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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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17"?

bezogen. Es war ein kleines Juwel unter den fürstlichen Wohnsitzen. Im
besten Geschmack jener Zeit ausgestattet, mit Gemälden von Pesne und anderen
Künstlern geschmückt, in der reizenden Lage am See. umgeben von den schönsten
Gärten. Friedrich machte es zu einem Sammelplatz für seine Freunde, deren
jeder in seiner Persönlichkeit einen Gewinn für die Gesellschaft darstellte. Geist¬
reiche, schöne Frauen, wie Frau von Brand und die Baronin Marrien (is tour-
billon), Männer wie Camas, Argens sie äivin marqui8), Jordan (Hephästion),
der französische und englische Gesandte und nicht zu vergessen der lustige Chevalier
Chasot, dem alle Waffen des Witzes und der Satire zu Gebote standen und
der niemand schonte. Alle diese Leute und viele andere gingen in Rheinsberg
aus und ein. Und wenn der Prinz auch in der Stille seines Arbeitszimmers
Werke, wie seine Betrachtungen über den Staatskörper Europas, entstehen ließ,
so trug doch das Leben auf dem "Rhemusberge" durchaus den Charakter
heiterster, angelegtester Geselligkeit, vom feinsten Geist und vom Verständnis
aller Kunstgenüsse belebt. Graun und Ouantz gaben Konzerte, und Friedrich
schreibt an seine Schwester Wilhelmine: "I^eins sai8on8 la traZöckie et la
L0in6als, N0U8 av<ZU3 bal se in^caracks et mu8ique a doues 8auLL."

Man maß sich den Gegensatz dieser beiden Kreise klar machen, um zu ver¬
stehen, welches Ergebnis ein Zusammentreffen haben mußte, und um den richtigen
Maßstab für die Erzählungen Friedrichs über den Mirower Hof zu gewinnen.
Mag nun der Besuch in Mirow auf Verabredung mit dem König oder aus
nachbarlicher Höflichkeit unternommen worden sein, jedenfalls wurde der Verkehr
zu allerlei lustigen, mit scharfem Spott gewürzten Berichten an den "allergnädigsten
Vater" über diesen kuriosen Hof benützt.

Der erste dieser Besuche Friedrichs, bei dem ein in Mecklenburg bekannter
Werbeoffizier, Leutnant von Buddenbrock, ihn begleitete, fand am 25. Oktober
1736 statt, und der Kronprinz berichtet darüber unter anderem:

"Ich ging also fort nach dem Schloß, welches ohngefähr wie das Garten¬
haus in Bornim ist; ringsherum aber ist ein Wall; und ein alter Thurm, der
schon ziemlich verfallen ist, dient dem Hause zum Thorweg. Wie ich an die
Brücke kam, so fand ich einen alten Strumpfstricker als einen Grenadier ver¬
kleidet, mit der Mütze, Tasche, und das Gewehr bei sich stehen, um ihn desto
weniger an seiner Arbeit zu hindern. Als ich heran kam, so frug er, wor ich
her käme und wor ich hin wollte, worauf ich ihm antwortete, ich käme vom
PostHause und ginge über die Brücke, worauf der Grenadier ganz erzürnt nach
dem Thurm lief, woselbsten er eine Thür aufmachte und den Corpora! herauf¬
rief. Dieser war aber eben aus dem Bette aufgestanden und hatte aus großer
Eile sich nicht die Zeit genommen, sich weder die Schuhe anzuziehen noch die
Hosen zuzumachen, und frug uns ganz verstört, wo wir hin wollten und wie
wir der Schildwache begegnet hätten. Ohne ihm aber einmal zu antworten
gingen wir unsere Wege nach dem Schlosse zu. Dieses hätte ich meine Tage
für kein Schloß angesehen, wenn nicht zwei Laternen vorn an der Thür wären


Grenzboten III 1912 23
Miroiv
17"?

