Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichsspiegel

und Fallen des kapitalistischen Barometers. Und doch ist dies nur mit einer
Einschränkung richtig. Indirekt wird auch der Kapitalmarkt auf das nach¬
haltigste von jenen wirtschaftlichen Verschiebungen beeinflußt. Denn wenn bei¬
spielsweise in Zeiten ausgeprägten Konjunkturaufschwungs und steigender
Dividendengewinne die Kurse der Rentenwerte fallen und der Staatskredit
und mit ihm die Legion der Sparer und Rentenbesitzer eine Einbuße
erleidet, so ist auch in diesem rein finanzpolitischen Problem nur eine
indirekte Rückwirkung jenes Umwandlungsprozesses zu erblicken. Andere Folge¬
erscheinungen noch schwerwiegenderer Art sind die Erschwerung des Boden¬
kredits, insbesondere des städtischen Hypothekarkredits, bei dem die Frage der
zweiten Hypotheken sich geradezu zu einer Kalamität gestaltet hat und die voll¬
ständige Umwälzung im Haushalt der Gemeinden, die in einer ständigen Aus¬
dehnung der Grenzen kommunaler Wirtschaftsaufgaben und in einer rapiden
Zunahme der Verschuldung der Städte ihren Ausdruck findet. Ganz eigen¬
artige Erscheinungen sind in den letzten Jahren auf diesem Gebiete zu beobachten.
Die Städte dehnen ihren Verwaltungsbereich unter stillschweigender Billigung
des Staates immer weiter aus; daß jede Kommune heute im größten Stil als
Eigen Unternehmer wirtschaftet, Bahnen, Eleltrizitäts- und Gaswerke, Wasserwerke
und Schlachthäuser baut und betreibt, gilt als eine Selbstverständlichkeit, während
man noch vor kaum einem Vierteljahrhundert gegen solchen "Munizipal-
sozialismus" die schwersten Bedenken hegte. Mag sich nun auch gegen die
Übernahme solcher Betriebe in die Aufgaben des städtischen Gemeinwesens kaum
etwas Stichhaltiges einwenden lassen, so steht es doch anders mit den neuesten
Experimenten der kommunalen Expansionspolitik: der Usurpation rein staat-
licher Aufgaben, wie der Gründung von Universitäten, oder rein privat¬
wirtschaftlicher, wie die Gewährung von Hypothekarkredit aus städtischen
Mitteln. Die Kreditnot des städtischen Grundbesitzes ist allerdings, wie eben
gesagt, eine Kalamität. Aber die Frage der zweiten Hypotheken, die aufs engste
mit der Bodenspekulation und unseren! Hypothekarrecht zusammenhängt, dadurch
lösen zu wollen, daß die Gemeinde aus eigenen Mitteln die Kapitalien gewährt,
welche das private Kapital aus schwerwiegenden Gründen, nämlich der mangelnden
Sicherheit halber, versagt, bedeutet doch eine starke Verkennung der Grenzen,
welche der kommunalen Verwaltungstätigkeit von Natur aus gesteckt sind. Hier
handelt es sich ja nicht um eine Angelegenheit der Gemeinde, sondern um das
Kreditbedürfnis eines Teils ihrer Angehörigen, und so wichtig die Frage der
Regelung desselben ist, so erscheint die Gemeinde doch ebensowenig legitimiert,
an die Befriedigung dieses Bedürfnisses durch Inanspruchnahme ihres Anleihe¬
kredits heranzutreten, wie man sie zur Befriedigung der wirtschaftlichen Be¬
dürfnisse anderer Bevölkerungsklassen aus gleichen Mitteln für befugt erachten
könnte. Denn der Schwerpunkt liegt durchaus in der Verwendung des Anleihe-
kredits für solche Zwecke. Grundel die Stadt ein besonderes Bodenkreditinstitut,
so ist sie bei der Fundierung und Geschäftsführung den allgemeinen wirt-


Reichsspiegel

und Fallen des kapitalistischen Barometers. Und doch ist dies nur mit einer
