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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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hatte. Den Abend so kriegte er einige Gläser in den Kopf und wurde recht
lustig." --

Lebhaft kann man sich die Situation vorstellen. Man machte den harm¬
losen Gast zur Zielscheibe seines Witzes und amüsierte sich auf seine Kosten. In
bezug auf den Rock bewies der Prinz von Mirow jedenfalls mehr Taktgefühl
wie seine Wirte. Denn, wenn man sich den Preis eines Hofkleides jener Zeit, eines
goldgestickten Sammetrockes klar macht, so war es für den armen paterkamillaZ sicher
keine Kleinigkeit, sein Staatsgewand mutwillig im Regen ruinieren zu lassen,
und doch wird ihm das Zeugnis, daß er das Unvermeidliche mit Würde trug.

Auch später ist der Verkehr von beiden Seiten fortgesetzt und scheint doch
mit gegenseitigen, freundlichen Beziehungen verlaufen zu sein. Friedrich verfaßt
keine mokanten Briefe mehr über die Nachbarn, doch schreibt er einmal scherzend
an Camas: "Der Zuname der Antipoden steht meinem Hofstaat nicht übel an,
denn die Mirokesen sind meine Nachbarn." --

Es gibt einen interessanten Dreiklang: Der Potsdamer Soldatenkönig mit
dem Tabakskollegium, die geistreichen Antipoden in Rheinsberg und der einfache,
stille, kleine Hof der Mirokesen.

Bei dem ältesten Sohn des Herzogs stand der Kronprinz Gevatter, und als das
bescheidene neue Haus von den jungen Herrschaften bezogen war, schreibt Friedrich:
"Wir sind dieser Tage nach Mirow gewesen, woselbsten der Prinz tractieret hat."

Auch die Sage bemächtigte sich dieses nachbarlichen Verkehrs, und man
zeigte lange die Laube, in der der Kronprinz, einer schönen Prinzessin zu Ge¬
fallen, in die er sich verliebt hatte, Flöte gespielt haben sollte.

Das ist natürlich erfunden, aber daß er dem Mirower Hof auch als König
freundliche Teilnahme bewahrt, ersehen wir erstens aus seinem Befehl, die oft
sehr rücksichtslos betriebenen Werbungen in Mecklenburg > Strelitz fortab durch
verständige und bescheidene Offiziere ausführen zu lassen, und zweitens daraus,
daß er das Kupfer zum Dach für den neuen Kirchturm in Mirow schenkte.

Am 4. September 1742 nämlich schlug der Blitz in den alten hölzernen
Kirchturm, und das um sich greifende Feuer zerstörte alle Gebäude auf dem
alten Hof der Komturei. Nachdem zuerst die Kirche wieder hergestellt war,
erbaute die Herzogin-Mutter auf ganz anderer Stelle das jetzige dreistöckige
Schloß. Dies zu besehen, machte ich mich nun auf den Weg.

Während ich in Begleitung meiner liebenswürdigen Wirtin zwischen Gärten
und Wiesen dahinschritt, erzählte sie mir, wie sie im vorigen Sommer in dem
kleinen Motorboot, über das ihr Gatte als Regierungsbeamter verfügte, eine
Wasserfahrt nach Berlin gemacht hätte. Das klingt wunderbar und ist doch
kein Märchen, denn der große Mirower See steht in ganz schiffbarer Wasser¬
verbindung mit der Spree. Fast neidisch hörte ich der Beschreibung der hübschen,
ganz abenteuerlich anmutenden Reise zu und erfuhr, daß man auch nach der
mecklenburgischen Seite in Wasserverbindung stehe und Schwerin zu Schiff
besuchen könne.


Mirow

hatte. Den Abend so kriegte er einige Gläser in den Kopf und wurde recht
lustig." —

Lebhaft kann man sich die Situation vorstellen. Man machte den harm¬
losen Gast zur Zielscheibe seines Witzes und amüsierte sich auf seine Kosten. In
bezug auf den Rock bewies der Prinz von Mirow jedenfalls mehr Taktgefühl
wie seine Wirte. Denn, wenn man sich den Preis eines Hofkleides jener Zeit, eines
goldgestickten Sammetrockes klar macht, so war es für den armen paterkamillaZ sicher
keine Kleinigkeit, sein Staatsgewand mutwillig im Regen ruinieren zu lassen,
und doch wird ihm das Zeugnis, daß er das Unvermeidliche mit Würde trug.

Auch später ist der Verkehr von beiden Seiten fortgesetzt und scheint doch
mit gegenseitigen, freundlichen Beziehungen verlaufen zu sein. Friedrich verfaßt
keine mokanten Briefe mehr über die Nachbarn, doch schreibt er einmal scherzend
an Camas: „Der Zuname der Antipoden steht meinem Hofstaat nicht übel an,
denn die Mirokesen sind meine Nachbarn." —

Es gibt einen interessanten Dreiklang: Der Potsdamer Soldatenkönig mit
dem Tabakskollegium, die geistreichen Antipoden in Rheinsberg und der einfache,
stille, kleine Hof der Mirokesen.

Bei dem ältesten Sohn des Herzogs stand der Kronprinz Gevatter, und als das
bescheidene neue Haus von den jungen Herrschaften bezogen war, schreibt Friedrich:
„Wir sind dieser Tage nach Mirow gewesen, woselbsten der Prinz tractieret hat."

Auch die Sage bemächtigte sich dieses nachbarlichen Verkehrs, und man
zeigte lange die Laube, in der der Kronprinz, einer schönen Prinzessin zu Ge¬
fallen, in die er sich verliebt hatte, Flöte gespielt haben sollte.

Das ist natürlich erfunden, aber daß er dem Mirower Hof auch als König
freundliche Teilnahme bewahrt, ersehen wir erstens aus seinem Befehl, die oft
sehr rücksichtslos betriebenen Werbungen in Mecklenburg > Strelitz fortab durch
verständige und bescheidene Offiziere ausführen zu lassen, und zweitens daraus,
daß er das Kupfer zum Dach für den neuen Kirchturm in Mirow schenkte.

Am 4. September 1742 nämlich schlug der Blitz in den alten hölzernen
Kirchturm, und das um sich greifende Feuer zerstörte alle Gebäude auf dem
alten Hof der Komturei. Nachdem zuerst die Kirche wieder hergestellt war,
erbaute die Herzogin-Mutter auf ganz anderer Stelle das jetzige dreistöckige
Schloß. Dies zu besehen, machte ich mich nun auf den Weg.

Während ich in Begleitung meiner liebenswürdigen Wirtin zwischen Gärten
und Wiesen dahinschritt, erzählte sie mir, wie sie im vorigen Sommer in dem
kleinen Motorboot, über das ihr Gatte als Regierungsbeamter verfügte, eine
Wasserfahrt nach Berlin gemacht hätte. Das klingt wunderbar und ist doch
kein Märchen, denn der große Mirower See steht in ganz schiffbarer Wasser¬
verbindung mit der Spree. Fast neidisch hörte ich der Beschreibung der hübschen,
ganz abenteuerlich anmutenden Reise zu und erfuhr, daß man auch nach der
mecklenburgischen Seite in Wasserverbindung stehe und Schwerin zu Schiff
besuchen könne.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/191>, abgerufen am 03.07.2024.