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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Rley

der Bursche wiederkam. Der Abend war schwül mit unbewegter Luft, über
den Bäumen dunkelte das Sommerland, und die Berge standen um das Dorf
wie schwere schwarze Kuppeln, welche etwas Unheilvolles verbargen. Wieschen
kehrte in das Haus zurück und "erheblich sich in ihre Kammer. Ihre eben stark
geglaubten Arme erschlafften, sie stand an ihrem Fenster und lauschte hinaus.
Sie blickte auf das Geranium, wässerte es, es war in seiner Knospe noch nicht
erschlossen, und sie faltete die Hände so hilflos schwach um seinen Blumentopf,
als wolle sie etwas Hoffnungsloses, etwas Törichtes um das Erblühen dieser
Blume erbitten. Es war, als bete sie: "Gott, laß seine Blume weiß
werden. . ."

Unter dem Fenster unten im Beet standen die Glockenblumen und spielten
Tropfenfall mit dem Wasser, welches Wieschen ihnen gegeben hatte. Auch
über das Gesicht des Mädchens und nieder auf ihr Kleid glitt ein heißer
Tropfenfall.

Am nächsten Tage ging ein Gewitter nieder. Die Berge wurden zu
Flammen, die Wege zu Bächen und die Bäume zu Ruten. So gepeitscht
mußte die Schwüle weichen. Als das Wetter vorüber war, mahnte Wieschen
den Florentin: "Es war gestern eine Rose im Garten los, ich habe sie nur
mit Bast wieder angebunden, weil ich keine Weide hatte. Es wird nicht gehalten
haben gegen den Sturm." Sie sprach mit niedergeschlagenen Augen, weil ihr
in feinster Seele weh war, ihn damit an sein Versehen der letzten Tage zu
mahnen.

Er ging und fand die Stammrose gebrochen, sie war von seinen eigenen
weißen, und er saß in der Hurte davor und starrte wie zu Unsinn auf den
Schaden.

Wieschen war ihm nachgekommen, legte jetzt die Hand auf seine Schulter,
daß er auffuhr, und sagte ruhig zu seiner Erregung: "Wenn du wieder ganz
heim kommst in deinen Garten, Florin, dann soll es um den einen Schaden
nicht schlimm gewesen sein."

"Heimkommen?" fragte er wie von weit her.

"Hält dich einer gebunden? Hörst du irgend einem mehr an als deinen
Blumen?" Es klang, als hätte sie sich selbst genannt, und er hörte, wie sie
nach ihm schrie. Sie hatte seinen Garten verwahrt, aber er wußte, was sie
seinen Blumen gab, hatte sie ihm gegeben.

"Wieschen," sagte er leise und wie tastend, und in seiner Stimme war
ein Wiederkommen und Sichhetmfinden von weit her.

Sie gingen durch die Gärtnerei, die Wege standen noch voll Wasser, eine
reine kühle Luft nahm ihre heißen Köpfe ein. Wieschen war mit einem leichten
Kleide angetan, das Halsbord geöffnet und die Füße bloß. Sie sah in dieser
Unordnung aus. als hätte sie alles andere von sich weggegeben. Es war Arbeits¬
stunde, aber sie mochte jetzt nicht heim. Sie wartete, daß des Florentin
Stimme ihr wieder so nah kommen sollte, bis sie ganz bei ihr war. Sie fühlte


Grenzvoten III 1912 22
Die Blumen des Florentin Rley

der Bursche wiederkam. Der Abend war schwül mit unbewegter Luft, über
den Bäumen dunkelte das Sommerland, und die Berge standen um das Dorf
wie schwere schwarze Kuppeln, welche etwas Unheilvolles verbargen. Wieschen
kehrte in das Haus zurück und «erheblich sich in ihre Kammer. Ihre eben stark
geglaubten Arme erschlafften, sie stand an ihrem Fenster und lauschte hinaus.
Sie blickte auf das Geranium, wässerte es, es war in seiner Knospe noch nicht
erschlossen, und sie faltete die Hände so hilflos schwach um seinen Blumentopf,
als wolle sie etwas Hoffnungsloses, etwas Törichtes um das Erblühen dieser
Blume erbitten. Es war, als bete sie: „Gott, laß seine Blume weiß
werden. . ."

Unter dem Fenster unten im Beet standen die Glockenblumen und spielten
Tropfenfall mit dem Wasser, welches Wieschen ihnen gegeben hatte. Auch
über das Gesicht des Mädchens und nieder auf ihr Kleid glitt ein heißer
Tropfenfall.

Am nächsten Tage ging ein Gewitter nieder. Die Berge wurden zu
Flammen, die Wege zu Bächen und die Bäume zu Ruten. So gepeitscht
mußte die Schwüle weichen. Als das Wetter vorüber war, mahnte Wieschen
den Florentin: „Es war gestern eine Rose im Garten los, ich habe sie nur
mit Bast wieder angebunden, weil ich keine Weide hatte. Es wird nicht gehalten
haben gegen den Sturm." Sie sprach mit niedergeschlagenen Augen, weil ihr
in feinster Seele weh war, ihn damit an sein Versehen der letzten Tage zu
mahnen.

