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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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"Untertanen"

Und endlich von Gierke: "Jugendliche Völker wußten nichts von einem hinter
Königen und Volksversammlungen verborgenen Staat, sie kannten nur sichtbare
Herren und sichtbare Gesamtheiten". So bleibe auch heute die Staatsvorstellung
des Kindes und manches Ungebildeten und vielleicht auch dieser oder jener sehr
gebildeten Dame an dem Herrscher und seinenDienern haften. Der Differenzierungs¬
prozeß bilde einen Hauptinhalt der fortschreitenden Rechtsgeschichte. Nur unter
unsäglichen Mühen und nicht ohne häufige Rückschläge habe sich der Gedanke
der selbständigen Persönlichkeit des organisierten Ganzen durchgesetzt. "Immer
wieder drohte die Staatspersönlichkeit entweder in einem souveränen Herrscher
oder in einer souveränen Volksgesamtheit zu verschwinden. Die Vorkämpfer
des Absolutismus lehrten, was Ludwig der Vierzehnte in kurzer Formel brachte:
l^'stat L'est moi. Die Apostel der Volkssouveränität neigten dazu, den Staat
in die Summe der Bürger zu verlegen. Allein zuletzt ging stets aus dem
Ringen der Gedanke, daß das wahre Subjekt der Souveränität der unsterbliche
Staat selbst sei, stärker und reiner hervor. -- Alle unsere öffentlichen Institutionen
durchdringend und tief in das allgemeine Bewußtsein eingesenkt, bildet er heute
ein wesentliches Stück unserer Kultur, das uns keine logische Deduktion wieder
entreißen wird."

Wir sehen, von der herrschenden Lehre wird mit aller Bestimmtheit der
Staat von der menschlichen Trägerschaft der Staatsgewalt, von dem Monarchen
losgelöst vorgestellt. Und daraus folgt mit Notwendigkeit: Land und Leute
sind dem Staate, nicht dem Fürsten Untertan.




Gleichwohl ist es begreiflich, wenn von Untertanen des Fürsten gesprochen wird.

Aus mehrfachem Grunde.

Zunächst zeigt sich auch hier, daß keine Idee, die in der Geschichte einmal
mächtig ihre Zeit bestimmt hat, völlig verloren geht.

Der feinsinnige Sozialpolitiker nicht schrieb 1862: "Bis gegen Ende des
achtzehnten Jahrhunderts war der Glaube an ein theokratisches Staatsregiment
noch volkstümlich, und nicht bloß die Staatstheologen predigten ihn, sondern
der gemeine Mann bedürfte seiner geradezu. Der bildungsarme Bauer und
Kleinbürger hätte die Last der Obrigkeit gar nicht tragen können, wenn sie ihm
nicht wie eine unmittelbare Schickung Gottes erschienen wäre. Obgleich die
theokratische Doktrin heutzutage gewiß nicht mehr volkstümlich ist, so liebt es
doch das Volk, die Fürstenwürde im Glänze einer religiösen Weihe zu sehen.
Unsere politischen Formeln wimmeln von Irrationalitäten, die zum Teil als
historische Reliquien stehen geblieben sind, weil die Empfindungen des Volkes
auf diesem Punkte stehen blieben, während die verstandesklare Entwicklung des
öffentlichen Lebens einen ganz anderen Gang nahm. Denn wir finden uns
überhaupt viel rascher und sicherer mit unserem Verstände ab als mit unserer
Empfindung, Ist doch sogar in mehreren Grundgesetzen protestantischer Staaten
die Person des Fürsten als heilig bezeichnet, obgleich dies Wort höchstens im


„Untertanen"

Und endlich von Gierke: „Jugendliche Völker wußten nichts von einem hinter
Königen und Volksversammlungen verborgenen Staat, sie kannten nur sichtbare
Herren und sichtbare Gesamtheiten". So bleibe auch heute die Staatsvorstellung
des Kindes und manches Ungebildeten und vielleicht auch dieser oder jener sehr
gebildeten Dame an dem Herrscher und seinenDienern haften. Der Differenzierungs¬
prozeß bilde einen Hauptinhalt der fortschreitenden Rechtsgeschichte. Nur unter
unsäglichen Mühen und nicht ohne häufige Rückschläge habe sich der Gedanke
der selbständigen Persönlichkeit des organisierten Ganzen durchgesetzt. „Immer
wieder drohte die Staatspersönlichkeit entweder in einem souveränen Herrscher
oder in einer souveränen Volksgesamtheit zu verschwinden. Die Vorkämpfer
des Absolutismus lehrten, was Ludwig der Vierzehnte in kurzer Formel brachte:
l^'stat L'est moi. Die Apostel der Volkssouveränität neigten dazu, den Staat
in die Summe der Bürger zu verlegen. Allein zuletzt ging stets aus dem
Ringen der Gedanke, daß das wahre Subjekt der Souveränität der unsterbliche
Staat selbst sei, stärker und reiner hervor. — Alle unsere öffentlichen Institutionen
durchdringend und tief in das allgemeine Bewußtsein eingesenkt, bildet er heute
ein wesentliches Stück unserer Kultur, das uns keine logische Deduktion wieder
entreißen wird."

