Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
"Untertanen

Wesentlich ist die Herrschaft dem Staate aber in dem anderen Sinne, daß
sie ihm unentbehrlich ist und daß sie ihm allein zusteht. Was den letzteren Punkt
anlangt, so ist zu beachten, daß Befehl und Zwang nur vom Staate ausgehen
können. Nur der Staatsgewalt kommt Ursprünglichkeit zu; alle kommunale
obrigkeitliche Gewalt ist vom Staate abgeleitet.

Im Bundesstaate besteht eine Angehörigkeit zu dem Oberstaate, Reiche
und zu den Gliedstaaten. Die Angehörigkeit umsaßt beiden, dem Reiche wie
dem Staate gegenüber, Untertanschast und Bürgerrecht.

Es kann sonach nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß es durchaus
korrekt ist, wenn von Staatsuntertanen und Reichsuntertanen gesprochen wird.

In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 7. März 1861
erklärte der Abgeordnete v. Vincke, "daß man bei dem Streite über den
Gebrauch der Worte Untertan oder Staatsbürger den Begriff Untertan mit dem
verwechsele, was das Allgemeine Landrecht unter Erbuntertänigkeit (gegenüber
dem Gutsherrn) verstand, während wir doch so weit in der Nomenklatur vor¬
gedrungen sein sollten, daß wir im Einklange mit dem in England herrschenden
Sprachgebrauche uns alle Untertanen nennen, insofern wir Untertan sind dem
Gesetze, Untertan dem großen Gemeinwesen, das wir Staat nennen."

Diesem Ausspruche ist vorbehaltlos zuzustimmen.

Allein von Vincke fährt fort: "Vor allem aber sind wir Untertan dem
Fürsten, der an der Spitze des Staates steht."

Damit werden wir vor eine neue Frage gestellt.

Was gilt von der Untertanschaft gegenüber dem Fürsten?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man das Verhältnis
zwischen Staat und Fürst auffaßt.

Sende! meint: der Monarch stehe über dem Staate, er sei der Beherrscher
des Staates, dieser sei nicht Rechtssubjekt, sondern lediglich Objekt der Herrscher¬
gewalt.

Bornhak ist der Ansicht: In der konstitutionellen Monarchie gibt es keine
von dem Herrscher verschiedene Staatspersönlichkeit, Staat und Herrscher sind
identische Begriffe; den einzig richtigen Ausdruck hat Ludwig der Vierzehnte
dem monarchischen Prinzipe gegeben in seinem viel verkannten Ausspruche:
I'neae c'öLt moi.

Schließt man sich der Ansicht Sendels oder Bornhaks an, so gibt es
selbstverständlich fürstliche Untertanen, Untertanen des Monarchen.

Beide Staatsrechtslehrer stehen indes ziemlich allein.

Weitaus die Meisten erblicken im Staate eine selbständige Persönlichkeit,
im Fürsten nur ein Organ derselben.

Die Auffassung des Staates als einer Person, als eines Rechtssubjektes
ist durch Grotius, Althusius und Pufendorf begründet worden. Adam Müller
hat zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erklärt: der Staat ist nicht bloß ein
Instrument in der Hand einer Person, er ist selbst eine Person. Hegel folgert


„Untertanen

Wesentlich ist die Herrschaft dem Staate aber in dem anderen Sinne, daß
sie ihm unentbehrlich ist und daß sie ihm allein zusteht. Was den letzteren Punkt
anlangt, so ist zu beachten, daß Befehl und Zwang nur vom Staate ausgehen
können. Nur der Staatsgewalt kommt Ursprünglichkeit zu; alle kommunale
obrigkeitliche Gewalt ist vom Staate abgeleitet.

Im Bundesstaate besteht eine Angehörigkeit zu dem Oberstaate, Reiche
und zu den Gliedstaaten. Die Angehörigkeit umsaßt beiden, dem Reiche wie
dem Staate gegenüber, Untertanschast und Bürgerrecht.

Es kann sonach nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß es durchaus
korrekt ist, wenn von Staatsuntertanen und Reichsuntertanen gesprochen wird.

In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 7. März 1861
erklärte der Abgeordnete v. Vincke, „daß man bei dem Streite über den
Gebrauch der Worte Untertan oder Staatsbürger den Begriff Untertan mit dem
verwechsele, was das Allgemeine Landrecht unter Erbuntertänigkeit (gegenüber
dem Gutsherrn) verstand, während wir doch so weit in der Nomenklatur vor¬
gedrungen sein sollten, daß wir im Einklange mit dem in England herrschenden
Sprachgebrauche uns alle Untertanen nennen, insofern wir Untertan sind dem
Gesetze, Untertan dem großen Gemeinwesen, das wir Staat nennen."

