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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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"Untertanen"

für den Staat und seine Untertanen, er ist mit staatlicher Herrschergewalt aus¬
gerüstet. Das Parlament hat keinen Willen von solcher Kraft, es kann
niemandem etwas befehlen oder verbieten, es kann den Staat in keiner Weise
vertreten. Das Parlament kann nur Beschlüsse fassen, aber sie nicht zur Aus¬
führung bringen; es richtet seine Willenskundgebungen niemals an die Unter¬
tanen, nur an den Monarchen oder dessen Negierung. Die Tätigkeit des
Parlaments ist keine bloß negative, es hat nicht nur das Recht des Widerspruchs,
sondern auch das Recht der aktiven Mitwirkung bei gewissen Staatsausgaben.
Aber diese Mitwirkung ist doch insofern eine unselbständige, als sie nur die
Kraft hat, den Willen des Monarchen zu beschränken, als ihre Zustimmung
erforderlich ist, damit der Willensakt des Monarchen ein rechtlich wirksamer
werde. Das gilt namentlich für die Gesetzgebung: das Parlament erklärt sich
dem Monarchen gegenüber damit einverstanden, daß dieser das zwischen der
Regierung und dem Parlament vereinbarte Gesetz erlasse; aber das Einverständnis
ist nur die Vorbedingung, das Gesetz erläßt der König allein, nur von ihm
geht der Befehl an die Untertanen aus.

Weiter. Die Vermutung streitet für die Alleinzuständigkeit und Unbeschränkt-
heit des Monarchen. Er ist zur Ausübung der ganzen Staatsgewalt berufen
und allein berufen, soweit die Verfassung ihn nicht von einzelnen Funktionen
ausschließt, wie z. B. von der Rechtsprechung, oder beschränkt, so bei der
Gesetzgebung. Dem Monarchen stehen alle Befugnisse zu, die ihm nicht aus¬
drücklich entzogen sind; allen anderen Organen des Staates gebühren dagegen
nur die Zuständigkeiten, die ihnen verliehen sind, dies gilt auch vom Parlament.

In dem Satze, daß der Monarch zur Ausübung der ganzen Staatsgewalt
berufen und allein berufen ist, soweit ihn die Verfassung nicht ausschließt oder
beschränkt, ist der juristische Kern des monarchischen Prinzips enthalten, das
allen konstitutionellen Verfassungen Deutschlands zugrunde liegt, in einigen auch
ausdrücklich ausgesprochen ist: "Der König ist das souveräne Oberhaupt des
Staates und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter
den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus." Man pflegt diesen
juristischen Kern so zu formulieren, daß man sagt: der Monarch ist der Re¬
präsentant des Staates, ist der Träger der Staatsgewalt.

Für das Staatsrecht ist gewiß daran festzuhalten, daß der Staat das
Subjekt der Staatsgewalt ist, nicht der Monarch, daß dieser nur zur Ausübung
der dem Staate zustehenden Herrschaft berufen ist. Allein es ist doch erklärlich,
daß man im gewöhnlichen Leben, im leichten Sprachgebrauche über diesen Unter¬
schied hinwegsieht und anstatt von Untertanen des Staates von Untertanen des
Monarchen spricht.

So liegen die Dinge in den monarchischen Einzelstaaten Deutschlands.
Anders im Reiche. Von Untertanen des Kaisers kann auch im uneigentlichen
Sinne keine Rede sein, es gibt nur Neichsuntertanen. Weshalb? Weil nicht
der Kaiser in dem dargelegten Sinne Träger der Reichsgewalt ist, sondern der


„Untertanen"

für den Staat und seine Untertanen, er ist mit staatlicher Herrschergewalt aus¬
gerüstet. Das Parlament hat keinen Willen von solcher Kraft, es kann
niemandem etwas befehlen oder verbieten, es kann den Staat in keiner Weise
vertreten. Das Parlament kann nur Beschlüsse fassen, aber sie nicht zur Aus¬
führung bringen; es richtet seine Willenskundgebungen niemals an die Unter¬
tanen, nur an den Monarchen oder dessen Negierung. Die Tätigkeit des
Parlaments ist keine bloß negative, es hat nicht nur das Recht des Widerspruchs,
sondern auch das Recht der aktiven Mitwirkung bei gewissen Staatsausgaben.
Aber diese Mitwirkung ist doch insofern eine unselbständige, als sie nur die
Kraft hat, den Willen des Monarchen zu beschränken, als ihre Zustimmung
erforderlich ist, damit der Willensakt des Monarchen ein rechtlich wirksamer
werde. Das gilt namentlich für die Gesetzgebung: das Parlament erklärt sich
dem Monarchen gegenüber damit einverstanden, daß dieser das zwischen der
Regierung und dem Parlament vereinbarte Gesetz erlasse; aber das Einverständnis
ist nur die Vorbedingung, das Gesetz erläßt der König allein, nur von ihm
geht der Befehl an die Untertanen aus.

Weiter. Die Vermutung streitet für die Alleinzuständigkeit und Unbeschränkt-
heit des Monarchen. Er ist zur Ausübung der ganzen Staatsgewalt berufen
und allein berufen, soweit die Verfassung ihn nicht von einzelnen Funktionen
ausschließt, wie z. B. von der Rechtsprechung, oder beschränkt, so bei der
Gesetzgebung. Dem Monarchen stehen alle Befugnisse zu, die ihm nicht aus¬
drücklich entzogen sind; allen anderen Organen des Staates gebühren dagegen
nur die Zuständigkeiten, die ihnen verliehen sind, dies gilt auch vom Parlament.

