Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zukunft der nationallibcralen Partei

Noch seltsamer, ja geradezu unerträglich würde sich aber das Verhältnis
für den Nationalliberalen in Preußen selbst gestalten. Denn dieser müßte in
seiner Brust zwei mittlere Saiten spannen, von denen nur die eine erklingen
darf, wenn es sich um preußische, nur die andere, wenn es sich um Reichs¬
angelegenheiten handelt. Daß dieser Zustand zu einem heillosen Wirrwarr
führen müßte, bedarf keines weiteren Nachweises. Und dennoch scheint es so
kommen zu sollen. Denn im unmittelbaren Anschluß an den Parteitag, der so
einmütig die Statutenänderung annahm, um das vermeintlich von den Jung¬
liberalen drohende Übel zu beseitigen, hat eine größere Anzahl von Partei¬
freunden sich zu einem Verbände zusammengeschlossen, um "innerhalb der national¬
liberalen Partei für die Aufrechterhaltung des Charakters einer selbständigen
Mittelpartei zu wirken". Dazu bemerkte die Nationalliberale Korrespondenz,
"daß es sich um den Zusammenschluß von Männern handelt, die dafür arbeiten
wollen, daß die Partei bleibt, was sie in vierzigjähriger ruhmreicher Geschichte
war: die Partei des nationalen maßvollen Liberalismus, die im Schutze von
Staat, Kultur und Einzelpersönlichkeit gegen den Ansturm der Sozialdemokratie
eine ihrer vornehmsten Aufgaben sieht." Einen saftigeren Erisapfel hätte nicht
der böse Feind in die Reihen der Nationalliberalen schleudern können, wie es
hier das offizielle Parteiorgan getan hat. Denn welcher Nationalliberale unter¬
schriebe nicht diesen Satz, und doch hat es das Parteiorgan unternommen, den
Inhalt für eine Anzahl Parteifreunde allein in Anspruch zu nehmen, die das
Bedürfnis in sich fühlen, zum Zwecke der Hütung der mittleren Linie zu einem
besonderen Verbände innerhalb der Partei zusammenzutreten. Das bedeutet
für alle anderen Parteiangehörigen den schweren Vorwurf, daß sie entweder
nicht willens oder doch nicht imstande seien, die Tradition der Partei zu wahren.
Es bedeutet auch die durchaus einseitige Stellungnahme des Organs der Gesamt¬
partei zugunsten und zum Preise einer bestimmten Gruppe, die der Gesamtpartei
Nührkraft entzieht, welche dieser selbst zugute kommen sollte. Es bedeutet ferner
eine Verschiebung des Streitpunktes, denn niemand in der Partei ist über das
"Ob" der Bekämpfung der Sozialdemokratie im Zweifel, der Streit betrifft
immer nur das "Wie". In letzter Linie bedeutet die Ankündigung auch die
Zersetzung der Partei. Denn was soll es heißen, wenn der Generalsekretär des
neuen Verbandes, der sich inzwischen den Namen "Altnationalliberaler Reichs¬
verband" beigelegt hat, sich über diesen im "Tag" folgendermaßen verbreitet:

"Wir bekämpfen jeden Versuch, den Staat reaktionären und ultramontanen
Machtgelüsten dienstbar zu machen, in der Überzeugung, daß wachsende Kultur
und Bildung die ideellen Güter des Liberalismus zum Allgemeinwohl aller
Schichten des Volkes machen muß. In einem national zuverlässigen liberalen
Bürgertume erblicken wir den sicheren Wall gegen die drohende Demokratisierung
unseres Vaterlandes. Eine entschlossene und weitschauende Weltpolitik fordern
nur als Gewähr unserer gesunden wirtschaftlichen Weiterentwicklung und Erhaltung
unserer staatlichen Einheit und Machtstellung. Über alles gehen uns die ratio-


Die Zukunft der nationallibcralen Partei

Noch seltsamer, ja geradezu unerträglich würde sich aber das Verhältnis