Diesem Ausspruche ist vorbehaltlos zuzustimmen.

Allein von Vincke fährt fort: „Vor allem aber sind wir Untertan dem
Fürsten, der an der Spitze des Staates steht."

Damit werden wir vor eine neue Frage gestellt.

Was gilt von der Untertanschaft gegenüber dem Fürsten?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man das Verhältnis
zwischen Staat und Fürst auffaßt.

Sende! meint: der Monarch stehe über dem Staate, er sei der Beherrscher
des Staates, dieser sei nicht Rechtssubjekt, sondern lediglich Objekt der Herrscher¬
gewalt.

Bornhak ist der Ansicht: In der konstitutionellen Monarchie gibt es keine
von dem Herrscher verschiedene Staatspersönlichkeit, Staat und Herrscher sind
identische Begriffe; den einzig richtigen Ausdruck hat Ludwig der Vierzehnte
dem monarchischen Prinzipe gegeben in seinem viel verkannten Ausspruche:
I'neae c'öLt moi.

Schließt man sich der Ansicht Sendels oder Bornhaks an, so gibt es
selbstverständlich fürstliche Untertanen, Untertanen des Monarchen.

Beide Staatsrechtslehrer stehen indes ziemlich allein.

Weitaus die Meisten erblicken im Staate eine selbständige Persönlichkeit,
im Fürsten nur ein Organ derselben.

Die Auffassung des Staates als einer Person, als eines Rechtssubjektes
ist durch Grotius, Althusius und Pufendorf begründet worden. Adam Müller
hat zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erklärt: der Staat ist nicht bloß ein
Instrument in der Hand einer Person, er ist selbst eine Person. Hegel folgert


