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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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und sicher war der dort zweimal im Jahre abgehaltene Jahrmarkt ein Ereignis
im Leben des kleinen Fürstensohnes, der kaum anders als ein adliger Land¬
junker seiner Zeit heranwuchs, nur daß ihm ein trefflicher Gouverneur, ein
Herr von Zesterfleht, beigegeben war. Dieser begleitete ihn wohl auch nach
Genf, wo er, sechzehn Jahre alt. studierte, und auf der sogenannten großen
Tour, der üblichen Reise durch Österreich, Schweiz, Italien und Frankreich.
In Wien stellte sich der Prinz persönlich dem Kaiser vor und trat einige Jahre
als Oberstleutnant in österreichische Dienste.

Aber schon mit zweiundzwanzig Jahren finden wir ihn wieder daheim bei
Durchlaucht Mama auf dem 2409 Quadratfuß großen Burghof zwischen See
und Wallgraben und sogar als jungen Ehemann! Er hatte Prinzessin Eli¬
sabeth Albertine von Hildburghausen heimgeführt, und zwar in das Fachwerk¬
haus der alten Komturei, wo das junge Paar mit Mutter und Tante unter
einem Dach seine bescheidene Wohnstätte aufgeschlagen hatte. Erst nach der
Geburt des ersten Kindes dachte man daran, für die neue Familie außerhalb
des Walles ein neues Haus zu erbauen. Die junge Gemahlin, jene "gar gute
Prinzessin", fügte sich sicher willig in diese nicht eben glänzende Lage. Etwas
schweigsam und schüchtern von Natur, war auch sie nicht geeignet, große Ver¬
änderungen in dem kleinen Kreise hervorzurufen. Die einzige Abwechslung bot
ein Ausflug nach dem der Herzoginmutter gehörenden Gute Bergfeld, selten
eine Fahrt zu Hof nach Streich oder ein Besuch des Jagdhauses Kanow.

Aus allen diesen Umständen geht hervor, daß man sicher genötigt war,
sich einzuschränken. Der nachgeborene Prinz eines kleinen Fürstenhauses jener
Zeit, in der sich sein Vaterland eben erst von den Schrecknissen des Dreißig¬
jährigen und nordischen Krieges langsam erholte, verfügte über geringe Ein¬
künfte, zumal auch der Landbesitz wenig Ertrag lieferte. Prinz Karl wird als
ein haushälterischer Mann geschildert und ist ohne Zweifel ein gutmütiger, ehr¬
barer Herr gewesen, dem aber die engen Verhältnisse und die einsame Erziehung
hauptsächlich durch Frauenhand, mehr den Stempel eines einfachen Privat¬
mannes als eines weltgewandter Fürsten aufdrückte. Der spätere Verkehr mit
dem Lehrer seiner Kinder zeigt uns den Prinzen als einen Mann, der sich sür
Kunst und Wissenschaft interessierte. Der Informator Genzmer, ehemaliger
Korrektor in Havelberg, ein Freund Winkelmanns, schrieb auf seine Anregung
ein Lehrbuch der mecklenburgischen Geschichte.

Ich werde schwerlich irren, wenn ich mir den Hof zu Mirow als eine Stätte
stillen Familienglückes vorstelle, obwohl keineswegs ohne das gesteigerte Standes¬
bewußtsein der Rokokozeit, doch unter dem Druck bescheidenster Verhältnisse und
der Gewohnheit einfachsten, harmlosen Stillebens wenig geeignet für den Verkehr
mit dem plötzlich in nahe Nachbarschaft getretenen geistreichen Hof des Kron¬
prinzen von Preußen.

Dieser hatte 1736 sein neu aufgebautes Schloß zu Rheinsberg, drei Meilen
von Mirow belegen, mit seiner jungen Gemahlin und einem zahlreichen Hofstaat


Mirow

und sicher war der dort zweimal im Jahre abgehaltene Jahrmarkt ein Ereignis
im Leben des kleinen Fürstensohnes, der kaum anders als ein adliger Land¬
junker seiner Zeit heranwuchs, nur daß ihm ein trefflicher Gouverneur, ein
Herr von Zesterfleht, beigegeben war. Dieser begleitete ihn wohl auch nach
Genf, wo er, sechzehn Jahre alt. studierte, und auf der sogenannten großen
Tour, der üblichen Reise durch Österreich, Schweiz, Italien und Frankreich.
In Wien stellte sich der Prinz persönlich dem Kaiser vor und trat einige Jahre
als Oberstleutnant in österreichische Dienste.

Aber schon mit zweiundzwanzig Jahren finden wir ihn wieder daheim bei
Durchlaucht Mama auf dem 2409 Quadratfuß großen Burghof zwischen See
und Wallgraben und sogar als jungen Ehemann! Er hatte Prinzessin Eli¬
sabeth Albertine von Hildburghausen heimgeführt, und zwar in das Fachwerk¬
haus der alten Komturei, wo das junge Paar mit Mutter und Tante unter
einem Dach seine bescheidene Wohnstätte aufgeschlagen hatte. Erst nach der
Geburt des ersten Kindes dachte man daran, für die neue Familie außerhalb
des Walles ein neues Haus zu erbauen. Die junge Gemahlin, jene „gar gute
Prinzessin", fügte sich sicher willig in diese nicht eben glänzende Lage. Etwas
schweigsam und schüchtern von Natur, war auch sie nicht geeignet, große Ver¬
änderungen in dem kleinen Kreise hervorzurufen. Die einzige Abwechslung bot
ein Ausflug nach dem der Herzoginmutter gehörenden Gute Bergfeld, selten
eine Fahrt zu Hof nach Streich oder ein Besuch des Jagdhauses Kanow.

Aus allen diesen Umständen geht hervor, daß man sicher genötigt war,
sich einzuschränken. Der nachgeborene Prinz eines kleinen Fürstenhauses jener
Zeit, in der sich sein Vaterland eben erst von den Schrecknissen des Dreißig¬
jährigen und nordischen Krieges langsam erholte, verfügte über geringe Ein¬
künfte, zumal auch der Landbesitz wenig Ertrag lieferte. Prinz Karl wird als
ein haushälterischer Mann geschildert und ist ohne Zweifel ein gutmütiger, ehr¬
barer Herr gewesen, dem aber die engen Verhältnisse und die einsame Erziehung
hauptsächlich durch Frauenhand, mehr den Stempel eines einfachen Privat¬
mannes als eines weltgewandter Fürsten aufdrückte. Der spätere Verkehr mit
dem Lehrer seiner Kinder zeigt uns den Prinzen als einen Mann, der sich sür
Kunst und Wissenschaft interessierte. Der Informator Genzmer, ehemaliger
Korrektor in Havelberg, ein Freund Winkelmanns, schrieb auf seine Anregung
ein Lehrbuch der mecklenburgischen Geschichte.

Ich werde schwerlich irren, wenn ich mir den Hof zu Mirow als eine Stätte
stillen Familienglückes vorstelle, obwohl keineswegs ohne das gesteigerte Standes¬
bewußtsein der Rokokozeit, doch unter dem Druck bescheidenster Verhältnisse und
der Gewohnheit einfachsten, harmlosen Stillebens wenig geeignet für den Verkehr
mit dem plötzlich in nahe Nachbarschaft getretenen geistreichen Hof des Kron¬
prinzen von Preußen.

Dieser hatte 1736 sein neu aufgebautes Schloß zu Rheinsberg, drei Meilen
von Mirow belegen, mit seiner jungen Gemahlin und einem zahlreichen Hofstaat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/188>, abgerufen am 03.07.2024.