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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft der nationallibcralen Partei

malen Notwendigkeiten." Auch hier muß man wieder fragen: welcher Nationalliberale
denkt nicht ebenso und wie kommt diese Gruppe dazu, diese Auffassung für sich
allein zu beanspruchen? Das nämliche gilt von der weiteren Auslassung aus
der nämlichen Feder, mit der der Name des Verbandes gerechtfertigt werden soll:

"Wenn wir diese Ziele in einem Verbände zu verwirklichen suchen, der den
Namen "Altnationalliberal" führt, dann wollen wir damit keinen Gegensatz
zwischen der alten und der jetzigen nationalliberalen Partei konstruieren. Das
Wort "Altnationalliberal" soll sagen, daß unbeschadet der Entwicklung und der
wechselnden Zeitläufe, die von einer lebendigen Partei die stetig neue Erkenntnis
der Zeichen der Zeit verlangen, gewisse Grundsätze aus der großen Zeit der
nationalliberalen Partei auch heute und noch für eine absehbare Zukunft ihre
volle Daseinsberechtigung haben." Wer unter den Bekennern des nationalliberalen
Programms von heute ist anderer Meinung? Die Wahrheit ist die, daß künstlich
gewisse Punkte zu Streitfragen innerhalb der Partei frisiert worden sind, die tatsächlich
völlig außerhalb jeden Zwistes unter den Parteiangehörigen stehen. Es sollte aber
und mußte vom Standpunkte der neuen Gruppe aus ein Gegensatz zum Jung-
liberalismus, dessen Erfolge manchem unbequem erscheinen, erst erfunden werden.
Daher wählte man auch schließlich nach mehrfachem Tasten den Gegensatz "Alt¬
nationalliberal", ohne sich daran zu stoßen, daß man sich damit einer Bezeichnung
bemächtigt, auf die entweder jeder Nationalliberale Anspruch erheben darf, ein¬
schließlich der Jungliberalen selbst, oder welche ein ganz falsches Bild eines gar¬
nicht vorhandenen Gegensatzes (Neuliberalismus) erzeugt. Denn das Kennzeichen
des Jungliberalismus ist bisher wenigstens in allen Reichsteilen, Baden aus¬
genommen, die relative Jugend der Mitglieder oder noch besser der Ausschluß
der Alten über vierzig Jahre. Die "Altnationalliberalen" werden aber die
Mitglieder unter vierzig Jahren so wenig ausschließen wie das irgendein anderer
nationalliberaler Verein tut. Der Jugend aber muß man stets etwas nachsehen,
denn sie hat den Schwung, den Mut und die Ideale: "Die Welt, sie war nicht,
eh ich sie erschuf," läßt Goethe den Schüler dem abgebrühten Teufel gegenüber
ausrufen. Mau sollte auch niemals vergessen, daß die jungliberale Bewegung
eine Errettung der nationalliberalen Partei vor einer gewissen Erstarrung gewesen ist.
Sie tauchte gerade zur rechten Zeit für die Wiederbelebung der Partei unter
dem Beifall Bennigsens und Hammachers bei uns auf. Der Jungliberalismus
hat damit eine geschichtliche Sendung übernommen, die erst dann erledigt sein
wird, wenn auch die Partei selbst wieder von einem einheitlichen Gedanken
erfüllt sein wird. Daher hat man den Jungliberalen manches zugute zu halten,
sie stellen das Gärungselement dar, das notwendig kommen mußte. Und auch
bei diesem Punkte darf man wiederum an das versöhnende Wort Goethes
erinnern, das jener Schüler dem Mephisto entlockte: "Wenn sich der Most noch
so absurd geberdet, Es gibt zuletzt doch noch 'neu Wein." Wenn die konser¬
vative Partei seinerzeit so unilug gewesen wäre, den jungen Bismarck, dessen
noch wenig abgeklärtes Verhalten sie auch sich zurechnen lassen mußte, abzu-