bezogen. Es war ein kleines Juwel unter den fürstlichen Wohnsitzen. Im
besten Geschmack jener Zeit ausgestattet, mit Gemälden von Pesne und anderen
Künstlern geschmückt, in der reizenden Lage am See. umgeben von den schönsten
Gärten. Friedrich machte es zu einem Sammelplatz für seine Freunde, deren
jeder in seiner Persönlichkeit einen Gewinn für die Gesellschaft darstellte. Geist¬
reiche, schöne Frauen, wie Frau von Brand und die Baronin Marrien (is tour-
billon), Männer wie Camas, Argens sie äivin marqui8), Jordan (Hephästion),
der französische und englische Gesandte und nicht zu vergessen der lustige Chevalier
Chasot, dem alle Waffen des Witzes und der Satire zu Gebote standen und
der niemand schonte. Alle diese Leute und viele andere gingen in Rheinsberg
aus und ein. Und wenn der Prinz auch in der Stille seines Arbeitszimmers
Werke, wie seine Betrachtungen über den Staatskörper Europas, entstehen ließ,
so trug doch das Leben auf dem „Rhemusberge" durchaus den Charakter
heiterster, angelegtester Geselligkeit, vom feinsten Geist und vom Verständnis
aller Kunstgenüsse belebt. Graun und Ouantz gaben Konzerte, und Friedrich
schreibt an seine Schwester Wilhelmine: „I^eins sai8on8 la traZöckie et la
L0in6als, N0U8 av<ZU3 bal se in^caracks et mu8ique a doues 8auLL."

Man maß sich den Gegensatz dieser beiden Kreise klar machen, um zu ver¬
stehen, welches Ergebnis ein Zusammentreffen haben mußte, und um den richtigen
Maßstab für die Erzählungen Friedrichs über den Mirower Hof zu gewinnen.
Mag nun der Besuch in Mirow auf Verabredung mit dem König oder aus
nachbarlicher Höflichkeit unternommen worden sein, jedenfalls wurde der Verkehr
zu allerlei lustigen, mit scharfem Spott gewürzten Berichten an den „allergnädigsten
Vater" über diesen kuriosen Hof benützt.

Der erste dieser Besuche Friedrichs, bei dem ein in Mecklenburg bekannter
Werbeoffizier, Leutnant von Buddenbrock, ihn begleitete, fand am 25. Oktober
1736 statt, und der Kronprinz berichtet darüber unter anderem:

„Ich ging also fort nach dem Schloß, welches ohngefähr wie das Garten¬
haus in Bornim ist; ringsherum aber ist ein Wall; und ein alter Thurm, der
schon ziemlich verfallen ist, dient dem Hause zum Thorweg. Wie ich an die
Brücke kam, so fand ich einen alten Strumpfstricker als einen Grenadier ver¬
kleidet, mit der Mütze, Tasche, und das Gewehr bei sich stehen, um ihn desto
weniger an seiner Arbeit zu hindern. Als ich heran kam, so frug er, wor ich
her käme und wor ich hin wollte, worauf ich ihm antwortete, ich käme vom
PostHause und ginge über die Brücke, worauf der Grenadier ganz erzürnt nach
dem Thurm lief, woselbsten er eine Thür aufmachte und den Corpora! herauf¬
rief. Dieser war aber eben aus dem Bette aufgestanden und hatte aus großer
Eile sich nicht die Zeit genommen, sich weder die Schuhe anzuziehen noch die
Hosen zuzumachen, und frug uns ganz verstört, wo wir hin wollten und wie
wir der Schildwache begegnet hätten. Ohne ihm aber einmal zu antworten
gingen wir unsere Wege nach dem Schlosse zu. Dieses hätte ich meine Tage
für kein Schloß angesehen, wenn nicht zwei Laternen vorn an der Thür wären


Grenzboten III 1912 23
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/189>, abgerufen am 03.07.2024.