Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
An der Viege des Königreichs Rumänien

Osten und um so mehr der Fall, als nicht er, sondern der Baron Koller den Auftrag erhalten
hatte, dem Sultan die Jnsignien des Stephanordens zu überbringen.




So verzögerte sich unter dem Laufe von Intrigen aller Art der Abschluß des Entwurfs
des Firmcms bis in das nächste Jahr hinein, während dessen die Kommissäre völlig
beschäftigungslos und höchstens als Zeugen der eigentümlichen Vorgänge in Konstantinopel zu
weilen hatten. Mehr als einmal schien es, als werde es überhaupt nicht zu der Konvokation
der Diwans kommen."

Unter dem 17. September schreibt Richthofeu an den König:

"Weder meine eigenen Unterhaltungen, noch die Mitteilungen meiner
Kollegen haben mich instant gesetzt, zu einem nur einigermaßen sicheren Urteil
darüber zu gelangen, was man englischerseits eigentlich beabsichtigt. In seiner
(Bulwers) schriftlichen Instruktion befindet sich -- er hat den betreffenden Satz
wörtlich dem russischen Kommissär Mr. Basily vorgelesen -- die Anweisung,
den freien Ausdruck der Wünsche der Diwans act lion über die Unionssrage
zu unterstützen, allein Mr. Bulwer hat dabei hinzugefügt, es komme nicht darauf
an, was in seiner Instruktion stehe; Sir H. Bulwer bewegt sich in den größten
Widersprüchen und in den eigentümlichsten Auffassungen in bezug auf die Aus¬
führung der Kommissionsarbeiten, die er nach Art der Geschäftsbehandlung in
dem englischen Unterhause zu handhaben empfiehlt, und will namentlich damit
anfangen, sich von dem Kongreß zu Paris zunächst eine Art Sprecher, einen
Unparteiischen zu erbitten, der die Arbeiten der Kommission, wenn nicht leitet,
so doch diszipliniert. Alle diese Äußerungen sind jedoch so vage, daß es schwer
ist, sich eine deutliche Idee von seinen Ansichten zu machen. Nur über einen
Punkt ist er vollkommen klar, nämlich daß er ein durchaus unabhängiger vor¬
nehmer Mann ist, und daß es ihm, vermöge seines höheren Ranges, gebührt,
eine hervorragende Stellung in der Kommission einzunehmen. Dabei ist er sehr
kränklich und setzt sich vielleicht infolgedessen, ohne es zu wollen, über die
gewöhnlichsten konventionellen Rücksichten hinweg. Derselbe hat übrigens in
dieser Hinsicht bereits einen europäischen Ruf. Nach seinen: bisherigen Auf¬
treten zu schließen, ist zu erwarten, daß seine diplomatische Tätigkeit bei der
Kommission denselben Charakter tragen wird, den sie anderweit, namentlich in
Spanien gehabt hat. nämlich die Dinge mehr zu verwickeln, als zu ihrer Lösung
mitzuwirken, und da seine Regierung ihn von dieser Seite mehr als hinreichend
kennt, so ist auch anzunehmen, daß sie ihn gewählt habe eben um dieses Zweckes
willen, besonders nachdem, wie es sich immer unzweifelhafter herausstellt, die
englische Regierung nunmehr die bisherige Privatpolitik ihres Botschafters
Lord Stratford Canning über die Unionsfrage ihrer früheren Auffassung ent-
gegen zu der ihrigen gemacht hat und sie ihren Rückzug von den Stipulationen
des Pariser Friedens durch die vorgedachten Eigenschaften ihres Diplomaten
verdecken will.

Der Natur der Sache nach hat sich bis jetzt die ganze Tätigkeit der
Kommissiousmitglieder darauf beschränken müssen, sich gegenseitig kennen zu


An der Viege des Königreichs Rumänien

Osten und um so mehr der Fall, als nicht er, sondern der Baron Koller den Auftrag erhalten
hatte, dem Sultan die Jnsignien des Stephanordens zu überbringen.




