Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Blumen des Florentin Kiep

sich frei, sowohl im Geiste wie in ihrer Kleidung, und es kam ein Ausdruck
glücklichen Leichtsinns in ihr Gesicht.

Er fragte sie, warum sie mit bloßem Hals und ebensolchen Füßen gehe,
und sie lachte: "Weil mir warm gewesen ist über die Maßen."

Die Drosseln sangen in den höchsten Bäumen des Gartens, ihre Lieder
waren klar wie ihre Stimmen, sie sangen einander zu, und sie sangen für die
Menschen, welche auf sie hörten; es klang, als riefen sie durch die köstliche
Frische der Natur ein: "Bleib rein, Seckel"

Wieschen war und den bloßen Füßen in ein Wegwasser getreten und durch¬
watete es. Unruhige Wellen kräuselten es bei ihren Schritten. Die jähe, fast
eisige Kühle warf ihr einen blassen Schein über Gesicht und Hände. Sie atmete
ein paarmal schneller zu, lachte und freute sich. Ihr Kleidersaum stieß in das
Wasser, sie reckte die Arme hoch über den Kopf, als wolle sie die freie Luft
niederreißen an ihre stille, enge Brust. Sie stieß dabei an ein hängendes
Bamngeäst, die Zweige regneten eine Flut feiner Tropfen auf sie herab, und
wie sie so über das Wasser niederkamen, hörte steh's an, als habe sich eine
Perlenkette von einem bloßen Halse gelöst und das Geschmeide verlöre sich einzeln.

Der Florentin legte dem Mädchen die Hand in den freien Nacken. Sie war
von der Kälte des Wassers eben durchfröstelt von einem leisen Schauern, aber
er fühlte ihr die Wärme des Blutes durch die feine Haut brennen. Sie legte
den Kopf zurück in seine Hand und hatte den unsinnigen Wunsch, er möge sie
so halten durch Stunden und Stunden und sie langsam, langsam und immer
enger an sich ziehen. --

"Bleib rein, Seele," sangen die Drosseln.

Er ließ aber seine Hand abgleiten, sie trat zögernd aus dein Wasser in
den Weg zurück und sah ihn wie suchend an. Als er diesen Blick verstand,
fragte er sie: "Soll ich denn wegbleiben von der Nolterschlucht?"

Sie zuckte zusammen, als habe er vor ihren Augen die Regime angerührt.
"Du sollst das Trinken lassen," antwortete sie.

Und der Florentin meinte ehrlich: "Ich kann es wohl sein lassen mit dem
Trinken, es hört auch nicht hin. Jeder von uns muß sich sein Teil natur,
wenn es mit uns recht werden soll."

Seine letzten Worte gaben ihr seinen Besitz wieder, sie griff gleichsam wie
mit einem leisen Freudenschrei nach diesem Erkennen. Aber so gestützt auf
diese Sicherheit um ihn wurde sie in demselben Augenblick Schwank um sich
selbst. Er hatte von neuem die Hand um ihren Hals gelegt, und sie ging die
Wege mit ihm, die er sie führte. So waren sie in die Laube getreten und
lehnten an dem Tisch, die Gesichter der hellen Öffnung des rankenübermachsenen
Gebäudes zugekehrt. Das feine Farbenspiel des langsam niederkommenden
Abends leuchtete draußen über dem Garten, und dieser, die Hecke und die
Felder dahinter und ein Strich der niedertretenden Bergfüße waren in dem
Rahmen' der Laube wie ein Landschaftsbild.


Die Blumen des Florentin Kiep

sich frei, sowohl im Geiste wie in ihrer Kleidung, und es kam ein Ausdruck
glücklichen Leichtsinns in ihr Gesicht.

Er fragte sie, warum sie mit bloßem Hals und ebensolchen Füßen gehe,
und sie lachte: „Weil mir warm gewesen ist über die Maßen."

Die Drosseln sangen in den höchsten Bäumen des Gartens, ihre Lieder
waren klar wie ihre Stimmen, sie sangen einander zu, und sie sangen für die
Menschen, welche auf sie hörten; es klang, als riefen sie durch die köstliche
Frische der Natur ein: „Bleib rein, Seckel"

Wieschen war und den bloßen Füßen in ein Wegwasser getreten und durch¬
watete es. Unruhige Wellen kräuselten es bei ihren Schritten. Die jähe, fast
eisige Kühle warf ihr einen blassen Schein über Gesicht und Hände. Sie atmete
ein paarmal schneller zu, lachte und freute sich. Ihr Kleidersaum stieß in das
Wasser, sie reckte die Arme hoch über den Kopf, als wolle sie die freie Luft
niederreißen an ihre stille, enge Brust. Sie stieß dabei an ein hängendes
Bamngeäst, die Zweige regneten eine Flut feiner Tropfen auf sie herab, und
wie sie so über das Wasser niederkamen, hörte steh's an, als habe sich eine
Perlenkette von einem bloßen Halse gelöst und das Geschmeide verlöre sich einzeln.

