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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft der nationalliberalen Partei

schütteln, sie hätte sich um den hohen Ruhm gebracht, den Wiederhersteller des
Deutschen Reiches aus ihren Reihen emporwachsen zu lassen. Mit der nämlichen
Gelassenheit, stelle man sich der jungliberalen Bewegung entgegen und erinnere
sich der Weisheit des Sprichwortes, daß Alter auch nicht gerade vor allem schützt.
Der Beweis, daß es gerade jungliberale Vertreter im Reichstage gewesen sind,
die die Präsidialkandidatur Bebel unterstützt haben, ist jedenfalls nicht geführt
worden und es ist daher unverständlich, wie der Generalsekretär des neuen Alt¬
nationalliberalen Reichsverbandes bei seiner Darlegung von der Notwendigkeit
der Neugründung von jenem Vorkommnisse hat ausgehen können. Mit der
Stiftung dieses Verbandes als Gegengewicht oder Gegengift gegen die Jung¬
liberalen hat man die Kraft dieser und damit auch der Gesamtpartei vor der
Zeit gelähmt; denn es ist selbstverständlich, daß sich nun ein Kampf entfesseln
wird, wie er unter zärtlichen Verwandten üblich ist. und damit wird die Lust
und Kraft am Kampfe gegen gemeinschaftliche Gegner aufs schwerste beeinträchtigt.
Daß es sich aber bei den Altnationalliberalen um eine Kampforganisation
handelt, hat der Abg. Dr. Böttger im "Tag" mit dürren Worten ausgesprochen.
Hat aber die Partei so viel Kraft übrig, um nicht nur ihrer Gegner sich zu
erwehren, sondern noch in den eigenen Reihen Kämpfe auszufechten? Das
dürfte doch eine Vergeudung politischer Machtmittel sein, die eine vorsichtig
waltende Parteileitung niemals gestatten sollte.

Dabei entsteht die Frage, ob der Zentralvorstand, der sich durch die
Statutenänderung von der Verantwortung sür die Handlungen und Ent¬
schließungen der selbständigen Reichsverbände befreien wollte, diesem Kampf
wirklich als unbeteiligter Zuschauer mit verschränkten Armen gegenüberstehen
wird und kann. ES bleibt ihm ja freilich noch der Rumpf der Partei, nach¬
dem die beiden Flügel sich in besonderen Verbunden zusammengetan haben.
Aber dem Rumpfe wird auch schließlich nichts übrig bleiben, als sich zu einem
besonderen Verbände zusammenzutun und dann wird der Zentralvorstand nur
noch ein von drei scharfen Spitzen überragtes Plateau vorstellen. Glaubt
man ernstlich, daß ein solcher Zustand haltbar sein und die Partei zusammen¬
halten kann? Es ist denn doch nur natürlich, daß die Politik selbständig von
den drei Organisationen gemacht und der Kampf nicht mehr innerhalb des
Zentralvorstandes, sondern außerhalb desselben, als ob er überhaupt nicht vor¬
handen sei. ausgefochten werden wird. Man hat die uralte Geschichte von den
drei Ringen, die wir aus Lessings "Nathan" kennen, hier einmal wieder leibhaft
vor Augen. Die sogenannten Altnationalliberalen sagen, daß sie den echten
Ring der Parteitradition haben, die Jungliberalen werden das für sich beanspruchen
und die Herren in der Mitte der Partei werden beiden sagen, daß sie sich irren
und der echte Ring von ihnen bewahrt werde. Wenn nicht alles trügt, so wird
der neue Verband eine wesentlich preußische Schöpfung sein, während der Jung¬
liberale Verband wohl seine Hauptstützen im Süden des Vaterlandes findet; wir
würden dann die alten Gegensätze in vollster Reinkultur vor uns haben, die


Grenzboten III 1912 2
Die Zukunft der nationalliberalen Partei

schütteln, sie hätte sich um den hohen Ruhm gebracht, den Wiederhersteller des
Deutschen Reiches aus ihren Reihen emporwachsen zu lassen. Mit der nämlichen
Gelassenheit, stelle man sich der jungliberalen Bewegung entgegen und erinnere
sich der Weisheit des Sprichwortes, daß Alter auch nicht gerade vor allem schützt.
Der Beweis, daß es gerade jungliberale Vertreter im Reichstage gewesen sind,
die die Präsidialkandidatur Bebel unterstützt haben, ist jedenfalls nicht geführt
worden und es ist daher unverständlich, wie der Generalsekretär des neuen Alt¬
nationalliberalen Reichsverbandes bei seiner Darlegung von der Notwendigkeit
der Neugründung von jenem Vorkommnisse hat ausgehen können. Mit der
Stiftung dieses Verbandes als Gegengewicht oder Gegengift gegen die Jung¬
liberalen hat man die Kraft dieser und damit auch der Gesamtpartei vor der
Zeit gelähmt; denn es ist selbstverständlich, daß sich nun ein Kampf entfesseln
wird, wie er unter zärtlichen Verwandten üblich ist. und damit wird die Lust
und Kraft am Kampfe gegen gemeinschaftliche Gegner aufs schwerste beeinträchtigt.
Daß es sich aber bei den Altnationalliberalen um eine Kampforganisation
handelt, hat der Abg. Dr. Böttger im „Tag" mit dürren Worten ausgesprochen.
Hat aber die Partei so viel Kraft übrig, um nicht nur ihrer Gegner sich zu
erwehren, sondern noch in den eigenen Reihen Kämpfe auszufechten? Das
dürfte doch eine Vergeudung politischer Machtmittel sein, die eine vorsichtig
waltende Parteileitung niemals gestatten sollte.