So verzögerte sich unter dem Laufe von Intrigen aller Art der Abschluß des Entwurfs
des Firmcms bis in das nächste Jahr hinein, während dessen die Kommissäre völlig
beschäftigungslos und höchstens als Zeugen der eigentümlichen Vorgänge in Konstantinopel zu
weilen hatten. Mehr als einmal schien es, als werde es überhaupt nicht zu der Konvokation
der Diwans kommen."

Unter dem 17. September schreibt Richthofeu an den König:

„Weder meine eigenen Unterhaltungen, noch die Mitteilungen meiner
Kollegen haben mich instant gesetzt, zu einem nur einigermaßen sicheren Urteil
darüber zu gelangen, was man englischerseits eigentlich beabsichtigt. In seiner
(Bulwers) schriftlichen Instruktion befindet sich — er hat den betreffenden Satz
wörtlich dem russischen Kommissär Mr. Basily vorgelesen — die Anweisung,
den freien Ausdruck der Wünsche der Diwans act lion über die Unionssrage
zu unterstützen, allein Mr. Bulwer hat dabei hinzugefügt, es komme nicht darauf
an, was in seiner Instruktion stehe; Sir H. Bulwer bewegt sich in den größten
Widersprüchen und in den eigentümlichsten Auffassungen in bezug auf die Aus¬
führung der Kommissionsarbeiten, die er nach Art der Geschäftsbehandlung in
dem englischen Unterhause zu handhaben empfiehlt, und will namentlich damit
anfangen, sich von dem Kongreß zu Paris zunächst eine Art Sprecher, einen
Unparteiischen zu erbitten, der die Arbeiten der Kommission, wenn nicht leitet,
so doch diszipliniert. Alle diese Äußerungen sind jedoch so vage, daß es schwer
ist, sich eine deutliche Idee von seinen Ansichten zu machen. Nur über einen
Punkt ist er vollkommen klar, nämlich daß er ein durchaus unabhängiger vor¬
nehmer Mann ist, und daß es ihm, vermöge seines höheren Ranges, gebührt,
eine hervorragende Stellung in der Kommission einzunehmen. Dabei ist er sehr
kränklich und setzt sich vielleicht infolgedessen, ohne es zu wollen, über die
gewöhnlichsten konventionellen Rücksichten hinweg. Derselbe hat übrigens in
dieser Hinsicht bereits einen europäischen Ruf. Nach seinen: bisherigen Auf¬
treten zu schließen, ist zu erwarten, daß seine diplomatische Tätigkeit bei der
Kommission denselben Charakter tragen wird, den sie anderweit, namentlich in
Spanien gehabt hat. nämlich die Dinge mehr zu verwickeln, als zu ihrer Lösung
mitzuwirken, und da seine Regierung ihn von dieser Seite mehr als hinreichend
kennt, so ist auch anzunehmen, daß sie ihn gewählt habe eben um dieses Zweckes
willen, besonders nachdem, wie es sich immer unzweifelhafter herausstellt, die
englische Regierung nunmehr die bisherige Privatpolitik ihres Botschafters
Lord Stratford Canning über die Unionsfrage ihrer früheren Auffassung ent-
gegen zu der ihrigen gemacht hat und sie ihren Rückzug von den Stipulationen
des Pariser Friedens durch die vorgedachten Eigenschaften ihres Diplomaten
verdecken will.