Der Florentin legte dem Mädchen die Hand in den freien Nacken. Sie war
von der Kälte des Wassers eben durchfröstelt von einem leisen Schauern, aber
er fühlte ihr die Wärme des Blutes durch die feine Haut brennen. Sie legte
den Kopf zurück in seine Hand und hatte den unsinnigen Wunsch, er möge sie
so halten durch Stunden und Stunden und sie langsam, langsam und immer
enger an sich ziehen. —

„Bleib rein, Seele," sangen die Drosseln.

Er ließ aber seine Hand abgleiten, sie trat zögernd aus dein Wasser in
den Weg zurück und sah ihn wie suchend an. Als er diesen Blick verstand,
fragte er sie: „Soll ich denn wegbleiben von der Nolterschlucht?"

Sie zuckte zusammen, als habe er vor ihren Augen die Regime angerührt.
„Du sollst das Trinken lassen," antwortete sie.

Und der Florentin meinte ehrlich: „Ich kann es wohl sein lassen mit dem
Trinken, es hört auch nicht hin. Jeder von uns muß sich sein Teil natur,
wenn es mit uns recht werden soll."

Seine letzten Worte gaben ihr seinen Besitz wieder, sie griff gleichsam wie
mit einem leisen Freudenschrei nach diesem Erkennen. Aber so gestützt auf
diese Sicherheit um ihn wurde sie in demselben Augenblick Schwank um sich
selbst. Er hatte von neuem die Hand um ihren Hals gelegt, und sie ging die
Wege mit ihm, die er sie führte. So waren sie in die Laube getreten und
lehnten an dem Tisch, die Gesichter der hellen Öffnung des rankenübermachsenen
Gebäudes zugekehrt. Das feine Farbenspiel des langsam niederkommenden
Abends leuchtete draußen über dem Garten, und dieser, die Hecke und die
Felder dahinter und ein Strich der niedertretenden Bergfüße waren in dem
Rahmen' der Laube wie ein Landschaftsbild.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321929"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Blumen des Florentin Kiep</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_711" prev="#ID_710"> sich frei, sowohl im Geiste wie in ihrer Kleidung, und es kam ein Ausdruck<lb/>
glücklichen Leichtsinns in ihr Gesicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_712"> Er fragte sie, warum sie mit bloßem Hals und ebensolchen Füßen gehe,<lb/>
und sie lachte: &#x201E;Weil mir warm gewesen ist über die Maßen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_713"> Die Drosseln sangen in den höchsten Bäumen des Gartens, ihre Lieder<lb/>
waren klar wie ihre Stimmen, sie sangen einander zu, und sie sangen für die<lb/>
Menschen, welche auf sie hörten; es klang, als riefen sie durch die köstliche<lb/>
Frische der Natur ein: &#x201E;Bleib rein, Seckel"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_714"> Wieschen war und den bloßen Füßen in ein Wegwasser getreten und durch¬<lb/>
watete es. Unruhige Wellen kräuselten es bei ihren Schritten. Die jähe, fast<lb/>
eisige Kühle warf ihr einen blassen Schein über Gesicht und Hände. Sie atmete<lb/>
ein paarmal schneller zu, lachte und freute sich. Ihr Kleidersaum stieß in das<lb/>
Wasser, sie reckte die Arme hoch über den Kopf, als wolle sie die freie Luft<lb/>
niederreißen an ihre stille, enge Brust. Sie stieß dabei an ein hängendes<lb/>
Bamngeäst, die Zweige regneten eine Flut feiner Tropfen auf sie herab, und<lb/>
wie sie so über das Wasser niederkamen, hörte steh's an, als habe sich eine<lb/>
Perlenkette von einem bloßen Halse gelöst und das Geschmeide verlöre sich einzeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_715"> Der Florentin legte dem Mädchen die Hand in den freien Nacken. Sie war<lb/>
von der Kälte des Wassers eben durchfröstelt von einem leisen Schauern, aber<lb/>
er fühlte ihr die Wärme des Blutes durch die feine Haut brennen. Sie legte<lb/>
den Kopf zurück in seine Hand und hatte den unsinnigen Wunsch, er möge sie<lb/>
so halten durch Stunden und Stunden und sie langsam, langsam und immer<lb/>
enger an sich ziehen. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_716"> &#x201E;Bleib rein, Seele," sangen die Drosseln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_717"> Er ließ aber seine Hand abgleiten, sie trat zögernd aus dein Wasser in<lb/>
den Weg zurück und sah ihn wie suchend an. Als er diesen Blick verstand,<lb/>
fragte er sie: &#x201E;Soll ich denn wegbleiben von der Nolterschlucht?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_718"> Sie zuckte zusammen, als habe er vor ihren Augen die Regime angerührt.<lb/>
