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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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Die Blumen des Florentin Kiep

sie in Händen getragen hatte und wo die Vorsicht des Tragens Liebe bedeutete.
Sie hatte im Garten des Kiep Tau hineingesammelt und geglaubt, es werde
der Florentin von seinen Blumen welche schneiden und sie ihr hineinstellen in
das feine leuchtende Glas. Sie hatte aufgeschrien, weil ihr gewesen war, er
wolle es ihr vollschütten mit einem heißen, brühenden Wasser, von dem es
zerspringen mußte; jetzt trug sie dieses Glas mit beiden Händen es umschließend
und ging in der Sonne, als wolle sie es wärmen und bereitmachen für das,
was es empfangen sollte.

Jelde, die mit dem schiefen Auge doppelt sah, hatte nebenhin ein scharfes
Menschenkenner in ihren Blicken. Sie wußte, wenn sie das Wieschen so sah,
es war ihr ein Kuckucksei in das Taubennest ihrer Gedanken gelegt. Sie um¬
schlich das Mädchen wie ein Fuchs und quälte es mit kleinen Nadelstichen, die
sie in kein Zeug so sein zu stechen wußte... AIs einmal der Florentin den
Weg am Fenster vor der Radstube vorbeiging und durch den Schatten eines
Obstbaumes ein einzelner rotgoldener Sonnenstrahl über seine Brust fiel, sagte
sie: "Er lügt, wenn er sagt, es kümmere ihn die Regime nicht. Es kann
keiner seinem Mund ansehen, ob er sie geküßt hat, aber ein rotes Haar hängt
ihm am Zeuge, stehst du, wie es ihm anhängt?" Sie stieß Wieschen mit dem
Fuß an, weil sie nicht gleich hinsah, zeigte auf den Sonnenstrahl und kicherte.
Wieschen duckte sich wie eine lebende Taube in ihrer Hand, und Jelde rupfte
ihr die Federn und fühlte ihr Binden.

Jelde ging, wie schlau und scharfsichtig sie auch war, fehl in dem Glauben,
es sei Wieschen das Zerwürfnis mit dem Burschen gekommen um das Dazwischen¬
treten der Regime Sträter. Sie hatte den erlauschten Namen noch im Ohr,
wie ihn Wieschen an jenem Abend des Zerwürfnisses in ihrer Kammer genannt
hatte, so erzählte sie draußen das Geschehene nach ihrem Wissen und trieb Klatsch.
Sie wollte Wieschen, die ihr gefällig und freundlich war, mit diesem Klatsch
nicht eigentlich am Kleide reißen; es lag Jedem nur im Munde, einem, der
vor ihr herging, unter den Schuh zu spucken aus Pläsier, daß es unsauber
aussah, wo er hergegangen war und sie den Leuten etwas zu zeigen hatte.

Wieschen hörte von dem Klatsch, auch der Kiep. Der Kiep hätte sich nur
zu bücken brauchen um die Kletten, die man dem Wieschen an den Rock warf,
abzusuchen, zu sagen: "Ihr macht sie gering, aber sie steht höher als ihr alle."
Weil er das Hohe in Wieschen aber bei seiner Art nicht erkannte, und weil
ihm überhaupt das Reden nicht lag, schwieg er. Auch Wieschen schwieg. Sie
brauchte nur das Wasser zu nennen, mit welchem sie sich reinwaschen konnte,
ohne von sich selbst gar viel und laut zu erzählen. Aber sie schöpfte von dem
Wasser nur, soviel es zu einem Schluck gebraucht?, sich selbst daran zu erfrischen.
"Hast dich rein gehalten als Mädchen, darum ist es so gekommen. Nicht um
die Regime ist es. . ." Sie koste mit diesen Erinnerungen und vergaß in
kleinen glücklichen Augenblicken, daß sie von dem Wege abgekommen, den sie
mit starken Schritten eingebogen war.