Der Natur der Sache nach hat sich bis jetzt die ganze Tätigkeit der
Kommissiousmitglieder darauf beschränken müssen, sich gegenseitig kennen zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321966"/>
          <fw type="header" place="top"> An der Viege des Königreichs Rumänien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_870" prev="#ID_869"> Osten und um so mehr der Fall, als nicht er, sondern der Baron Koller den Auftrag erhalten<lb/>
hatte, dem Sultan die Jnsignien des Stephanordens zu überbringen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_871"> So verzögerte sich unter dem Laufe von Intrigen aller Art der Abschluß des Entwurfs<lb/>
des Firmcms bis in das nächste Jahr hinein, während dessen die Kommissäre völlig<lb/>
beschäftigungslos und höchstens als Zeugen der eigentümlichen Vorgänge in Konstantinopel zu<lb/>
weilen hatten. Mehr als einmal schien es, als werde es überhaupt nicht zu der Konvokation<lb/>
der Diwans kommen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_872"> Unter dem 17. September schreibt Richthofeu an den König:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_873"> &#x201E;Weder meine eigenen Unterhaltungen, noch die Mitteilungen meiner<lb/>
Kollegen haben mich instant gesetzt, zu einem nur einigermaßen sicheren Urteil<lb/>
darüber zu gelangen, was man englischerseits eigentlich beabsichtigt. In seiner<lb/>
(Bulwers) schriftlichen Instruktion befindet sich &#x2014; er hat den betreffenden Satz<lb/>
wörtlich dem russischen Kommissär Mr. Basily vorgelesen &#x2014; die Anweisung,<lb/>
den freien Ausdruck der Wünsche der Diwans act lion über die Unionssrage<lb/>
zu unterstützen, allein Mr. Bulwer hat dabei hinzugefügt, es komme nicht darauf<lb/>
an, was in seiner Instruktion stehe; Sir H. Bulwer bewegt sich in den größten<lb/>
Widersprüchen und in den eigentümlichsten Auffassungen in bezug auf die Aus¬<lb/>
führung der Kommissionsarbeiten, die er nach Art der Geschäftsbehandlung in<lb/>
dem englischen Unterhause zu handhaben empfiehlt, und will namentlich damit<lb/>
anfangen, sich von dem Kongreß zu Paris zunächst eine Art Sprecher, einen<lb/>
Unparteiischen zu erbitten, der die Arbeiten der Kommission, wenn nicht leitet,<lb/>
so doch diszipliniert. Alle diese Äußerungen sind jedoch so vage, daß es schwer<lb/>
ist, sich eine deutliche Idee von seinen Ansichten zu machen. Nur über einen<lb/>
Punkt ist er vollkommen klar, nämlich daß er ein durchaus unabhängiger vor¬<lb/>
nehmer Mann ist, und daß es ihm, vermöge seines höheren Ranges, gebührt,<lb/>
eine hervorragende Stellung in der Kommission einzunehmen. Dabei ist er sehr<lb/>
kränklich und setzt sich vielleicht infolgedessen, ohne es zu wollen, über die<lb/>
gewöhnlichsten konventionellen Rücksichten hinweg. Derselbe hat übrigens in<lb/>
dieser Hinsicht bereits einen europäischen Ruf. Nach seinen: bisherigen Auf¬<lb/>
treten zu schließen, ist zu erwarten, daß seine diplomatische Tätigkeit bei der<lb/>
Kommission denselben Charakter tragen wird, den sie anderweit, namentlich in<lb/>
Spanien gehabt hat. nämlich die Dinge mehr zu verwickeln, als zu ihrer Lösung<lb/>
mitzuwirken, und da seine Regierung ihn von dieser Seite mehr als hinreichend<lb/>
kennt, so ist auch anzunehmen, daß sie ihn gewählt habe eben um dieses Zweckes<lb/>
willen, besonders nachdem, wie es sich immer unzweifelhafter herausstellt, die<lb/>
englische Regierung nunmehr die bisherige Privatpolitik ihres Botschafters<lb/>
Lord Stratford Canning über die Unionsfrage ihrer früheren Auffassung ent-<lb/>
gegen zu der ihrigen gemacht hat und sie ihren Rückzug von den Stipulationen<lb/>