Er ging und fand die Stammrose gebrochen, sie war von seinen eigenen
weißen, und er saß in der Hurte davor und starrte wie zu Unsinn auf den
Schaden.

Wieschen war ihm nachgekommen, legte jetzt die Hand auf seine Schulter,
daß er auffuhr, und sagte ruhig zu seiner Erregung: „Wenn du wieder ganz
heim kommst in deinen Garten, Florin, dann soll es um den einen Schaden
nicht schlimm gewesen sein."

„Heimkommen?" fragte er wie von weit her.

„Hält dich einer gebunden? Hörst du irgend einem mehr an als deinen
Blumen?" Es klang, als hätte sie sich selbst genannt, und er hörte, wie sie
nach ihm schrie. Sie hatte seinen Garten verwahrt, aber er wußte, was sie
seinen Blumen gab, hatte sie ihm gegeben.

„Wieschen," sagte er leise und wie tastend, und in seiner Stimme war
ein Wiederkommen und Sichhetmfinden von weit her.

Sie gingen durch die Gärtnerei, die Wege standen noch voll Wasser, eine
reine kühle Luft nahm ihre heißen Köpfe ein. Wieschen war mit einem leichten
Kleide angetan, das Halsbord geöffnet und die Füße bloß. Sie sah in dieser
Unordnung aus. als hätte sie alles andere von sich weggegeben. Es war Arbeits¬
stunde, aber sie mochte jetzt nicht heim. Sie wartete, daß des Florentin
Stimme ihr wieder so nah kommen sollte, bis sie ganz bei ihr war. Sie fühlte


Grenzvoten III 1912 22
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[0181] Die Blumen des Florentin Rley der Bursche wiederkam. Der Abend war schwül mit unbewegter Luft, über den Bäumen dunkelte das Sommerland, und die Berge standen um das Dorf wie schwere schwarze Kuppeln, welche etwas Unheilvolles verbargen. Wieschen kehrte in das Haus zurück und «erheblich sich in ihre Kammer. Ihre eben stark geglaubten Arme erschlafften, sie stand an ihrem Fenster und lauschte hinaus. Sie blickte auf das Geranium, wässerte es, es war in seiner Knospe noch nicht erschlossen, und sie faltete die Hände so hilflos schwach um seinen Blumentopf, als wolle sie etwas Hoffnungsloses, etwas Törichtes um das Erblühen dieser Blume erbitten. Es war, als bete sie: „Gott, laß seine Blume weiß werden. . ." Unter dem Fenster unten im Beet standen die Glockenblumen und spielten Tropfenfall mit dem Wasser, welches Wieschen ihnen gegeben hatte. Auch über das Gesicht des Mädchens und nieder auf ihr Kleid glitt ein heißer Tropfenfall. Am nächsten Tage ging ein Gewitter nieder. Die Berge wurden zu Flammen, die Wege zu Bächen und die Bäume zu Ruten. So gepeitscht mußte die Schwüle weichen. Als das Wetter vorüber war, mahnte Wieschen den Florentin: „Es war gestern eine Rose im Garten los, ich habe sie nur mit Bast wieder angebunden, weil ich keine Weide hatte. Es wird nicht gehalten haben gegen den Sturm." Sie sprach mit niedergeschlagenen Augen, weil ihr in feinster Seele weh war, ihn damit an sein Versehen der letzten Tage zu mahnen. Er ging und fand die Stammrose gebrochen, sie war von seinen eigenen weißen, und er saß in der Hurte davor und starrte wie zu Unsinn auf den Schaden. Wieschen war ihm nachgekommen, legte jetzt die Hand auf seine Schulter, daß er auffuhr, und sagte ruhig zu seiner Erregung: „Wenn du wieder ganz heim kommst in deinen Garten, Florin, dann soll es um den einen Schaden nicht schlimm gewesen sein." „Heimkommen?" fragte er wie von weit her. „Hält dich einer gebunden? Hörst du irgend einem mehr an als deinen Blumen?" Es klang, als hätte sie sich selbst genannt, und er hörte, wie sie nach ihm schrie. Sie hatte seinen Garten verwahrt, aber er wußte, was sie seinen Blumen gab, hatte sie ihm gegeben. „Wieschen," sagte er leise und wie tastend, und in seiner Stimme war ein Wiederkommen und Sichhetmfinden von weit her. Sie gingen durch die Gärtnerei, die Wege standen noch voll Wasser, eine reine kühle Luft nahm ihre heißen Köpfe ein. Wieschen war mit einem leichten Kleide angetan, das Halsbord geöffnet und die Füße bloß. Sie sah in dieser Unordnung aus. als hätte sie alles andere von sich weggegeben. Es war Arbeits¬ stunde, aber sie mochte jetzt nicht heim. Sie wartete, daß des Florentin Stimme ihr wieder so nah kommen sollte, bis sie ganz bei ihr war. Sie fühlte Grenzvoten III 1912 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/181>, abgerufen am 03.07.2024.