Die Blumen des Florentin Kiep

sie in Händen getragen hatte und wo die Vorsicht des Tragens Liebe bedeutete.
Sie hatte im Garten des Kiep Tau hineingesammelt und geglaubt, es werde
der Florentin von seinen Blumen welche schneiden und sie ihr hineinstellen in
das feine leuchtende Glas. Sie hatte aufgeschrien, weil ihr gewesen war, er
wolle es ihr vollschütten mit einem heißen, brühenden Wasser, von dem es
zerspringen mußte; jetzt trug sie dieses Glas mit beiden Händen es umschließend
und ging in der Sonne, als wolle sie es wärmen und bereitmachen für das,
was es empfangen sollte.

Jelde, die mit dem schiefen Auge doppelt sah, hatte nebenhin ein scharfes
Menschenkenner in ihren Blicken. Sie wußte, wenn sie das Wieschen so sah,
es war ihr ein Kuckucksei in das Taubennest ihrer Gedanken gelegt. Sie um¬
schlich das Mädchen wie ein Fuchs und quälte es mit kleinen Nadelstichen, die
sie in kein Zeug so sein zu stechen wußte... AIs einmal der Florentin den
Weg am Fenster vor der Radstube vorbeiging und durch den Schatten eines
Obstbaumes ein einzelner rotgoldener Sonnenstrahl über seine Brust fiel, sagte
sie: „Er lügt, wenn er sagt, es kümmere ihn die Regime nicht. Es kann
keiner seinem Mund ansehen, ob er sie geküßt hat, aber ein rotes Haar hängt
ihm am Zeuge, stehst du, wie es ihm anhängt?" Sie stieß Wieschen mit dem
Fuß an, weil sie nicht gleich hinsah, zeigte auf den Sonnenstrahl und kicherte.
Wieschen duckte sich wie eine lebende Taube in ihrer Hand, und Jelde rupfte
ihr die Federn und fühlte ihr Binden.

Jelde ging, wie schlau und scharfsichtig sie auch war, fehl in dem Glauben,
es sei Wieschen das Zerwürfnis mit dem Burschen gekommen um das Dazwischen¬
treten der Regime Sträter. Sie hatte den erlauschten Namen noch im Ohr,
wie ihn Wieschen an jenem Abend des Zerwürfnisses in ihrer Kammer genannt
hatte, so erzählte sie draußen das Geschehene nach ihrem Wissen und trieb Klatsch.
Sie wollte Wieschen, die ihr gefällig und freundlich war, mit diesem Klatsch
nicht eigentlich am Kleide reißen; es lag Jedem nur im Munde, einem, der
vor ihr herging, unter den Schuh zu spucken aus Pläsier, daß es unsauber
aussah, wo er hergegangen war und sie den Leuten etwas zu zeigen hatte.

Wieschen hörte von dem Klatsch, auch der Kiep. Der Kiep hätte sich nur
zu bücken brauchen um die Kletten, die man dem Wieschen an den Rock warf,
abzusuchen, zu sagen: „Ihr macht sie gering, aber sie steht höher als ihr alle."
Weil er das Hohe in Wieschen aber bei seiner Art nicht erkannte, und weil
ihm überhaupt das Reden nicht lag, schwieg er. Auch Wieschen schwieg. Sie
brauchte nur das Wasser zu nennen, mit welchem sie sich reinwaschen konnte,
ohne von sich selbst gar viel und laut zu erzählen. Aber sie schöpfte von dem
Wasser nur, soviel es zu einem Schluck gebraucht?, sich selbst daran zu erfrischen.
„Hast dich rein gehalten als Mädchen, darum ist es so gekommen. Nicht um
die Regime ist es. . ." Sie koste mit diesen Erinnerungen und vergaß in
kleinen glücklichen Augenblicken, daß sie von dem Wege abgekommen, den sie
mit starken Schritten eingebogen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/179>, abgerufen am 01.07.2024.