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Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

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"Untertanen"

in seiner Rechtsphilosophie aus dem Prinzipe der Staatssouveränität, daß die
fürstliche Gewalt nur ein immanentes organisches Moment des Staates sei.
Der Rechtsphilosoph Stahl betrachtet es als einen wirklichen Fortschritt, den
Staat als eine gemeinsame höhere Ordnung über Fürst und Volk anzuerkennen.

Von den Juristen Albrecht und Gerber ist dann die Persönlichkeitstheorie
als unverrückbarer Ausgangspunkt der rechtlichen Erkenntnis des Staates auf¬
gestellt worden. Albrecht macht geltend, daß der deutsche Monarch der Gegen¬
wart in der Staatsgewalt nicht mehr eigenes, sondern fremdes Recht übe, nicht
mehr Herrscher über dem Staate, sondern Organ im Staate sei. Der moderne
Staat sei nicht mehr Objekt fremder, sondern Subjekt eigener Herrschaft, er
besitze Persönlichkeit und demgemäß seien die Rechte der Staatsgewalt nicht
mehr dem Fürsten, sondern dem Staate selbst eigen.

So gut wie alle Staatsrechtslehrer der Gegenwart teilen diese Auffassung
Georg Meyer, Laband, von Gierke, Jellinek, Anschütz usw. Auch Treitschke ist
ihr Anhänger.

Anschütz rechtfertigt die Persönlichkeitslehre folgendermaßen: "Sie spricht
zu denen und will denen genügen, welche, unter Zurücklassung aller patri-
monialen, patriarchalen, theokratischen und anderen Staatsanschauungen einer
hinter uns liegenden Zeit, nachstehende Momente als grundsätzlich wichtig für
die Erkenntnis und Erklärung des Staates ansehen:

1. die den Wechsel der herrschenden und beherrschten Menschen über¬
dauernde Einheit des Staates;

2. die Eigenschaft des Staates als einer machtbegabten, willens- und
handlungsfähigen Einheit, welche als solche Träger von Rechten und Pflichten ist;

3. die Zugehörigkeit des Staates zur Gattung der aus einer Mehrheit
von Menschen zusammengefügten sozialen Einheiten (Verbände), anders aus¬
gedrückt: die Natur des Staates als eines Gemeinwesens, des Staatswillens
als Gemeinwillens, der Staatsgewalt als Verbandsgewalt;

4. die Einbeziehung des oder der "herrschenden", das heißt die Verbands¬
gewalt ausübenden Menschen in den Staatsverband, derart, daß der Herrscher
nicht außer und über den Verband gestellt, sondern als sein "Premier Magistrat"
in ihn hineingezogen wird, daß der König, indem er regiert, nicht sein eigenes,
sondern fremdes, das heißt eben des Staates Recht wahrnimmt."

Hören wir von anerkannten Autoritäten noch Laband: "Durch die Ent¬
wicklung des modernen Staates zu einem organisierten Gemeinwesen, zu einer
Person des öffentlichen Rechtes hat sich das Verhältnis des Monarchen zum
Staat wesentlich geändert; er ist nicht mehr wie im sogenannten patrimonialen
oder feudalen Staat der Eigentümer oder Lehnsbesitzer der Territorien; er steht
nicht mehr über dem Staate als der Herr, dem Land und Leute gehörten nach
Art eines privatrechtlichen Besitzrechtes (äominium emineri8). sondern er steht
innerhalb des Staates und seiner Rechtsordnung; er ist das Haupt des Staates,
ein Organ des staatlichen Gemeinwesens."


Grenzboten III 1912 21
„Untertanen"

in seiner Rechtsphilosophie aus dem Prinzipe der Staatssouveränität, daß die
fürstliche Gewalt nur ein immanentes organisches Moment des Staates sei.
Der Rechtsphilosoph Stahl betrachtet es als einen wirklichen Fortschritt, den
Staat als eine gemeinsame höhere Ordnung über Fürst und Volk anzuerkennen.

Von den Juristen Albrecht und Gerber ist dann die Persönlichkeitstheorie
als unverrückbarer Ausgangspunkt der rechtlichen Erkenntnis des Staates auf¬
gestellt worden. Albrecht macht geltend, daß der deutsche Monarch der Gegen¬
wart in der Staatsgewalt nicht mehr eigenes, sondern fremdes Recht übe, nicht
mehr Herrscher über dem Staate, sondern Organ im Staate sei. Der moderne
Staat sei nicht mehr Objekt fremder, sondern Subjekt eigener Herrschaft, er
besitze Persönlichkeit und demgemäß seien die Rechte der Staatsgewalt nicht
mehr dem Fürsten, sondern dem Staate selbst eigen.

So gut wie alle Staatsrechtslehrer der Gegenwart teilen diese Auffassung
Georg Meyer, Laband, von Gierke, Jellinek, Anschütz usw. Auch Treitschke ist
ihr Anhänger.

