


Die Blumen des Llorentin Uley

es über die geschorene Hecke. Wieschen zog noch eine der blauen Schleifen
zurecht, und wie sie mahnte, es könne das Kleid an der Hecke zerreißen und
mit lauter Stimme sprechen wollte, kam sie in ein heftiges Husten. „Es ist
immer noch die Verkühlung," entschuldigte sie sich.

Regime stand mit blühenden Backen daneben und sagte ihr ein paar Worte
über die Krankheit und ums Wiedergesundwerden, sie war leichthin mit ihren
Worten, wie sonst auch mit allem. Wieschens Blicke hingen an ihr, suchten
dann den Florentin und sahen auf das Kleid mit den blauen Schleifen. Könnte
sie sich doch ganz weglügen von der Welt, dachte sie, und wie die Regime sein,
heiter und gesund, dem Florin zulieb. Sie ging mit gesenktem Kopf heim und
hörte Regimes Lachen hinter sich.

„Mir ist immer, ich könnte sie wegblasen, die Maßmann, mit einem
einzigen pustenden Atem aus meinem Mund," sagte Regime zum Kiep.

Er wollte ihr das Wort verweisen, griff aber nur in ihren vollen roten
Arm, von dem der Ärmel aufgestreift war. Doch wie ihr Arm zuckte und er
das junge Leben darin spürte, welches so stark war, als könne es die Welt an
sich reißen und so den Kiep im Spiele mit gewinnen, hielt er sie nur eine
Weile fest und sah sie solange an, bis ihm das Wieschen einfiel und er sie losließ.

Er dachte an Wieschen, und es kam ihm zu glauben in den Sinn, daß
sie ihn mit ihrem Zögern zum Narren hielt. Warum machte er nicht kurzweg
ein Ende? Wie ein Mädchennarre stand er vor der Regime. Er würde sich
das Wieschen langen, heute noch, wenn er heim war.

Sein Gesicht war rot und erregt, als er abends aus der Nolterschlucht
kam. Wieschen saß auf der Treppe seines Hauses, wo die blaßroten Hortensien
standen. Sie kam dem Burschen entgegen und zeigte mit der Hand nach dem
Himmel, der voll von schneeweißen Lämmerwölkchen war und nur so viel Blau
frei hatte, wie es an Breite und Länge für ein Band zu binden gebrauchte.
„Sieht es nicht aus wie der Regime ihr Kleid?" fragte sie. Ihre blassen Lippen
mit den Hautfetzen zuckten. Sie hatte die Sehnsucht, ein solches Kleid zu haben,
um sich damit antun zu können, und wäre es zum Tanz, nur um dem Geliebten
zu gefallen.

Als er ihre Unruhe sah, wurde er ruhiger. Sie standen noch zögernd
auf der Haustreppe und blickten über den Garten hinaus. Es war ein schöner
Abend, das Dorf war friedenssatt, es konnte sich nicht darum kümmern, wo
eine einzelne von seinen Seelen in Unrast war und seine Bäume nicht nach
ihren Stürmen biegen. Die Berge standen rund und ruhig, wie Glocken
nach dem Abendländer. Es war, als schwinge von diesem stumm gewordenen
Läuten noch ein Ton durch alle Luft wie ein Flügel, welcher die Seelen ein¬
ander zuträge.

„Florin." sagte Wieschen und griff nach seiner Hand. Sie war jetzt zum
Lachen glücklich, daß er wiedergekommen war, von daher, wo das schönere und
gefälligere Mädchen um ihn warb. Das Lachen wurde zum seltenen, kindlich


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[0231] Die Blumen des Llorentin Uley es über die geschorene Hecke. Wieschen zog noch eine der blauen Schleifen zurecht, und wie sie mahnte, es könne das Kleid an der Hecke zerreißen und mit lauter Stimme sprechen wollte, kam sie in ein heftiges Husten. „Es ist immer noch die Verkühlung," entschuldigte sie sich. Regime stand mit blühenden Backen daneben und sagte ihr ein paar Worte über die Krankheit und ums Wiedergesundwerden, sie war leichthin mit ihren Worten, wie sonst auch mit allem. Wieschens Blicke hingen an ihr, suchten dann den Florentin und sahen auf das Kleid mit den blauen Schleifen. Könnte sie sich doch ganz weglügen von der Welt, dachte sie, und wie die Regime sein, heiter und gesund, dem Florin zulieb. Sie ging mit gesenktem Kopf heim und hörte Regimes Lachen hinter sich. „Mir ist immer, ich könnte sie wegblasen, die Maßmann, mit einem einzigen pustenden Atem aus meinem Mund," sagte Regime zum Kiep. Er wollte ihr das Wort verweisen, griff aber nur in ihren vollen roten Arm, von dem der Ärmel aufgestreift war. Doch wie ihr Arm zuckte und er das junge Leben darin spürte, welches so stark war, als könne es die Welt an sich reißen und so den Kiep im Spiele mit gewinnen, hielt er sie nur eine Weile fest und sah sie solange an, bis ihm das Wieschen einfiel und er sie losließ. Er dachte an Wieschen, und es kam ihm zu glauben in den Sinn, daß sie ihn mit ihrem Zögern zum Narren hielt. Warum machte er nicht kurzweg ein Ende? Wie ein Mädchennarre stand er vor der Regime. Er würde sich das Wieschen langen, heute noch, wenn er heim war. Sein Gesicht war rot und erregt, als er abends aus der Nolterschlucht kam. Wieschen saß auf der Treppe seines Hauses, wo die blaßroten Hortensien standen. Sie kam dem Burschen entgegen und zeigte mit der Hand nach dem Himmel, der voll von schneeweißen Lämmerwölkchen war und nur so viel Blau frei hatte, wie es an Breite und Länge für ein Band zu binden gebrauchte. „Sieht es nicht aus wie der Regime ihr Kleid?" fragte sie. Ihre blassen Lippen mit den Hautfetzen zuckten. Sie hatte die Sehnsucht, ein solches Kleid zu haben, um sich damit antun zu können, und wäre es zum Tanz, nur um dem Geliebten zu gefallen. Als er ihre Unruhe sah, wurde er ruhiger. Sie standen noch zögernd auf der Haustreppe und blickten über den Garten hinaus. Es war ein schöner Abend, das Dorf war friedenssatt, es konnte sich nicht darum kümmern, wo eine einzelne von seinen Seelen in Unrast war und seine Bäume nicht nach ihren Stürmen biegen. Die Berge standen rund und ruhig, wie Glocken nach dem Abendländer. Es war, als schwinge von diesem stumm gewordenen Läuten noch ein Ton durch alle Luft wie ein Flügel, welcher die Seelen ein¬ ander zuträge. „Florin." sagte Wieschen und griff nach seiner Hand. Sie war jetzt zum Lachen glücklich, daß er wiedergekommen war, von daher, wo das schönere und gefälligere Mädchen um ihn warb. Das Lachen wurde zum seltenen, kindlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/231>, abgerufen am 01.07.2024.