für den Nationalliberalen in Preußen selbst gestalten. Denn dieser müßte in
seiner Brust zwei mittlere Saiten spannen, von denen nur die eine erklingen
darf, wenn es sich um preußische, nur die andere, wenn es sich um Reichs¬
angelegenheiten handelt. Daß dieser Zustand zu einem heillosen Wirrwarr
führen müßte, bedarf keines weiteren Nachweises. Und dennoch scheint es so
kommen zu sollen. Denn im unmittelbaren Anschluß an den Parteitag, der so
einmütig die Statutenänderung annahm, um das vermeintlich von den Jung¬
liberalen drohende Übel zu beseitigen, hat eine größere Anzahl von Partei¬
freunden sich zu einem Verbände zusammengeschlossen, um „innerhalb der national¬
liberalen Partei für die Aufrechterhaltung des Charakters einer selbständigen
Mittelpartei zu wirken". Dazu bemerkte die Nationalliberale Korrespondenz,
„daß es sich um den Zusammenschluß von Männern handelt, die dafür arbeiten
wollen, daß die Partei bleibt, was sie in vierzigjähriger ruhmreicher Geschichte
war: die Partei des nationalen maßvollen Liberalismus, die im Schutze von
Staat, Kultur und Einzelpersönlichkeit gegen den Ansturm der Sozialdemokratie
eine ihrer vornehmsten Aufgaben sieht." Einen saftigeren Erisapfel hätte nicht
der böse Feind in die Reihen der Nationalliberalen schleudern können, wie es
hier das offizielle Parteiorgan getan hat. Denn welcher Nationalliberale unter¬
schriebe nicht diesen Satz, und doch hat es das Parteiorgan unternommen, den
Inhalt für eine Anzahl Parteifreunde allein in Anspruch zu nehmen, die das
Bedürfnis in sich fühlen, zum Zwecke der Hütung der mittleren Linie zu einem
besonderen Verbände innerhalb der Partei zusammenzutreten. Das bedeutet
für alle anderen Parteiangehörigen den schweren Vorwurf, daß sie entweder
nicht willens oder doch nicht imstande seien, die Tradition der Partei zu wahren.
Es bedeutet auch die durchaus einseitige Stellungnahme des Organs der Gesamt¬
partei zugunsten und zum Preise einer bestimmten Gruppe, die der Gesamtpartei
Nührkraft entzieht, welche dieser selbst zugute kommen sollte. Es bedeutet ferner
eine Verschiebung des Streitpunktes, denn niemand in der Partei ist über das
„Ob" der Bekämpfung der Sozialdemokratie im Zweifel, der Streit betrifft
immer nur das „Wie". In letzter Linie bedeutet die Ankündigung auch die
Zersetzung der Partei. Denn was soll es heißen, wenn der Generalsekretär des
neuen Verbandes, der sich inzwischen den Namen „Altnationalliberaler Reichs¬
verband" beigelegt hat, sich über diesen im „Tag" folgendermaßen verbreitet:

„Wir bekämpfen jeden Versuch, den Staat reaktionären und ultramontanen
Machtgelüsten dienstbar zu machen, in der Überzeugung, daß wachsende Kultur
und Bildung die ideellen Güter des Liberalismus zum Allgemeinwohl aller
Schichten des Volkes machen muß. In einem national zuverlässigen liberalen
Bürgertume erblicken wir den sicheren Wall gegen die drohende Demokratisierung
unseres Vaterlandes. Eine entschlossene und weitschauende Weltpolitik fordern
nur als Gewähr unserer gesunden wirtschaftlichen Weiterentwicklung und Erhaltung
unserer staatlichen Einheit und Machtstellung. Über alles gehen uns die ratio-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0019" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321766"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Zukunft der nationallibcralen Partei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_19"> Noch seltsamer, ja geradezu unerträglich würde sich aber das Verhältnis<lb/>