Die Zukunft der nationallibcralen Partei

malen Notwendigkeiten." Auch hier muß man wieder fragen: welcher Nationalliberale
denkt nicht ebenso und wie kommt diese Gruppe dazu, diese Auffassung für sich
allein zu beanspruchen? Das nämliche gilt von der weiteren Auslassung aus
der nämlichen Feder, mit der der Name des Verbandes gerechtfertigt werden soll:

„Wenn wir diese Ziele in einem Verbände zu verwirklichen suchen, der den
Namen „Altnationalliberal" führt, dann wollen wir damit keinen Gegensatz
zwischen der alten und der jetzigen nationalliberalen Partei konstruieren. Das
Wort „Altnationalliberal" soll sagen, daß unbeschadet der Entwicklung und der
wechselnden Zeitläufe, die von einer lebendigen Partei die stetig neue Erkenntnis
der Zeichen der Zeit verlangen, gewisse Grundsätze aus der großen Zeit der
nationalliberalen Partei auch heute und noch für eine absehbare Zukunft ihre
volle Daseinsberechtigung haben." Wer unter den Bekennern des nationalliberalen
Programms von heute ist anderer Meinung? Die Wahrheit ist die, daß künstlich
gewisse Punkte zu Streitfragen innerhalb der Partei frisiert worden sind, die tatsächlich
völlig außerhalb jeden Zwistes unter den Parteiangehörigen stehen. Es sollte aber
und mußte vom Standpunkte der neuen Gruppe aus ein Gegensatz zum Jung-
liberalismus, dessen Erfolge manchem unbequem erscheinen, erst erfunden werden.
Daher wählte man auch schließlich nach mehrfachem Tasten den Gegensatz „Alt¬
nationalliberal", ohne sich daran zu stoßen, daß man sich damit einer Bezeichnung
bemächtigt, auf die entweder jeder Nationalliberale Anspruch erheben darf, ein¬
schließlich der Jungliberalen selbst, oder welche ein ganz falsches Bild eines gar¬
nicht vorhandenen Gegensatzes (Neuliberalismus) erzeugt. Denn das Kennzeichen
des Jungliberalismus ist bisher wenigstens in allen Reichsteilen, Baden aus¬
genommen, die relative Jugend der Mitglieder oder noch besser der Ausschluß
der Alten über vierzig Jahre. Die „Altnationalliberalen" werden aber die
Mitglieder unter vierzig Jahren so wenig ausschließen wie das irgendein anderer
nationalliberaler Verein tut. Der Jugend aber muß man stets etwas nachsehen,
denn sie hat den Schwung, den Mut und die Ideale: „Die Welt, sie war nicht,
eh ich sie erschuf," läßt Goethe den Schüler dem abgebrühten Teufel gegenüber
ausrufen. Mau sollte auch niemals vergessen, daß die jungliberale Bewegung
eine Errettung der nationalliberalen Partei vor einer gewissen Erstarrung gewesen ist.
Sie tauchte gerade zur rechten Zeit für die Wiederbelebung der Partei unter
dem Beifall Bennigsens und Hammachers bei uns auf. Der Jungliberalismus
hat damit eine geschichtliche Sendung übernommen, die erst dann erledigt sein
wird, wenn auch die Partei selbst wieder von einem einheitlichen Gedanken
erfüllt sein wird. Daher hat man den Jungliberalen manches zugute zu halten,
sie stellen das Gärungselement dar, das notwendig kommen mußte. Und auch
bei diesem Punkte darf man wiederum an das versöhnende Wort Goethes
erinnern, das jener Schüler dem Mephisto entlockte: „Wenn sich der Most noch
so absurd geberdet, Es gibt zuletzt doch noch 'neu Wein." Wenn die konser¬
vative Partei seinerzeit so unilug gewesen wäre, den jungen Bismarck, dessen
noch wenig abgeklärtes Verhalten sie auch sich zurechnen lassen mußte, abzu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/20>, abgerufen am 01.07.2024.