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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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von Jelde angemahnt werden, daß sie für Lohn dasitze. Wieschen sagte ver¬
wirrt ein entschuldigendes Wort uns Versehen und hustete leise und hohl. Sie
hatte eine Erkältung im Hals, seit sie mit den bloßen Füßen gegangen war,
und die Brust schmerzte mit einem tückischen Stechen. Ihre Hände wurden
fiebrig feucht, wenn sie ein weißes Zeug nähte, brachte sie es nicht mehr mit
der Sauberkeit heraus wie früher, und sie mußte manchmal die Nadel durch
die Haarflechten stechen, wenn sie mit der alten Geschwindigkeit beim Nähen
gleiten sollte.

Mit diesem Müdesein verschlief sie an einem Morgen das Aufstehen, und
als Jelde nach ihr sah und sie mit einem scharfen, tadelnden Wort weckte, fand
sie das Mädchen krank. Sie machte die Stube dunkel und ging im Schleich¬
schritt über die Dielen. Wieschen wehrte ihr: "Es ist nur eine Verkühlung!"
Aber Jelde hatte ein Herz mit Kranken, es war ihr angeboren und gehörte zu
dem Guten, das manchmal aus ihrer Natur sprach. Wie sie oft vor einem
heratmen und ihm das harmlose Wort giftig anhauchen konnte, verhielt sie jetzt
stundenlang ihren Atem und lauschte auf den des Mädchens, um zu wissen,
wie heiß und kurz er im Fieber war. Sie räucherte mit einem feinen Duft
des dampfenden Kamillentees dem Wieschen die Krankenstube aus und hielt
damit den Arzt von der Schwelle. So wurden zu den paar Tagen, welche
Wieschen sich zur Frist ausgebeten hatte vom Florentin, neue gelegt, und das
Mädchen freute sich in diesem Zögern.

Mit ihrer Sorge um die Kranke fand Jelde eine neue Liebe für das
Mädchen selbst. "Ich wollt'," sagte sie ehrlich, "es würde alles noch zum Glück
mit dem Kien und dir." Sie bat nun ab, daß sie sich in einer Zeit der Regime
zugewendet habe, es sei nur Laune gewesen. Da wäre ihr keiner im Grunde
so nah wie das Wieschen.

Wieschens Hände zuckten, als wolle sie Jettes Freundschaft annehmen, um
die sie sich in mancher Stunde vergebens gemüht hatte, aber sie wandte heimlich
und traurig den Kopf gegen die Wand, weil sie sich nun der Freundschaft und
allen Lobes nicht würdig fühlte.

In dem Abwenden des Kopfes glaubte Jelde ein körperliches Schwach-
werden des Mädchens erkennen zu müssen. Sie stand von dem Bettrande auf,
trat an das Fenster und wässerte das Geranium. Sie befühlte die dunkel¬
grünen Blätter, über deren Schattierungen die feinen Härchen wie ein Mehlstaub
lagen. Als sie dann an das Bett zurückkam und Wieschen ihr wieder den
Kopf zukehrte, sagte sie mitleidig: Ein Armes sei es, und aussehen täte es im
Gesicht wie ein Geranium -- so weiß.

Wieschen wunderte sich, wie Jelde auf den Vergleich dachte, weil doch kein
weißes Geranium irgendwo, auch nicht im Garten war; denn der Florentin
pflegte nur die roten. Sie öffnete die Lippen, um sich von Jelde die Erklärung
zu erfragen, es kam ihr jedoch nur zu sagen in den Sinn: Ich bin aber keine
weiße Blume. . . . Und auch das verschwieg sie.


von Jelde angemahnt werden, daß sie für Lohn dasitze. Wieschen sagte ver¬
wirrt ein entschuldigendes Wort uns Versehen und hustete leise und hohl. Sie
hatte eine Erkältung im Hals, seit sie mit den bloßen Füßen gegangen war,
und die Brust schmerzte mit einem tückischen Stechen. Ihre Hände wurden
fiebrig feucht, wenn sie ein weißes Zeug nähte, brachte sie es nicht mehr mit
der Sauberkeit heraus wie früher, und sie mußte manchmal die Nadel durch
die Haarflechten stechen, wenn sie mit der alten Geschwindigkeit beim Nähen
gleiten sollte.

Mit diesem Müdesein verschlief sie an einem Morgen das Aufstehen, und
als Jelde nach ihr sah und sie mit einem scharfen, tadelnden Wort weckte, fand
sie das Mädchen krank. Sie machte die Stube dunkel und ging im Schleich¬
schritt über die Dielen. Wieschen wehrte ihr: „Es ist nur eine Verkühlung!"
Aber Jelde hatte ein Herz mit Kranken, es war ihr angeboren und gehörte zu
dem Guten, das manchmal aus ihrer Natur sprach. Wie sie oft vor einem
heratmen und ihm das harmlose Wort giftig anhauchen konnte, verhielt sie jetzt
stundenlang ihren Atem und lauschte auf den des Mädchens, um zu wissen,
wie heiß und kurz er im Fieber war. Sie räucherte mit einem feinen Duft
des dampfenden Kamillentees dem Wieschen die Krankenstube aus und hielt
damit den Arzt von der Schwelle. So wurden zu den paar Tagen, welche
Wieschen sich zur Frist ausgebeten hatte vom Florentin, neue gelegt, und das
Mädchen freute sich in diesem Zögern.

