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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Mirow

Und nun plötzlich befinde ich mich inmitten eines reizenden Idylls. Ein
Haus im Grünen mit Veranda und hellen Fenstern. Hübsche Zimmer mit
allem, was unsere luxuriöse Zeit sür anmutige Wohnlichkeit bietet. Schöne
Bilder neuer Kunst, hohe Gläser mit Frühlingsgrün und Kätzchen, glückliche
Menschen, liebliche Kinder und ein Ausblick über den großen See, wo ein
Sonnenstrahl silberne Streifen in das zarte Grau des Wasserspiegels zieht und
grünlicher Schimmer die Bäume auf der Halbinsel überhaucht, weil's Frühling
werden will. Von dorther lockt mich geheimnisvoll das Dach des Schlößchens,
das sich hinter den alten Wipfeln verbirgt. Aber bevor ich dem Zuge folge,
tue ich einen Blick in das Buch der Geschichte, deren Griffel unmerklich, aber
sicher den Stätten der Menschen ihre Spuren einzeichnet, die uns oft erst ver¬
stehen lehren, was uns sonst rätselhaft erscheinen würde.

Die Geschichte Mirows zerfällt deutlich in drei Perioden:

Die erste zeigt uns das achtspitzige Kreuz des Johanniterordens über dem
Ort. Mirow ist Komturei 1226 bis 1587.

Die zweite Periode zeigt uns Mirow als fürstliche Residenz (1708 bis 1752).
Über diese Zeit ist es kein Geringerer als Friedrich der Große, dem wir die
intimeren Nachrichten über Mirow verdanken.

Endlich die dritte Periode von 1752 bis heute, die man am besten bezeichnet
als Mirow, die Stätte der Toten.

Über die Zeit, da der Johanniterorden hier herrschte, ist wenig Kunde zu
uns gedrungen. Man machte durch Wall und Graben die in den See laufende
Landzunge zu einer Insel. Zugbrücke und Turm schirmten die auf dieser
belegenen Gebäude der Komturei und die Kirche. Durch Schenkungen der
mecklenburgischen Herzöge vermehrte sich der Landbesitz des Ordens bedeutend,
bis die Reformation 1587 unter dem letzten Kontur, dem Herzog Karl von
Mecklenburg, der Johanniterherrschaft ein Ende machte. Im westfälischen Frieden
kam Mirow an Mecklenburg und bildete seit 1701 einen Teil der Mecklenburg -
Strelitzer Lande.

Größeres Interesse bietet die zweite Periode seiner Geschichte.

Mirow und Friedrich der Große

Als Herzog Adolf Friedrich der Zweite von Mecklenburg-Strelitz starb,
bezog seine erst siebenundzwanzigjährige Witwe mit ihrem kaum drei Monate
alten Söhnchen, dem Prinzen Karl, den alten Johanniterhof in Mirow, indessen
ihr aus erster Ehe des Herzogs stammender Stiefsohn Adolf Friedrich der Dritte
im Strelitzer Schloß residierte. Emilie Antonie, geb. Prinzessin von Sonders-
hausen, nahm ihre Schwester Luise Albertine zu sich und widmete sich ganz der
Erziehung ihres Sohnes, der so in völliger Zurückgezogenheit, unter den Augen
von Mutter und Tante auf dem engen Burgplatz heranwuchs.

Ein einfaches Fachwerkhaus, die Wirtschaftsgebäude für den Landbesitz, die
Kirche mit hölzernem Turm, ländliche einfachste Verhältnisse bildeten den Rahmen
für die Kindheit des Prinzen. Hinter dem Graben lag der Flecken Mirow,


Mirow

Und nun plötzlich befinde ich mich inmitten eines reizenden Idylls. Ein
Haus im Grünen mit Veranda und hellen Fenstern. Hübsche Zimmer mit
allem, was unsere luxuriöse Zeit sür anmutige Wohnlichkeit bietet. Schöne
Bilder neuer Kunst, hohe Gläser mit Frühlingsgrün und Kätzchen, glückliche
Menschen, liebliche Kinder und ein Ausblick über den großen See, wo ein
Sonnenstrahl silberne Streifen in das zarte Grau des Wasserspiegels zieht und
grünlicher Schimmer die Bäume auf der Halbinsel überhaucht, weil's Frühling
werden will. Von dorther lockt mich geheimnisvoll das Dach des Schlößchens,
das sich hinter den alten Wipfeln verbirgt. Aber bevor ich dem Zuge folge,
tue ich einen Blick in das Buch der Geschichte, deren Griffel unmerklich, aber
sicher den Stätten der Menschen ihre Spuren einzeichnet, die uns oft erst ver¬
stehen lehren, was uns sonst rätselhaft erscheinen würde.

Die Geschichte Mirows zerfällt deutlich in drei Perioden:

Die erste zeigt uns das achtspitzige Kreuz des Johanniterordens über dem
Ort. Mirow ist Komturei 1226 bis 1587.

Die zweite Periode zeigt uns Mirow als fürstliche Residenz (1708 bis 1752).
Über diese Zeit ist es kein Geringerer als Friedrich der Große, dem wir die
intimeren Nachrichten über Mirow verdanken.

Endlich die dritte Periode von 1752 bis heute, die man am besten bezeichnet
als Mirow, die Stätte der Toten.