Anschütz rechtfertigt die Persönlichkeitslehre folgendermaßen: „Sie spricht
zu denen und will denen genügen, welche, unter Zurücklassung aller patri-
monialen, patriarchalen, theokratischen und anderen Staatsanschauungen einer
hinter uns liegenden Zeit, nachstehende Momente als grundsätzlich wichtig für
die Erkenntnis und Erklärung des Staates ansehen:

1. die den Wechsel der herrschenden und beherrschten Menschen über¬
dauernde Einheit des Staates;

2. die Eigenschaft des Staates als einer machtbegabten, willens- und
handlungsfähigen Einheit, welche als solche Träger von Rechten und Pflichten ist;

3. die Zugehörigkeit des Staates zur Gattung der aus einer Mehrheit
von Menschen zusammengefügten sozialen Einheiten (Verbände), anders aus¬
gedrückt: die Natur des Staates als eines Gemeinwesens, des Staatswillens
als Gemeinwillens, der Staatsgewalt als Verbandsgewalt;

4. die Einbeziehung des oder der „herrschenden", das heißt die Verbands¬
gewalt ausübenden Menschen in den Staatsverband, derart, daß der Herrscher
nicht außer und über den Verband gestellt, sondern als sein „Premier Magistrat"
in ihn hineingezogen wird, daß der König, indem er regiert, nicht sein eigenes,
sondern fremdes, das heißt eben des Staates Recht wahrnimmt."

Hören wir von anerkannten Autoritäten noch Laband: „Durch die Ent¬
wicklung des modernen Staates zu einem organisierten Gemeinwesen, zu einer
Person des öffentlichen Rechtes hat sich das Verhältnis des Monarchen zum
Staat wesentlich geändert; er ist nicht mehr wie im sogenannten patrimonialen
oder feudalen Staat der Eigentümer oder Lehnsbesitzer der Territorien; er steht
nicht mehr über dem Staate als der Herr, dem Land und Leute gehörten nach
Art eines privatrechtlichen Besitzrechtes (äominium emineri8). sondern er steht
innerhalb des Staates und seiner Rechtsordnung; er ist das Haupt des Staates,
ein Organ des staatlichen Gemeinwesens."


Grenzboten III 1912 21
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[0173] „Untertanen" in seiner Rechtsphilosophie aus dem Prinzipe der Staatssouveränität, daß die fürstliche Gewalt nur ein immanentes organisches Moment des Staates sei. Der Rechtsphilosoph Stahl betrachtet es als einen wirklichen Fortschritt, den Staat als eine gemeinsame höhere Ordnung über Fürst und Volk anzuerkennen. Von den Juristen Albrecht und Gerber ist dann die Persönlichkeitstheorie als unverrückbarer Ausgangspunkt der rechtlichen Erkenntnis des Staates auf¬ gestellt worden. Albrecht macht geltend, daß der deutsche Monarch der Gegen¬ wart in der Staatsgewalt nicht mehr eigenes, sondern fremdes Recht übe, nicht mehr Herrscher über dem Staate, sondern Organ im Staate sei. Der moderne Staat sei nicht mehr Objekt fremder, sondern Subjekt eigener Herrschaft, er besitze Persönlichkeit und demgemäß seien die Rechte der Staatsgewalt nicht mehr dem Fürsten, sondern dem Staate selbst eigen. So gut wie alle Staatsrechtslehrer der Gegenwart teilen diese Auffassung Georg Meyer, Laband, von Gierke, Jellinek, Anschütz usw. Auch Treitschke ist ihr Anhänger. Anschütz rechtfertigt die Persönlichkeitslehre folgendermaßen: „Sie spricht zu denen und will denen genügen, welche, unter Zurücklassung aller patri- monialen, patriarchalen, theokratischen und anderen Staatsanschauungen einer hinter uns liegenden Zeit, nachstehende Momente als grundsätzlich wichtig für die Erkenntnis und Erklärung des Staates ansehen: 1. die den Wechsel der herrschenden und beherrschten Menschen über¬ dauernde Einheit des Staates; 2. die Eigenschaft des Staates als einer machtbegabten, willens- und handlungsfähigen Einheit, welche als solche Träger von Rechten und Pflichten ist; 3. die Zugehörigkeit des Staates zur Gattung der aus einer Mehrheit von Menschen zusammengefügten sozialen Einheiten (Verbände), anders aus¬ gedrückt: die Natur des Staates als eines Gemeinwesens, des Staatswillens als Gemeinwillens, der Staatsgewalt als Verbandsgewalt; 4. die Einbeziehung des oder der „herrschenden", das heißt die Verbands¬ gewalt ausübenden Menschen in den Staatsverband, derart, daß der Herrscher nicht außer und über den Verband gestellt, sondern als sein „Premier Magistrat" in ihn hineingezogen wird, daß der König, indem er regiert, nicht sein eigenes, sondern fremdes, das heißt eben des Staates Recht wahrnimmt." Hören wir von anerkannten Autoritäten noch Laband: „Durch die Ent¬ wicklung des modernen Staates zu einem organisierten Gemeinwesen, zu einer Person des öffentlichen Rechtes hat sich das Verhältnis des Monarchen zum Staat wesentlich geändert; er ist nicht mehr wie im sogenannten patrimonialen oder feudalen Staat der Eigentümer oder Lehnsbesitzer der Territorien; er steht nicht mehr über dem Staate als der Herr, dem Land und Leute gehörten nach Art eines privatrechtlichen Besitzrechtes (äominium emineri8). sondern er steht innerhalb des Staates und seiner Rechtsordnung; er ist das Haupt des Staates, ein Organ des staatlichen Gemeinwesens." Grenzboten III 1912 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/173>, abgerufen am 03.07.2024.