Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.Reich-spiegel Bestellungen der Kriegsmarinen sind derart bedeutend, daß in den beiden Dieser Entwicklung des Überseehandels steht ebenbürtig die Verkehrs- Reich-spiegel Bestellungen der Kriegsmarinen sind derart bedeutend, daß in den beiden Dieser Entwicklung des Überseehandels steht ebenbürtig die Verkehrs- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321948"/> <fw type="header" place="top"> Reich-spiegel</fw><lb/> <p xml:id="ID_815" prev="#ID_814"> Bestellungen der Kriegsmarinen sind derart bedeutend, daß in den beiden<lb/> führenden Ländern des Schiffsbaues, in England und Deutschland, unter ihrem<lb/> Einfluß eine wahre Hochkonjunktur für die Werften eingesetzt hat. Noch<lb/> niemals haben namentlich in Deutschland die Schiffswerften derartige Auftrags¬<lb/> bestände zu verzeichnen gehabt. Dabei ist besonders erfreulich, daß sich der<lb/> einheimische Schiffsbau fast völlig vom Ausland emanzipiert hat. Die eng¬<lb/> lischen Werften, die früher den Hauptanteil der deutschen Bestellungen erhielten,<lb/> sind augenblicklich nur mit dem Bau von etwa 50 000 Tonnen Schiffsraum für<lb/> deutsche Rechnung beschäftigt, während gleichzeitig in Deutschland über hundert<lb/> Handelsdampfer mit nahezu 400 000 Registertons auf der Helling liegen. In<lb/> diesen Ziffern tritt deutlich nicht nur der Aufschwung des deutschen Schiffbaues,<lb/> sondern auch des deutschen Reedereigeschäftes hervor. Der kürzlich erschienene<lb/> Bericht des Verwaltungsrath des Vereins Hamburger Reeber gibt darüber sehr<lb/> erfreuliche Aufschlüsse, aus denen namentlich auch hervorgeht, daß die Segel¬<lb/> schiffahrt, deren starker Rückgang eine sehr beklagenswerte Erscheinung der letzten<lb/> Jahre bildete, sich von neuem zu heben beginnt. Das Spiegelbild dieser Ent¬<lb/> wicklung zeigt sich in den steigenden Börsenkursen der Schisfahrtsaktien. Es ist<lb/> bekannt, daß einzelne, insbesondere Hansaaktien, in kurzer Zeit eine geradezu<lb/> phänomenale Aufwärtsbewegung durchgemacht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_816" next="#ID_817"> Dieser Entwicklung des Überseehandels steht ebenbürtig die Verkehrs-<lb/> steigerung der deutschen Eisenbahnen gegenüber. Hier ist der Aufschwung,<lb/> der sich aus den Einnahmeziffern ablesen läßt, sogar ein noch imposanterer,<lb/> weil er in mehrjährigem, konstanten Ansteigen ein ganz überraschendes Wachs¬<lb/> tum der wirtschaftlichen Energie seit der letzten Depressionsperiode offenbart.<lb/> Das erste Semester des laufenden Jahres bedeutet für die deutschen Eisenbahnen<lb/> eine Rekordeinnahme. Auf nicht weniger als anderthalb Milliarden sind<lb/> die Einnahmen gestiegen, darunter über eine Milliarde aus dem Güterverkehr<lb/> allein. Das bedeutet eine Zunahme von einem vollen Viertel innerhalb dreier<lb/> Jahre! Deutlicher kann der enorme wirtschaftliche Aufschwung, der sich in der<lb/> Gegenwart in Deutschland vollzieht, nicht vor Augen geführt werden. Mit<lb/> raschen Schritten vollendet sich die Industrialisierung unseres Landes. Es<lb/> wäre töricht, darüber zu klagen, wo die unleugbare Zunahme des Volkswohl¬<lb/> standes, die für den Bevölkerungszuwachs von jährlich fast einer Million Köpfe<lb/> beschaffte Existenzmöglichkeit eine so beredte Sprache für die Notwendigkeit dieser<lb/> Entwicklung führen. Auf der anderen Seite läßt sich für keinen Einsichtigen<lb/> verkennen, daß die Schnelligkeit dieser Umwälzung eigenartige und schwierige<lb/> Probleme auf dem Gebiete des Wohnungswesens, der inneren Koloni¬<lb/> sation, der sozialen Fürsorge schafft, die kaum in irgendeinem anderen<lb/> Lande eine so dringende Lösung heischen als bei uns. Wir haben es an dieser<lb/> Stelle nicht mit der Betrachtung dieser Kehrseite der Entwicklung zu tun. Der<lb/> Kapitalmarkt und die Börse wird anscheinend von diesen schwerwiegenden<lb/> wirtschaftspolitischen Fragen wenig berührt; sie reagieren nur auf das Steigen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0201]