Einschränkung richtig. Indirekt wird auch der Kapitalmarkt auf das nach¬
haltigste von jenen wirtschaftlichen Verschiebungen beeinflußt. Denn wenn bei¬
spielsweise in Zeiten ausgeprägten Konjunkturaufschwungs und steigender
Dividendengewinne die Kurse der Rentenwerte fallen und der Staatskredit
und mit ihm die Legion der Sparer und Rentenbesitzer eine Einbuße
erleidet, so ist auch in diesem rein finanzpolitischen Problem nur eine
indirekte Rückwirkung jenes Umwandlungsprozesses zu erblicken. Andere Folge¬
erscheinungen noch schwerwiegenderer Art sind die Erschwerung des Boden¬
kredits, insbesondere des städtischen Hypothekarkredits, bei dem die Frage der
zweiten Hypotheken sich geradezu zu einer Kalamität gestaltet hat und die voll¬
ständige Umwälzung im Haushalt der Gemeinden, die in einer ständigen Aus¬
dehnung der Grenzen kommunaler Wirtschaftsaufgaben und in einer rapiden
Zunahme der Verschuldung der Städte ihren Ausdruck findet. Ganz eigen¬
artige Erscheinungen sind in den letzten Jahren auf diesem Gebiete zu beobachten.
Die Städte dehnen ihren Verwaltungsbereich unter stillschweigender Billigung
des Staates immer weiter aus; daß jede Kommune heute im größten Stil als
Eigen Unternehmer wirtschaftet, Bahnen, Eleltrizitäts- und Gaswerke, Wasserwerke
und Schlachthäuser baut und betreibt, gilt als eine Selbstverständlichkeit, während
man noch vor kaum einem Vierteljahrhundert gegen solchen „Munizipal-
sozialismus" die schwersten Bedenken hegte. Mag sich nun auch gegen die
Übernahme solcher Betriebe in die Aufgaben des städtischen Gemeinwesens kaum
etwas Stichhaltiges einwenden lassen, so steht es doch anders mit den neuesten
Experimenten der kommunalen Expansionspolitik: der Usurpation rein staat-
licher Aufgaben, wie der Gründung von Universitäten, oder rein privat¬
wirtschaftlicher, wie die Gewährung von Hypothekarkredit aus städtischen
Mitteln. Die Kreditnot des städtischen Grundbesitzes ist allerdings, wie eben
gesagt, eine Kalamität. Aber die Frage der zweiten Hypotheken, die aufs engste
mit der Bodenspekulation und unseren! Hypothekarrecht zusammenhängt, dadurch
lösen zu wollen, daß die Gemeinde aus eigenen Mitteln die Kapitalien gewährt,
welche das private Kapital aus schwerwiegenden Gründen, nämlich der mangelnden
Sicherheit halber, versagt, bedeutet doch eine starke Verkennung der Grenzen,
welche der kommunalen Verwaltungstätigkeit von Natur aus gesteckt sind. Hier
handelt es sich ja nicht um eine Angelegenheit der Gemeinde, sondern um das
Kreditbedürfnis eines Teils ihrer Angehörigen, und so wichtig die Frage der
Regelung desselben ist, so erscheint die Gemeinde doch ebensowenig legitimiert,
an die Befriedigung dieses Bedürfnisses durch Inanspruchnahme ihres Anleihe¬
kredits heranzutreten, wie man sie zur Befriedigung der wirtschaftlichen Be¬
dürfnisse anderer Bevölkerungsklassen aus gleichen Mitteln für befugt erachten
könnte. Denn der Schwerpunkt liegt durchaus in der Verwendung des Anleihe-
kredits für solche Zwecke. Grundel die Stadt ein besonderes Bodenkreditinstitut,
so ist sie bei der Fundierung und Geschäftsführung den allgemeinen wirt-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321949"/>
            <fw type="header" place="top"> Reichsspiegel</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_817" prev="#ID_816" next="#ID_818"> und Fallen des kapitalistischen Barometers. Und doch ist dies nur mit einer<lb/>