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/321919"/>
          <fw type="header" place="top"> &#x201E;Untertanen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_634"> Wesentlich ist die Herrschaft dem Staate aber in dem anderen Sinne, daß<lb/>
sie ihm unentbehrlich ist und daß sie ihm allein zusteht. Was den letzteren Punkt<lb/>
anlangt, so ist zu beachten, daß Befehl und Zwang nur vom Staate ausgehen<lb/>
können. Nur der Staatsgewalt kommt Ursprünglichkeit zu; alle kommunale<lb/>
obrigkeitliche Gewalt ist vom Staate abgeleitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_635"> Im Bundesstaate besteht eine Angehörigkeit zu dem Oberstaate, Reiche<lb/>
und zu den Gliedstaaten. Die Angehörigkeit umsaßt beiden, dem Reiche wie<lb/>
dem Staate gegenüber, Untertanschast und Bürgerrecht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_636"> Es kann sonach nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß es durchaus<lb/>
korrekt ist, wenn von Staatsuntertanen und Reichsuntertanen gesprochen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_637"> In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 7. März 1861<lb/>
erklärte der Abgeordnete v. Vincke, &#x201E;daß man bei dem Streite über den<lb/>
Gebrauch der Worte Untertan oder Staatsbürger den Begriff Untertan mit dem<lb/>
verwechsele, was das Allgemeine Landrecht unter Erbuntertänigkeit (gegenüber<lb/>
dem Gutsherrn) verstand, während wir doch so weit in der Nomenklatur vor¬<lb/>
gedrungen sein sollten, daß wir im Einklange mit dem in England herrschenden<lb/>
Sprachgebrauche uns alle Untertanen nennen, insofern wir Untertan sind dem<lb/>
Gesetze, Untertan dem großen Gemeinwesen, das wir Staat nennen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Diesem Ausspruche ist vorbehaltlos zuzustimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639"> Allein von Vincke fährt fort: &#x201E;Vor allem aber sind wir Untertan dem<lb/>
Fürsten, der an der Spitze des Staates steht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_640"> Damit werden wir vor eine neue Frage gestellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_641"> Was gilt von der Untertanschaft gegenüber dem Fürsten?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_642"> Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man das Verhältnis<lb/>
zwischen Staat und Fürst auffaßt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_643"> Sende! meint: der Monarch stehe über dem Staate, er sei der Beherrscher<lb/>
des Staates, dieser sei nicht Rechtssubjekt, sondern lediglich Objekt der Herrscher¬<lb/>
gewalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_644"> Bornhak ist der Ansicht: In der konstitutionellen Monarchie gibt es keine<lb/>
von dem Herrscher verschiedene Staatspersönlichkeit, Staat und Herrscher sind<lb/>
identische Begriffe; den einzig richtigen Ausdruck hat Ludwig der Vierzehnte<lb/>
dem monarchischen Prinzipe gegeben in seinem viel verkannten Ausspruche:<lb/>
I'neae c'öLt moi.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_645"> Schließt man sich der Ansicht Sendels oder Bornhaks an, so gibt es<lb/>
selbstverständlich fürstliche Untertanen, Untertanen des Monarchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_646"> Beide Staatsrechtslehrer stehen indes ziemlich allein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Weitaus die Meisten erblicken im Staate eine selbständige Persönlichkeit,<lb/>
im Fürsten nur ein Organ derselben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648" next="#ID_649"> Die Auffassung des Staates als einer Person, als eines Rechtssubjektes<lb/>
ist durch Grotius, Althusius und Pufendorf begründet worden. Adam Müller<lb/>
hat zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erklärt: der Staat ist nicht bloß ein<lb/>
Instrument in der Hand einer Person, er ist selbst eine Person. Hegel folgert</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0172] „Untertanen Wesentlich ist die Herrschaft dem Staate aber in dem anderen Sinne, daß sie ihm unentbehrlich ist und daß sie ihm allein zusteht. Was den letzteren Punkt anlangt, so ist zu beachten, daß Befehl und Zwang nur vom Staate ausgehen können. Nur der Staatsgewalt kommt Ursprünglichkeit zu; alle kommunale obrigkeitliche Gewalt ist vom Staate abgeleitet. Im Bundesstaate besteht eine Angehörigkeit zu dem Oberstaate, Reiche und zu den Gliedstaaten. Die Angehörigkeit umsaßt beiden, dem Reiche wie dem Staate gegenüber, Untertanschast und Bürgerrecht. Es kann sonach nicht dem geringsten Zweifel unterliegen, daß es durchaus korrekt ist, wenn von Staatsuntertanen und Reichsuntertanen gesprochen wird. In der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 7. März 1861 erklärte der Abgeordnete v. Vincke, „daß man bei dem Streite über den Gebrauch der Worte Untertan oder Staatsbürger den Begriff Untertan mit dem verwechsele, was das Allgemeine Landrecht unter Erbuntertänigkeit (gegenüber dem Gutsherrn) verstand, während wir doch so weit in der Nomenklatur vor¬ gedrungen sein sollten, daß wir im Einklange mit dem in England herrschenden Sprachgebrauche uns alle Untertanen nennen, insofern wir Untertan sind dem Gesetze, Untertan dem großen Gemeinwesen, das wir Staat nennen." Diesem Ausspruche ist vorbehaltlos zuzustimmen. Allein von Vincke fährt fort: „Vor allem aber sind wir Untertan dem Fürsten, der an der Spitze des Staates steht." Damit werden wir vor eine neue Frage gestellt. Was gilt von der Untertanschaft gegenüber dem Fürsten? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie man das Verhältnis zwischen Staat und Fürst auffaßt. Sende! meint: der Monarch stehe über dem Staate, er sei der Beherrscher des Staates, dieser sei nicht Rechtssubjekt, sondern lediglich Objekt der Herrscher¬ gewalt. Bornhak ist der Ansicht: In der konstitutionellen Monarchie gibt es keine von dem Herrscher verschiedene Staatspersönlichkeit, Staat und Herrscher sind identische Begriffe; den einzig richtigen Ausdruck hat Ludwig der Vierzehnte dem monarchischen Prinzipe gegeben in seinem viel verkannten Ausspruche: I'neae c'öLt moi. Schließt man sich der Ansicht Sendels oder Bornhaks an, so gibt es selbstverständlich fürstliche Untertanen, Untertanen des Monarchen. Beide Staatsrechtslehrer stehen indes ziemlich allein. Weitaus die Meisten erblicken im Staate eine selbständige Persönlichkeit, im Fürsten nur ein Organ derselben. Die Auffassung des Staates als einer Person, als eines Rechtssubjektes ist durch Grotius, Althusius und Pufendorf begründet worden. Adam Müller hat zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erklärt: der Staat ist nicht bloß ein Instrument in der Hand einer Person, er ist selbst eine Person. Hegel folgert

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/172
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 71, 1912, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341895_321746/172>, abgerufen am 03.07.2024.