des Pariser Friedens durch die vorgedachten Eigenschaften ihres Diplomaten<lb/>
verdecken will.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_874" next="#ID_875"> Der Natur der Sache nach hat sich bis jetzt die ganze Tätigkeit der<lb/>
Kommissiousmitglieder darauf beschränken müssen, sich gegenseitig kennen zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] An der Viege des Königreichs Rumänien Osten und um so mehr der Fall, als nicht er, sondern der Baron Koller den Auftrag erhalten hatte, dem Sultan die Jnsignien des Stephanordens zu überbringen. So verzögerte sich unter dem Laufe von Intrigen aller Art der Abschluß des Entwurfs des Firmcms bis in das nächste Jahr hinein, während dessen die Kommissäre völlig beschäftigungslos und höchstens als Zeugen der eigentümlichen Vorgänge in Konstantinopel zu weilen hatten. Mehr als einmal schien es, als werde es überhaupt nicht zu der Konvokation der Diwans kommen." Unter dem 17. September schreibt Richthofeu an den König: „Weder meine eigenen Unterhaltungen, noch die Mitteilungen meiner Kollegen haben mich instant gesetzt, zu einem nur einigermaßen sicheren Urteil darüber zu gelangen, was man englischerseits eigentlich beabsichtigt. In seiner (Bulwers) schriftlichen Instruktion befindet sich — er hat den betreffenden Satz wörtlich dem russischen Kommissär Mr. Basily vorgelesen — die Anweisung, den freien Ausdruck der Wünsche der Diwans act lion über die Unionssrage zu unterstützen, allein Mr. Bulwer hat dabei hinzugefügt, es komme nicht darauf an, was in seiner Instruktion stehe; Sir H. Bulwer bewegt sich in den größten Widersprüchen und in den eigentümlichsten Auffassungen in bezug auf die Aus¬ führung der Kommissionsarbeiten, die er nach Art der Geschäftsbehandlung in dem englischen Unterhause zu handhaben empfiehlt, und will namentlich damit anfangen, sich von dem Kongreß zu Paris zunächst eine Art Sprecher, einen Unparteiischen zu erbitten, der die Arbeiten der Kommission, wenn nicht leitet, so doch diszipliniert. Alle diese Äußerungen sind jedoch so vage, daß es schwer ist, sich eine deutliche Idee von seinen Ansichten zu machen. Nur über einen Punkt ist er vollkommen klar, nämlich daß er ein durchaus unabhängiger vor¬ nehmer Mann ist, und daß es ihm, vermöge seines höheren Ranges, gebührt, eine hervorragende Stellung in der Kommission einzunehmen. Dabei ist er sehr kränklich und setzt sich vielleicht infolgedessen, ohne es zu wollen, über die gewöhnlichsten konventionellen Rücksichten hinweg. Derselbe hat übrigens in dieser Hinsicht bereits einen europäischen Ruf. Nach seinen: bisherigen Auf¬ treten zu schließen, ist zu erwarten, daß seine diplomatische Tätigkeit bei der Kommission denselben Charakter tragen wird, den sie anderweit, namentlich in Spanien gehabt hat. nämlich die Dinge mehr zu verwickeln, als zu ihrer Lösung mitzuwirken, und da seine Regierung ihn von dieser Seite mehr als hinreichend kennt, so ist auch anzunehmen, daß sie ihn gewählt habe eben um dieses Zweckes willen, besonders nachdem, wie es sich immer unzweifelhafter herausstellt, die englische Regierung nunmehr die bisherige Privatpolitik ihres Botschafters Lord Stratford Canning über die Unionsfrage ihrer früheren Auffassung ent- gegen zu der ihrigen gemacht hat und sie ihren Rückzug von den Stipulationen des Pariser Friedens durch die vorgedachten Eigenschaften ihres Diplomaten verdecken will. Der Natur der Sache nach hat sich bis jetzt die ganze Tätigkeit der Kommissiousmitglieder darauf beschränken müssen, sich gegenseitig kennen zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/219>, abgerufen am 03.07.2024.