Einschränkung richtig. Indirekt wird auch der Kapitalmarkt auf das nach¬<lb/>
haltigste von jenen wirtschaftlichen Verschiebungen beeinflußt. Denn wenn bei¬<lb/>
spielsweise in Zeiten ausgeprägten Konjunkturaufschwungs und steigender<lb/>
Dividendengewinne die Kurse der Rentenwerte fallen und der Staatskredit<lb/>
und mit ihm die Legion der Sparer und Rentenbesitzer eine Einbuße<lb/>
erleidet, so ist auch in diesem rein finanzpolitischen Problem nur eine<lb/>
indirekte Rückwirkung jenes Umwandlungsprozesses zu erblicken. Andere Folge¬<lb/>
erscheinungen noch schwerwiegenderer Art sind die Erschwerung des Boden¬<lb/>
kredits, insbesondere des städtischen Hypothekarkredits, bei dem die Frage der<lb/>
zweiten Hypotheken sich geradezu zu einer Kalamität gestaltet hat und die voll¬<lb/>
ständige Umwälzung im Haushalt der Gemeinden, die in einer ständigen Aus¬<lb/>
dehnung der Grenzen kommunaler Wirtschaftsaufgaben und in einer rapiden<lb/>
Zunahme der Verschuldung der Städte ihren Ausdruck findet. Ganz eigen¬<lb/>
artige Erscheinungen sind in den letzten Jahren auf diesem Gebiete zu beobachten.<lb/>
Die Städte dehnen ihren Verwaltungsbereich unter stillschweigender Billigung<lb/>
des Staates immer weiter aus; daß jede Kommune heute im größten Stil als<lb/>
Eigen Unternehmer wirtschaftet, Bahnen, Eleltrizitäts- und Gaswerke, Wasserwerke<lb/>
und Schlachthäuser baut und betreibt, gilt als eine Selbstverständlichkeit, während<lb/>
man noch vor kaum einem Vierteljahrhundert gegen solchen &#x201E;Munizipal-<lb/>
sozialismus" die schwersten Bedenken hegte. Mag sich nun auch gegen die<lb/>
Übernahme solcher Betriebe in die Aufgaben des städtischen Gemeinwesens kaum<lb/>
etwas Stichhaltiges einwenden lassen, so steht es doch anders mit den neuesten<lb/>
Experimenten der kommunalen Expansionspolitik: der Usurpation rein staat-<lb/>
licher Aufgaben, wie der Gründung von Universitäten, oder rein privat¬<lb/>
wirtschaftlicher, wie die Gewährung von Hypothekarkredit aus städtischen<lb/>
Mitteln. Die Kreditnot des städtischen Grundbesitzes ist allerdings, wie eben<lb/>
gesagt, eine Kalamität. Aber die Frage der zweiten Hypotheken, die aufs engste<lb/>
mit der Bodenspekulation und unseren! Hypothekarrecht zusammenhängt, dadurch<lb/>
lösen zu wollen, daß die Gemeinde aus eigenen Mitteln die Kapitalien gewährt,<lb/>
welche das private Kapital aus schwerwiegenden Gründen, nämlich der mangelnden<lb/>
Sicherheit halber, versagt, bedeutet doch eine starke Verkennung der Grenzen,<lb/>
welche der kommunalen Verwaltungstätigkeit von Natur aus gesteckt sind. Hier<lb/>
handelt es sich ja nicht um eine Angelegenheit der Gemeinde, sondern um das<lb/>
Kreditbedürfnis eines Teils ihrer Angehörigen, und so wichtig die Frage der<lb/>
Regelung desselben ist, so erscheint die Gemeinde doch ebensowenig legitimiert,<lb/>
an die Befriedigung dieses Bedürfnisses durch Inanspruchnahme ihres Anleihe¬<lb/>
kredits heranzutreten, wie man sie zur Befriedigung der wirtschaftlichen Be¬<lb/>
dürfnisse anderer Bevölkerungsklassen aus gleichen Mitteln für befugt erachten<lb/>
könnte. Denn der Schwerpunkt liegt durchaus in der Verwendung des Anleihe-<lb/>
kredits für solche Zwecke. Grundel die Stadt ein besonderes Bodenkreditinstitut,<lb/>
