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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Mirow

Um diese gleiche Stunde ging unten die Regime durch das Haus und fragte
dem Kiep nach. Die Mutter Johanne verwies sie in die Gärtnerei, wo sie ihn
dann suchte und nicht fand; nur sein starkes Baummesser fand sie in der Laube
auf dem Tisch. Sie nahm es zu ungeduldigem, lässigen Spielen in die Hand,
und weil sich ihre Gedanken neben denen um den Kiep am meisten mit sich
selbst befaßten, schnitzte sie ihren Namen in das Holz des Tisches, ging und
ließ im Hause den Bescheid, es verlange der Nolterschluchtwirt nächsten Tages
den Gärtner Kiep zum Heckenschneiden. Und es lasse ihn die Regime grüßen.

Der Florentin hörte dann drinnen die Bestellung und sah draußen den
Namen der Regime in seinem Tisch, las und nannte ihn. Und sie fiel ihm
von neuem ein, mit allem wie sie war. (Fortsetzung folgt)




Mirow
Helene von Krause Von

Der folgende Aufsatz ist dem Werke "Deutsche Erde" Bd. II "Unter
der wendischen Krone" von Helene von Krause entnommen, das im
Verlage von F. Fontane u. Co. in Berlin-Dcrhlem demnächst erscheinen wird.

me freundliche Einladung lieber Verwandter veranlaßte mich eines
Tages im ersten Frühling, mich auf den Weg nach Mirow zu
machen. Der Name wird den meisten Menschen weltfern und
unbekannt scheinen, und doch -- ich will erzählen, was ich in
Mirow fand.

Im bequemen Wagen der Bimmelbahn, die Neustrelitz mit Perleberg und
Wittenberge verbindet, ließ ich das Landschaftsbild an mir vorübergleiten:
Tannenwald, Heideland, Wiesen, denen man es ansieht, daß nur grobe, schlechte
Grasbüschel darauf wachsen können. Hier und da, vom Winde der Jahr¬
hunderte zusammengewebt, eine Sandschanze, aus der die knorrigen Wurzeln
einer alten Kiefer hervorlugen, deren Wipfel sturmzerzaust sich gegen den grauen
Himmel abhebt. Dazwischen ein See, dessen Spiegel vom herben Luftzug leicht
gekräuselt, bleiern, wie die Wolken, die darüber hinziehen, erscheint. Dann Halt
am kleinen Bahnhofsgebäude und ein Rumpeln des Wagens über das schlechte
Pflaster des winzigen Städtchens. Vorbei an den unscheinbaren Häusern, mit
den alten niedrigen Fenstern, an denen hier und da Kaktus und Pelargonien
ihre scharlachroten Blüten zwischen grünem Blattwerk zeigen, oder auch, wenn
ein Fenster im Größenwahn durchaus ein Schaufenster sein will, Taschen, Hosen¬
träger, Garnknäule, Blechlöffel, Seife und Tabakspakete in internationaler Ver¬
einigung sich darbieten.


Mirow

Um diese gleiche Stunde ging unten die Regime durch das Haus und fragte
dem Kiep nach. Die Mutter Johanne verwies sie in die Gärtnerei, wo sie ihn
dann suchte und nicht fand; nur sein starkes Baummesser fand sie in der Laube
auf dem Tisch. Sie nahm es zu ungeduldigem, lässigen Spielen in die Hand,
und weil sich ihre Gedanken neben denen um den Kiep am meisten mit sich
selbst befaßten, schnitzte sie ihren Namen in das Holz des Tisches, ging und
ließ im Hause den Bescheid, es verlange der Nolterschluchtwirt nächsten Tages
den Gärtner Kiep zum Heckenschneiden. Und es lasse ihn die Regime grüßen.

Der Florentin hörte dann drinnen die Bestellung und sah draußen den
Namen der Regime in seinem Tisch, las und nannte ihn. Und sie fiel ihm
von neuem ein, mit allem wie sie war. (Fortsetzung folgt)




Mirow
Helene von Krause Von

Der folgende Aufsatz ist dem Werke „Deutsche Erde" Bd. II „Unter
der wendischen Krone" von Helene von Krause entnommen, das im
Verlage von F. Fontane u. Co. in Berlin-Dcrhlem demnächst erscheinen wird.

me freundliche Einladung lieber Verwandter veranlaßte mich eines
Tages im ersten Frühling, mich auf den Weg nach Mirow zu
machen. Der Name wird den meisten Menschen weltfern und
unbekannt scheinen, und doch — ich will erzählen, was ich in
Mirow fand.