In dem Satze, daß der Monarch zur Ausübung der ganzen Staatsgewalt
berufen und allein berufen ist, soweit ihn die Verfassung nicht ausschließt oder
beschränkt, ist der juristische Kern des monarchischen Prinzips enthalten, das
allen konstitutionellen Verfassungen Deutschlands zugrunde liegt, in einigen auch
ausdrücklich ausgesprochen ist: „Der König ist das souveräne Oberhaupt des
Staates und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter
den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus." Man pflegt diesen
juristischen Kern so zu formulieren, daß man sagt: der Monarch ist der Re¬
präsentant des Staates, ist der Träger der Staatsgewalt.

Für das Staatsrecht ist gewiß daran festzuhalten, daß der Staat das
Subjekt der Staatsgewalt ist, nicht der Monarch, daß dieser nur zur Ausübung
der dem Staate zustehenden Herrschaft berufen ist. Allein es ist doch erklärlich,
daß man im gewöhnlichen Leben, im leichten Sprachgebrauche über diesen Unter¬
schied hinwegsieht und anstatt von Untertanen des Staates von Untertanen des
Monarchen spricht.

So liegen die Dinge in den monarchischen Einzelstaaten Deutschlands.
Anders im Reiche. Von Untertanen des Kaisers kann auch im uneigentlichen
Sinne keine Rede sein, es gibt nur Neichsuntertanen. Weshalb? Weil nicht
der Kaiser in dem dargelegten Sinne Träger der Reichsgewalt ist, sondern der


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[0176] „Untertanen" für den Staat und seine Untertanen, er ist mit staatlicher Herrschergewalt aus¬ gerüstet. Das Parlament hat keinen Willen von solcher Kraft, es kann niemandem etwas befehlen oder verbieten, es kann den Staat in keiner Weise vertreten. Das Parlament kann nur Beschlüsse fassen, aber sie nicht zur Aus¬ führung bringen; es richtet seine Willenskundgebungen niemals an die Unter¬ tanen, nur an den Monarchen oder dessen Negierung. Die Tätigkeit des Parlaments ist keine bloß negative, es hat nicht nur das Recht des Widerspruchs, sondern auch das Recht der aktiven Mitwirkung bei gewissen Staatsausgaben. Aber diese Mitwirkung ist doch insofern eine unselbständige, als sie nur die Kraft hat, den Willen des Monarchen zu beschränken, als ihre Zustimmung erforderlich ist, damit der Willensakt des Monarchen ein rechtlich wirksamer werde. Das gilt namentlich für die Gesetzgebung: das Parlament erklärt sich dem Monarchen gegenüber damit einverstanden, daß dieser das zwischen der Regierung und dem Parlament vereinbarte Gesetz erlasse; aber das Einverständnis ist nur die Vorbedingung, das Gesetz erläßt der König allein, nur von ihm geht der Befehl an die Untertanen aus. Weiter. Die Vermutung streitet für die Alleinzuständigkeit und Unbeschränkt- heit des Monarchen. Er ist zur Ausübung der ganzen Staatsgewalt berufen und allein berufen, soweit die Verfassung ihn nicht von einzelnen Funktionen ausschließt, wie z. B. von der Rechtsprechung, oder beschränkt, so bei der Gesetzgebung. Dem Monarchen stehen alle Befugnisse zu, die ihm nicht aus¬ drücklich entzogen sind; allen anderen Organen des Staates gebühren dagegen nur die Zuständigkeiten, die ihnen verliehen sind, dies gilt auch vom Parlament. In dem Satze, daß der Monarch zur Ausübung der ganzen Staatsgewalt berufen und allein berufen ist, soweit ihn die Verfassung nicht ausschließt oder beschränkt, ist der juristische Kern des monarchischen Prinzips enthalten, das allen konstitutionellen Verfassungen Deutschlands zugrunde liegt, in einigen auch ausdrücklich ausgesprochen ist: „Der König ist das souveräne Oberhaupt des Staates und vereinigt in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den durch die Verfassung festgesetzten Bestimmungen aus." Man pflegt diesen juristischen Kern so zu formulieren, daß man sagt: der Monarch ist der Re¬ präsentant des Staates, ist der Träger der Staatsgewalt. Für das Staatsrecht ist gewiß daran festzuhalten, daß der Staat das Subjekt der Staatsgewalt ist, nicht der Monarch, daß dieser nur zur Ausübung der dem Staate zustehenden Herrschaft berufen ist. Allein es ist doch erklärlich, daß man im gewöhnlichen Leben, im leichten Sprachgebrauche über diesen Unter¬ schied hinwegsieht und anstatt von Untertanen des Staates von Untertanen des Monarchen spricht. So liegen die Dinge in den monarchischen Einzelstaaten Deutschlands. Anders im Reiche. Von Untertanen des Kaisers kann auch im uneigentlichen Sinne keine Rede sein, es gibt nur Neichsuntertanen. Weshalb? Weil nicht der Kaiser in dem dargelegten Sinne Träger der Reichsgewalt ist, sondern der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/176>, abgerufen am 03.07.2024.