so ist sie bei der Fundierung und Geschäftsführung den allgemeinen wirt-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Reichsspiegel und Fallen des kapitalistischen Barometers. Und doch ist dies nur mit einer Einschränkung richtig. Indirekt wird auch der Kapitalmarkt auf das nach¬ haltigste von jenen wirtschaftlichen Verschiebungen beeinflußt. Denn wenn bei¬ spielsweise in Zeiten ausgeprägten Konjunkturaufschwungs und steigender Dividendengewinne die Kurse der Rentenwerte fallen und der Staatskredit und mit ihm die Legion der Sparer und Rentenbesitzer eine Einbuße erleidet, so ist auch in diesem rein finanzpolitischen Problem nur eine indirekte Rückwirkung jenes Umwandlungsprozesses zu erblicken. Andere Folge¬ erscheinungen noch schwerwiegenderer Art sind die Erschwerung des Boden¬ kredits, insbesondere des städtischen Hypothekarkredits, bei dem die Frage der zweiten Hypotheken sich geradezu zu einer Kalamität gestaltet hat und die voll¬ ständige Umwälzung im Haushalt der Gemeinden, die in einer ständigen Aus¬ dehnung der Grenzen kommunaler Wirtschaftsaufgaben und in einer rapiden Zunahme der Verschuldung der Städte ihren Ausdruck findet. Ganz eigen¬ artige Erscheinungen sind in den letzten Jahren auf diesem Gebiete zu beobachten. Die Städte dehnen ihren Verwaltungsbereich unter stillschweigender Billigung des Staates immer weiter aus; daß jede Kommune heute im größten Stil als Eigen Unternehmer wirtschaftet, Bahnen, Eleltrizitäts- und Gaswerke, Wasserwerke und Schlachthäuser baut und betreibt, gilt als eine Selbstverständlichkeit, während man noch vor kaum einem Vierteljahrhundert gegen solchen „Munizipal- sozialismus" die schwersten Bedenken hegte. Mag sich nun auch gegen die Übernahme solcher Betriebe in die Aufgaben des städtischen Gemeinwesens kaum etwas Stichhaltiges einwenden lassen, so steht es doch anders mit den neuesten Experimenten der kommunalen Expansionspolitik: der Usurpation rein staat- licher Aufgaben, wie der Gründung von Universitäten, oder rein privat¬ wirtschaftlicher, wie die Gewährung von Hypothekarkredit aus städtischen Mitteln. Die Kreditnot des städtischen Grundbesitzes ist allerdings, wie eben gesagt, eine Kalamität. Aber die Frage der zweiten Hypotheken, die aufs engste mit der Bodenspekulation und unseren! Hypothekarrecht zusammenhängt, dadurch lösen zu wollen, daß die Gemeinde aus eigenen Mitteln die Kapitalien gewährt, welche das private Kapital aus schwerwiegenden Gründen, nämlich der mangelnden Sicherheit halber, versagt, bedeutet doch eine starke Verkennung der Grenzen, welche der kommunalen Verwaltungstätigkeit von Natur aus gesteckt sind. Hier handelt es sich ja nicht um eine Angelegenheit der Gemeinde, sondern um das Kreditbedürfnis eines Teils ihrer Angehörigen, und so wichtig die Frage der Regelung desselben ist, so erscheint die Gemeinde doch ebensowenig legitimiert, an die Befriedigung dieses Bedürfnisses durch Inanspruchnahme ihres Anleihe¬ kredits heranzutreten, wie man sie zur Befriedigung der wirtschaftlichen Be¬ dürfnisse anderer Bevölkerungsklassen aus gleichen Mitteln für befugt erachten könnte. Denn der Schwerpunkt liegt durchaus in der Verwendung des Anleihe- kredits für solche Zwecke. Grundel die Stadt ein besonderes Bodenkreditinstitut, so ist sie bei der Fundierung und Geschäftsführung den allgemeinen wirt-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/202>, abgerufen am 26.06.2024.