Über die Zeit, da der Johanniterorden hier herrschte, ist wenig Kunde zu
uns gedrungen. Man machte durch Wall und Graben die in den See laufende
Landzunge zu einer Insel. Zugbrücke und Turm schirmten die auf dieser
belegenen Gebäude der Komturei und die Kirche. Durch Schenkungen der
mecklenburgischen Herzöge vermehrte sich der Landbesitz des Ordens bedeutend,
bis die Reformation 1587 unter dem letzten Kontur, dem Herzog Karl von
Mecklenburg, der Johanniterherrschaft ein Ende machte. Im westfälischen Frieden
kam Mirow an Mecklenburg und bildete seit 1701 einen Teil der Mecklenburg -
Strelitzer Lande.

Größeres Interesse bietet die zweite Periode seiner Geschichte.

Mirow und Friedrich der Große

Als Herzog Adolf Friedrich der Zweite von Mecklenburg-Strelitz starb,
bezog seine erst siebenundzwanzigjährige Witwe mit ihrem kaum drei Monate
alten Söhnchen, dem Prinzen Karl, den alten Johanniterhof in Mirow, indessen
ihr aus erster Ehe des Herzogs stammender Stiefsohn Adolf Friedrich der Dritte
im Strelitzer Schloß residierte. Emilie Antonie, geb. Prinzessin von Sonders-
hausen, nahm ihre Schwester Luise Albertine zu sich und widmete sich ganz der
Erziehung ihres Sohnes, der so in völliger Zurückgezogenheit, unter den Augen
von Mutter und Tante auf dem engen Burgplatz heranwuchs.

Ein einfaches Fachwerkhaus, die Wirtschaftsgebäude für den Landbesitz, die
Kirche mit hölzernem Turm, ländliche einfachste Verhältnisse bildeten den Rahmen
für die Kindheit des Prinzen. Hinter dem Graben lag der Flecken Mirow,


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[0187] Mirow Und nun plötzlich befinde ich mich inmitten eines reizenden Idylls. Ein Haus im Grünen mit Veranda und hellen Fenstern. Hübsche Zimmer mit allem, was unsere luxuriöse Zeit sür anmutige Wohnlichkeit bietet. Schöne Bilder neuer Kunst, hohe Gläser mit Frühlingsgrün und Kätzchen, glückliche Menschen, liebliche Kinder und ein Ausblick über den großen See, wo ein Sonnenstrahl silberne Streifen in das zarte Grau des Wasserspiegels zieht und grünlicher Schimmer die Bäume auf der Halbinsel überhaucht, weil's Frühling werden will. Von dorther lockt mich geheimnisvoll das Dach des Schlößchens, das sich hinter den alten Wipfeln verbirgt. Aber bevor ich dem Zuge folge, tue ich einen Blick in das Buch der Geschichte, deren Griffel unmerklich, aber sicher den Stätten der Menschen ihre Spuren einzeichnet, die uns oft erst ver¬ stehen lehren, was uns sonst rätselhaft erscheinen würde. Die Geschichte Mirows zerfällt deutlich in drei Perioden: Die erste zeigt uns das achtspitzige Kreuz des Johanniterordens über dem Ort. Mirow ist Komturei 1226 bis 1587. Die zweite Periode zeigt uns Mirow als fürstliche Residenz (1708 bis 1752). Über diese Zeit ist es kein Geringerer als Friedrich der Große, dem wir die intimeren Nachrichten über Mirow verdanken. Endlich die dritte Periode von 1752 bis heute, die man am besten bezeichnet als Mirow, die Stätte der Toten. Über die Zeit, da der Johanniterorden hier herrschte, ist wenig Kunde zu uns gedrungen. Man machte durch Wall und Graben die in den See laufende Landzunge zu einer Insel. Zugbrücke und Turm schirmten die auf dieser belegenen Gebäude der Komturei und die Kirche. Durch Schenkungen der mecklenburgischen Herzöge vermehrte sich der Landbesitz des Ordens bedeutend, bis die Reformation 1587 unter dem letzten Kontur, dem Herzog Karl von Mecklenburg, der Johanniterherrschaft ein Ende machte. Im westfälischen Frieden kam Mirow an Mecklenburg und bildete seit 1701 einen Teil der Mecklenburg - Strelitzer Lande. Größeres Interesse bietet die zweite Periode seiner Geschichte. Mirow und Friedrich der Große Als Herzog Adolf Friedrich der Zweite von Mecklenburg-Strelitz starb, bezog seine erst siebenundzwanzigjährige Witwe mit ihrem kaum drei Monate alten Söhnchen, dem Prinzen Karl, den alten Johanniterhof in Mirow, indessen ihr aus erster Ehe des Herzogs stammender Stiefsohn Adolf Friedrich der Dritte im Strelitzer Schloß residierte. Emilie Antonie, geb. Prinzessin von Sonders- hausen, nahm ihre Schwester Luise Albertine zu sich und widmete sich ganz der Erziehung ihres Sohnes, der so in völliger Zurückgezogenheit, unter den Augen von Mutter und Tante auf dem engen Burgplatz heranwuchs. Ein einfaches Fachwerkhaus, die Wirtschaftsgebäude für den Landbesitz, die Kirche mit hölzernem Turm, ländliche einfachste Verhältnisse bildeten den Rahmen für die Kindheit des Prinzen. Hinter dem Graben lag der Flecken Mirow,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/187>, abgerufen am 03.07.2024.