Wir sehen, von der herrschenden Lehre wird mit aller Bestimmtheit der
Staat von der menschlichen Trägerschaft der Staatsgewalt, von dem Monarchen
losgelöst vorgestellt. Und daraus folgt mit Notwendigkeit: Land und Leute
sind dem Staate, nicht dem Fürsten Untertan.




Gleichwohl ist es begreiflich, wenn von Untertanen des Fürsten gesprochen wird.

Aus mehrfachem Grunde.

Zunächst zeigt sich auch hier, daß keine Idee, die in der Geschichte einmal
mächtig ihre Zeit bestimmt hat, völlig verloren geht.

Der feinsinnige Sozialpolitiker nicht schrieb 1862: „Bis gegen Ende des
achtzehnten Jahrhunderts war der Glaube an ein theokratisches Staatsregiment
noch volkstümlich, und nicht bloß die Staatstheologen predigten ihn, sondern
der gemeine Mann bedürfte seiner geradezu. Der bildungsarme Bauer und
Kleinbürger hätte die Last der Obrigkeit gar nicht tragen können, wenn sie ihm
nicht wie eine unmittelbare Schickung Gottes erschienen wäre. Obgleich die
theokratische Doktrin heutzutage gewiß nicht mehr volkstümlich ist, so liebt es
doch das Volk, die Fürstenwürde im Glänze einer religiösen Weihe zu sehen.
Unsere politischen Formeln wimmeln von Irrationalitäten, die zum Teil als
historische Reliquien stehen geblieben sind, weil die Empfindungen des Volkes
auf diesem Punkte stehen blieben, während die verstandesklare Entwicklung des
öffentlichen Lebens einen ganz anderen Gang nahm. Denn wir finden uns
überhaupt viel rascher und sicherer mit unserem Verstände ab als mit unserer
Empfindung, Ist doch sogar in mehreren Grundgesetzen protestantischer Staaten
die Person des Fürsten als heilig bezeichnet, obgleich dies Wort höchstens im


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[0174] „Untertanen" Und endlich von Gierke: „Jugendliche Völker wußten nichts von einem hinter Königen und Volksversammlungen verborgenen Staat, sie kannten nur sichtbare Herren und sichtbare Gesamtheiten". So bleibe auch heute die Staatsvorstellung des Kindes und manches Ungebildeten und vielleicht auch dieser oder jener sehr gebildeten Dame an dem Herrscher und seinenDienern haften. Der Differenzierungs¬ prozeß bilde einen Hauptinhalt der fortschreitenden Rechtsgeschichte. Nur unter unsäglichen Mühen und nicht ohne häufige Rückschläge habe sich der Gedanke der selbständigen Persönlichkeit des organisierten Ganzen durchgesetzt. „Immer wieder drohte die Staatspersönlichkeit entweder in einem souveränen Herrscher oder in einer souveränen Volksgesamtheit zu verschwinden. Die Vorkämpfer des Absolutismus lehrten, was Ludwig der Vierzehnte in kurzer Formel brachte: l^'stat L'est moi. Die Apostel der Volkssouveränität neigten dazu, den Staat in die Summe der Bürger zu verlegen. Allein zuletzt ging stets aus dem Ringen der Gedanke, daß das wahre Subjekt der Souveränität der unsterbliche Staat selbst sei, stärker und reiner hervor. — Alle unsere öffentlichen Institutionen durchdringend und tief in das allgemeine Bewußtsein eingesenkt, bildet er heute ein wesentliches Stück unserer Kultur, das uns keine logische Deduktion wieder entreißen wird." Wir sehen, von der herrschenden Lehre wird mit aller Bestimmtheit der Staat von der menschlichen Trägerschaft der Staatsgewalt, von dem Monarchen losgelöst vorgestellt. Und daraus folgt mit Notwendigkeit: Land und Leute sind dem Staate, nicht dem Fürsten Untertan. Gleichwohl ist es begreiflich, wenn von Untertanen des Fürsten gesprochen wird. Aus mehrfachem Grunde. Zunächst zeigt sich auch hier, daß keine Idee, die in der Geschichte einmal mächtig ihre Zeit bestimmt hat, völlig verloren geht. Der feinsinnige Sozialpolitiker nicht schrieb 1862: „Bis gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts war der Glaube an ein theokratisches Staatsregiment noch volkstümlich, und nicht bloß die Staatstheologen predigten ihn, sondern der gemeine Mann bedürfte seiner geradezu. Der bildungsarme Bauer und Kleinbürger hätte die Last der Obrigkeit gar nicht tragen können, wenn sie ihm nicht wie eine unmittelbare Schickung Gottes erschienen wäre. Obgleich die theokratische Doktrin heutzutage gewiß nicht mehr volkstümlich ist, so liebt es doch das Volk, die Fürstenwürde im Glänze einer religiösen Weihe zu sehen. Unsere politischen Formeln wimmeln von Irrationalitäten, die zum Teil als historische Reliquien stehen geblieben sind, weil die Empfindungen des Volkes auf diesem Punkte stehen blieben, während die verstandesklare Entwicklung des öffentlichen Lebens einen ganz anderen Gang nahm. Denn wir finden uns überhaupt viel rascher und sicherer mit unserem Verstände ab als mit unserer Empfindung, Ist doch sogar in mehreren Grundgesetzen protestantischer Staaten die Person des Fürsten als heilig bezeichnet, obgleich dies Wort höchstens im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/174>, abgerufen am 03.07.2024.