Mit ihrer Sorge um die Kranke fand Jelde eine neue Liebe für das
Mädchen selbst. „Ich wollt'," sagte sie ehrlich, „es würde alles noch zum Glück
mit dem Kien und dir." Sie bat nun ab, daß sie sich in einer Zeit der Regime
zugewendet habe, es sei nur Laune gewesen. Da wäre ihr keiner im Grunde
so nah wie das Wieschen.

Wieschens Hände zuckten, als wolle sie Jettes Freundschaft annehmen, um
die sie sich in mancher Stunde vergebens gemüht hatte, aber sie wandte heimlich
und traurig den Kopf gegen die Wand, weil sie sich nun der Freundschaft und
allen Lobes nicht würdig fühlte.

In dem Abwenden des Kopfes glaubte Jelde ein körperliches Schwach-
werden des Mädchens erkennen zu müssen. Sie stand von dem Bettrande auf,
trat an das Fenster und wässerte das Geranium. Sie befühlte die dunkel¬
grünen Blätter, über deren Schattierungen die feinen Härchen wie ein Mehlstaub
lagen. Als sie dann an das Bett zurückkam und Wieschen ihr wieder den
Kopf zukehrte, sagte sie mitleidig: Ein Armes sei es, und aussehen täte es im
Gesicht wie ein Geranium — so weiß.

Wieschen wunderte sich, wie Jelde auf den Vergleich dachte, weil doch kein
weißes Geranium irgendwo, auch nicht im Garten war; denn der Florentin
pflegte nur die roten. Sie öffnete die Lippen, um sich von Jelde die Erklärung
zu erfragen, es kam ihr jedoch nur zu sagen in den Sinn: Ich bin aber keine
weiße Blume. . . . Und auch das verschwieg sie.


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[0185] von Jelde angemahnt werden, daß sie für Lohn dasitze. Wieschen sagte ver¬ wirrt ein entschuldigendes Wort uns Versehen und hustete leise und hohl. Sie hatte eine Erkältung im Hals, seit sie mit den bloßen Füßen gegangen war, und die Brust schmerzte mit einem tückischen Stechen. Ihre Hände wurden fiebrig feucht, wenn sie ein weißes Zeug nähte, brachte sie es nicht mehr mit der Sauberkeit heraus wie früher, und sie mußte manchmal die Nadel durch die Haarflechten stechen, wenn sie mit der alten Geschwindigkeit beim Nähen gleiten sollte. Mit diesem Müdesein verschlief sie an einem Morgen das Aufstehen, und als Jelde nach ihr sah und sie mit einem scharfen, tadelnden Wort weckte, fand sie das Mädchen krank. Sie machte die Stube dunkel und ging im Schleich¬ schritt über die Dielen. Wieschen wehrte ihr: „Es ist nur eine Verkühlung!" Aber Jelde hatte ein Herz mit Kranken, es war ihr angeboren und gehörte zu dem Guten, das manchmal aus ihrer Natur sprach. Wie sie oft vor einem heratmen und ihm das harmlose Wort giftig anhauchen konnte, verhielt sie jetzt stundenlang ihren Atem und lauschte auf den des Mädchens, um zu wissen, wie heiß und kurz er im Fieber war. Sie räucherte mit einem feinen Duft des dampfenden Kamillentees dem Wieschen die Krankenstube aus und hielt damit den Arzt von der Schwelle. So wurden zu den paar Tagen, welche Wieschen sich zur Frist ausgebeten hatte vom Florentin, neue gelegt, und das Mädchen freute sich in diesem Zögern. Mit ihrer Sorge um die Kranke fand Jelde eine neue Liebe für das Mädchen selbst. „Ich wollt'," sagte sie ehrlich, „es würde alles noch zum Glück mit dem Kien und dir." Sie bat nun ab, daß sie sich in einer Zeit der Regime zugewendet habe, es sei nur Laune gewesen. Da wäre ihr keiner im Grunde so nah wie das Wieschen. Wieschens Hände zuckten, als wolle sie Jettes Freundschaft annehmen, um die sie sich in mancher Stunde vergebens gemüht hatte, aber sie wandte heimlich und traurig den Kopf gegen die Wand, weil sie sich nun der Freundschaft und allen Lobes nicht würdig fühlte. In dem Abwenden des Kopfes glaubte Jelde ein körperliches Schwach- werden des Mädchens erkennen zu müssen. Sie stand von dem Bettrande auf, trat an das Fenster und wässerte das Geranium. Sie befühlte die dunkel¬ grünen Blätter, über deren Schattierungen die feinen Härchen wie ein Mehlstaub lagen. Als sie dann an das Bett zurückkam und Wieschen ihr wieder den Kopf zukehrte, sagte sie mitleidig: Ein Armes sei es, und aussehen täte es im Gesicht wie ein Geranium — so weiß. Wieschen wunderte sich, wie Jelde auf den Vergleich dachte, weil doch kein weißes Geranium irgendwo, auch nicht im Garten war; denn der Florentin pflegte nur die roten. Sie öffnete die Lippen, um sich von Jelde die Erklärung zu erfragen, es kam ihr jedoch nur zu sagen in den Sinn: Ich bin aber keine weiße Blume. . . . Und auch das verschwieg sie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/185>, abgerufen am 03.07.2024.