Reich-spiegel
Bestellungen der Kriegsmarinen sind derart bedeutend, daß in den beiden
führenden Ländern des Schiffsbaues, in England und Deutschland, unter ihrem
Einfluß eine wahre Hochkonjunktur für die Werften eingesetzt hat. Noch
niemals haben namentlich in Deutschland die Schiffswerften derartige Auftrags¬
bestände zu verzeichnen gehabt. Dabei ist besonders erfreulich, daß sich der
einheimische Schiffsbau fast völlig vom Ausland emanzipiert hat. Die eng¬
lischen Werften, die früher den Hauptanteil der deutschen Bestellungen erhielten,
sind augenblicklich nur mit dem Bau von etwa 50 000 Tonnen Schiffsraum für
deutsche Rechnung beschäftigt, während gleichzeitig in Deutschland über hundert
Handelsdampfer mit nahezu 400 000 Registertons auf der Helling liegen. In
diesen Ziffern tritt deutlich nicht nur der Aufschwung des deutschen Schiffbaues,
sondern auch des deutschen Reedereigeschäftes hervor. Der kürzlich erschienene
Bericht des Verwaltungsrath des Vereins Hamburger Reeber gibt darüber sehr
erfreuliche Aufschlüsse, aus denen namentlich auch hervorgeht, daß die Segel¬
schiffahrt, deren starker Rückgang eine sehr beklagenswerte Erscheinung der letzten
Jahre bildete, sich von neuem zu heben beginnt. Das Spiegelbild dieser Ent¬
wicklung zeigt sich in den steigenden Börsenkursen der Schisfahrtsaktien. Es ist
bekannt, daß einzelne, insbesondere Hansaaktien, in kurzer Zeit eine geradezu
phänomenale Aufwärtsbewegung durchgemacht haben.
Dieser Entwicklung des Überseehandels steht ebenbürtig die Verkehrs-
steigerung der deutschen Eisenbahnen gegenüber. Hier ist der Aufschwung,
der sich aus den Einnahmeziffern ablesen läßt, sogar ein noch imposanterer,
weil er in mehrjährigem, konstanten Ansteigen ein ganz überraschendes Wachs¬
tum der wirtschaftlichen Energie seit der letzten Depressionsperiode offenbart.
Das erste Semester des laufenden Jahres bedeutet für die deutschen Eisenbahnen
eine Rekordeinnahme. Auf nicht weniger als anderthalb Milliarden sind
die Einnahmen gestiegen, darunter über eine Milliarde aus dem Güterverkehr
allein. Das bedeutet eine Zunahme von einem vollen Viertel innerhalb dreier
Jahre! Deutlicher kann der enorme wirtschaftliche Aufschwung, der sich in der
Gegenwart in Deutschland vollzieht, nicht vor Augen geführt werden. Mit
raschen Schritten vollendet sich die Industrialisierung unseres Landes. Es
wäre töricht, darüber zu klagen, wo die unleugbare Zunahme des Volkswohl¬
standes, die für den Bevölkerungszuwachs von jährlich fast einer Million Köpfe
beschaffte Existenzmöglichkeit eine so beredte Sprache für die Notwendigkeit dieser
Entwicklung führen. Auf der anderen Seite läßt sich für keinen Einsichtigen
verkennen, daß die Schnelligkeit dieser Umwälzung eigenartige und schwierige
Probleme auf dem Gebiete des Wohnungswesens, der inneren Koloni¬
sation, der sozialen Fürsorge schafft, die kaum in irgendeinem anderen
Lande eine so dringende Lösung heischen als bei uns. Wir haben es an dieser
Stelle nicht mit der Betrachtung dieser Kehrseite der Entwicklung zu tun. Der
Kapitalmarkt und die Börse wird anscheinend von diesen schwerwiegenden
wirtschaftspolitischen Fragen wenig berührt; sie reagieren nur auf das Steigen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |