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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Uley

Der Florentin hatte um das Wieschen ein Spiel treiben wollen und war
nun nahe daran, sich selber zu verspielen. Er ging, als sei ihm ein Brand¬
sunke angeflogen, heiß und erregt, mit verwirrtem Sinn nicht wissend wohin
sich retten, ob zu dem einen oder anderen Mädchen.

"Sie fängt ihn noch, die Regime, der Voß --"

"Und wenn sie ihn sängt," antwortete Wieschen auf Jettes kicherndes
Wort, "weißt du auch, daß es just ist, als hätte sie einen Brand sür uns in
das Haus geworfen? Wir müssen alle räumen, du, die Mutter Johanne und
ich. Sie wird das Haus nicht teilen wollen mit uns allen." Wieschen sprach
mit ihrer leisen und etwas hohl klingenden Stimme, ihr Gesicht war verzogen,
als hätte sie einen bitteren Trank niedergeschluckt. Sie sah. daß sie der Regime
etwas angehangen hatte, nichts Unwahres, vielleicht aber gar noch Schlimmeres
dadurch, daß sie sie wahr hingestellt hatte. Sie hielt das Gesagte nicht mehr
auf. Es war das erste Häßliche, das sie je bewußt einem Menschen tat, es
blieb das Einzige, sie wußte, als sie es sagte, sie vergebe damit den Gürtel
von ihrem besten Kleid, aber sie hätte es nicht zurückgehalten im rechten Augen¬
blick, weil sie glaubte, sie könne damit ein Stück Verlorenes von dem Geliebten
wieder haben. Sie sah, wie dieser sich von ihr verlor. Sie zählte die Stunden
wo sie wußte, daß er bei Regime war, jede pflückte ihr ein einzelnes saftgrünes
Blatt vom jungen Hoffnungsbaum. Während sie das weiße Tanzkleid Regimes
nähte, war er bei ihr in der Nolterschlucht.

Es war warm und wärmer geworden und wurde heiß in diesen Tagen.
Der Florentin vergaß der Pflege seines Gartens und der Freude zu aller
Arbeit, er kam spät in den Nächten heim, hatte getrunken und schlief in den
nächsten Mittag, wann er zu verdrießlichem Wesen aufwachte. Die Blicke
Wieschens, des blassen, einsamen Nähseelchens hingen ihm an, verfolgten ihn,
sie waren wie Nähfäden, die, wenn man sie vom Kleide absucht, einem wieder
anfliegen. Er kam nicht los von diesen Blicken. Das Mädchen verkümmerte
um seinetwillen und war doch um ihn her mit solchen Schritten, daß er nur
staunte, wie groß die Liebe dieses Mädchens war. Er mußte zurück an seine
Mutter denken, die auch so um ihn gewesen war und nach ihrer Weise seinen
Weg überwacht hatte, nur mit Liebe.

Der Florentin vergaß an manchem Abend der heißen Tage, die Blumen
in seinem Garten zu wässern, weil ihn selbst etwas wie Durst in die Nolter¬
schlucht trieb. Da trug Wieschen das Wasser aus. Sie trug, der körperlichen
Arbeit ungewohnt, dennoch mutig die schweren Kannen, und Jelde mahnte sie:
"Du schleppst dir noch die Schwindsucht an!" Da lachte sie und war noch tapferer.
Es war kein Beet im Garten, welches sie verdorren ließ. Ihre Arme strafften sich und
wurden stärker, ihr Gesicht rötete sich, ihr Blut wurde heiß, ihre Liebe wuchs in
der Sorge um den Geliebten und wurde begehrender in seiner Entfremdung.

So harkte sie einmal die Wege im Vorgarten, und der Staub zog wie
Dampf von ihr weg zur Straße hin. Dann wartete sie an der Pforte, ob


Die Blumen des Florentin Uley

Der Florentin hatte um das Wieschen ein Spiel treiben wollen und war
nun nahe daran, sich selber zu verspielen. Er ging, als sei ihm ein Brand¬
sunke angeflogen, heiß und erregt, mit verwirrtem Sinn nicht wissend wohin
sich retten, ob zu dem einen oder anderen Mädchen.

„Sie fängt ihn noch, die Regime, der Voß —"

„Und wenn sie ihn sängt," antwortete Wieschen auf Jettes kicherndes
Wort, „weißt du auch, daß es just ist, als hätte sie einen Brand sür uns in
das Haus geworfen? Wir müssen alle räumen, du, die Mutter Johanne und
ich. Sie wird das Haus nicht teilen wollen mit uns allen." Wieschen sprach
mit ihrer leisen und etwas hohl klingenden Stimme, ihr Gesicht war verzogen,
als hätte sie einen bitteren Trank niedergeschluckt. Sie sah. daß sie der Regime
etwas angehangen hatte, nichts Unwahres, vielleicht aber gar noch Schlimmeres
dadurch, daß sie sie wahr hingestellt hatte. Sie hielt das Gesagte nicht mehr
auf. Es war das erste Häßliche, das sie je bewußt einem Menschen tat, es
blieb das Einzige, sie wußte, als sie es sagte, sie vergebe damit den Gürtel
von ihrem besten Kleid, aber sie hätte es nicht zurückgehalten im rechten Augen¬
blick, weil sie glaubte, sie könne damit ein Stück Verlorenes von dem Geliebten
wieder haben. Sie sah, wie dieser sich von ihr verlor. Sie zählte die Stunden
wo sie wußte, daß er bei Regime war, jede pflückte ihr ein einzelnes saftgrünes
Blatt vom jungen Hoffnungsbaum. Während sie das weiße Tanzkleid Regimes
nähte, war er bei ihr in der Nolterschlucht.