&#x201E;Du sollst das Trinken lassen," antwortete sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_719"> Und der Florentin meinte ehrlich: &#x201E;Ich kann es wohl sein lassen mit dem<lb/>
Trinken, es hört auch nicht hin. Jeder von uns muß sich sein Teil natur,<lb/>
wenn es mit uns recht werden soll."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_720"> Seine letzten Worte gaben ihr seinen Besitz wieder, sie griff gleichsam wie<lb/>
mit einem leisen Freudenschrei nach diesem Erkennen. Aber so gestützt auf<lb/>
diese Sicherheit um ihn wurde sie in demselben Augenblick Schwank um sich<lb/>
selbst. Er hatte von neuem die Hand um ihren Hals gelegt, und sie ging die<lb/>
Wege mit ihm, die er sie führte. So waren sie in die Laube getreten und<lb/>
lehnten an dem Tisch, die Gesichter der hellen Öffnung des rankenübermachsenen<lb/>
Gebäudes zugekehrt. Das feine Farbenspiel des langsam niederkommenden<lb/>
Abends leuchtete draußen über dem Garten, und dieser, die Hecke und die<lb/>
Felder dahinter und ein Strich der niedertretenden Bergfüße waren in dem<lb/>
Rahmen' der Laube wie ein Landschaftsbild.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0182] Die Blumen des Florentin Kiep sich frei, sowohl im Geiste wie in ihrer Kleidung, und es kam ein Ausdruck glücklichen Leichtsinns in ihr Gesicht. Er fragte sie, warum sie mit bloßem Hals und ebensolchen Füßen gehe, und sie lachte: „Weil mir warm gewesen ist über die Maßen." Die Drosseln sangen in den höchsten Bäumen des Gartens, ihre Lieder waren klar wie ihre Stimmen, sie sangen einander zu, und sie sangen für die Menschen, welche auf sie hörten; es klang, als riefen sie durch die köstliche Frische der Natur ein: „Bleib rein, Seckel" Wieschen war und den bloßen Füßen in ein Wegwasser getreten und durch¬ watete es. Unruhige Wellen kräuselten es bei ihren Schritten. Die jähe, fast eisige Kühle warf ihr einen blassen Schein über Gesicht und Hände. Sie atmete ein paarmal schneller zu, lachte und freute sich. Ihr Kleidersaum stieß in das Wasser, sie reckte die Arme hoch über den Kopf, als wolle sie die freie Luft niederreißen an ihre stille, enge Brust. Sie stieß dabei an ein hängendes Bamngeäst, die Zweige regneten eine Flut feiner Tropfen auf sie herab, und wie sie so über das Wasser niederkamen, hörte steh's an, als habe sich eine Perlenkette von einem bloßen Halse gelöst und das Geschmeide verlöre sich einzeln. Der Florentin legte dem Mädchen die Hand in den freien Nacken. Sie war von der Kälte des Wassers eben durchfröstelt von einem leisen Schauern, aber er fühlte ihr die Wärme des Blutes durch die feine Haut brennen. Sie legte den Kopf zurück in seine Hand und hatte den unsinnigen Wunsch, er möge sie so halten durch Stunden und Stunden und sie langsam, langsam und immer enger an sich ziehen. — „Bleib rein, Seele," sangen die Drosseln. Er ließ aber seine Hand abgleiten, sie trat zögernd aus dein Wasser in den Weg zurück und sah ihn wie suchend an. Als er diesen Blick verstand, fragte er sie: „Soll ich denn wegbleiben von der Nolterschlucht?" Sie zuckte zusammen, als habe er vor ihren Augen die Regime angerührt. „Du sollst das Trinken lassen," antwortete sie. Und der Florentin meinte ehrlich: „Ich kann es wohl sein lassen mit dem Trinken, es hört auch nicht hin. Jeder von uns muß sich sein Teil natur, wenn es mit uns recht werden soll." Seine letzten Worte gaben ihr seinen Besitz wieder, sie griff gleichsam wie mit einem leisen Freudenschrei nach diesem Erkennen. Aber so gestützt auf diese Sicherheit um ihn wurde sie in demselben Augenblick Schwank um sich selbst. Er hatte von neuem die Hand um ihren Hals gelegt, und sie ging die Wege mit ihm, die er sie führte. So waren sie in die Laube getreten und lehnten an dem Tisch, die Gesichter der hellen Öffnung des rankenübermachsenen Gebäudes zugekehrt. Das feine Farbenspiel des langsam niederkommenden Abends leuchtete draußen über dem Garten, und dieser, die Hecke und die Felder dahinter und ein Strich der niedertretenden Bergfüße waren in dem Rahmen' der Laube wie ein Landschaftsbild.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/182
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/182>, abgerufen am 03.07.2024.