für den Nationalliberalen in Preußen selbst gestalten.  Denn dieser müßte in<lb/>
seiner Brust zwei mittlere Saiten spannen, von denen nur die eine erklingen<lb/>
darf, wenn es sich um preußische, nur die andere, wenn es sich um Reichs¬<lb/>
angelegenheiten handelt.  Daß dieser Zustand zu einem heillosen Wirrwarr<lb/>
führen müßte, bedarf keines weiteren Nachweises.  Und dennoch scheint es so<lb/>
kommen zu sollen.  Denn im unmittelbaren Anschluß an den Parteitag, der so<lb/>
einmütig die Statutenänderung annahm, um das vermeintlich von den Jung¬<lb/>
liberalen drohende Übel zu beseitigen, hat eine größere Anzahl von Partei¬<lb/>
freunden sich zu einem Verbände zusammengeschlossen, um &#x201E;innerhalb der national¬<lb/>
liberalen Partei für die Aufrechterhaltung des Charakters einer selbständigen<lb/>
Mittelpartei zu wirken".  Dazu bemerkte die Nationalliberale Korrespondenz,<lb/>
&#x201E;daß es sich um den Zusammenschluß von Männern handelt, die dafür arbeiten<lb/>
wollen, daß die Partei bleibt, was sie in vierzigjähriger ruhmreicher Geschichte<lb/>
war: die Partei des nationalen maßvollen Liberalismus, die im Schutze von<lb/>
Staat, Kultur und Einzelpersönlichkeit gegen den Ansturm der Sozialdemokratie<lb/>
eine ihrer vornehmsten Aufgaben sieht."  Einen saftigeren Erisapfel hätte nicht<lb/>
der böse Feind in die Reihen der Nationalliberalen schleudern können, wie es<lb/>
hier das offizielle Parteiorgan getan hat.  Denn welcher Nationalliberale unter¬<lb/>
schriebe nicht diesen Satz, und doch hat es das Parteiorgan unternommen, den<lb/>
Inhalt für eine Anzahl Parteifreunde allein in Anspruch zu nehmen, die das<lb/>
Bedürfnis in sich fühlen, zum Zwecke der Hütung der mittleren Linie zu einem<lb/>
besonderen Verbände innerhalb der Partei zusammenzutreten. Das bedeutet<lb/>
für alle anderen Parteiangehörigen den schweren Vorwurf, daß sie entweder<lb/>
nicht willens oder doch nicht imstande seien, die Tradition der Partei zu wahren.<lb/>
Es bedeutet auch die durchaus einseitige Stellungnahme des Organs der Gesamt¬<lb/>
partei zugunsten und zum Preise einer bestimmten Gruppe, die der Gesamtpartei<lb/>
Nührkraft entzieht, welche dieser selbst zugute kommen sollte.  Es bedeutet ferner<lb/>
eine Verschiebung des Streitpunktes, denn niemand in der Partei ist über das<lb/>
&#x201E;Ob" der Bekämpfung der Sozialdemokratie im Zweifel, der Streit betrifft<lb/>
immer nur das &#x201E;Wie".  In letzter Linie bedeutet die Ankündigung auch die<lb/>
Zersetzung der Partei. Denn was soll es heißen, wenn der Generalsekretär des<lb/>
neuen Verbandes, der sich inzwischen den Namen &#x201E;Altnationalliberaler Reichs¬<lb/>
verband" beigelegt hat, sich über diesen im &#x201E;Tag" folgendermaßen verbreitet:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_20" next="#ID_21"> &#x201E;Wir bekämpfen jeden Versuch, den Staat reaktionären und ultramontanen<lb/>
Machtgelüsten dienstbar zu machen, in der Überzeugung, daß wachsende Kultur<lb/>
und Bildung die ideellen Güter des Liberalismus zum Allgemeinwohl aller<lb/>
Schichten des Volkes machen muß. In einem national zuverlässigen liberalen<lb/>
Bürgertume erblicken wir den sicheren Wall gegen die drohende Demokratisierung<lb/>
unseres Vaterlandes.  Eine entschlossene und weitschauende Weltpolitik fordern<lb/>
nur als Gewähr unserer gesunden wirtschaftlichen Weiterentwicklung und Erhaltung<lb/>