Dabei entsteht die Frage, ob der Zentralvorstand, der sich durch die
Statutenänderung von der Verantwortung sür die Handlungen und Ent¬
schließungen der selbständigen Reichsverbände befreien wollte, diesem Kampf
wirklich als unbeteiligter Zuschauer mit verschränkten Armen gegenüberstehen
wird und kann. ES bleibt ihm ja freilich noch der Rumpf der Partei, nach¬
dem die beiden Flügel sich in besonderen Verbunden zusammengetan haben.
Aber dem Rumpfe wird auch schließlich nichts übrig bleiben, als sich zu einem
besonderen Verbände zusammenzutun und dann wird der Zentralvorstand nur
noch ein von drei scharfen Spitzen überragtes Plateau vorstellen. Glaubt
man ernstlich, daß ein solcher Zustand haltbar sein und die Partei zusammen¬
halten kann? Es ist denn doch nur natürlich, daß die Politik selbständig von
den drei Organisationen gemacht und der Kampf nicht mehr innerhalb des
Zentralvorstandes, sondern außerhalb desselben, als ob er überhaupt nicht vor¬
handen sei. ausgefochten werden wird. Man hat die uralte Geschichte von den
drei Ringen, die wir aus Lessings „Nathan" kennen, hier einmal wieder leibhaft
vor Augen. Die sogenannten Altnationalliberalen sagen, daß sie den echten
Ring der Parteitradition haben, die Jungliberalen werden das für sich beanspruchen
und die Herren in der Mitte der Partei werden beiden sagen, daß sie sich irren
und der echte Ring von ihnen bewahrt werde. Wenn nicht alles trügt, so wird
der neue Verband eine wesentlich preußische Schöpfung sein, während der Jung¬
liberale Verband wohl seine Hauptstützen im Süden des Vaterlandes findet; wir
würden dann die alten Gegensätze in vollster Reinkultur vor uns haben, die


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[0021] Die Zukunft der nationalliberalen Partei schütteln, sie hätte sich um den hohen Ruhm gebracht, den Wiederhersteller des Deutschen Reiches aus ihren Reihen emporwachsen zu lassen. Mit der nämlichen Gelassenheit, stelle man sich der jungliberalen Bewegung entgegen und erinnere sich der Weisheit des Sprichwortes, daß Alter auch nicht gerade vor allem schützt. Der Beweis, daß es gerade jungliberale Vertreter im Reichstage gewesen sind, die die Präsidialkandidatur Bebel unterstützt haben, ist jedenfalls nicht geführt worden und es ist daher unverständlich, wie der Generalsekretär des neuen Alt¬ nationalliberalen Reichsverbandes bei seiner Darlegung von der Notwendigkeit der Neugründung von jenem Vorkommnisse hat ausgehen können. Mit der Stiftung dieses Verbandes als Gegengewicht oder Gegengift gegen die Jung¬ liberalen hat man die Kraft dieser und damit auch der Gesamtpartei vor der Zeit gelähmt; denn es ist selbstverständlich, daß sich nun ein Kampf entfesseln wird, wie er unter zärtlichen Verwandten üblich ist. und damit wird die Lust und Kraft am Kampfe gegen gemeinschaftliche Gegner aufs schwerste beeinträchtigt. Daß es sich aber bei den Altnationalliberalen um eine Kampforganisation handelt, hat der Abg. Dr. Böttger im „Tag" mit dürren Worten ausgesprochen. Hat aber die Partei so viel Kraft übrig, um nicht nur ihrer Gegner sich zu erwehren, sondern noch in den eigenen Reihen Kämpfe auszufechten? Das dürfte doch eine Vergeudung politischer Machtmittel sein, die eine vorsichtig waltende Parteileitung niemals gestatten sollte. Dabei entsteht die Frage, ob der Zentralvorstand, der sich durch die Statutenänderung von der Verantwortung sür die Handlungen und Ent¬ schließungen der selbständigen Reichsverbände befreien wollte, diesem Kampf wirklich als unbeteiligter Zuschauer mit verschränkten Armen gegenüberstehen wird und kann. ES bleibt ihm ja freilich noch der Rumpf der Partei, nach¬ dem die beiden Flügel sich in besonderen Verbunden zusammengetan haben. Aber dem Rumpfe wird auch schließlich nichts übrig bleiben, als sich zu einem besonderen Verbände zusammenzutun und dann wird der Zentralvorstand nur noch ein von drei scharfen Spitzen überragtes Plateau vorstellen. Glaubt man ernstlich, daß ein solcher Zustand haltbar sein und die Partei zusammen¬ halten kann? Es ist denn doch nur natürlich, daß die Politik selbständig von den drei Organisationen gemacht und der Kampf nicht mehr innerhalb des Zentralvorstandes, sondern außerhalb desselben, als ob er überhaupt nicht vor¬ handen sei. ausgefochten werden wird. Man hat die uralte Geschichte von den drei Ringen, die wir aus Lessings „Nathan" kennen, hier einmal wieder leibhaft vor Augen. Die sogenannten Altnationalliberalen sagen, daß sie den echten Ring der Parteitradition haben, die Jungliberalen werden das für sich beanspruchen und die Herren in der Mitte der Partei werden beiden sagen, daß sie sich irren und der echte Ring von ihnen bewahrt werde. Wenn nicht alles trügt, so wird der neue Verband eine wesentlich preußische Schöpfung sein, während der Jung¬ liberale Verband wohl seine Hauptstützen im Süden des Vaterlandes findet; wir würden dann die alten Gegensätze in vollster Reinkultur vor uns haben, die Grenzboten III 1912 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/21>, abgerufen am 01.07.2024.