Es war warm und wärmer geworden und wurde heiß in diesen Tagen.
Der Florentin vergaß der Pflege seines Gartens und der Freude zu aller
Arbeit, er kam spät in den Nächten heim, hatte getrunken und schlief in den
nächsten Mittag, wann er zu verdrießlichem Wesen aufwachte. Die Blicke
Wieschens, des blassen, einsamen Nähseelchens hingen ihm an, verfolgten ihn,
sie waren wie Nähfäden, die, wenn man sie vom Kleide absucht, einem wieder
anfliegen. Er kam nicht los von diesen Blicken. Das Mädchen verkümmerte
um seinetwillen und war doch um ihn her mit solchen Schritten, daß er nur
staunte, wie groß die Liebe dieses Mädchens war. Er mußte zurück an seine
Mutter denken, die auch so um ihn gewesen war und nach ihrer Weise seinen
Weg überwacht hatte, nur mit Liebe.

Der Florentin vergaß an manchem Abend der heißen Tage, die Blumen
in seinem Garten zu wässern, weil ihn selbst etwas wie Durst in die Nolter¬
schlucht trieb. Da trug Wieschen das Wasser aus. Sie trug, der körperlichen
Arbeit ungewohnt, dennoch mutig die schweren Kannen, und Jelde mahnte sie:
„Du schleppst dir noch die Schwindsucht an!" Da lachte sie und war noch tapferer.
Es war kein Beet im Garten, welches sie verdorren ließ. Ihre Arme strafften sich und
wurden stärker, ihr Gesicht rötete sich, ihr Blut wurde heiß, ihre Liebe wuchs in
der Sorge um den Geliebten und wurde begehrender in seiner Entfremdung.

So harkte sie einmal die Wege im Vorgarten, und der Staub zog wie
Dampf von ihr weg zur Straße hin. Dann wartete sie an der Pforte, ob


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[0180] Die Blumen des Florentin Uley Der Florentin hatte um das Wieschen ein Spiel treiben wollen und war nun nahe daran, sich selber zu verspielen. Er ging, als sei ihm ein Brand¬ sunke angeflogen, heiß und erregt, mit verwirrtem Sinn nicht wissend wohin sich retten, ob zu dem einen oder anderen Mädchen. „Sie fängt ihn noch, die Regime, der Voß —" „Und wenn sie ihn sängt," antwortete Wieschen auf Jettes kicherndes Wort, „weißt du auch, daß es just ist, als hätte sie einen Brand sür uns in das Haus geworfen? Wir müssen alle räumen, du, die Mutter Johanne und ich. Sie wird das Haus nicht teilen wollen mit uns allen." Wieschen sprach mit ihrer leisen und etwas hohl klingenden Stimme, ihr Gesicht war verzogen, als hätte sie einen bitteren Trank niedergeschluckt. Sie sah. daß sie der Regime etwas angehangen hatte, nichts Unwahres, vielleicht aber gar noch Schlimmeres dadurch, daß sie sie wahr hingestellt hatte. Sie hielt das Gesagte nicht mehr auf. Es war das erste Häßliche, das sie je bewußt einem Menschen tat, es blieb das Einzige, sie wußte, als sie es sagte, sie vergebe damit den Gürtel von ihrem besten Kleid, aber sie hätte es nicht zurückgehalten im rechten Augen¬ blick, weil sie glaubte, sie könne damit ein Stück Verlorenes von dem Geliebten wieder haben. Sie sah, wie dieser sich von ihr verlor. Sie zählte die Stunden wo sie wußte, daß er bei Regime war, jede pflückte ihr ein einzelnes saftgrünes Blatt vom jungen Hoffnungsbaum. Während sie das weiße Tanzkleid Regimes nähte, war er bei ihr in der Nolterschlucht. Es war warm und wärmer geworden und wurde heiß in diesen Tagen. Der Florentin vergaß der Pflege seines Gartens und der Freude zu aller Arbeit, er kam spät in den Nächten heim, hatte getrunken und schlief in den nächsten Mittag, wann er zu verdrießlichem Wesen aufwachte. Die Blicke Wieschens, des blassen, einsamen Nähseelchens hingen ihm an, verfolgten ihn, sie waren wie Nähfäden, die, wenn man sie vom Kleide absucht, einem wieder anfliegen. Er kam nicht los von diesen Blicken. Das Mädchen verkümmerte um seinetwillen und war doch um ihn her mit solchen Schritten, daß er nur staunte, wie groß die Liebe dieses Mädchens war. Er mußte zurück an seine Mutter denken, die auch so um ihn gewesen war und nach ihrer Weise seinen Weg überwacht hatte, nur mit Liebe. Der Florentin vergaß an manchem Abend der heißen Tage, die Blumen in seinem Garten zu wässern, weil ihn selbst etwas wie Durst in die Nolter¬ schlucht trieb. Da trug Wieschen das Wasser aus. Sie trug, der körperlichen Arbeit ungewohnt, dennoch mutig die schweren Kannen, und Jelde mahnte sie: „Du schleppst dir noch die Schwindsucht an!" Da lachte sie und war noch tapferer. Es war kein Beet im Garten, welches sie verdorren ließ. Ihre Arme strafften sich und wurden stärker, ihr Gesicht rötete sich, ihr Blut wurde heiß, ihre Liebe wuchs in der Sorge um den Geliebten und wurde begehrender in seiner Entfremdung. So harkte sie einmal die Wege im Vorgarten, und der Staub zog wie Dampf von ihr weg zur Straße hin. Dann wartete sie an der Pforte, ob

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/180>, abgerufen am 03.07.2024.