unserer staatlichen Einheit und Machtstellung. Über alles gehen uns die ratio-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0019] Die Zukunft der nationallibcralen Partei Noch seltsamer, ja geradezu unerträglich würde sich aber das Verhältnis für den Nationalliberalen in Preußen selbst gestalten. Denn dieser müßte in seiner Brust zwei mittlere Saiten spannen, von denen nur die eine erklingen darf, wenn es sich um preußische, nur die andere, wenn es sich um Reichs¬ angelegenheiten handelt. Daß dieser Zustand zu einem heillosen Wirrwarr führen müßte, bedarf keines weiteren Nachweises. Und dennoch scheint es so kommen zu sollen. Denn im unmittelbaren Anschluß an den Parteitag, der so einmütig die Statutenänderung annahm, um das vermeintlich von den Jung¬ liberalen drohende Übel zu beseitigen, hat eine größere Anzahl von Partei¬ freunden sich zu einem Verbände zusammengeschlossen, um „innerhalb der national¬ liberalen Partei für die Aufrechterhaltung des Charakters einer selbständigen Mittelpartei zu wirken". Dazu bemerkte die Nationalliberale Korrespondenz, „daß es sich um den Zusammenschluß von Männern handelt, die dafür arbeiten wollen, daß die Partei bleibt, was sie in vierzigjähriger ruhmreicher Geschichte war: die Partei des nationalen maßvollen Liberalismus, die im Schutze von Staat, Kultur und Einzelpersönlichkeit gegen den Ansturm der Sozialdemokratie eine ihrer vornehmsten Aufgaben sieht." Einen saftigeren Erisapfel hätte nicht der böse Feind in die Reihen der Nationalliberalen schleudern können, wie es hier das offizielle Parteiorgan getan hat. Denn welcher Nationalliberale unter¬ schriebe nicht diesen Satz, und doch hat es das Parteiorgan unternommen, den Inhalt für eine Anzahl Parteifreunde allein in Anspruch zu nehmen, die das Bedürfnis in sich fühlen, zum Zwecke der Hütung der mittleren Linie zu einem besonderen Verbände innerhalb der Partei zusammenzutreten. Das bedeutet für alle anderen Parteiangehörigen den schweren Vorwurf, daß sie entweder nicht willens oder doch nicht imstande seien, die Tradition der Partei zu wahren. Es bedeutet auch die durchaus einseitige Stellungnahme des Organs der Gesamt¬ partei zugunsten und zum Preise einer bestimmten Gruppe, die der Gesamtpartei Nührkraft entzieht, welche dieser selbst zugute kommen sollte. Es bedeutet ferner eine Verschiebung des Streitpunktes, denn niemand in der Partei ist über das „Ob" der Bekämpfung der Sozialdemokratie im Zweifel, der Streit betrifft immer nur das „Wie". In letzter Linie bedeutet die Ankündigung auch die Zersetzung der Partei. Denn was soll es heißen, wenn der Generalsekretär des neuen Verbandes, der sich inzwischen den Namen „Altnationalliberaler Reichs¬ verband" beigelegt hat, sich über diesen im „Tag" folgendermaßen verbreitet: „Wir bekämpfen jeden Versuch, den Staat reaktionären und ultramontanen Machtgelüsten dienstbar zu machen, in der Überzeugung, daß wachsende Kultur und Bildung die ideellen Güter des Liberalismus zum Allgemeinwohl aller Schichten des Volkes machen muß. In einem national zuverlässigen liberalen Bürgertume erblicken wir den sicheren Wall gegen die drohende Demokratisierung unseres Vaterlandes. Eine entschlossene und weitschauende Weltpolitik fordern nur als Gewähr unserer gesunden wirtschaftlichen Weiterentwicklung und Erhaltung unserer staatlichen Einheit und Machtstellung. Über alles gehen uns die ratio-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/19
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/19>, abgerufen am 01.07.2024.