Im bequemen Wagen der Bimmelbahn, die Neustrelitz mit Perleberg und
Wittenberge verbindet, ließ ich das Landschaftsbild an mir vorübergleiten:
Tannenwald, Heideland, Wiesen, denen man es ansieht, daß nur grobe, schlechte
Grasbüschel darauf wachsen können. Hier und da, vom Winde der Jahr¬
hunderte zusammengewebt, eine Sandschanze, aus der die knorrigen Wurzeln
einer alten Kiefer hervorlugen, deren Wipfel sturmzerzaust sich gegen den grauen
Himmel abhebt. Dazwischen ein See, dessen Spiegel vom herben Luftzug leicht
gekräuselt, bleiern, wie die Wolken, die darüber hinziehen, erscheint. Dann Halt
am kleinen Bahnhofsgebäude und ein Rumpeln des Wagens über das schlechte
Pflaster des winzigen Städtchens. Vorbei an den unscheinbaren Häusern, mit
den alten niedrigen Fenstern, an denen hier und da Kaktus und Pelargonien
ihre scharlachroten Blüten zwischen grünem Blattwerk zeigen, oder auch, wenn
ein Fenster im Größenwahn durchaus ein Schaufenster sein will, Taschen, Hosen¬
träger, Garnknäule, Blechlöffel, Seife und Tabakspakete in internationaler Ver¬
einigung sich darbieten.


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[0186] Mirow Um diese gleiche Stunde ging unten die Regime durch das Haus und fragte dem Kiep nach. Die Mutter Johanne verwies sie in die Gärtnerei, wo sie ihn dann suchte und nicht fand; nur sein starkes Baummesser fand sie in der Laube auf dem Tisch. Sie nahm es zu ungeduldigem, lässigen Spielen in die Hand, und weil sich ihre Gedanken neben denen um den Kiep am meisten mit sich selbst befaßten, schnitzte sie ihren Namen in das Holz des Tisches, ging und ließ im Hause den Bescheid, es verlange der Nolterschluchtwirt nächsten Tages den Gärtner Kiep zum Heckenschneiden. Und es lasse ihn die Regime grüßen. Der Florentin hörte dann drinnen die Bestellung und sah draußen den Namen der Regime in seinem Tisch, las und nannte ihn. Und sie fiel ihm von neuem ein, mit allem wie sie war. (Fortsetzung folgt) Mirow Helene von Krause Von Der folgende Aufsatz ist dem Werke „Deutsche Erde" Bd. II „Unter der wendischen Krone" von Helene von Krause entnommen, das im Verlage von F. Fontane u. Co. in Berlin-Dcrhlem demnächst erscheinen wird. me freundliche Einladung lieber Verwandter veranlaßte mich eines Tages im ersten Frühling, mich auf den Weg nach Mirow zu machen. Der Name wird den meisten Menschen weltfern und unbekannt scheinen, und doch — ich will erzählen, was ich in Mirow fand. Im bequemen Wagen der Bimmelbahn, die Neustrelitz mit Perleberg und Wittenberge verbindet, ließ ich das Landschaftsbild an mir vorübergleiten: Tannenwald, Heideland, Wiesen, denen man es ansieht, daß nur grobe, schlechte Grasbüschel darauf wachsen können. Hier und da, vom Winde der Jahr¬ hunderte zusammengewebt, eine Sandschanze, aus der die knorrigen Wurzeln einer alten Kiefer hervorlugen, deren Wipfel sturmzerzaust sich gegen den grauen Himmel abhebt. Dazwischen ein See, dessen Spiegel vom herben Luftzug leicht gekräuselt, bleiern, wie die Wolken, die darüber hinziehen, erscheint. Dann Halt am kleinen Bahnhofsgebäude und ein Rumpeln des Wagens über das schlechte Pflaster des winzigen Städtchens. Vorbei an den unscheinbaren Häusern, mit den alten niedrigen Fenstern, an denen hier und da Kaktus und Pelargonien ihre scharlachroten Blüten zwischen grünem Blattwerk zeigen, oder auch, wenn ein Fenster im Größenwahn durchaus ein Schaufenster sein will, Taschen, Hosen¬ träger, Garnknäule, Blechlöffel, Seife und Tabakspakete in internationaler Ver¬ einigung sich darbieten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/186>, abgerufen am 03.07.2024.